Demokratische Blätter des RCDS Die Freiheit der nicht Andersdenkenden
Wie bei der Propaganda der Politiker kommt es auch beim RCDS-Feldzug gegen alles, was links steht, nicht auf Begründungen, sondern auf Perspektiven an. In einem Atemzug werden die Linken zur Bedeutungslosigkeit verdammt und dies dem erfolgreichen Wirken ringdemokratischer Bemühungen um den Studenten zugeschrieben, im nächsten Atemzug aber der Karriere-Ring zum armen Opfer wüstester „Hetze der Radikalen“ hochstilisiert, gegen die er sich nur mühsam behauptet. Deren Vorwürfe, der RCDS sei ein „Faschistenspezi“, sind natürlich schon mit dem schlagenden Argument widerlegt, daß irgendwelche Faschisten den RCDS zum „Steigbügelhalter des Kommunismus“ deklarieren. Wer könnte da noch am sachlich-ideologiefreien Charakter einer „Politik der Mitte“ zweifeln! Die Ringdemokraten beherrschen also schon vorbildlich die Masche derjenigen, die hierzulande die Gewalt ausüben: der eigene weniger wort- als staatsgewaltige Generalangriff gegen alles, was anderes als umstandslose Verbundenheit mit den Grundwerten der Nation erkennen läßt, wird als aufopferungsvolle Abwehrschlacht ausgegeben; und die Veröffentlichungen von „Vorwürfen, die seit 1975 gerichtlich verboten sind", macht aus der tatkräftigen Unterstützung der Staatsgewalt, deren Wohlwollen man sich gewiß sein kann, auch noch ein Argument für die Unverschämtheit der Linken, die sich einfach nicht an die demokratischen Spielregeln halten, die ihnen Prozesse, Geldstrafen und Berufsverbote bescheren. Dort, wo sie sich als Verfolgte und Märtyrer gerieren, stellen sie also nichts als den Willen zu einem brutalen Vorgehen gegen kritischen Studentengeist zur Schau – und auf wen sie sich bei diesem Vorgehen stützen und verlassen können, weswegen sie selber auch nur die Zulieferaufträge übernehmen müssen, um den Politikern und Gerichten die Arbeit zu erleichtern und sich für diese eigentliche Arbeit zu empfehlen.
Daß der Chef der Demo-Blätter etwas von seinem künftigen Geschäft versteht, zeigt sich nicht nur darin, daß er sich und seine Visage studentenfreundlich – Pullover, offenes Hemd, Schnauzbart – präsentiert und die Spiegelmasche kopiert – Format, Titelgeschichte, Rubriken, Inhaltsverzeichnis –, sondern offenbart auch die Art und Weise, wie er sich studentischer Interessen annimmt. Um die Linken aus dem Feld zu schlagen, kümmert er sich zwar nicht um die Studentensorgen, demonstriert aber, daß er sich um ihre Unzufriedenheit kümmert, die sie für linke Argumente anfällig macht oder machen könnte, und jubelt ihnen dabei unter, daß die beste Interessenvertretung die des ohnehin unumstößlichen demokratischen Dogmas ist, daß für die Interessen nur diejenigen zuständig sind, die die politische Macht haben und mit deren Einsatz für die Unzufriedenheit verantwortlich sind. Weswegen jede »sinnvolle« Kritik auch »konstruktiv« sein muß, andernfalls sie sich durch Gerichtsurteile und ähnliche Argumente mit RCDS-Hilfe selbst widerlegt. Weiterer Argumente bedarf es nicht (und hat man auch nicht), wenn man nur dies eine gekonnt vorzubringen und sich damit in Szene zu setzen weiß, wie es der RCDS-Vorstand versteht. Erstens führt er vor, daß er eine mindestens ebenso große schwarze Nase wie ein Roter eine rote dafür hat, was allen Studenten stinkt (denn ihm stinkts, daß die Studenten Gründe für ihre Unzufriedenheit vorbringen können): ein Bafög das hinten und vorne nicht reicht, eine Regelstudienzeit, die dem, der auf das Bafög angewiesen ist, das Leben noch schwerer macht und „dunkle (!) Berufsaussichten“. Zweitens weist er nach, daß diese »Probleme« noch lange keine Gründe für mangelnde Staatstreue sind, sondern für das Gegenteil. Dafür bedient ex sich des Vokabulars derer, die das Stinken seit Jahren in vorwurfsvoll-moralische Worte fassen und bei der Erringung von studentischen Abgeordnetensitzen damit einigen Erfolg hatten: von „den berechtigten Interessen der Studenten“ und „konkretem Einfluß“ ist da die Rede. Wobei mit der kleinen Verbeugung vor dem Rechtsidealismus der Studenten (die ja auch Politiker nie auslassen, um dann mit einem großen „aber ...“ fortzufahren) die Aufforderung vorbereitet wird, diesen Idealismus in den Dienst des Rechts zu stellen und Einfluß zu nehmen, wie er »konkret« erlaubt ist, nämlich per RCDS-Funktionären bei ihren praktizierenden Parteifreunden in Opposition und Regierung – also gar nicht. Die Lüge – entgegen den linken Aufforderungen, selbst aktiv zu werden –, nur so seien »konkrete Erfolge« zu erzielen, belegt man einfacherweise damit, daß drittens diesen berechtigten Interessen im Streik der Revis kein Erfolg beschieden war, stattdessen nur die, auf die es ankommt, die Politiker und die Öffentlichkeit (die hat bekanntlich ganz »konkreten Einfluß«!) vergrämt worden seien und damit die konkrete Einfluß nähme maßlos erschwert worden sei (eine brave Studentenschaft hätte schon längst Bafög-Sätze über 800,- DM, Studienfreiheit und lichte Berufsaussichten). Nebenbei wäscht er so fürsorglich die Studenten von den Vorwürfen der Öffentlichkeit rein (an den Gedanken-Faschistereien der Bevölkerung und der mangelnden Fürsorge der Politiker sind die paar Linken schuld) und leistet damit ein Lehrstück in gekonnter demokratischer Heuchelei: das Volk und Mehrheiten zählen dann, wenn sie sich gegen Kritiker ausschlachten lassen; wenn nicht, handelt es sich bei den Mehrheiten um Verführte, eigentlich Minderheiten (wieder Hinweis aufs Volk) und der nackte Hinweis auf den demokratischen Herrn auch über alle Studentenmehrheiten steht an. Viertens macht er „Verbesserungsvorschläge“, die nichts verbessern, weil sie auch gar nichts verbessern sollen, sondern nur vorführen sollen, daß auch der RCDS Vorschläge zu machen versteht, und zwar »realistische«, die den Staat nämlich nichts kosten: „Hauptpunkt dieser Vorschläge ist die Zusammenlegung der verschiedenen Förderungsleistungen (Bafög und Kindergeld, Steuerfreibeträge für Eltern mit studierenden Kindern) zu einer, dem Studenten direkt zur Verfügung kommenden Förderung.“ Mit diesem Beitrag zum demokratischen Vorschlagswesen zwecks Selbstprofilierung ist sein Einsatz fürs Bafög auch schon gelaufen, so daß er sich fünftens mit der »Forderung« (dasselbe wie Vorschlag!), „daß die Regelstudienzeit überhaupt erst nach vollendeter Studienreform eingeführt werden soll“ dafür ausspricht, eine Staatsmaßnahme nicht vor einer anderen zu machen und die Verschärfung des Studiums lieber umgedreht durchzusetzen. Weil aber weder Politiker noch RCDS daran denken, etwas anderes zu machen, als die Politiker machen, wirbt der RCDS sechstens durch die Veranstaltung „demokratischer Dialoge“ mit Politikern, mit denen er zeigt, daß hinter dem RCDS Leute stehen, die das Sagen, das jener erst noch anstrebt, schon haben. Mandatsträger meist, denen das Schicksal auch der Studenten anvertraut (mandare!) ist, mit dem sie nicht einmal umgehen, wie einst ein heute noch verkannter Politiker aus der deutschen Ostmark nach der Eingliederung des Saarlands: „Ich habe zuerst gehandelt, dann habe ich darüber abstimmen lassen.“ Und wenn Studenten sich eine solche Agitationsveranstaltung nicht bieten lassen, schützt er die Freiheit der Agitation von verfolgten Politikern und Professoren nicht nur mit der Forderung nach der Beschränkung der Freiheit der „Störer", sondern auch mit dem Anruf bei der Polizei und eigenen Schlägertruppen.
Angesichts solcher Aktivitäten verfallen nur aktive Demokratiefans auf den Blödsinn, der RCDS tue nur zu Wahlzeiten was, wo doch Politiker an die Uni schleifen durchaus eine Aktivität ist, und alle seine Aktivitäten darauf gerichtet sind, daß eben die Linken nicht gewählt werden, damit an den Unis die Politik stattfindet, die die dazu Berufenen machen. Und weil Politiker gestört oder ungestört dialogisieren, daß das, was sie machen, in aller Interesse gemacht werden muß – wobei der RCDS sein kritisches Wörtchen (v.a. gegen die Kritiker der Politiker) mitredet – hilft der RCDS siebtens den Studenten bei dem, was er von staatswegen machen muß – ordentlich studieren, auch unter erschwerten Bedingungen. In jeder Nummer stellt er nach dem Motto „Tübingen – eng, aber gemütlich!“ bundesdeutsche Universitätsstädte vor und den Studenten vor eine Qual der Wahl, die ihm der Staat mit der ZVS schon lange abgenommen hat. Wem es in Tübingen zu eng ist – „kein Wunder, bei einem Verhältnis von 4 : 1 zwischen Einwohnern und Studenten“ –, kann sich's dadurch gemütlich machen, daß er aus dem Haus, das er nicht hat, ein Häusle macht: „Typisch für das Schwäbische ist, daß an viele Worte -le angehängt wird, in dem das Gemütliche, Bedächtige und Freundliche der schwäbischen Art anklingt.“ Weil damit weder in Tübingen noch sonstwo der Student seine eigenen vier Wändle hat, bietet er achtens noch einen weiteren „Service“: die „RCDS-Mietfibel“ in Fortsetzungen, in der er ihn vor Fehlinformationen geschuldeten bösen Überraschungen bewahrt, indem er ihn darüber aufklärt, daß eine Studentenbude keine „ Wohnung zum dauerhaften Gebrauch" ist, weshalb die Kündigung „nicht schriftlich ausgesprochen zu werden braucht“ und das „Widerspruchsrecht nach der Sozialklausel hier nicht möglich ist“. In unserer aufgeklärten Zeit ist es selbstverständlich auch erlaubt, in einer Mietwohnung nicht nur „Fische, Vögel, Hamster“, sondern auch je nach Geschlecht Damen und Herren – selbst über Nacht – zu halten. Der Bischof wird seinen Ringchristen solch sittenzersetzende Information wohl nachsehen.
Ebensowenig wie die Politiker bei ihrem Bemühen, mit China ins Geschäft zu kommen und es gegen die SU oder „Verzichtspolitiker“ einzusetzen, die so geschätzten Ideale über Bord geworfen haben, nur weil sie sich nicht auch beim Besuch der chinesischen Mauer haben heraushängen lassen – ebensowenig plädiert der RCDS dafür, zugunsten der Ideale auf die Ausnutzung Chinas zu verzichten. Mit dem Hinweis auf die Schwäche Chinas, das „allenfalls von wirklichkeitsfremden Maoisten als Großmacht angesehen werden kann“ und die Dummheit der Chinesen, dokumentiert unter der Überschrift: „Verdummung und Hetze beim Kampf gegen die Viererbande“, stellt er klar, daß man China auch ausnutzen kann, ohne den RCDS in seinem Kampf gegen Maoisten zu kompromittieren, der radikal dafür eintritt, für die Menschenrechte einzutreten: „Kämpft für die Menschenrechte ... überall!“, um „die Menschenrechtsverletzungen in kommunistischen Ländern die Verfolgung von Intellektuellen und Andersdenkenden, die Bespitzelung und echten (!) Berufsverbote ...“ zur ideologischen Grundlage dafür zu machen, den Andersdenkenden hierzulande das bloße Andersdenken mit unechten Berufsverboten unmöglich zu machen.
Die „sachliche Alternative“ studentischer Interessenvertretung ist also durch und durch negativ: der Kampf gegen alles Linke ist ihr Ziel, gegen alles, was gegen die staatliche Politik auch nur den Anspruch geltend macht, ein eigenes Interesse nicht umstandslos aufgeben zu müssen. Die konservative Hochschulpolitik erschöpft sich in dem Einsatz für das staatstreue Dogma, daß Politik an der Hochschule zu unterbleiben hat, weil sie in die Hände derjenigen gehört, für deren Reihen sich der RCDS mit seinen Anstrengungen empfiehlt. Diese inneruniversitären Vorkämpfer ordentlicher demokratischer Politik, die weder mit der Wahrnehmung des politischen Mandats noch der Vertretung studentischer Interessen ein Problem haben, weil sie beides machen, wie es sich hierzulande gehört, öffnen damit den Studenten die Augen, was ihre politische Aufgabe ist: gefälligst zu studieren, sich durchbeißen, kurz sich die erhofften Früchte gefälligst durch Opfersinn zu verdienen (auch wenn sie ausbleiben!) und den Kampf gegen jeden zu unterstützen, der die Politiker nicht bedingungslos – mit kritisch konstruktiven Anmerkungen versteht sich – walten läßt. (Und solche Politik machen am besten C-ler, weil sie Studenten nicht durch Reformgeschwätz noch dazu ermuntern, sich von Politikern mehr zu versprechen, als diese zu halten gewillt sind.) Wenn Studenten das geforderte und nicht mitmachen, weil sie mit ersterem vollauf genug haben, dann macht das dem RCDS solange nichts, wie sie nichts tun, außer ersteres; weil es dann immer noch die gibt, die letzteres erledigen, um die Studenten auf ersteres zu verpflichten, und sich damit weniger düstere Berufsaussichten verschaffen.
aus: MSZ 23 – Mai 1978 |