Wider die Unsitte, RCDS-Studenten in den Schmutz zu ziehen
Was sich Zeitungen alles gegen Studenten erlauben, kann nicht länger schweigend hingenommen werden. Ist es noch verständlich, wenn die Presse der Bevölkerung an linken Studenten vorführt, daß diese „irren“, Revolutionäre nicht nur ihre, sondern auch kleine Kinder fressen und dafür in Kommunen (igitt) zusammenwohnen, so geht es doch entschieden zu weit, wenn – wie neulich – der unbescholtene Ruf eines ehrbaren Jurastudenten, der sich als Münchner RCDS-Vorsitzender selbstlos für die Interessen der Studenten eingesetzt und gerade im Kampf gegen linke Chaoten Bedeutendes geleistet hat, in den Schmutz gezogen wird. Unter der gemeinen Überschrift (die auf die Besonderheit eines Jurastudenten, der sich „für völlig normal hält“, keine Rücksicht nimmt): „Er machte die Frauen zu Sex-Sklaven. Student folterte seine Opfer mit Nadeln“ berichtete die Münchner „Abendzeitung“ vom 11. 5.: „»Plötzlich bog Herr W. mit dem Wagen in einen Seitenweg, immer tiefer in den Wald hinein. Er forderte mich auf: Zieh dich aus! Als ich nicht schnell genüg die Bluse auszog, schlug er mich.« ... Die Frau bekam vor dem »irre schauenden« Mann wahnsinnige Angst. Sie tat deshalb alles, was Wolfgang W. verlangte. Der Sadist versetzte ihr mit dem Gürtel 20 Peitschenschläge auf der Hintern und weitere 20 auf den Busen. Danach stach er ihr mit einer Stecknadel in die Brustwarzen. Zuletzt drohte er ihr, sie umzubringen, wenn sie nicht schriftlich erklärte, daß sie mit allem einverstanden gewesen sei.“ Wie konnte es dazu kommen? Keine Spur von einer Erklärung, wie es dazu kommen konnte. Kein Wort des Verständnisses, daß vielleicht eine durch das aufreibende politische Wirken beim RCDS hervorgerufene frühzeitige midlife-crisis Wolfgang W. (28) dazu brachte, „bei der Liebe manchmal ein bißchen heftig“ zu sein. Nicht einmal die einfache Tatsache, daß W. allein nachts in einem Auto saß und es draußen regnete, fällt dem Blatt ein. Weiß denn die AZ nicht, daß seit geraumer Zeit Menschen durch ihre Umwelt bestimmt sind! Sollte sie – was wir nicht glauben – Zweifel bekommen haben an dieser wissenschaftlichen Abteilung „umweltbedingt“, die inzwischen doch zum Gemeingut eines jeden geschickten Verteidigers gehört, weil sie weder die Umwelt noch die Menschen, die in ihr leben, kritisiert! Dabei liegt doch gerade hier der Fall so klar. Sicher, W. hätte sich angesichts wieder einmal aufkommender Heftigkeit an seinen Religionsunterricht alter Schule erinnern müssen und sich durch kaltes Duschen oder Dauerlauf (im Regen besonders wirksam) auf andere Gedanken bringen müssen. Auch hätte er besser dem Porno-Roman über eine arabische Sklavenhalterin die „Sklavenkarawane“ von Karl May vorgezogen, wo demokratische Gewalt und abendländische Tugend ganz normal und selbstverständlich nebeneinander auf Neger und andere Untermenschen losgelassen werden. Aber man kann doch W. nicht wegen dieser Vergeßlichkeit als Sadisten abqualifizieren. Liegt nicht eher der wahre Grund für seine überschäumende Zärtlichkeit, von dem weder der Angeklagte W. noch die AZ noch die Justiz wissen will, in dem Studium, das er absolvierte, und im RCDS, dessen Vorsitzender er war?
Wenn W. nach vollbrachter Liebestat sich die freiwillige Zustimmung der so Beglückten schriftlich geben ließ, hat er nur die Lehre seiner Professoren, daß Recht und Freiheit zusammengehören, ernst genommen, indem er die Unfreiheit seiner gewaltsamen Liebe rechtlich absichern wollte. Obendrein haben ihm seine Lehrer die Flause eingebleut, daß „Recht vor Macht geht“, und diese Tautologie muß es sein, die W. bewogen hat, Gewalt anzuwenden und gewaltsam Rechtmäßigkeit zu verlangen. Ganz im Sinne seines Vereins, des RCDS, der ja in der Auseinandersetzung mit den Linken immer schnell beim Gericht ist, weil er dasselbe vertritt wie der Staat, der die Gewalt und das Recht dazu hat. Da mußte W. ja darauf kommen, seine Vorlieben mit dem Gesetz in Übereinstimmung zu bringen. Auch die nicht zu leugnende Härte, die Geschichte mit Gürtel und Nadel, dürfte kaum mit falscher Mutterbindung zu erklären sein (20 Schläge auf den Arsch ?). W. bezeugt selbst, woher sie rührt, wenn er als Kandidat des RCDS für den Konvent schreibt: „Härte gegen Kommunisten und praxisferne Idealisten“, Und daß seine Partnerin praxisnah war, kann niemand behaupten. Es ist halt nicht gut für den Menschen, wenn ihm das Dogma des Pluralismus erzählt wird, daß es Menschen (Kommunisten) gibt, die hart angefaßt gehören – bis er selbst sich engagiert und dafür agitiert. Auch sonst scheinen die Prinzipien der Ringdemokraten nicht ganz unschuldig an W. zu sein „Entschieden demokratisch“ wollte W. sicherlich handeln – wer wollte ihm das absprechen Aber wie sollte er der „Anerkennung der Mehrheitsentscheidung und des Minderheitenschutzes“ Geltung verschaffen, wenn zwei bei Regen in einem Auto sitzen und der andere nicht will, was der eine möchte. Da blieb ihm doch nur der demokratische Ausweg „jenseits von orientierungslosem Pragmatismus und dogmatischer Ideologie“ „sachgerecht“ zu handeln und auf diese Weise den „Konsensus“ und die „partielle(!) Integration“ herzustellen. (Alle Zitate aus dem „Selbstverständnis“ des RCDS) Ganz besonders muß das Menschenbild, das der RCDS verkündet, seine Wirkung getan haben, nämlich das „von der unveräußerlichen Würde, der Gleichwertigkeit, Verschiedenartigkeit und Unvollkommenheit des Menschen“. Dieses komplizierte Bild, das „hinter den Grundwerten (Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität) des RCDS steht“ und so wieder sehr einfach ist, hat den RCDS-Studenten W. so ergriffen, daß er es nicht nur in der Politik zur „Richtschnur seines Handelns“ werden ließ: Die in jeder Beziehung nicht zu leugnende Verschiedenartigkeit der aufgegriffenen Frau (sie hatte nicht einmal ein Jura-Studium hinter sich) ignorierte W., indem er die Besonderheit dieses Mitmenschen ziemlich gleichgültig und gleichmäßig behandelte und sie so den Grundwert der Gleichheit spüren ließ, so daß er schließlich seine und der anderen Würde drastisch veräusserte, wozu ihm die „Unvollkommenheit des Menschen“, von der der RCDS „ausgeht“, bestens in den Kram paßte. Kann man es einem Studenten vorwerfen, wenn er in getreuer Verfolgung des RCDS-Glaubens, daß die demokratischen Ideale in der „Menschennatur angelegt“ sind, die Ideale fahren läßt, um die „unvollkommene“ Natur des Menschen darauf hin abzuklopfen? wenn er sich, eingedenk der RCDS-Parole von der „Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit“, mit der „Trennung von Seins- und Sollensaussagen“ identifiziert und nur noch an das nackte Sein denkt, um das Sollen im Sinne „produktiver Skepsis“ weiterer „Falsifizierung“ zu überlassen: „Warum ich das getan habe» weiß ich nicht“ (W.)?
Wer will den ersten Stein auf den Studenten W. werfen, bevor nicht eindeutig geklärt ist, inwieweit das Schicksal dieses ehemaligen RCDS-Vorsitzenden nicht durch die christliche Umwelt der sozialen Ringdemokraten bedingt ist! Wir meinen, es gibt einige Hinweise dafür, daß im RCDS der Wurm drin ist. Doch soll deswegen niemand darauf verfallen, jetzt über dem RCDS den Stab zu brechen. Denn letztlich ist nicht der RCDS pervers, sondern die Gesellschaft, für die er lebt!
aus: MSZ 17 – Mai 1977 |