Wahlen in Portugal: Ein Sieg der Demokratie (I)
Was die Rücknahme sozialismusverdächtiger Regelungen betrifft, wird Sa Carneiro mit sich reden lassen, die wichtigsten Schritte, um die anfangs gemachten Konzessionen an das zur Herstellung einer Demokratie auf gerufene Volk zu beseitigen, haben die Technokraten schon unternommen – staatliche Entschädigungen und die Rückgabe von großen Teilen des Großgrundbesitzes. Die Schwierigkeiten, in denen die Arbeiterkooperativen stecken, tun ein übriges zur Belehrung der Massen. Ohne Kredite, deren Zahlung der Staat nach und nach eingestellt hat, ohne genügende Produktionsmittel und ohne ausreichende Fachkenntnisse – nicht zuletzt ist auch die begeisterte Anteilnahme der europäischen Linken in der letzten Zeit ausgeblieben –, halten sie sich kaum über Wasser und das auch nur durch den ständigen Mehreinsatz der Beteiligten, die mit weniger als den üblichen Mindestlöhnen auskommen müssen. Erschießungen von Landarbeitern, die sich weigern, den in Besitz genommenen Boden an die alten Besitzer zurückzugeben durch die Nationalgarde bewirken so auch keinen Volksaufstand.
Daß die Portugiesen, deren Existenzbedingungen nunmehr unter das Niveau zu Zeiten der Revolution gedrückt worden sind, sich das Rechtsbündnis mit einer staatlichen Mehrheit gewählt haben, ist ein eindrucksvoller Beweis für ihre demokratische Reife und noch einmal dafür, daß die Revolution nie eine war. Die Ermächtigung einer Regierung, die sich für die ,,Reaktivierung des privaten Sektors der Industrie“ stark macht, verdankt sich dem Mißverständnis, eine von den Soares-Sozialisten und den Interimspräsidenten angerichtete Mißwirtschaft müsse beseitigt werden. Der große Verlierer der Wahl, Mario Soares, dagegen weiß es besser, daß er die Grundlagen für den Erfolg seines Nachfolgers geschaffen hat: „Die Restriktionspolitik war unumgänglich. Wie die Deutschen nur zu gut wissen, gibt es keinen Wirtschaftsaufschwung ohne Opfer. Ich wußte, daß ich zwar die Grundlagen für die Demokratie schuf, aber die Popularität meiner Partei aufs Spiel setzte.“ Dabei verblassen die von ihm angeordneten Opfer der Portugiesen natürlich hinter dem riesenhaften eigenen, das er sich vom Herzen gerungen haben will: „Es war die ernsthafte patriotische Entscheidung eines Politikers, der nicht nur an Wahlkampf denkt. Jetzt muß ich dafür zahlen und ich bin bereit, die Folgen zu tragen.“ Dabei kann er getrost abwarten. Die Hoffnung der Wähler, durch Sa Carneiros Programm zumindest die Existenznotwendigkeiten garantiert zu bekommen, die ihnen nichts anderes einbringen wird, als im besten Fall die ausgiebigere Benutzung ihrer Existenz durch ausländisches Kapital nach dessen Geschmack, wird wohl auch wieder einmal zur Enttäuschung, und dann haben die Portugiesen eine weitere Lektion Demokratie gelernt.
aus: MSZ 33 – Januar 1980 |