Erfolg und Gemeinheit revisionistischer Politik:

Polizei an der UNI München


Das Inkrafttreten des Bayerischen Hochschulgesetzes war für den MSB Spartakus der erneute Beweis, daß in Deutschland Unrecht herrscht und die Demokratie bloßer Schein ist. Unrecht ist Gesetz, weil es sich gegen die Studenten richtet und sie in ihrer Freiheit einschränkt, wohingegen wirkliches Recht niemandem Gewalt antut, weshalb sich der Spartakus für die Verwirklichung wahrhaft demokratischer Zustände einsetzt. In ihnen kommen die Benachteiligten zu ihrem Recht durch Ausschaltung jeder „Kräfte“, die es ihnen heute verweigern – womit der Spartakus, der die Rechtmäßigkeit der unter demokratischen Verhältnissen herrschenden Gewalt leugnet, da er nicht am Verschwinden des Rechts, sondern der Beschränkung interessiert ist, ausspricht, daß auch unter idealen demokratischen Verhältnissen das Recht ein Gewaltverhältnis ist.


I. Vorspiel als Verdoppelungstheater

Während sich so der Spartakus am BHG von der Selbstverständlichkeit seiner Weltanschauung überzeugte, bewies ihm das Verhalten der Studenten, daß seine Auffassung keineswegs selbstverständlich ist. Sie hatten ihre Entrechtung durch das Gesetz offenbar gar nicht zur Kenntnis genommen, denn das BHG war für sie kein Grund, die Politik des Spartakus zu unterstützen. Der Spartakus, der den Interessen der Studenten zu ihrem Recht verhelfen will und dabei als guter Demokrat zwischen sich und den Studenten keinen Unterschied entdecken kann, wird durch seine Erfolglosigkeit auf die Differenz zwischen sich und den Massen gestoßen. Um diese zu überwinden, gründet der MSB als Fortführung der vom Staat abgeschafften studentischen Selbstverwaltung den ,,AStA e. V.“, von dem er sich die demokratische Legitimation seiner Politik durch die Studenten verspricht. Der Spartakus gibt daher nicht etwa vor, mit dem AStA die studentischen Interessen zu vertreten, während er in Wirklichkeit etwas ganz anderes, die Diktatur des Proletariats, will – wie ihn seine Gegner anfeinden, sobald er sich in MSB und AStA verdoppelt hat –, vielmehr besteht seine Politik als MSB in nichts anderem als in der Forderung, seinen AStA e. V. in die alte Rechtmäßigkeit einzusetzen, um so den Studenten dienen zu können. Doch die geleugnete Differenz zu den Studenten, theoretisch der studentischen Interessen, praktisch negiert durch den demokratischen Zinnober, macht sich im Verhältnis AStA – Studenten erst recht geltend: immer noch wollen die Studenten etwas anderes als der AStA. Weder kommen sie auf die Idee, selber einen Verein zu ihrer Interessenvertretung zu gründen, noch treten sie dem AStA bei. Darüber hinaus dokumentieren sie ihr Desinteresse an diesem Verein, indem sie sich an der Wahlveranstaltung des AStA e. V. kaum beteiligen, obwohl dieser ihnen die Urnen in immer neu verlängerten Wahlfristen nachträgt.

Der MSB, der sich durch die AStA-Gründung zum legitimierten Sprecher der Studenten gemacht zu haben wähnt, stellt fest, daß die Studenten, denen er sein Interesse unterstellt hat, ein anderes haben. So muß er für den Verein agitieren gehen, noch ehe er überhaupt mit dem Verein Politik macht. Er muß denen, deren Interessen er vertreten will, erst noch aufschwatzen, daß sie ihre Interessen von ihm vertreten lassen sollen. Er ist also ein Interessen-Vertreter! So ergibt sich die verrückte Konsequenz, daß der MSB als AStA gar nicht dazu kommt, die von ihm als Anlaß seiner Gründung angeführten Interessen für seine Politik zu gewinnen, weil er sich erstmal gegen seine Gegner und Konkurrenten zur Wehr setzen muß. Und für diesen Kampf um das MSB-Recht, künftig AStA sein zu dürfen, werden nun die Studenten eingespannt.


II. Die Polizei, dein Feind und Helfer

Am 19. Mai beruft der studentengewerkschaftliche Verein AStA in München eine Vollversammlung ein, um klarzustellen, daß er – und nicht der von den Studenten gewählte Sprecherrat des RCDS – der rechtmäßige Vertreter studentischer Belange sei. Um seine Forderung den Studenten attraktiv zu machen, verbindet der die VV mit einer Ausstellung Staeck’scher Plakate und lügt den Studenten vor, nachdem der Präsident der Universität für die Versammlung Raumverbot ausgesprochen hat, weil es nur eine ,,sogenannte Vollversammlung“ ist, sie seien mit dem Besuch dieser VV im Recht. Da der AStA e. V. die Zusammenkunft von 500 Studenten für das geeignete Mittel hält, seinem Gegner die Streichung des „sogenannt“ abzunötigen, veranlaßt er auch die Studenten keineswegs abzuhauen, als der Präsident die Polizei einsetzt, um seinen Befehl zu vollstrecken. Vielmehr beschäftigt er die Studenten mit der Abstimmung, wer gegen das Verlassen des Raumes sei. Auf diese Weise kommt es dazu, daß 500 Studenten, die beschlossen haben, den Raum zu räumen, erkennungsdienstlich behandelt werden – trotz mitgeführter Transparente ,,Für Versammlungsfreiheit!“, womit ihnen der AStA beweist, daß sie mit ihm im Recht sind. So verwundert es nicht, daß der Gegner nach wie vor „das Wort AStA nicht über die Lippen“ bringt, als er den Spartakus für die Vorfälle verantwortlich macht.

Doch hat der Spartakus bei den Studenten einen Lernprozeß in Gang gesetzt, denn sie wissen nun, wie es ist, wenn man schwarze Daumen hat. Die demokratischen Studenten, die „wie Schwerverbrecher behandelt wurden“, sind nun um die Erfahrung ihrer „Betroffenheit“ reicher und müssen sich vom AStA, der ihnen dies Erlebnis verschafft hat, sagen lassen, daß sie keine Opfer geworden wären, wenn in Bayern rechtmäßige Zustände herrschen würden.

Der Spartakus, der die Studenten mit der ständigen Beteuerung, daß es ihr AStA sei, um den er sich sorge, nicht auf seine Seite, gezogen hat, weil sie nichts für eine ungesetzliche Interessenvertretung übrig haben, hat sich der Staatsmacht bedient, um die Studenten in Opfer zu verwandeln, wodurch er ihnen demonstrieren wollte, daß man in diesem Land als Demokrat keine Rechte hat – damit sie endlich den AStA unterstützen. Er hat die ,,Betroffenen“ durch seine Aktion ins Unrecht gesetzt und versüßt ihnen die Unbill, die sie ertragen müssen, nun durch die Behauptung, sie seien eigentlich im Recht, der Präsident und das Kultusministerium hingegen eigentlich im Unrecht. Aber so wenig es die Opfer tröstet, zu erfahren, daß sie unter anderen rechtmäßigen – Umständen nicht Opfer hätten werden brauchen, so wenig gibt es einen Grund für sie ab, mit dem MSB gemeinsame Sache zu machen, die doch nur in der Wiederholung der eben gemachten Erfahrung bestehen kann.


III. Die Niederlage ein Teilerfolg

Und da dem Gegner daran gelegen ist, zwischen „Rädelsführern“ und Leuten, die halt mal mit dem Recht in Konflikt geraten sind, zu differenzieren, schließlich hat er kein Interesse daran, unbescholtene Demokraten in die Arme der Kommunisten zu treiben, zeigt er nur einen Teil an und sieht bei den übrigen, „unabhängigen Zuschauern“ – wie er sie beschimpft, von rechtlichen Sanktionen ab. Der MSB kriegt hier die Quittung: er hat die Demokraten dazu gebracht, gegen das Recht zu verstoßen und sich im Namen der Demokratie dafür stark gemacht, daß sie im Recht seien. So muß er einerseits die Zurücknahme der Anzeigen als Teilerfolg feiern – denn wie kann er gegen die Verschonung derjenigen, von denen er sich Unterstützung erhofft, argumentieren? Andererseits muß er, nachdem durch das praktische Urteil des Präsidenten die Differenz der Betroffenen klargemacht wurde, die Einheit beschwören und die Studenten anflehen, „sich nicht (von ihm weg) dividieren zu lassen.“

Um den Studenten die Vorteile des weiteren gemeinsamen Vorgehens weiszumachen, gibt er die Rücknahme der Anzeigen als Erfolg seines Kampfes aus und ist dabei dumm genug, den Münchner Merkur vom 22. Mai zu zitieren, in dem ein Schreiber die „gemeinsamen Ungeschicklichkeiten von Universitätsbeamten und Polizei“ beklagt und somit mehr Geschicklichkeit im Kampf gegen die Linken fordert und dies Zitat als Zeichen der eigenen Stärke zu werten, obwohl einem der Gegner gerade bestätigt hat, daß man überschätzt worden sei: „...überflüssige Demonstration staatlicher Macht.“ Dem gegenüber ist der Erfolg der Gegenseite komplett: sie hat den Studenten eine Lektion erteilt und die Verhältnismäßigkeit der Mittel wieder hergestellt. Angesichts der Erleichterung der 400, wieder ihren Frieden mit dem Recht gemacht zu haben, ist auch klar, daß durch die Solidarität der Demokraten nicht die restlichen Anzeigen zurückgenommen werden.


IV. Die VV als moralische Veranstaltung

Ergebnis dieses Kampfes ist also, daß die Studenten keineswegs davon überzeugt wurden, daß der AStA im Recht ist und er seinen Kampf für die Studenten führt. Vielmehr werden sich die meisten die Ermahnungen des Präsidenten zu Herzen nehmen, sich nicht mehr „von Personen irreführen zu lassen, die den Konflikt suchen, wenn er ihren undemokratischen Zielen dient“ – denn sie haben einen Punkt in der Verfassungssünderkartei gekriegt, weil – dies bleibt als ungutes Gefühl – sie hereingelegt wurden: hatte man ihnen doch versichert, sie seien im Recht oder – noch Schlimmer – bei dem ganzen Vorgang handle es sich lediglich um eine Bilderausstellung.

Und weil so die Aktion nur dazu gut war, die Studenten in antikommunistischen Vorurteilen der Gleichsetzung von Agitation und Verführung, zu bestärken, brachte sie dem AStA auch nicht den gewünschten Erfolg: er wurde nicht stärker, noch erhielt er seine Anerkennung durch den Gegner. In seinem Drang nach „Verankerung“ unter den demokratischen Studenten brachte er statt der beschworenen Gemeinsamkeit nur die Differenz zwischen Spartakisten und Studenten zum Vorschein. Um diese vergessen zu machen, führt man den Kampf als Rückzugsgefecht fort – will man den Studenten mit dem Verzicht auf Kampf doch beweisen, daß man wie sie ein wahrer Demokrat ist

Man lehnt den Kampf gegen das Raumverbot mittels seiner Durchbrechung explizit ab und arrangiert sich stattdessen mit dem RCDS, indem man das Angebot, auf seiner VV die eigene VV durchführen zu dürfen, annimmt und sich deshalb nur noch um die fade Frage streitet, wessen VV das nun sei und protestiert schärfstens dagegen, daß einsichtige Studenten verhindert hatten, den reden zu lassen, der längst gehandelt hatte. Mit seinem Vorhaben, den Präsidenten sich erneut ins Unrecht setzen zu lassen, wollte der MSB seinen Adressaten das zuvor praktizierte Schauspiel noch einmal verbal vorführen. So durch die Vertreibung von Lobo um den Entrüstungseffekt gebracht, blieben dem MSB nur seine anderen miesen Möglichkeiten, sich moralisch ins Recht zu setzen, weil man nicht im Recht war. Die eigene Ohnmacht wurde durch das Verlesen von Grußadressen bzw. das Zuwortkommenlassen von Menschen und Vereinen, die genauso empfinden wie man selbst, gefeiert, Über die eigene Schwäche hinwegjubelnd, ließ man Literaten auftreten, die natürlich für den AStA sind, weil sie auch sonst für Frieden und Freundschaft und DKP-Mitglieder sind. Bringen so das Karussell der Grußadressen und der Solidaritätsrummel nichts ein – man bleibt nach wie vor nicht anerkannt und angezeigt – so kann man sich dadurch doch moralisch ins Recht setzen, indem man zeigt, daß das Gesetz und die Polizei zwar das Recht auf ihrer Seite haben, die gute Sache aber die eigene ist. Dadurch kann sich der für’s Gute Kämpfende im Scheitern noch mit der Gloriole der moralischen Stärke versehen und in den Genuß solcher Erfolgserlebnisse kann sich jeder bringen, er muß nur solidarisch sein.


V. Ein Monument des demokratischen Kampfes

So sehen wir, daß die Aktivitäten des MSB mit seinem AStA in den letzten zwei Wochen ein Monument des demokratischen Kampfes errichtet haben und damit – auch für die Münchner Studenten – die Grundzüge revisionistischer Politik anschaulich vorgeführt haben. Der Revisionismus, statt das zu zeigen, wovon er ständig spricht: den Klassencharakter des Staates, schafft durch seine Politik Betroffene, also Leute, denen man auf's Haupt geschlagen hat. Davon verspricht er sich einen für sich günstigen Bewußtseinsanstoß. Wo es keine Erniedrigten und Beleidigten gibt, müssen sie geschaffen werden. Man errichtet einen Anlaß für 500 Studenten und stellt seine Identität mit ihnen über den Gegner, die Staatsgewalt, her. Wenn die Massen schon das, was der MSB als seinen Feind weiß, nicht als Feind ansehen (üblicherweise haben sie nämlich nichts gegen den Staat), dann sollen sie ihn mal kennenlernen. Da das Raumverbot sich gegen Kommunisten richtet, man –  um Studenten dazu zu bringen, sich für kommunistische Politik einzusetzen – sie erst mal für diese Politik gewinnen müßte, sorgt der MSB dafür, daß auch Demokraten vom Raumverbot betroffen werden. Bringe die Massen in Gegensatz zu unserem Gegner – dadurch schafft man Kommunisten! Das ist die Maxime spartakistischen Handelns. Der MSB befolgt hier und wendet vorbildlich die Generallinie der DKP an, deren Motto auch heißt: Solidarität mit allen, die eins draufkriegen und die man dadurch, daß man sie lobt und sie ermuntert, so zu bleiben wie sie sind, zu Watschenmännern herrichtet, die immer wieder eins draufkriegen, weil sie wehrlos bleiben.

aus: MSZ 12 – Juli 1976

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