Der Pinscher bei Fuß:
Die MSZ prüft im folgenden die Jahresbilanz der Republikverteidiger auf ihre einzelnen Erfolge. Mit sozialdemokratischer Unverschämtheit hat unser Kanzler einmal mehr die Jahreswende als Gelegenheit ergriffen, den Bürgern dieses Landes die Verantwortung dafür aufzuhalsen, daß es ihnen auch im Neuen Jahr nicht gut gehen wird: der Staat könne nicht allein alles zugleich schaffen: „Dazu brauchen wir Partner mit Augenmaß, mit Gefühl für das Interesse des Ganzen, das Interesse der Gemeinschaft und auch mit der Fähigkeit zur Selbstbescheidung.“ Wer sich ausgerechnet mit der Selbstbezichtigung entschuldigt, zur beschissenen Lage der „Bürger habe der Staat alles in seiner Macht stehende getan, der ist auf zusätzliche Opfer seitens der Opfer scharf, deren „chronische (!) Unzufriedenheit“ gebrochen werden muß. Die dreiste Alternative des Führers der Deutschen lautet: Selbstbescheidung muß sein, andernfalls ist man selber schuld, daß man zur Bescheidenheit erst noch gezwungen werden muß. Indes stellt der oberste Mann der Republik gleich klar, daß seine Schläge nicht etwa allen Bürgern zum materiellen Schaden gereichen müssen, wo doch einigen wenigen, denen im „Interesse des Ganzen“ staatliche „Konjunkturprogramme in Milliardenhöhe“ aufgezwungen werden, allenfalls die Last ihrer Investitionsentscheidungen noch schwerer gemacht wird. Angesichts solch häßlicher Klassenkampfparolen von oben demonstrieren die geistigen Vertreter dieses Landes, daß sie zu einer Selbstbescheidung ganz eigener Art fähig sind, die jedenfalls ihr Schaden nicht ist: Ihnen gilt der staatlich angekündigte Angriff auf die materiellen Interessen der Massen gar nicht erst als ein praktisches, sondern als das theoretische Problem, Selbstbescheidung als Kunst einzuüben, mit der in der Tat der leichter leben kann, der materielle Sorgen nicht hat. Als „die neueste intellektuelle Mode für 1978“ (AZ vom 29.12.77) empfiehlt die geistige Schickeria darum auch ,,mit Tiefsinn umhüllt es Unbehagen ohne Hoffnung (ib.) Ideologische Ausrichtung auf die generös akzeptierten Drohungen des Staates ist also das durchaus bürgerliche Metier dieser im ,,Interesse des Ganzen“ wohl dotierten ,,Partner mit Augenmaß“.
Was immer diese Schreibtischtäter im Neuen Jahr zu inszenieren gedenken, es ist klassenbewußte Agitation, mit der sie sich dem Staat unentbehrlich machen. Dieser erwartet von ihnen die ideologische Rechtfertigung der Demokratie, und dazu treten sie an. Mit der Macht des Staates im Rücken haben sie es nicht nötig, zu anderen Waffen als zur Feder zu greifen, mit der sie in der freien Luft des Geistes linientreue Gesinnung verfechten. Dienstgeil sind sie allemal – indes haben sich die Rechtsintellektuellen einen kleinen Vorsprung erarbeitet, weil sie schon im Sommer vergangenen Jahres beim Staat fromme Wünsche nach unbedingter Staatstreue anmeldeten: „... die nie einem Terroristen Nachtlager und Reisegeld gegeben haben, sind die wirklich gefährlichen. Sie haben zwar »nichts getan«, sie haben nur ihre Meinung gesagt, sie haben nur nachgedacht.“ (FAZ, 2.8.77) Als sie im Herbst dann gar ihre linke Konkurrenz anmachten und deren Leithammel Habermas einen „Neo-Sophisten“ schimpfen, der nicht kapiere, „daß zur Ausbildung einer vernünftigen Identität sowie von Inhalten praktischer Vernunft auch Herrschaft und Autorität gehören,“ (R. Maurer, in: Spiegel 39/77), mochte diese nicht länger beiseite stehen und zahlte mit gleicher Münze heim: „Man darf sich beim Lehren und Schreiben ... nicht der Stimmung objektiver Unverantwortlichkeit überlassen.“ (Habermas, in: Spiegel 42/77) Seitdem ist kein Halten mehr: Um die Rechten bei ihrer sauberen Tätigkeit, die Türen von Leuten zu beschmieren, deren „Defaitismus“ (Spiegel 39/77) es zu denunzieren gilt, noch zu übertrumpfen, ist die Linke in alphabetischer Ordnung von Amery bis Walser beim Rowohlt-Verlag zu den Schreibpulten geeilt und hat Dutzende von „Briefen zur Verteidigung der Republik“ verfaßt. Die Form des Briefes haben sie natürlich nicht aus persönlichen Gründen gewählt, sondern um ,,direkt, offen, öffentlich“ (S. 9) überzeugend darzulegen, daß sie für sich längst wissen, was sich ein integrer Staatsdenker schuldig ist. Mit gesundem Mißtrauen gegen das eigene Denken betonen sie, wie bemerkenswert intakt und treudeutsch sie sind: „Herausgeber, Autorinnen und Autoren dieser Briefe sind Bürger der Bundesrepublik Deutschland, sie sind Steuerzahler, leben hier wie jeder andere Staatsbürger ...“ (ib.) Die aufopferungsvolle Distanzierung der Briefschreiber von sich selbst ist positiver Ausgangspunkt ihres weiteren ideolo gischen Kampfes. Darum winken sie auch bescheiden voreiliges Lob für ihre gelungene Selbstrechtfertigung ab; so billig wollen sie es nicht machen: „Die Briefe dienen Autorinnen und Autoren ... nicht zur Distanzierung von etwas, mit dem sie sich nie identifiziert haben. Sie dienen der Klärung kritischer Positionen.“ (S.10) Die Briefstrategen entwickeln dann auch sogleich inhaltlich, zu welch staatstragenden Leistungen ihre kritische Mission fähig ist. Unter dem Geböller ihres Nobelpreisträgers tut sich die begrüßte Perspektive auf: „Freiheiten, die wir, die Autoren, uns erlauben, sollten nach außen dringen können. Sonst könnten wir die Theater gleich schließen, die Buchmessen absagen ... Die Arbeitsmoral einer eingeschüchterten Gesellschaft ist totes Kapital, eine Fehlinvestition, denn so merkwürdig, so überraschend das klingen mag: der Mensch lebt wirklich nicht vom Brot allein, und er lebt auch nicht von der Freiheit anderer ...“ (S. 19) Der treue Heinrich, der von der eigenen Freiheit, anderen Leuten ins Essen zu seichen, offenkundig nicht schlecht lebt, preist nicht nur zynisch als Vorzug seiner Schweinerei an, daß sie den rein geistigen Genuß des Verzichts gewähre, sondern ist dabei selbstlos genug zu erwähnen, daß solche Emanzipation den schönsten Nutzen für die trägt, die die materiellen Voraussetzungen besitzen, Arbeitsmoral segensreich wirken zu lassen.
60 Jahre und kein bißchen weiser Die erbärmliche Schreiberseele ist so in sich vernarrt, daß ihr die gröbsten Lügen über die praktische Wirkung ihres ideologischen Treibens einfallen – was kratzt schließlich den Mann der Arbeit, wenn der Peymann vom Theater, der sich im Unterschied zu ihm einen Namen gemacht hat, weil er waggonweise herbeigeschafften Sand ausgerechnet auf der Frankfurter Bühne auskippen ließ, mit seinem Hut gefährliche Spiele spielt. Das großmäulige Auftrumpfen des auch mit 60 Jahren kein bißchen weisen Staatswächters vom Rhein zeigt ihn als jemanden, der nicht vergessen machen kann, wie nötig er es hat, seinen guten Ruf aufzumöbeln. Daß aus solchen kritischen Verteidigungspositionen der Republik keine bedingungslose Schützenhilfe zuteil wird, dafür sorgen die Linken selbst, gerade indem sie, u.a. auch ein Sänger, ein Lenz, ein Troll, ein Duve, Freimut und ein Tugendhat, Ernst agil für sich werben, den brisanten Aufgaben der Zeit gewachsen zu sein. So wollen sie auch mit kritischen Staatsaktionen nicht etwa kurz und bündig, sondern „langfristig dem Terrorismus den Garaus machen“ (S. 9) und betonen, daß dies kein Anlaß sein darf, sie „in die Ecke zu drängen. Es ist in diesem Zusammenhang die Frage fällig: Wo leben wir eigentlich?“ (S. 16) Als verdiente Meister staatlicher Agitation zweifeln sie nicht an ihrer Kunst, sondern brechen ins ideologische Geifern aus. Das miese Problem dieser Maulhelden besteht darin, für ihre bewährten kritischen Tricks, die sie offensiv einzusetzen gewohnt sind, gegenwärtig nicht genügend hofiert zu werden. Erbittert beschwört daher ein Hans Magnus Größe und Glanz vergangener Tage: „Das waren noch Zeiten, als der selige Erhard ... seine launige Pinscher-Rede hielt! Wer dächte nicht gern an diese idyllischen Formen der geistigen Auseinandersetzung zurück!“ (Enzensberger, in: Spiegel 33/77) Ein deutscher Linker ist es sich schuldig, im Gespräch zu bleiben. Seinem ganz unproblematischen Interesse an dieser „Form der geistigen Auseinandersetzung“ läßt das Bild vom kleinen Kläffer eine rauhe, aber herzliche Anerkennung zuteil werden. Natürlich weiß sich die Linke auch heute im Gespräch, wurde doch unlängst z.B. Luise Rinser „von einer württembergischen Volkshochschule ... wieder ausgeladen“, (S. 9) und das, wie die MSZ-Redaktion hiermit enthüllt, nachdem sie zuvor eingeladen worden war. Ja, die Form! Darüber ereifert sich der linke Ideologe, und darum kämpft er: Die guten geistigen Sitten im Land, von denen er als Kritiker profitiert, sind zu verteidigen. So fügt sich glücklich sein kritisches Interesse zu dem der Nation. Einer teilt es nicht ohne freudige Erhebung „mit herzlichen Grüßen“ seinem „lieben Regis“ mit: ... wir kämpfen ja doch auch darum, daß wir unsere Meinungsverschiedenheiten über den richtigen politischen Weg mit Worten austragen können...“ (S. 37) Die Freiheit des Wortes erfreut sich auch beim Staat, der sie ja schließlich nicht umsonst in seiner Verfassung aufführt, solcher Beliebtheit, daß er deren Propagandisten ohne weiteres gewähren läßt; haben diese doch soeben bewiesen, wie glänzend sie ihr Problem, für ihr Wirken als Linke Anerkennung im Staat zu finden, durch selbstkritisches Einbringen in die freie „geistige Auseinandersetzung“ zu deren höherer Weihe zu lösen wissen. Die Verfasser der ,,Briefe zur Verteidigung der Republik“, erklären ihre Lüge, sie seien von der ,,Intellektuellenhetze“ in diesem Land betroffen und hätten etwas gegen sie einzuwenden, durch ihre auflagenstarken Publikationen, in denen sie demonstrieren, warum sie mit diesem Angriff flott leben, dessen „Klima der totalen Verdächtigung und Denunziation jeder Abweichung“ (S. 145) sie pflichtgetreu bedauern, weil ihnen „prinzipiell“ an dem „friedlichen Ringen um den besten Weg“ (ib.) gelegen ist, in dessen Namen der friedensbewußte Staat längst zugeschlagen hat. Wo der Staat gezielt intolerant ist, feiern sie daher die Verteidigung der Idee der Toleranz und gehen über das, was der Staat tut, mit „Stilgefühl“ hinweg, um dessen Pflege er in der Not der Stunde vielleicht wieder einmal (oder auch nicht) zu wenig bedacht gewesen sei, an das zu erinnern aber jedenfalls die Leute mit dem demokratischen Taktsinn ebenso ehrt, wie es den Staat ziert, sich an seine Ideale erinnern zu lassen. Ein besonders cleverer Feinfühler schlägt seine moralische Seiche sogleich an höchster Stelle ab und lobt an den Sozialdemokraten, namentlich an Helmut Schmidt, sie hätten durch bloßes Dreinschlagen „für die Vernunft“ (S. 158) gefochten und „öffentliche Fassung“ (ib.) bekundet. Für die ideelle Größe jedweder staatlicher Aktionen ist der Schreiber so eingenommen, daß er seinen Adressaten nurmehr zujubeln kann, sie verdienten „um ihrer Vernunftsbezeugungen willen gepriesen zu werden.“ (S. 159) – Die briefeschreibenden Apologeten des Staates verherrlichen diesen, indem sie an seinen Exponenten den „Grundkonsens des demokratischen Verhaltens“ (S. 145) hochhalten und in gekonnten moralischen Abstraktionen zelebrieren. Einer der mit „Bitten und Gesprächsangeboten“ (S. 9) schleimenden Liebesbriefe an den Staat schwelgt in der „gemeinsamen Erfahrung“, die sein Verfasser in Heidelberg mit dem Vogel gemacht hat: „Vor bald zwanzig Jahren ... Wir haben dann gemeinsam für den Heidelberger Stadtrat kandidiert.“ (S.141) Ein anderer wird mit dem Biedenkopf intim: „Kennengelernt hatten wir uns auf einer deutsch-englischen Tagung ... Sie verteidigten sich – gern erinnere ich es – bei einem Empfang in Edinburgh Castle ...“ (S. 28) Wieder einem anderen ist die solidarische Suche nach moralischen Berührungspunkten mit Staatsmännern zu beschwerlich; vielleicht kennt er auch niemanden. Kluges Apotheose der Demokratie läßt es sich jedenfalls nicht entgehen, für sie jede agitatorische „Hilfe zu mobilisieren“ (S. 91) und „den Frauen im Parlament ... die Frage (vorzulegen) ob nicht gerade sie diejenigen, die ... etc. pp.“ (S. 93) – Schließlich hebt die Seichbeutelei in Sphären höheren Blödsinns ab, in denen die reine Staatsbeweihräucherung mit sich selbst in fingierten Briefwechsel tritt: Während Frau Carola staatsgeilen Kontakt zum „liberalen Bildungsbürger“ (S. 146) sucht, zeugen die Mitscherlichs der Republik einen strammen „fiktiven Sohn“ (S. 113), und ein „alter Mann“ wendet sich staatsergeben an den „sehr geehrten Herrn Reichsfinanzminister Matthias Erzberger ... in Ihrem Jenseits ... Vielleicht gewinnen die Mitleser dieses Briefs daraus eine klarere Perspektive ...“ (S. 131)
Die Herausgeber der „Briefe zur Verteidigung der Republik“ haben es sich daher nicht nehmen lassen, die mißliche Situation der Linken, persönliche Verteidigungsbereitschaft zu demonstrieren und die blankgeputzten Waffen aus dem kritischen Arsenal zum Ruhm des Staates glänzen zu lassen, derweil die rechten Kollegen sich in vorderster Kampflinie goldene Sporen verdienen, vollends erfolgreich zu wenden. Am Ende des Buchs haben sie daher „sehr gern in zwei Punkten (das) Editionsprinzip durchbrochen. Gespräch statt Brief, Teilnahme eines Ausländers.“ (S. 160) Hier nun kann der Deutsche Grass zeigen, daß auch ein Linker das Zeug zum nationalen Renner hat. Ausländische Rattenfänger sind nämlich daran schuld, daß „an die 200 000 jugendliche Arbeitslose ... das nächste Potential für die Terroristen (sind),“ (S. 167. f.), weil sie deren „unmotivierte“ Existenz als „eine Einladung für Demagogen, ganz gleich welcher Richtung“ (S. 166) begreifen, anstatt sie mit demagogischem Verantwortungsgefühl für Deutschland zu begeistern: „Es gab schon seit Monaten ein Zunehmen der überbordenden ... Kritik von England her. In Skandinavien, in Schweden ist das seit Jahr und Tag zu beobachten. Zum Beispiel in Frankreich bei so vielen verdrängten Kriegsverbrechen und Friedensverbrechen – Madagaskar, Algerien; Dinge, die ich jedenfalls als Ausländer immer ausgespart (!) habe ... Aber (!) wenn wir jetzt so sprechen, muß es einmal beim Namen genannt werden: Woher bezieht man die moralische Kraft ...?“ (S.161 f.) Wer eine solch lupenrein imperialistische Frage aufwirft, weil er um seine deutsche Antwort nicht verlegen ist, der weist »der Linken« in der Tat den Königsweg zu nationalen Ehren, auf den sie seit Pinscherzeiten scharf ist.
aus: MSZ 21 – Januar 1978 |