Ein Sammelnekrolog

Kaum daß es wieder einmal Sommer wird und das Gras grünt, fanden auch schon vier Stars des internationalen Show-Geschäfts, dies sei die Gunst ihrer Stunde hineinzubeißen: Wir gedenken des faszinierenden Systemkünstlers Talcott Parsons, des hohen Meisters allerletzter Geheimnisse, Reinhard Gehlen, des verwegensten Vorreiters des geistigen Amerikas, „Duke“ John Wayne, sowie des herzerfrischenden deutschen Komikers Heinz Erhardt. Sie alle kannten nur den hingebungsvollen Dienst an der Unterhaltung ihres Publikums, und so war auch ihr Scheiden nicht ohne ein stilles Vergnügen zu haben, das sie den Zurückgebliebenen zugedacht hatten.

Der Große Talcott, als den begeisterte Anhänger eines „stable system“ in aller Welt ihren virtuos mit „a number of norms“ jonglierenden Parsons bewunderten, starb, wie es sich für einen Artisten gehört, vor den Augen seiner Verehrer, die sich in der Manege der Münchner Hochschule versammelt hatten. So mußte die Show ganz im Sinne des Dahingegangenen weitergehen: „As the society is a structured social system, everybody has got adjusted to it in a way that it stays a system.“

Reinhard Gehlen dagegen trat im Stillen ab, so wie er im Leben bis zuletzt für seinen exklusiven Freundeskreis gewirkt hatte. Die unerschöpfliche Flut seiner suggestiven Einfälle, mit denen er, der wohl brillanteste Spieler und Imperator aus der so überaus begabten Reinhard-Dynastie, seine Zuhörerschaft überraschte und sie zu phantastischen Spekulationen animierte (man erinnere sich nur, wie er beim Rühren im Kaffeesatz des Kalten Krieges etwas Ungeheuerliches erlauschte, was sich nachträglich als das Wachsen der Berliner Mauer herausstellte, deren Fundamente schon Reichsleiter Martin Bormann (!) als Agent Moskaus in der Reichskanzlei beim Führer erstellt hatte), bereicherte der geniale Reinhard mit seinem betont unauffälligen Abgang um einen weiteren äußerst originellen Gag: Rätseln und Legendenbildung, welche Geheimnisse er denn nun mit sich in den Sarg genommen habe.

John Wayne wiederum kämpfte noch in der Stunde des Absattelns mit seinem Pferd, das darauf bestand, in die ewigen Jagdgründe mitgenommen zu werden und auch dort für die einfache Botschaft zu galoppieren, daß der Mann es niemals gegen eine Frau eintauscht. Das war wie immer eindrucksvoll gemacht und zum Wiehern komisch, weswegen auch der Kanzler kondolierte: „Sein Getrappel wird uns allen fehlen!“. Das war voreilig, denn der hatte darüber längst ein sattelfestes Come-back geplant und trabte soeben schon wieder vor der großen Gemeinde seiner Fans an, die es sich bei der Retrospektive vor der Glotze bequem gemacht hatten.

Auch Heinz Erhardt, ein Humorist aus Deutschland, dem es so „peinlich“ gewesen sein soll, „bei etwas Gescheitem erwischt zu werden“, daß er's bleiben ließ und „immer schnell noch’n Gedicht hinzufügte“ (Spiegel), muß nicht unbedingt betrauert werden. Als der müde Theodor sich im Rollstuhl auf seinen letzten Fußgang machte, ließ er sich schon vom geistesverwandten Nationalkomiker Walter Scheel schieben („Sehr geehrte Frau Erhardt! Jetzt trauern viele mit Ihnen. Ich freue mich, daß ich erst kürzlich Ihrem Mann den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland verleihen konnte ...“), so daß auch hier für Haupt- und Staatsspäße gesorgt bleibt.

 

aus: MSZ 30 – Juli 1979

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