Zum Tode Mao-Tse-Tungs:

Sozialismus in China?

Der verhinderte Fortschritt im Dienste des Volkes

 

Es kann die Kommunisten nicht gleichgültig lassen, welchen Weg die chinesische Revolution nach dem Tode des Genossen Mao Tse-Tung nehmen wird. Die Art und Weise, wie wenige Wochen nach dem Tode des Vorsitzenden der KPCh die Kontroversen innerhalb der Partei durch die Kaltstellung von Personen entschieden werden, läßt wenig Raum für Illusionen, wie es um den gegenwärtigen Sozialismus in China steht.

Das Gerangel um die Macht in der Partei unterscheidet sich wesentlich von den früheren ideologischen Kämpfen innerhalb der KP Chinas: während zu Maos Zeiten solche Streitigkeiten als „Kampf zweier Linien“ unter Beteiligung der Massen ausgefochten wurden, die ihn dadurch entschieden, daß sie sich auf eine der beiden Seiten schlugen, wurde jetzt die „Shanghaier Gruppe“ durch den Einsatz der Staatsgewalt ausgebootet und den Massen wird die Richtigkeit dieser Maßnahme nachträglich moralisch eingetrichtert. Die Parteigänger Chinas in Westeuropa wird diese aus Osteuropa bekannte Form der Säuberung nicht irremachen: werden sie doch in ihrer interessierten Lobpreisung der chinesischen Revolution genügend Material für ihre Abgrenzung von Moskau finden, ebenso wie die Freunde der KPdSU auch weiterhin ihre Kritik darauf beschränken können, die Abweichung Chinas vom einzig seligmachenden sowjetischen Weg nachzuweisen. Mit nachfolgendem Artikel bereitet die MSZ beiden Seiten wieder einmal die Freude, das Fortschreiten der weltweiten Isolierung der ROTEN ZELLEN konstatieren zu können.

 


Was wird aus China?

Die westliche Welt sorgt sich um einen Bündnispartner

Während die Volksrepublik China ihres verstorbenen Vorsitzenden mit der wohl größten Trauerfeier der Weltgeschichte gedachte und das chinesische Volk aufgefordert wurde, „Trauer in Energie zu verwandeln“, um den Weg der Revolution weiter zu beschreiten, ist das Ableben Mao Tse-Tungs für die öffentliche Meinung der westlichen Welt Anlaß zur Sorge und zu Zweifeln, denn der Tod Maos läßt China plötzlich zu einem Sicherheitsrisiko in der Welt geraten. Das neu erwachte Interesse an China schreckt dabei vor keiner Vergewaltigung dessen zurück, was dort geschieht.

Das auf diese Weise entstehende malerische Bild Chinas verrät den Neid der bürgerlichen Schreiber, der sie angesichts ihres eigenen Popanz erfaßt, zu dem sie den Vorsitzenden des ZK der KPCh gemacht haben: den absoluten Herrscher über 800 Millionen blind gehorchender Staatsbürger, die alles mit sich machen lassen und ihren Herrn auch noch als „rote Sonne“ verehren. Vor lauter Bewunderung über einen solchen Staatsmann tritt in den Hintergrund, daß er in der Abgeschiedenheit seines Pekinger Palastes die Utopie eines China entwickelt hat, das nichts mit dem zu tun hat, was man sich hierzulande unter einem ordentlichen Staatswesen vorstellt.

Das Ableben eines Mannes, der solches hervorgebracht hat, bringt Spannung in die Redaktionsstuben. Der in der Presse sehr häufig zitierte Berufsstand der „Beobachter“ hat daher in solchen Zeiten sehr viel zu tun, denn der Tod des großen Vorsitzenden wirft Fragen über Fragen auf. Welchen Weg geht China nach dem Ableben seines Steuermanns? Welche Kräfte werden sich im Land durchsetzen? Da es bekanntlich in China zwei Sorten von Politikern gibt, Pragmatiker und Ideologen, gilt es die Schritte beider sorgfältig zu studieren, denn von diesen hängt offenbar das Schicksal des künftigen China ab. Ist etwa die Tatsache, daß Wang Hung-wen Vorsitzender des Begräbniskommitees war, als endgültiger Durchbruch des linken Flügels zu werten, oder ist es dem mäßigenden Einfluß der „Pragmatiker“ zuzuschreiben, daß nicht der „junge Mann aus Shanghai“, sondern der als „Mann des Ausgleichs“ geführte Hua Kuo-Feng neuer Vorsitzender der Partei wurde, was andererseits auch niemanden überraschen konnte, hatte der „54-60-jährige“ doch in letzter Zeit die meisten Reden gehalten und sich zum Spitzenreiter in der Unterzeichnung von Parteierklärungen aufgeschwungen. Schließlich darf man nicht vergessen, daß der linke Flügel vor allem deshalb so stark ist, weil seine Exponentin Frau Mao als Ehefrau sich des besten Zugangs zum großen Vorsitzenden erfreuen konnte, der bekanntlich die Ideologen deckte.

So sind die Spekulationen um die Nachfolge Maos nicht Anlaß, um etwas über China herauszubekommen, sondern sie enthüllen das Interesse der Spekulanten: Auseinandersetzungen in der chinesischen Führungsspitze werden mit Sorge um eine mögliche Wiederannäherung Chinas an die UdSSR bedacht. Der ungleiche, aber dennoch willkommene Bündnispartner wird sich doch hoffentlich nicht auf seine Gemeinsamkeiten mit der Sowjetunion besinnen. Beispielhaft dafür die „Süddeutsche Zeitung“, die wenige Tage nach Maos Tod die Zurückweisung des Beileidstelegramms der KPdSU durch die chinesische Partei als Schlagzeile auf der Titelseite verkündete, obwohl Neues von der Streiterei zwischen Moskau und Peking seit geraumer Zeit nicht mehr als einer dreizeiligen Erwähnung wert befunden worden wäre, denn dergleichen kennt man ja. Das zweite ist die Sorge um den Bestand bzw. die Fortführung der „Öffnung Chinas nach dem Westen“, worunter die Erhaltung, vor allem aber die Ausweitung des chinesischen Marktes verstanden wird. Hier setzt man natürlich auf die „Pragmatiker“ und „Realisten“, die im Gegensatz zu den weltfremden und verschlossenen „Ideologen“ als diejenigen angesehen werden, die China zu dem machen sollen, was es heute für den Westen noch leider zu wenig ist, aber morgen noch mehr sein könnte: ein Gegner, der sich für eigene Zwecke benützen läßt.

Die Unsicherheit über den weiteren Weg Chinas gründet in der Gewißheit, daß die großen Männer die Geschichte nicht nur machen, sondern die von ihnen gemachte Geschichte auch mit ins Grab nehmen. Die Frage nach China ohne Mao gibt so zu den blödsinnigsten Überlegungen Anlaß – fällt etwa das Riesenreich in Einzelprovinzen auseinander? – als ob der chinesische Staat, und die physische Existenz Maos ein und dasselbe wären. So wird das Selbstverständlichste, die Fortführung der bisherigen chinesischen Politik, zum Problem. Solchem Interesse an China, an seiner Vereinnahme und Vergewaltigung, liefert die Volksrepublik zwar nicht seine Rechtfertigung, aber doch sein Material – es stellt sich die Frage nach dem Charakter solcher Anhaltspunkte des hiesigen Chinabildes. Zwar hat Mao die Volksrepublik China sicher nicht mit ins Grab genommen, doch daß Mao als Person eine Bedeutung für dieses Land hatte, ist wiederum keine Erfindung von Journalisten, wie die Bilder der trauernden Chinesen bewiesen. Ebenso ist die Fraktionierung der chinesischen kommunistischen Partei Realität, sie verweist aber auf Gegensätze in der Gesellschaft und nicht etwa auf Generationsprobleme oder gar auf Rangfolgequerelen machtbesessener Höflinge.

Davon unberührt, stellt die bürgerliche Presse ihre Hoffnung auf ein zukünftiges China, das sich in die Verfolgung der eigenen außenpolitischen Ziele einspannen läßt, zur Schau – und demonstriert damit ihr Desinteresse an einer objektiven Beurteilung der chinesischen Gesellschaft.


Aufbau des Sozialismus in einem „unterentwickelten Land“

Produktion und Wissenschaft im sozialistischen China

Die Erringung der Staatsmacht durch die Kommunisten ist nicht identisch mit dem Sieg des Sozialismus, erst recht nicht war sie es in China, das sich heute noch als ein „unterentwickelte Land“ bezeichnet Die KPCh wußte um diese Tatsache („Den Sieg im ganzen Lande erringen – das ist bloß der erste Schritt auf einem langen Marsch von zehntausend Meilen.“ Mao Tse-Tung) und setzte sich zum Ziel des nächsten Schritts die umfassende Entfaltung der Produktivkräfte auf dem Lande und den Aufbau einer industriellen Produktion. Vor 1949 besaß China – mit Ausnahme der im Verlaufe der Revolution befreiten Gebiete – eine feudale Gesellschaftsordnung, die auf der schrankenlosen Ausbeutung der ländlichen Produzenten beruhte; große Sektoren des Binnenhandels, der gesamte Außenhandel, sowie die spärlichen Ansätze industrieller Produktion in den Städten waren den imperialistischen Staaten unterworfen, die den vorhandenen Reichtum des Landes ausplünderten. Entfaltung der Produktion konnte unter diesen Bedingungen nicht stattfinden, maschinelle Produktion existierte kaum, und der Großteil der Chinesen vegetierte in den landwirtschaftlichen Gebieten dahin, ständig bedroht von Hungersnot, Seuchen und Naturkatastrophen. Entfaltung und Entwicklung der Produktivkräfte, der planmäßige Aufbau einer Industrie, Effektivierung der Landwirtschaft zur Bereitstellung des unmittelbar Lebensnotwendigen und im Zuge dieser Effektivierung die Freisetzung von Teilen der Landbevölkerung für die entstehende Fabrikproduktion bedingen sich wechselseitig: Die in die Industrie abgezogenen Teile der Bevölkerung fehlen der Landwirtschaft, andererseits kann die noch nicht ausreichend entwickelte Industrie der Landwirtschaft nur in unzureichendem Maße die zu ihrer Entfaltung notwendigen Produktionsmittel (Düngemittel, Maschinen etc.) bereitstellen.

Zur Steigerung der agrarischen Produktion mußte auf das Vorhandene zurückgegriffen werden, das riesige Potential menschlicher Arbeitskraft, das in neuen, kooperativen Formen der Arbeit eingesetzt wird – wobei auf den tradierten Weisen kollektiven Wirtschaftens aufgebaut werden konnte. Ferner galt es, den Bauern rationelle Anbauverfahren beizubringen, was kein bloßes Problem der Ausbildung war, sondern ein harter ideologischer Kampf mit den traditionellen Vorstellungen der Landleute. Zur Bändigung der Natur ohne Einsatz großer Maschinerie stand nur die kombinierte Arbeitskraft riesiger Menschenmassen zur Verfügung, dennoch gelangen hier die bekannten erstaunlichen Leistungen, (Dämme, Bewässerungssysteme, Kanäle, Brücke über den Yang Tse- Kiang etc.) So war das „Bauen auf die eigene Kraft“ auf dem Lande das einzige Mittel zur Steigerung der Nahrungsmittelproduktion, weil äußere Hilfe, soweit sie von der Sowjet-Union geleistet wurde, sich fast ausschließlich auf den industriellen Aufbau konzentrierte. Mittels solcher vorindustrieller Formen der Bodenkultivierung kann jedoch der entscheidende Durchbruch zu einer modernen Landwirtschaft, wie sie der Kapitalismus in der westlichen Agrikultur schafft, nicht erreicht werden: ohne künstliche Düngung des Bodens, die den natürlichen Methoden (menschliche und tierische Exkremente) überlegen ist, diktiert nachwievor seine natürliche Beschaffenheit, was er hergibt, was eine Einengung der Produktion auf extrem anfällige Monokulturen nachsichzieht.


„Auf die eigene Kraft bauen“

„Daß Industrie und Landwirtschaft, die sozialistische Industrialisierung und die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft unter keinen Umständen voneinander isoliert betrachtet werden dürfen“ (Mao) war zweifellos eine richtige Einsicht der KPCh, und trotz mancher Schwierigkeiten und Fehler stellt sich der Erfolg dieser Anstrengungen in der industriellen und agrarischen Produktion ein: die Überwindung von Hunger, Krankheit und Elend in der Volksrepublik.

Mitte der fünfziger Jahre wurden jedoch die Schranken dieser Organisation der Produktion auf der Basis des Vorhandenen unübersehbar und durch die abrupte und totale Einstellung sowjetischer Hilfe (was in der Industrie einer Sabotage des bislang Erreichten gleichkam) zur krisenhaften Stagnation verschärft. In der Antwort der Kommunisten, dem „Großen Sprung nach vorn“ entfalteten sich jedoch nicht die Produktivkräfte, sondern die falsche Politik der KP Chinas, die sich von derjenigen der prosowjetischen KPs zunächst durch seine Voraussetzung unterscheidet, die unterentwickelten Produktivkräfte in China. Der „Große Sprung“ war nicht die Verwirklichung eines zentralen Wirtschaftsplans, die vorhandenen Kräfte auf den unbedingt notwendigen Aufbau effizienter Schlüsselindustrien zu konzentrieren, um damit dem Mangel an Produktionsmitteln in der Landwirtschaft abzuhelfen und deren Beschränkung auf die massenhafte Anwendung von Händen; vielmehr die Befolgung des Appells an die Produzenten, auf dem vorhandenen Stand der Entwicklung die „Anstrengungen zu verdoppeln, zu verdreifachen, zu verhundertfachen“ und so, auf die jeweils „eigene Kraft bauend“ überall im Lande Industrien en miniature zu errichten. Die Partei agitierte das Volk mit der Versicherung, es müsse nur so bleiben, wie es ist, um auch mit beschränktesten theoretischen und praktischen Mitteln Höchstleistungen zu erzielen. Damit verwandelte sie die Beschränktheit der Bauern in eine Tugend, die ihr jegliche Auseinandersetzung mit dem Volk ersparte.

„Neben der Führung durch die Partei ist die Bevölkerung ein entscheidender Faktor. Je zahlreichere!) die Menschen, desto höher die Flammen der Leidenschaft (!), desto größer (nicht: „besser“, MSZ) die Schaffenskraft.“(Mao Tse-Tung 1958)

Der chinesische Weg zum Sozialismus basiert also auf den Menschenmassen und die Partei befördert ihn durch deren Begeisterung.

Ergebnis des „Großen Sprungs nach vorn“ waren so nicht Stahlwerke und Kunstdüngerfabriken, sondern jene fragilen Lehmhochöfen, die mittlerweile größtenteils nur noch als das fungieren, was sie immer schon waren, Denkmäler eines „kämpferischen Enthusiasmus“. Dem naheliegenden Einwand, daß ein einziges modernes Eisenhüttenkombinat, die gesamte chinesische Landwirtschaft mit genügend Material für Pflüge, die nicht nach kurzer Benutzung zerbrechen, versorgt hätte, entgegnet die KPCh, daß solche Maßnahmen das „Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft“ gefährdet hätte, und darauf käme es „in erster Linie an, denn diese beiden bilden 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung Chinas.“ (Mao) Die chinesischen Kommunisten machen also den Umstand, daß sie ihren Sieg einer Bauernrevolution verdanken, zum Programm und damit zu einer Ideologie, die im ständigen Lobpreis der Volksmassen darauf verzichtet, auch gegen sie einen rationellen ökonomischen Plan durchzusetzen, womit sich langfristig das Konzept des „auf die Massen Bauens“ als Schaden für die Massen herausstellen muß: statt sich das „Reich der Freiheit“ zu erobern, haben sich die Chinesen unter Führung ihrer Partei vorerst im „Reich der Notwendigkeit“ häuslich eingerichtet. Die Berufung auf Marx, es gelte einen zentralen Widerspruch der bürgerlichen Gesellschaft, den zwischen Stadt und Land, Industrie und Landwirtschaft zu bekämpfen, in China, wo es diesen Widerspruch so gar nicht gibt, ist die Legitimation einer falschen Politik, die sich nicht in Gegensatz zu ihren Trägern bringen will und ihnen gerade dadurch die Gegensätze aufbürdet. Bei kaum vorhandener Industrie in den Städten hat das Herumreiten auf dem Widerspruch Stadt-Land die Parteinahme für das Land zur Folge, im Ergebnis des „Großen Sprungs nach vorn“ ein Fiasko der ländlichen Industrialisierungsversuche, ein Stagnieren der Industrie in den Städten bis hin zum Rückgang der Produktionsziffern und sogar Einbußen in den Ernten der Volkskommunen, die an .Minihochöfen herumexperimentierten und deshalb die Feldarbeit vernachlässigten.


„Der rechte Wind“

Der „Große Sprung nach vorn“ endete mit einer Bruchlandung: statt einen Schritt vorwärts hatte man zwei Schritte zurück gemacht. Dennoch ist diese Politik von der Partei niemals ernsthaft kritisiert worden, stattdessen wird sie in der üblichen Art der Austragung von Parteikontroversen innerhalb der KPCh, auf die noch einzugehen sein wird, liquidiert: Mao verliert einen Posten, den des Staatspräsidenten, und unter dem bestimmenden Einfluß Liu Schao-Tschis und Teng Hsiao-Pings, die später als die „Machthaber“ entlarvt werden, die „den kapitalistischen Weg gingen“, beginnt der „rechte Wind“ zu wehen, eine bleibende Reaktion auf alle großen Sprünge, die das Volk auf Geheiß seiner Partei macht. Ab 1961 wird die Industrialisierung in den Städten vorangetrieben. Die Partei setzt jedoch getreu der Ideologie von der Eigenkraft der Massen, die ihre beiden Flügel vereint, auf die Schöpferkraft diesmal der Arbeiterklasse. Wieder der Verzicht auf einen zentralen, konsequent durchgesetzten Industrialisierungsplan, stattdessen Dezentralisierung, weitgehende Kompetenzen für die Fabrikleiter und ein System materieller Anreize für die Arbeiter. In den Volkskommunen verzichtet man zwar auf die ehrgeizigen Hochöfenprojekte des Großen Sprungs, versucht aber eigene Produktionsanlagen für primitive Industrie zu etablieren, die einfache landwirtschaftliche Geräte herstellen sollen. An der in der vorhergehenden Periode proklamierten Autonomie der Volkskommune wird festgehalten, jedoch mit der später als „kapitalistisch“ angeprangerten Variante, daß die Autonomie auch eine der Verfügung über den Ertrag ist, was im ganzen Lande gewaltige Unterschiede im Reichtum der Kommunen und ihrer Mitglieder entstehen läßt.


„Den Weg der Dadschai-Kommune gehen, von Dadschai lernen!“

Am „leuchtenden Beispiel der Dadschai-Kommune“, deren Weg in allen Phasen der chinesischen Revolution beschritten werden sollte, lassen sich die Auswirkungen der ökonomischen Politik des chinesischen Staates auf das Land illustrieren. Während des „Großen Sprungs nach vorn“ brannten in Dadschai mehrere Kleinhochöfen, aus deren Eisen die Kommune ihre Pflüge schmiedete. Durch den „übermenschlichen“ Arbeitseinsatz der Mitglieder (monatelange Nachtarbeit auf den Feldern) gelang es, die Ernteerträge zu halten und teilweise sogar zu steigern. Der „rechte Wind“ traf Dadschai gerade rechtzeitig, um die mittlerweile nicht mehr funktionsfähigen Geräte eigener Eisenproduktion zu ersetzen. Und wieder war es der „heroische Einsatz“ der Kommunarden, der Dadschai binnen kurzem zur reichsten landwirtschaftlichen Produktionseinheit Chinas machte.

Die Kulturrevolution fand zunächst dann auch in der Leitung der Dadschaikommune einen Angriffspunkt ihrer Kritik des „kapitalistischen Wegs“ bis diese wiederum „vorbildlich“ reagierte und ihre besten Kader in ärmere Kommunen schickte, um dort ihre Erfahrungen weiterzugeben. Der Ersatz der so fehlenden, qualifiziertesten Arbeiter durch aufs Land geschickte Studenten mußte zu einem Rückgang der Produktion in Dadschai führen und erneut rettete der neue „rechte Wind“„ der die Bauern aufs Land und die Studenten an die Universitäten zurückfegte, Dadschai als „Leuchtfeuer des Sozialismus auf dem Lande“. Im Resultat läßt sich festhalten, daß die Erfolge Dadschais nicht auf die jeweiligen ökonomischen Maßnahmen der Partei und ihre vorbildlichen Anwendungen zurückzuführen sind, sondern auf die Bereitschaft ihrer Mitglieder, mehr zu arbeiten als andere Bauern und der jeweiligen Parteilinie jedes Opfer zu bringen, (Wahrscheinlich waren es auch diese Qualitäten des ehemaligen Dadschai- Kaders Hua Kuo-Feng, die dem „farblosen Funktionär“ jetzt den Vorsitz der KP eingebracht haben, was beweist, daß er für dieses Amt optimal qualifiziert ist.)


„Den Klassenkampf als Hauptkettenglied anpacken“

Auch die letzte veröffentlichte Weisung Mao Tse-Tungs, Auftakt zur Kampagne gegen Teng Hsiao-Ping, zeigt, daß die Wirtschaftspolitik der KPCh auf die Umgestaltung der Produktionsverhältnisse und damit auf die Entwicklung der Produktivkräfte verzichtete. Gegen Tengs Konzept der autonomen Entwicklung aller Produktionseinheiten mit dem Stachel der „Eigenverantwortlichkeit der Leitung“ und der materiellen Anreize für die Arbeiter setzen Mao und diejenigen Kräfte in der Partei, die man als die „linken Ideologen“ hierzulande bezeichnet, die Autonomie der Volksmassen, die aus eigener Kraft Industrie und Landwirtschaft entwickeln und sich im permanenten Klassenkampf die Ideologie der Partei von der unendlichen Schöpferkraft der Massen aneignen, bzw. gegen diejenigen durchsetzen sollen, die „den kapitalistischen Weg noch gehen“. Die Entfaltung der Produktivkräfte wird nicht von der Partei nach Maßgabe des objektiv Möglichen geplant und durchgesetzt, sondern den Massen und deren Möglichkeiten, d.h. allein ihrem Opfermut aufgebürdet. Das „Kapitalistische“ am rechten Parteiflügel ist seine „Verachtung der Massen“, was sich aber nicht als Kritik an ihnen äußert, sondern zu den in Osteuropa üblichen Maßnahmen führt, die durch eine Mischung aus Gewalt und Zugeständnissen das Äußerste aus der Arbeitskraft herausschlagen wollen, wobei zu diesem Zwecke auch eine Öffnung für westlichen know-how und Industrieprodukte betrieben wird. (So war die erste offizielle Nachricht aus Peking nach dem Gerücht über die Entmachtung der Linken die Absichtserklärung der Regierung, den Handel mit Westeuropa zu intensivieren.)


„Die Wissenschaft muß dem Volke dienen

Beim unumgänglichen Einsatz von Wissenschaft und Forschung für die Entwicklung der industriellen und landwirtschaftlichen Produktivkräfte standen die chinesischen Kommunisten nach der Erringung der Staatsmacht vor ähnlichen Schwierigkeiten wie bei der Ankurbelung der Produktion: systematische Naturwissenschaft und Technologie, bezogen auf die Bedürfnisse des Landes, war so gut wie nicht vorhanden und so versuchte man, im Rückgriff auf die traditionellen Formen des Wissens in China, die schwachen Ansätze moderner Naturerkenntnis zu ergänzen, was auf manchen Gebieten zu brauchbaren Ergebnissen führte (Akupunktur in der Medizin). Von Anfang an sollte sichergestellt werden, daß Wissenschaft und Ausbildung, selbst unter den beschränkten Möglichkeiten des revolutionären China, produktiv wirken – und dies auf eine Weise, die sich von Wissenschaft und Ausbildung in der bürgerlichen Gesellschaft grundlegend unterscheidet: denn während der Kapitalismus eine von der Produktion getrennte Wissenschaft braucht, welche durch die Bereitstellung möglicher Anwendungen seinen ökonomischen Zwecken unterworfen ist und in der Ausbildung die unmittelbaren Produzenten von den geistigen Potenzen ausschließt, weil ihre Bildung nur nach Maßgabe der Ökonomie gefragt ist, hat die VR China vor, weder die Trennung noch den Gegensatz von Wissenschaft und Arbeit zu praktizieren. Der Einsatz der Wissenschaft für die Lösung der drängenden Probleme des sozialistischen Aufbaus setzt jedoch die Wissenschaft voraus. Unter Berufung auf den von Marx konstatierten feindlichen Gegensatz von Handarbeit und Kopfarbeit verhindert die KPCh die Entwicklung der Wissenschaft, indem sie sie dem praktischen Verstand der unmittelbaren Produzenten unterwirft, was zu der reaktionären Konsequenz führt, daß die chinesische Ökonomie auf das einzige verzichten muß, was von den Errungenschaften des Kapitalismus reichlich und kostenlos zu haben ist: die Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft und Technologie. Statt diese auszunützen und sie für die praktischen Probleme anzuwenden, statt die eigenen Wissenschaftler zu zwingen, alle Anstrengungen auf die Praxis der Ökonomie zu richten, werden sie in die mangelhafte ökonomische Praxis geschickt, wo sie ausgerechnet von denen lernen sollen, die auf die Kenntnisse der Wissenschaft angewiesen wären, weil sie über keine verfügen. Und umgekehrt: statt die Arbeiter und Bauern bei der Wissenschaft in die Schule gehen zu lassen, werden sie an die Universitäten geschickt, um die Wissenschaftler zu lehren, was sie zu forschen haben und wie. So werden die vorhandenen Forschungsinstitute verpflichtet, nur solche Probleme zu lösen, die unmittelbar auf dem Lande und in den Fabriken anstehen und „verwissenschaftlichen“ damit lediglich die gängige Handwerkelei. Schulen und Hochschulen müssen Fabriken betreiben, und umgekehrt unterhalten die Fabriken und Volkskommunen wissenschaftliche Einrichtungen, die aus dem bornierten Umgang mit primitiven Werkzeugen bzw. Anbaumethoden eine „Wissenschaft“ machen. Dementsprechend werden für die Ausbildung „Studenten aus den Reihen der Arbeiter und Bauern mit praktischer Erfahrung ausgewählt, die nach dem Hochschulstudium wieder in die Praxis der Produktion zurückkehren“ (Mao), weil sie bereits die aktuellen Probleme der Produktion kennen und nur deren Lösung betrieben werden darf.

Aus dem für den Kapitalismus eigentümlichen feindlichen Gegensatz von Wissenschaft und Ausbildung, der sich in ihrer Getrenntheit institutionalisiert, machen die chinesischen Kommunisten einen prinzipiellen Antagonismus, den es gar nicht gibt, schon gar nicht in einer Gesellschaft ohne ausgebildete Wissenschaft, und kämpfen gegen ihn durch die Aufhebung der institutionellen Getrenntheit.

Daß dabei die Wissenschaft nur eingesetzt wird, um mit dem bestehenden Mangel besser umzugehen, statt ihn durch ihre Ergebnisse aufzuheben und die gesamte Produktion auf ein höheres Niveau zu bringen, demonstrieren die Ergebnisse solchen Umgangs mit der Wissenschaft ebenso wie die theoretische Befassung mit ihr in chinesischen Dokumenten aus der Kulturrevolution, in denen das Insistieren auf der Praxisnähe der Theorie eine eindeutig wissenschaftsfeindliche Wendung nimmt.


„Die praktische Betätigung ist eine noch wichtigere Art des Lernens“

Der kulturrevolutionäre Angriff auf Wissenschaft und Ausbildung wandte sich gegen alle bis dahin in China betriebenen Ansätze von Forschung und Lehre und nicht nur gegen einige „bürgerliche Auswüchse“. So berichten Arbeiterstudenten, die sich am Institut für Maschinenbau in Shanghai Kenntnisse in Technischem Zeichnen aneignen wollten:

„Aber die bürgerlichen Herren (Lehrer) bestanden darauf, daß die Arbeiter- und Bauernstudenten zunächst darstellende Geometrie erlernen sollten, und versuchten sie mit Begriffen wie Schnittpunkt und Kurvenschnitt zu verwirren.“ (Den Weg der Maschinenfabrik Shanghai gehen. Ein Weg, dessen Begehung im weiland „sozialistischen Studium“ des KSV zu Stilblüten folgender Art geführt hat: ,,Weg mit den völlig überflüssigen Potenzreihen!“)

Eine Wissenschaft und Ausbildung, die sich auf die unmittelbar anstehenden Probleme der Produktion beschränkt, wird also dadurch begründet, daß alles andere – und sei es nur die darstellende Geometrie – gefährlicher Unfug sei. Mit der prinzipiellen Kritik an „zu theoretischen Büchern“, die wegen ihrer Praxisferne angegriffen werden, soll die Wissenschaft ihres „bourgeoisen Charakters“ überführt werden. Da dieser aber in den Resultaten der Naturwissenschaft nicht zu finden ist, wird die Naturwissenschaft auf unmittelbar in der mangelhaften Praxis verwertbare Technologien reduziert, was sowohl den Fortschritt der Forschung als auch den der Produktion verhindert.

Statt in der Wissenschaft vorwärtszukommen, erläßt die Partei an die Wissenschaftler die Aufforderung,

„danach zu streben,...die Gesetze der Naturwissenschaften wissenschaftlich zu analysieren und eindringlich vom dialektischen materialistischen Standpunkt aus zu erklären und an den Prinzipien festzuhalten, Theorie und Praxis zu verbinden und das Lehrmaterial nach dem Prinzip »weniger aber besser« zu gestalten, damit es revolutionär, praktisch und fortgeschritten ist.“ (Für den Aufbau von sozialistischen Hochschulen kämpfen)

Der in diesem Programm unterstellte Gegensatz zwischen den Gesetzen der Naturwissenschaft und dem Materialismus macht Front gegen die Erkenntnis der Natur und hat mit Marx und Engels nichts zu schaffen, die den gesicherten Erkenntnisstand der Naturwissenschaften nachdrücklich gelobt haben. In der Wissenschaftspraxis verhindert er eine Verbesserung der Praxis der Produktion durch die Anwendung der Wissenschaft, die ihre Theoriefeindlichkeit als Praxisnähe feiert :

„In der Vergangenheit wurden die Begriffe der Differential- und Integralrechnung aus Unmengen von Axiomen abgeleitet, und waren nicht leicht zu verstehen. Jetzt werden die Begriffe anhand von wohlbekannten Beispielen aus der Praxis anschaulich abgeleitet.“ (ibid.)

Anstatt sich die Mathematik als notwendige Grundlage jeder Naturwissenschaft zunutze zu machen, wenden sich Chinas Kommunisten gegen sie, weil sie nur Erkenntnis zulassen wollen, die den Massen bei ihren anstehenden Aufgaben unmittelbar eingängig sind. Der naive Empirismus der unmittelbaren Produzenten wird gegen die Wissenschaft ins Feld geführt, und die Chinesen wissen von vielen Beispielen zu berichten, wo der gesunde Praktikerverstand den Mann der Wissenschaft blamiert:

„Einige an Universitäten und Hochschulen ausgebildete Techniker, denen es an praktischer Erfahrung mangelte, entwarfen einmal eine Innengewinde-Schleifmaschine. Die Arbeiter fertigten die Teile aufgrund der Blaupausen an. Aber es war überhaupt nicht möglich, sie zusammenzustellen. Erst nachdem Arbeiter mit reicher praktischer Erfahrung dann einige Teile nochmals bearbeitet hatten, konnte die Maschine montiert werden.“ (Den Weg der Maschinenfabrik Shanghai gehen)

Das Rationelle an obigem Beispiel, daß die praktische Erfahrung die Anwendbarkeit der Wissenschaft erweist, ihre Technologie korrigiert, geht in den Schlußfolgerungen der Shanghaier Maschinenbauer verloren, die aus ihrem Pech mit der Innengewinde-Schleifmaschine den Schluß zogen, ihre Werkzeuge von nun an selbst so gut es geht zusammenzuschleifen. Wenn man auf die Mangelhaftigkeit des Erfahrungsaustausches stößt, macht man daraus den Beweis des Gegenteils: Der Verfasser der Schrift „Den Empirismus überwinden“ zeigt an einem Beispiel, welche Schlüsse aus den verschiedenen Eigenschaften von Kupfer und Gußeisen zu ziehen sind. Die Bearbeitung beider Stoffe erfordert verschiedene Instrumente, denn wenn beide Male derselbe Bohrer verwandt wird, passiert beim zweiten Mal folgendes:

„Das Resultat war, daß die erste Bohrerspitze sofort verbrannte und der zweite Bohrer zerbrach ...“

Der Schluß, der aus diesem Vorfall gezogen wird, ist aber nicht: also kommt es darauf an, die Eigenschaften von Gußeisen und Kupfer zu untersuchen, um die diesen entsprechenden Instrumente bauen zu können. Der Verfasser leitet daraus vielmehr ein „materialistisches“ Prinzip ab: man darf partielle Erfahrungen nicht verabsolutieren.

„Von den Erfahrungen, die man von einer Sache gewonnen hat, können einige auch auf andere Dinge angewandt werden, einige vielleicht teilweise und einige überhaupt nicht.“

So machen die Chinesen selbst dann, wenn der Erfahrungsprozeß die Produktion nicht fördert, sondern sabotiert, die Erfahrung,

„daß die Praxis der Massen eine wahre Schatztruhe der Weisheit ist.“


„Auch China muß eine Atombombe haben“

Die spektakulären Resultate, die das sozialistische China auf technischem Gebiete hervorgebracht hat, sind nicht Ergebnis der vom- Volk-im-Dienste-des-Volkes betriebenen Wissenschaft, sondern entweder Kraftleistung der kombinierten Muskeln und Hände riesiger Menschenmassen oder Früchte staatlich institutionalisierter Enklaven, an denen hochqualifizierte Wissenschaftler, die weitgehend noch im Ausland ihre Ausbildung erhielten, die Atombombe konstruierten und einen Erdsatelliten ins All jagten, damit die Nationalhymne der Volksrepublik um den Erdball gesendet werden konnte. Statt solche Pioniertaten als Ausgeburt rechtsabweichlerischen = massenverachtenden Handhabens der Wissenschaft zu brandmarken, werden ausgerechnet die Detonation der chinesischen H-Bombe, und der Einstieg in jene für die Bedürfnisse Chinas gänzlich absurde Veranstaltung des Hinaufschießens von Milliardenwerten in den Weltraum als Beispiele des Siegs der chinesischen Revolution gefeiert. Außer für derlei vorzeigbare Produkte findet staatlich organisierte Forschung in den Bereichen statt, die für die Existenz des chinesischen Staates bzw. die machtpolitischen Interessen der Volksrepublik bedeutend sind: Militär, Schwerindustrie, Elektronik u.a.m.

Einer Sorte von Speichelleckern des Kapitalismus im Westen sind gerade diese Resultate chinesischer Wissenschaft Beweis dafür, daß es der Sozialismus in China nur dann zu etwas bringen wird, wenn er sich kapitalistischer Methoden bedient. Im überheblichen Spott über die „primitive“ Produktionsweise der „blauen Ameisen“ steckt der Angriff auf die Tatsache, daß sich die VR China bislang der Abhängigkeit vom Imperialismus entzogen hat, ein Angriff also, der mit der Unterstellung operiert, die von der bürgerlichen Gesellschaft praktizierte Unterwerfung der Wissenschaft unter die Zwecke des Kapitals sei die ihr einzig adäquate Form. Daß die Freiheit der Wissenschaft im Westen die Form ist, in der sie ihren Gegensatz zur Arbeit praktiziert, die Überantwortung der Forschungsgegenstände an die Wissenschaftler also nicht die Alternative zu ihrer Verpflichtung auf das Rumwerkeln an den jeweils gerade auftretenden Problemen einer rückständigen Produktion ist, zeigte die vom Vorsitzenden Mao „persönlich eingeleitete und angeführte Kampagne „Laßt hundert Blumen blühen!“ Anfang der sechziger Jahre. Die von der Partei aufgeforderten Künstler und Wissenschaftler, möglichst originelle und neue Werke und Ansätze zu vollbringen, griffen Maos Direktive begeistert auf, und die Staatsmacht hatte alle Mühe, die hundertfach aufblühenden „giftigen Blüten und Triebe“ wieder zum Verdorren zu bringen.


„Man muß das Gesicht ständig waschen, sonst wird das Gesicht schmutzig“

Die Anstrengungen der chinesischen Kommunisten, Wissenschaft und Produktion zu entfalten, um damit die Grundlagen des Kommunismus in China zu schaffen, sind nicht nur mangelhaft. Wie sich gezeigt hat, produziert die KPCh fortlaufend die Probleme auf höherem Niveau, zu deren Lösung sie angetreten ist. Die Agitationsarbeit der Partei besteht also nicht darin, ihre Adressaten von der Richtigkeit ergriffener Maßnahmen zu überzeugen, sondern in dem ständigen Appell an Moral, harte Arbeit und Bedürfnislosigkeit, die bleibende Requisiten des chinesischen Revisionismus sind, und durch den Vergleich mit der dunklen Vergangenheit ihre Wirkung nicht verfehlen. Damit ist aber auch der „Kampf zweier Linien“ innerhalb der Partei institutionalisiert, worauf Chinas Kommunisten stolz sind. Der hierbei als linker Flügel apostrophierte Teil der Partei versucht den beständig produzierten Schwierigkeiten durch die Flucht ins Volk Herr zu werden, das zu „neuer Einstellung gegenüber der Arbeit“ aufgefordert wird und zum Festhalten an den Zielen der Revolution, nicht weil sie richtig sind, sondern weil sie dem Willen des Volkes entsprechen. Hierbei kann er sich voll auf Maos letzte Weisung stützen:

„Die Revision richtiger Urteile läuft dem Willen des Volkes zuwider.“ (Mao, 1976)

Nun ruft aber gerade das Chaos, in das die Kampagnen der Linken die chinesische Ökonomie regelmäßig zu stürzen drohen, den sogenannten rechten Flügel auf den Plan, der auf der Suche nach erfolgreicheren Wegen der Produktionssteigerung die kommunistischen Ideale der Partei Ideale sein läßt und dem es nach Teng Hsiao-Ping egal ist, „ob die Katze schwarz oder rot ist, Hauptsache sie frißt Mäuse“. Da sich auch solche Tendenzen auf Worte des Vorsitzenden berufen können –

„Wir müssen von allen Fachleuten – wer es auch sein mag – lernen, die Wirtschaft zu handhaben.“ (Mao 1949) –

bedeutet der sich abzeichnende Einflußverlust der „Shanghaier Gruppe“ keineswegs ein Abrücken der chinesischen Führung von den Mao-Tse-Tung-Ideen, oder chinesisch: der Westwind hat die Oberhand über den Ostwind gewonnen, „aber das ist nur eine vorübergehende Erscheinung, denn die Aussichten der Revolutionäre sind immer glänzend.“ „Pragmatiker“ und „Ideologen“ sind die zwei zusammengehörigen Seiten der Widersprüche, mit denen sich Chinas Kommunisten aufgrund ihrer falschen Politik herumschlagen und ihre permanente Auseinandersetzung prägt das Verhältnis der Partei zu den Massen, die davon den Schaden haben.

 

Die Partei und die Massen

Mao-Tse-Tung-Ideen als Hebel und Schranke der Entwicklung der Produktivkräfte

Die Kommunistische Partei Chinas hat aus dem Scheitern der Bemühungen um einen großen wirtschaftlichen Sprung nach vorn und dem anschließenden Aufblühen „Kapitalistischer Methoden“ in der Wirtschaft eine Konsequenz gezogen, die bei ihrer ersten Realisierung in der westlichen Welt nur Verwirrung ausgelöst hat. Man erinnert sich, daß manche Leute sich damals entrüsteten, die Chinesen wären drauf und dran, ihre unsagbar kostbaren Kulturdenkmäler zu zertrümmern und würden einen Kampf gegen Beethoven führen und im übrigen sei China im Begriff, im Chaos zu versinken. Andere wiederum begeisterten sich an einem „großartigen Experiment“, das ein Stück vom Ideal der Befreiung des Menschen von Obrigkeit und Bürokratie Wirklichkeit werden lasse: man feierte und bestaunte mit Abscheu die Kulturrevolution. Dieser „neue allseitige Sprung nach vorn“ (Peking Rundschau vom 8.10.1966) sollte nun gerade China die wirtschaftlichen Erfolge bringen, die durch die bisherigen Bemühungen nicht erreicht werden konnten. Die Kulturrevolution war kein Aufstand der Massen, sondern eine von der Parteiführung inszenierte Bewegung, die ganz unspontan durch einen Beschluß des ZK der KPCh ausgelöst wurde. In diesem wurde folgender Zweck dieses Staatsaktes angegeben:

„Die Revolution fest in der Hand haben, um die Produktion anzuregen: Das Ziel bei der großen proletarischen Kulturrevolution ist die Revolutionierung der Ideologie der Menschen, damit die Arbeit auf allen Gebieten mehr, schneller, besser und wirtschaftlicher geleistet wird. Wenn die Massen restlos mobilisiert und entsprechende Vorkehrungen getroffen werden, ist es möglich, Kulturrevolution und Produktion weiterzuführen ...“ (8.10.1966)


„Im Volk Wurzel schlagen ...“

Die Revolutionierung der Ideologie war demnach nötig, weil die Chinesen offenbar nicht die Einstellung zur wirtschaftlichen Entwicklung ihres Landes hatten, die den Wünschen von Staat und Partei entsprach.

So richtete sich die Kulturrevolution gegen die „Vier Alten“ (Kultur, Ideen, Sitten und Gebräuche) und sollte eine allseitige Wirkung entfalten: die Rolle der Funktionäre berichtigen, das Verhältnis zwischen Funktionären und Arbeitern festigen, den Arbeitsstil von Arbeitern, Bauern und leitenden Betriebsangestellten verändern. Darüber hinaus sollte die Kulturrevolution zu einer „sozialistischen Einstellung“ im Alltag, in der Familie erziehen. Mittel dieses Kampfes wurden die Mao-Tse-Tung-Ideen – das Rote Buch, eine Sammlung von Zitaten aus Reden und Schriften Maos – eine offenbar überaus erfolgreiche Waffe gegen den alten Feind, denn

„sobald die Mao Tse Tung Ideen von den breiten Volksmassen beherrscht werden, erzeugen sie eine gewaltige materielle Kraft. („Wichtige Dokumente aus der Kulturrevolution“)

sodaß man mit ihnen nicht nur alte Ideologien aus dem Feld schlagen, sondern darüberhinaus auch Felder bebauen konnte, obwohl die Mao-Bibel weder ein Lehrbuch der Volkswirtschaft, Landwirtschaft noch des Maschinenbaus
ist. Bei den Bauern:

„Viele Funktionäre und Kommunemitglieder haben auf den Feldern Holztafeln errichtet, auf denen Zitate vom Vorsitzenden Mao stehen, oder sie tragen die Werke des Vorsitzenden Mao bei sich, damit sie immer, wenn bei der Arbeit auf dem Felde ein schwieriges Problem auftaucht, diese Werke sofort studieren und das, was sie gelernt haben, sogleich anwenden können. Dadurch sind sie in der Lage, für viele Schwierigkeiten und Probleme bei der Produktion rechtzeitig eine Lösung zu finden.“ (Peking Rundschau 20.9.66)

... und bei den Arbeitern:

„Die Experten und Spezialisten hatten immer erklärt, mit diesem Maschinentyp sei es unmöglich, Jersey zu färben und beidseitig zu bedrucken. Die Arbeiter sagten: »Warum eigentlich nicht. Wir können es ja trotzdem mal versuchen.« Nach der Kulturrevolution machten sie Vorschläge und nach der Erprobung war der Zweifarbendruck möglich.“ (Ein Mitglied des Revolutionsausschusses der Pekinger Wirkwarenfabrik, in: Bettelheim, China nach der Kulturrevolution)

Nun ist es kaum vorstellbar, daß man etwa mit der Weisheit: „Man darf nicht nur die Vorderseite der Dinge, sondern muß auch ihre Rückseite betrachten“ (Mao) eine Maschine dazu bringt, zweifarbig oder beidseitig zu drucken. Was ist aber dann die Leistung der Mao- Tse-Tung-Ideen?


„ ... und in seiner Mitte aufblühen.“

Die Anwendung der Mao-Tse-Tung-Ideen und verblüffende Erfolge, die angeblich dadurch erzielt werden konnten, sind in der westlichen Welt mit einem nachsichtigen Lächeln bedacht worden: Einerseits ist man sich sicher, daß technischer Fortschritt am besten durch die Anwendung von Naturwissenschaft und Technik befördert wird, zumal im Atomzeitalter, andererseits kann man nicht verhehlen, daß es auch die Chinesen zu etwas gebracht hatten. In schulterklopfender Verachtung weist man auf die ungeahnten Möglichkeiten hin, die in der kombinierten Kraft von Millionen blauer Ameisen liegen und hält bisweilen deutschen Arbeitern die bedürfnislose Arbeitsmoral der Menschen im Reich der Mitte vor. Es ist dies der Standpunkt der selbstzufriedenen Begeisterung an der Überlegenheit westlicher Technologie gegenüber „unterentwickelten Ländern“. Solche Vertreter der westlichen Zivilisation benützen andere Gesellschaften als Material, um daran zu demonstrieren, daß Wohlstand und Armut eine Frage von Tüchtigkeit und Cleverness eines bestimmten Menschenschlags seien, was immer auch heißt, daß die Armen solches gefälligst zu honorieren haben.

Sicher können die Mao-Sprüche die mangelhaft entwickelte Naturwissenschaft genausowenig ersetzen wie Kenntnisse über Agrarprobleme. Jedoch ist das Pochen auf die eigene Erfahrung, das durch Maos Ideen propagiert wird, eine Kampfansage an solche Vorstellungen in den Köpfen der Chinesen, die einer vergangenen Gesellschaft angehören und einer geplanten Entwicklung der Produktion entgegenstehen. Um den früher sehr beliebten Vergleich Chinas mit Indien (arm aber frei) wieder aufzugreifen (da dieser in der Öffentlichkeit in letzter Zeit etwas in Vergessenheit geraten ist): Während die verhungernden Inder ihre heiligen Kühe immer noch in den Großstädten herumspazieren lassen, obwohl diese ihren Nutzen, der ihren Schutz einmal zur Lebensnotwendigkeit gemacht hat, längst verloren haben, und der Aberglaube die Leute immer noch daran hindert, eine Fliege zu zertreten, weil in ihr Opa oder Oma ihre soundsovielte irdische Existenz ausleben, scheuten die chinesischen Kommunisten keine noch so harten und langwierigen Auseinandersetzungen mit ähnlichen religiösen Vorstellungen der Bauern, bis diese davon überzeugt waren, daß die Gräber der Vorfahren mitten in den Reisfeldern der Landwirtschaft nicht dienlich und verkrüppelte Füße keine weiblichen Schönheitsattribute sind.

Der Kern der „Revolutionierung der Ideologie der Menschen“ ist jedoch ein anderer. Wenn die Partei von den „Massen“ verlangt, daß alles „schneller, besser und wirtschaftlicher“ gehen soll, verlangt sie mehr Anstrengung und persönlichen Einsatz – mehr lernen, mehr Leistung, mehr Arbeitsdisziplin, Verzicht, Beschränkung der persönlichen Bedürfnisse. Wenn im Zentrum dieses ideologischen Kampfes der Angriff auf den „Egoismus“ steht, so ist dies der Versuch, die Menschen aus lethargischer Selbstzufriedenheit herauszureißen. Nicht sich einrichten im schon Erreichten – ausreichende Ernährung, Wohnung und Kleidung – sondern neue Anstrengungen und diese nicht um des persönlichen Vorteils willen, sondern für ein höheres Ziel:

„Wenn wir heute sehen, wie an Bord eines 10000- Tonnen-Schiffs, das vom Stapel läuft, rote Fahnen flattern und wie die Wellen hochgehen, denken wir überhaupt nicht daran, wieviel wir verdienen, sondern daran, wie wir mit unseren Händen den Aufbau des Sozialismus beschleunigen, die sozialistische Revolution noch besser durchführen und zur Befreiung der ganzen Menschheit beitragen können.“ (Arbeiter der Hudung-Werft in Shanghai)

Nicht auf die individuellen Interessen soll es also ankommen, sondern auf das Interesse von Partei und Staat, Revolution und Sozialismus, das sich die Massen zum eigenen machen sollen. Was in China als Massenkampagne der Partei stattfindet, die Menschen für den großen Sprung in den Sozialismus zu gewinnen, sich nicht mit der erreichten Lösung der dringendsten Probleme des Überlebens zu begnügen, ist etwas anderes, als der Gegensatz, der das Verhältnis der Ostblock-Staaten zu ihren Bürgern bestimmt: dort sollen sich die Arbeiter und Bauern für die vom Staat angestrebten wirtschaftlichen Ziele mehr einsetzen, obgleich dieser Staat ihren persönlichen Vorteil beschränkt; diesen Widerspruch versuchen die prosowjetischen Staaten bekanntlich mit dem Einsatz der Staatsgewalt zu lösen. Da aber nicht jedem Arbeiter sein Aufpasser zugeordnet werden kann, handeln sich solche Staaten das Problem ein, daß jemand, der keinen Grund hat, sich für den Staat einzusetzen, dies auch nicht tut (wenn er nicht muß) – außer eben um seines persönlichen Vorteils willen. Der Ausweg sind dann die materiellen Anreize. Obwohl es auch in China immer wieder Rückgriffe auf derartige Mittel gegeben hat, ist gerade die Kulturrevolution ein Angriff auf solche „kapitalistische Praktiken“, was aber nicht heißt, daß das eine das andere je verdrängt hat. Das Ziel der Kulturrevolution ist es, sagen die Chinesen, davon Abstand zu nehmen,

„materielles Wohlergehen als Anreizmittel zu gebrauchen, wie es in der kapitalistischen Gesellschaft praktiziert wird. Wir stützen uns hauptsächlich auf die politische und ideologische Arbeit, indem wir das politische Bewußtsein des Volkes heben und auf diese Weise die geistigen Kräfte in materielle Kräfte verwandeln.“(China Analysen, April 1966)


„Was wir brauchen, ist Begeisterung“

Die Parteinahme für den Staat, die sich in der „schöpferischen Anwendung“ der Mao-Tse-Tung-Ideen bewährt, wird hierzulande als „Gleichschaltung“ angeprangert; es wird den Chinesen vorgerechnet, daß sie sich ihre mühselig erworbenen materiellen Fortschritte mit dem Zwang zum bedingungslosen Glauben an eine Pseudoreligion erkaufen mußten. Solche Vorwürfe enthalten nun aber die nicht wegzuleugnende Grundlage solcher „Verführung“ der Chinesen, den materiellen Fortschritt, der zu anderen Gelegenheiten immer zum Beweis des Gegenteils, nämlich als Reifezeugnis der zu ihm gehörenden politischen Ideen herhalten muß. So ist der Verzicht auf den „Egoismus“ und sind höhere Anstrengungen zugunsten des Staats tatsächlich gleichbedeutend mit der Sicherung der materiellen Existenz der Chinesen – wenngleich auf bescheidener Basis, – die aber, verglichen mit früheren Zuständen ein gewaltiger Fortschritt ist. Der chinesische Staat hat (noch?) nicht das Problem, vorhandene individuelle Bedürfnisse gewaltsam beschränken zu müssen, um seine Macht aufrechtzuerhalten, umgekehrt: früheres Elend und die Bedürfnislosigkeit der Massen lassen die Durchsetzung des staatlichen Plans ausschließlich als Leistung des Staats, des großen Vorsitzenden und seiner Gedanken zur Sicherung der Existenz erscheinen. Die Werte und Weisungen des Vorsitzenden sind eine einzige Verherrlichung der Beschränktheit der Massen und die ständige Aufforderung an sie, aus der Not mangelhaft entwickelter Produktivkräfte eine Tugend zu machen. Nicht deren umfassende und planmäßige Entwicklung auf der Grundlage systematischer Wissenschaft, sondern die „Schöpferkraft des Volkes“ sollen Motor der Entwicklung sein, und solange das Rote Buch den Massen den Glauben in ihre eigene Mission vermittelt, ist für die Freiwilligkeit ihres Einsatzes für die vom Staat angestrebten volkswirtschaftlichen Ziele gesorgt.

Kommt es nur auf die Initiative und die Opferbereitschaft der Leute an, dann ist deren Einsicht in den Zusammenhang und die Ziele des staatlichen Plans zum Aufbau der Wirtschaft nicht erforderlich. So tauchen auch in den chinesischen Dokumenten der Kulturrevolution Wirtschaftsfragen nur in der Form von Kampagnen gegen Personen auf, denen die Mitgliedschaft zum Lager der Bourgeoisie nachgesagt wird und gegen die man sich enger um das „proletarische Hauptquartier in der Partei“ zu scharen habe. Beweis dafür, daß z.B. Liu Schao-tschi, später Teng Hsiao-Ping „den kapitalistischen Weg eingeschlagen haben“, war ihr „mangelndes Vertrauen in die Kraft der Massen“, die „proletarische Linie“ hingegen zeichnet sich dadurch aus, daß sie „Fachleute“ als „Technokraten“ denunziert, die die „Massen gängeln wollen“. Auch die Verwendung von Zitaten aus ökonomischen Schriften von Marx und Engels darf nicht mit einer Kontroverse um die planmäßige Gestaltung der Wirtschaft verwechselt werden: sie dienen lediglich dem Beweis der Richtigkeit von Mao-Weisungen, die das genaue Gegenteil dessen darstellen, was sich in den Schriften der Klassiker findet. Statt Kritik Begeisterung:

„... harter Kampf, um das Vaterland mächtig zu machen ... das große rote Banner noch höher halten ... den starken Willen und das hohe Ideal des Proletariats haben ... wagen, noch nie beschrittene Wege zu gehen ... ein Gefühl des Stolzes haben ... usw. usw.“

So lauten die Appelle an die „Massen“ und wenn diese sich zu Wort melden, so schallt es ebenso zurück. Da also in der VR China eine allgemeine Moral von Führung und Volk praktiziert wird –  im Gegensatz zur Funktion der Moral in bürgerlichen Gesellschaften, wo diese die Leute über den Gegensatz zwischen ihrem persönlichen Nutzen und dem Schaden, den ihnen der Staat fortlaufend zufügt hinwegtrösten soll, weshalb Heuchelei und Gewalt ihre notwendigen Komplemente sind, kann sich die KPCh des Einsatzes ihres Gewaltapparates gegen die Massen weitgehend enthalten. (Noch die Ausnahmen bestätigen dies: was Arbeitermilizen und Polizei im Gefolge der Trauerfeierlichkeiten für Tschou En-lai vom Tienanmen verjagten, waren im offiziellen Jargon nicht unzufriedene Bürger, sondern „schlechte Elemente“ bestehend aus „Kuhteufeln und Schlangengeistern.“)


„Die wahren Helden sind die Massen“

Schon das äußere Bild der Kulturrevolution zeigt, daß es um Revolution bei ihr nicht ging: die Massen führten ihre Aktionen unter Berufung auf die KP und ihren Vorsitzenden durch und diese bestärkten sie in, bzw. beglückwünschten sie zu diesen Aktionen. Im Verlaufe der Kampagne sollte nicht die Linie der Partei in den Massen, sondern die „Massenlinie“ in der Partei durchgesetzt werden. Das Ziel der Kulturrevolution, eine neue Einstellung der Menschen zur Arbeit, sollten sich die Massen dadurch zulegen, daß sie ihre eigenen Erfahrungen richtig verallgemeinerten, die Partei leistete hierzu Hilfestellung, indem sie einerseits die Massen ermutigte, andererseits diejenigen ihrer Kader absetzte, die sich zu weit „von den Massen entfernt“ hatten. Die KPCh propagierte ihre eigene Überflüssigkeit, indem sie die „Massenlinie“ als ihre eigene verankern wollte, nichts anderes vorzuhaben propagierte, als das, was die Massen eigentlich wollen. Feiert die Partei so die „Massenlinie“, muß ihre Verankerung in den Massen auch deren eigenes Werk sein:

„In der großen proletarischen Kulturrevolution kann man die Massen nur sich selbst befreien lassen, und die Methode, in allem für sie zu handeln, darf nicht angewendet werden.“ (Dokumente ...)

Es ist, als ob die Partei den Kampf um die Auflösung der Gegensätze in den ökonomischen Verhältnissen der Gesellschaft nicht mehr gegen die bestehenden Verhältnisse zu führen hätte – obwohl immer wieder vom Kampf gegen bourgeoise Interessen die Rede ist –, sondern die schon existierende Einheit zwischen Partei und den Arbeitern und Bauern in gewissen periodischen Abständen erneuert werden muß, zur Vergewisserung der kämpferischen Einstellung. Diese „permanente Revolution“, welche die Partei immer wieder aufs neue mit den „Massen“ zusammenführt, ist daher alles andere als die schrittweise Beherrschung der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Das Verweisen der Arbeiter und Bauern auf ihre eigene Kraft ist vielmehr eine Absichtserklärung der Partei, ihre Wirtschaftspläne auf die Initiative, die Erfahrung, das „Schöpfertum der Massen“ zu gründen. Dieser Verzicht der Partei auf die Erstellung und die Durchsetzung eines Planes der Produktion, feiert den Mangel als Errungenschaft des Sozialismus: weil die Voraussetzungen für eine umfassende und geplante Entfaltung der Produktion fehlen, wird diese dem „Einfallsreichtum“ und den (meist schmerzlichen) Erfahrungen der Produzenten überlassen, nach denen die Planungsinstanzen sich richten. Dies kennzeichnet den durchgängigen Opportunismus der KPCh, den sie selbst und ihre hiesigen Fans als „Massenfreundlichkeit“ feiern. Was die Chinesen als Paradebeispiele der Maxime „von den Massen lernen“ anführen, ist nichts anderes als das Eingeständnis, daß der chinesische sozialistische Staat nicht in der Lage ist, jenes Wissen bereitzustellen, das eine geplante Produktion ermöglicht – gefeiert als Sieg! Ein „ruhmreiches“ Beispiel: Die Kleiderfabrik A produziert Regenmäntel für die Volkskommune B. Die Bauern der Volkskommune benötigen Regenmäntel zur Arbeit auf den Reisfeldern. Da die Bauern bei dieser Arbeit aber im Wasser stehen und die Regenmäntel im Wasser hängen, weil sie zu lang sind, erzählen die Bauern der Volkskommune den Arbeitern der Kleiderfabrik, daß die Regenmäntel ungeeignet sind und warum, worauf die Arbeiter beschließen, daß dem abgeholfen wird.

Mit Problemen solchen Kalibers wird der Kapitalismus fertig, ohne daß die Landwirte auf Reisen geschickt werden müssen. In der chinesischen Ideologie vom „fortschreitenden Erfahrungsprozeß“ des Volkes wird dieser bornierte Umgang mit dem Problem (Lenin nannte dies „Handwerkelei“) jedoch als einzig richtige Lösung gefeiert: Die Initiative der Volksmassen hat den gordischen Knoten durchhauen, die Bauern und Handwerker kämpfen Seite an Seite für die Revolution, vereint im Volk. Im Lob der „allseitigen Initiative“ der „Massen“ verschwindet das ökonomische Problem. Den „Massen“ wird dann die Überwindung von Schwierigkeiten als Frage des guten Willens erklärt, wie die Äußerung eines Zuständigen zur Frage des Kohleengpasses zeigt:

„Nachdem diese Situation bekannt war, verstärkten die Arbeiter ihre Anstrengungen ... Die Industrie verfügte somit über ausreichend Brennstoff, um die Produktion weiter zu entwickeln und der staatliche Plan konnte erfüllt werden. Das zeigt, daß es besser ist, sich auf die Initiativen der Massen zu stützen als auf abstrakte Kalkulationen.“

Nun sind aber Kohleengpässe sicher nicht die Wirkung zu geringer Anstrengungen – doch stellt sich diese Überlegung hier nicht mehr, die Initiative der Massen macht sie überflüssig. Die Begeisterung der Massen fürs Zupacken und das begeisterte Lob der zupackenden Massen durch die Partei wird zur Schranke einer geplanten produktiven Arbeitsteilung. Die Partei propagiert unermüdlich die Tat und erklärt mit Begeisterung, daß ihre „abstrakten Kalkulationen“ nicht nur mangelhaft, sondern eigentlich überflüssig sind.

Nicht mangelhaft ausgebildete Wissenschaft ist die Ursache für die Mängel der Praxis, sondern umgekehrt: aus der Praxis, deren Mängel an allen Ecken und Enden spürbar sind, soll sich das notwendige Wissen zu ihrer Beseitigung ergeben. Unter Anleitung durch die Ideen des „größten Marxisten-Leninisten unserer Epoche“ werden so die von Marx, Engels und Lenin angeführten Prinzipien sozialistischer Planwirtschaft auf den Kopf gestellt: der Aufbau hat nicht den umfassenden wissenschaftlichen Plan, der die Produktion regelt, zur Grundlage, sondern umgekehrt soll aus der Produktion durch erfolgreichen Erfahrungsaustausch so etwas wie ein Plan entstehen – und damit eben nicht!


„Die Handvoll bürgerlicher Rechter isolieren“

Diese Auflösung der ökonomischen Probleme Chinas in Fragen einer „materialistischen“ Weltanschauung und das Vertrauen auf die „Initiativen der Massen“ ist nicht nur dafür verantwortlich, daß der Gegensatz zwischen den Anforderungen der Landwirtschaft und der industriellen Produktion nicht aufgelöst und die Entwicklung von Wissenschaft und Technik gehemmt wird, sondern macht Parteikontroversen zu endlosen Wiederholungen derselben Phrasen, weil in ihnen keine anstehenden Fragen geklärt werden, es also nicht um die Lösung der Probleme geht, sondern um die Abweichung vom Parteidogma des Primats der Massenerfahrung. Dabei ist es oftmals gar nicht notwendig, den Gegenstand der Kontroverse überhaupt zu erwähnen. Für die Abweichung von der „Massenlinie“ reicht z.B. bereits der Vorwurf, jemand habe seine Thesen „allein“ verfaßt:

„Er braute sie entsprechend seinen eigenen Ideen und hinter dem Rücken des Genossen Kang Schen.“

Zudem bediente er sich einer ungeziemenden Methode, usurpierte den Namen des ZK und verteilte seine Thesen in der ganzen Partei. Neben dieser Charakterisierung des Verfassers werden die Thesen gar nicht mehr angegriffen, sondern mit Worten des Vorsitzenden Mao konfrontiert:

„Vorsitzender Mao hat oft gesagt: Ohne Niederreissen kann es keinen Aufbau geben...In diesen Thesen wird jedoch betont, daß es »ohne Aufbau kein wirkliches und gründliches Niederreißen geben kann.« In Wirklichkeit will man damit verbieten, die bürgerliche Ideologie auszurotten und die proletarische Ideologie aufzubauen.“

Daß sich alle Kontrahenten auf die Worte des Vorsitzenden berufen, sorgt für die Endlosigkeit des ,,Kampfes zweier Linien“ ebenso wie die für jeden obligatorischen Attacken gegen die bourgeoisen Neigungen des anderen. Wenn alle Seiten mit denselben Sprüchen operieren, kommt es nicht mehr darauf an, was sie sagen, sondern wer einer ist. Am Etappenziel des Kampfes „schwarz gegen rot“ steht so immer die Entlarvung von Personen, die den kapitalistischen Weg eingeschlagen haben, was man nicht an ihren Thesen beweist, sondern an ihrem Lebenswandel (Lin Piao z.B. las gerne Konfuzius und Lius Frau benutzte französisches Parfüm). Der abgeschossene Massenfeind hat schließlich nicht seine Auffassungen zu ändern, sondern sich selbst: er wird aufs Land oder in die Fabrik geschickt, um sich durch ein Bad in den Massen zu reinigen. Wer bei diesem Entlarvungskampf siegt, hat recht, und das Entscheidungskriterium sind wieder die Massen: wer ihre Mehrheit für sich und gegen den anderen mobilisiert, setzt sich durch. Dies der Grund, warum hiesige ML-Organisationen in China die Verwirklichung „proletarischer Demokratie“ sehen, im Gegensatz zu den Ostblock-Staaten, wo sich in der Partei für gewöhnlich derjenige durchsetzt, der über die stärkeren Bataillone im Staatsapparat bzw. der Geheimpolizei verfügt, und wo die Massen erst nach Beendigung der Kontroverse erfahren, daß sie stattgefunden hat. Daß die andere Form, in der Parteikontroversen in China ausgetragen werden, nichts über die Qualität der Entscheidungen aussagt, außer daß sie mit kommunistischer Politik nichts zu tun haben, hindert unsere Maoisten nicht daran, sie für ihr eigenes Parteileben zu kopieren, wobei sie – losgelöst von ihrer chinesischen Basis – zur grotesken Mimikry verkommen, wenn etwa der KBW drei führende Mitglieder seines ZK als Rechtsabweichler absägt und das von ihnen geleitete Zentralorgan rückwirkend zum ,,bürgerlichen Hauptquartier“ erklärt, ohne die Ausgaben der KVZ der letzten Jahre als Verlautbarungen des Klassenfeindes einzustampfen.

 

China als Großmacht

Außenpolitik als Richtlinie zur Weltrevolution?

Der einzige Staat auf der Welt, der sich heutzutage noch diplomatisch für die Wiedervereinigung Deutschlands stark macht, ist die Volksrepublik China. Die starken Trinksprüche auf den westeuropäischen Antikommunismus, die bei gewissen Empfängen aus Peking zu hören sind, lassen die Interessengegensätze zwischen demokratischen Ländern und der Volksrepublik in Freundschaftsbeteuerungen und artigen „gemeinsamen Kommuniques“ verschwinden, auch wenn manche dieser Sprüche gar nicht ins Konzept westlicher „Entspannungspolitiker“ passen.
Gegner der chinesischen Außenpolitik gibt es nur noch im Ostblock und neuerdings in Ländern, deren Vorkämpfer in der UNO China sein will, in Ländern der „Dritten Welt“, von denen manche auch allen Grund haben, wie sich zeigen wird.


„Völker aller Länder, vereinigt euch“

Die unversöhnliche Gegnerschaft der VR China zur UdSSR läßt sich nicht aus unterschiedlichen Prinzipien „revolutionärer Außenpolitik“ erklären, denn hier tauchen die gleichen Parolen auf: „Friedliche Koexistenz“ und „Antiimperialismus“ sind die Eckpfeiler der Propaganda beider Staaten. Dem Gleichklang der Worte entsprach bis zum Abzug aller sowjetischen Berater aus der Volksrepublik und zum Abbruch jeglicher Wirtschaftshilfe auch eine Gemeinsamkeit in den außenpolitischen Interessen. Durch Chruschtschows Boykottmaßnahmen gegen China demonstrierte die Sowjet-Union, daß es durchaus den Prinzipien „friedlicher Koexistenz“ entsprach, die Interessen der UdSSR auch gegenüber China durchzusetzen, und bei den Versuchen, die Volksrepublik in den Warschauer Pakt und das Comecon einzubeziehen, erfuhr die chinesische Führung, was es mit Bündnissen zwischen Staaten auf sich hat: sie dienen dem größtmöglichen Vorteil des Stärksten unter den Partnern. Die ganze berühmte Debatte „Über die Generallinie“ zwischen der KPCh und der KPdSU ist der ideologische Niederschlag der Weigerung Chinas, seine nationalen Interessen denen der SU zu unterwerfen und des Beharrens der Sowjets, ihre Großmachtpolitik auch gegen China durchzusetzen. Es handelte sich also von Anfang an um eine Auseinandersetzung zwischen Staaten, und in dieser Kontroverse verhielt sich China als Staat und ließ sich mitnichten von den Prinzipien des Kommunismus leiten, sondern von denen des Nationalismus, was seit dem Ussuri-Scharmützel auch in der Terminologie zum Ausdruck kommt: „Das Vaterland verteidigen!“

So entstand der Volksrepublik China neben den USA, die ihre Existenz seit dem Sieg der Revolution bedrohten, in der SU ein neuer Gegner ihrer nationalen Interessen. Mit der Annäherung Chinas an die USA, bzw. dem Rückzug des US-Imperialismus aus Südostasien wurde der „Hauptfeind der Menschheit“ zum Nebenwiderspruch und die UdSSR zum Hauptfeind und gegen die „faschistischen Kremlzaren“ lassen sich mit gewöhnlichen Faschisten Gemeinsamkeiten entdecken.


„Jedes Land, ob groß oder klein, hat seine Vorzüge“

Dem Wandel im Verhältnis zur UdSSR mußte eine Änderung der chinesischen Politik gegenüber westlichen Ländern folgen: Auch Imperialisten haben jetzt ihre guten Seiten. Keiner der europäischen oder amerikanischen Konservativen, die zu neuen chinesischen Bündnispartnern erkoren worden sind, macht sich nun aber vor, die chinesischen Offerten seien etwas anderes als antisowjetische Politik im Interesse Chinas. Für solche Schachzüge in der Diplomatie zum eigenen Vorteil hat man Verständnis, denn sie entsprechen dem eigenen Prinzip, und die chinesische Außenpolitik unterscheidet sich hier nicht von derjenigen kapitalistischer Länder. Die Herstellung dieser Sorte von Einheit mit anderen Staaten hat die nützliche Identität einer feindlichen Einstellung zu einem gemeinsamen Gegner zur Voraussetzung, unabhängig vom Grund solcher Gegnerschaft. Die Machtpolitik der UdSSR und der USA, die so eine Gefahr für die chinesische Nation darstellt, ist für China wiederum Anlaß, den Rest der Welt in eine Ansammlung von Staaten zu verwandeln, an denen positive Eigenschaften entdeckt werden können: sie sind entweder Gegner der UdSSR oder der USA, und als solche lassen sie sich zusammenfassen, d.h. als Mittel der eigenen nationalen Behauptung gegen andere Großmächte einsetzen. Die Kunst, alle gesellschaftlichen Differenzen mit Hilfe eines gemeinsamen Gegners zum Verschwinden zu bringen, heißt in China Einheitsfrontpolitik. Die Staaten oder auch Politiker, die sich so für antisowjetische Zwecke einspannen lassen, sind wahrhaftig eine illustre Gesellschaft. Da wird umstandslos die chilenische Militärdiktatur akzeptiert, amerikanische Reaktionäre sind hier auf der anderen Seite der Einheitsfront zu finden, und „Befreiungsbewegungen“ in Afrika sind dann willkommene Bündnispartner, wenn sie Gegner der Sowjet-Union sind. Die Bündnispartner der anderen Einheitsfront-Abteilung stehen dem nicht nach, denkt man an die „antiimperialistischen“ Militärpotentaten aus Südostasien oder den Schah von Persien.

In der diplomatischen oder auch materiellen Unterstützung ausländischer politischer Bewegungen bleibt es nicht aus, daß die Verfolgung Chinas außenpolitischer Interessen mit der Beförderung antiimperialistischer Politik zusammenfällt, wie etwa in Vietnam. Ist der Zweck der chinesischen Außenpolitik aber die Unterordnung aller außenpolitischen Aktivitäten unter das Interesse an der machtpolitischen Behauptung in der Konstellation dreier Großmächte zur Bewahrung der Unabhängigkeit Chinas und Garantie von dessen wirtschaftlichem Aufbau, so wird diese Politik zur Schranke des gesellschaftlichen Fortschritts in anderen Ländern. Solche Politik fragt nicht mehr danach, ob eine afrikanische Befreiungsbewegung ein Land durch dessen gesellschaftliche Veränderung vom Imperialismus befreit, sondern interessiert sich dafür, ob der gegenwärtige Hauptfeind Chinas seine „Einflußsphäre“ ausdehnen kann.

Das „Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten“, mit dem die Chinesen ihre eigene Staatsmacht gegen deren äußere Gegner verteidigen wollten, gerät im Kontext der neuen chinesischen Außenpolitik zur Bündnispartnerschaft mit dem Imperialismus, der sich bekanntlich einen Dreck um dieses Prinzip schert: so werden die Kubaner in Angola als „ausländische Söldner“ beschimpft (was die Chinesen nicht nur zwingt, die Rolle des Genossen Che Guevara neu zu bewerten, sondern auch den Einsatz der Volksbefreiungsarmee gegen die Imperialisten im Koreakrieg aus chinesischen Geschichtsbüchern verschwinden lassen wird). Den Völkern in der „Dritten Welt“, die sich aus ihrer Abhängigkeit vom Imperialismus lösen wollen und dabei auf die Hilfe der SU und ihrer Verbündeten nicht verzichten, weil ohne sie die bewaffnete Auseinandersetzung mit dem Feind nicht möglich ist (dies galt gerade auch für Vietnam!) ist so in der VR China ein Gegner erwachsen, der seine konterrevolutionären Aktivitäten auch noch mit dem Volkswillen zu legitimieren versucht, den in Angola z.B. ausgerechnet die rassistischen Banden der Unita vertreten haben sollen. So zeigt sich, daß die schöpferische Erweiterung der Forderung an die Proletarier aller Länder im „Kommunistischen Manifest“ um die „unterdrückten Völker“, die sich vereinigen sollen, mit ihrer Verlagerung des internationalistischen Klassenkampfs auf eine Auseinandersetzung zwischen Völkern und Staaten, nicht von der Bemühung um die sozialistische Weltrevolution kommt, sondern die Ideologie einer Großmachtpolitik ist, die von den Kommunisten aller Länder entschieden bekämpft werden muß.

aus: MSZ 13 – Oktober 1976

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