VI. Bundeskongreß des MSB Spartakus

MSB zwingt Sinn ins Leben


Mit den „Thesen zur Vorbereitung des 6. Bundeskongresses“, den der MSB SPARTAKUS Mitte Oktober an der Lahn in Marburg abhielt, sich näher zu beschäftigen, wurde den Verbandsmitgliedern mit der These vermiest, daß „die beste Art der Vorbereitung ... natürlich in der Bewältigung der mit der Mitgliederwerbekampagne verbundenen ideologischen und politischen Aufgaben, in der Gewinnung vieler neuer Mitglieder für den MSB“ besteht. Angesichts der in den „Roten Blättern“ veröffentlichten Erfolgsbilanz dürfte den Spartakisten wenig Zeit geblieben sein, „für eine direkte Beschäftigung mit den politischen Inhalten und Hauptaussagen, die der Kongreß zu treffen hat.“ Nicht nur für die Spartakisten unter unseren Lesern („Bequemlichkeit und die Geringschätzung anderer müssen überwunden werden!“) sei dies im Folgenden nachgeholt. (Alle Zitate aus dem Thesenpapier des MSB–BV)


Nach dem ganzen Menschen noch sein Sinn

Bei der Durchführung der Beschlüsse des Bundeskongresses, der sich vorgenommen hatte, „in unserer politischen Arbeit stärker den ganzen Menschen anzusprechen“, sind die Spartakisten angesichts „einer anderen Phase des Kampfes gegen HRG und Studienformierung“ auf ein menschliches Problem gestoßen, das wahrhaft zeitlos die unterschiedlichsten politischen Fronten verbindet: was der Mensch und vor allem der Student braucht, ist ein Sinn, so daß sich der 6. Bundeskongreß mit dem Thema beschäftigen wird:

„Wie kann man heute als Student in der BRD sinnvoll leben, studieren und kämpfen?“ –

eine Dreieinigkeit, die schon mehr als einen ganzen Menschen erfordert.

Historischen Vorbildern gemäß, packt der MSB die Frage radikal an: während die Faschisten meinen, im Krieg erfülle sich der Sinn des Lebens, setzen die Antifaschisten auf den Frieden:

„Allgemeinste Voraussetzung für das Leben ist, daß der Frieden in der Welt erhalten bleibt.“

In der Sache ist man sich jedoch, trotz unterschiedlicher Akzentuierung durchaus einig: auch für den MSB bleibt der Krieg Vater aller Dinge, es kommt nur darauf an, wer ihn führt: hervorragende Beiträge zur Friedenssicherung sind so der vietnamesische Einmarsch in Kampuchea, sowie die Friedenssiege in Angola, Äthiopien, Afghanistan, sowie die Machtübernahme der Mullahs im Iran – wahrscheinlich weil Khomeini für Ruhe und Frieden in Kurdistan gesorgt hat.

Man sieht, bereits in der ersten Abteilung der Sinnsuche erweisen sich die Spartakisten der Tradition würdig, in der diese steht. Als Politik ist die Suche nach dem Sinn des Lebens immer die Ideologie des Opfers für höhere Staatszwecke gewesen, die denen, die nicht allzuviel vom Leben haben, nahelegen, dadurch etwas daraus zu machen, daß sie sich nichts mehr daraus machten. In der zweiten Abteilung geht's weiter in diesem Sinn:


Arbeit macht Sinn

Im Gegensatz zu den Faschisten, die über das Eingangstor ihrer Konzentrationslager „Arbeit macht frei!“ (ein Spruch, den Bürger und Revis merkwürdigerweise bis heute für Zynismus halten, obwohl ihn nicht nur die Nazis ernst meinen), erlauben die Erkenntnisse des spartakistischen „Bildungsbausteins Politische Ökonomie“ dem MSB eine wesentlich differenziertere Analyse. „Nur als konkrete nützliche Tätigkeit kann sich der Arbeiter mit ihr (der Arbeit) identifizieren.“ Als Produktion „von Mehrwert ist sie (allerdings) mit Ausbeutung und Entfremdung verbunden.“ (Man beachte auch die undogmatische Marx-Rezeption des MSB: Lohnarbeit halten sie für „auch mit Ausbeutung verbunden“ !) Ein Müllmann mag also durchaus einen Sinn für sich in der Abfallbeseitigung entdecken, aber die Tatsache, daß er bei der städtischen Müllabfuhr angestellt ist, vermiest ihm die sinnstiftende Wirkung seines Jobs. Im Grundsätzlichen allerdings halten die Spartakisten an der traditionellen Festlegung fest, daß ohne Arbeit kein Leben:

„Etwa 1 Mio. Bürger der BRD sehen sich der Möglichkeit, sinnvoll zu leben, allein schon dadurch beraubt, daß sie arbeitslos sind.“

Eine messerscharfe Kritik des volkstümlichen Spruchs „Ohne Moos nichts los!“. Nicht, wie bornierter Vulgärmaterialismus meint, um ans Geld fürs Leben zu kommen, gehen die Leute zum Arbeiten. Nein, um sinnvoll arbeiten zu dürfen, drängeln sie sich morgens in der U-Bahn. So wird auch klar, warum die Werktätigen im realen Sozialismus sich immer freiwillig zu unbezahlter Arbeit melden.


Demokratische Kontrolle gibt dem Atomtod Sinn

Die Spartakisten, gewohnt in historisch-materialistischer Weise die „gesellschaftlichen Voraussetzungen“ angemessen zu berücksichtigen, haben entdeckt, daß

„die gefahrlose Nutzung der Kernenergie primär eine gesellschaftliche Aufgabenstellung und erst in zweiter Linie eine wissenschaftlich-technische ist.“

Da ist sicher was dran: nur den gesellschaftlichen Verhältnissen im sozialistischen Lager ist es zu verdanken, daß Reaktorunfälle östlich der Elbe, die von der selben Technik verursacht werden, die im Westen zur Anwendung kommt, in der Regel nicht bekannt werden. Und dem gleichen Umstand ist es wohl zuzuschreiben, daß unsere Medien so gut wie nichts berichten über die „erhebliche Erleichterung des menschlichen Lebens, die Einsparung von Arbeit“, die „unter sozialistischen Produktionsverhältnissen die friedliche Nutzung der Kernenergie“ gebracht haben soll, stattdessen immer nur über Versorgungsengpässe und Sonderschichten.


Das ganze System ist sinnlos

Nach dieser Auflistung sinnbedrohender Erscheinungen ziehen die Spartakisten ein vorläufiges Fazit und benennen die Schuldigen:

„Die Herrschaft des Profits beeinflußt die Menschen, ihre Persönlichkeit, ihre Gewohnheiten und Verhaltensweisen.“

Hier wird der Vorteil einer gediegenen materialistischen Analyse deutlich: während die Bourgeoisie dem Profit und seinem Einfluß auf die Menschen die gleichen Wirkungen zuschreibt wie der MSB und deshalb durch Herrschaft (Staat) den Profit dahingehend beeinflussen will, bei seiner Ausnutzung der Personen nicht gleich seine Grundlage zu zerstören, kritisieren die Spartakisten den Profit als Herrschaftsusurpator („kleine Minderheit der Besitzer an den entscheidenden Produktionsmitteln“), der seine Macht dazu mißbraucht, unter die Menschenkinder „Egoismus, Neid und Mißgunst“ zu säen. Ausbeutung ist eine Charakterfrage und saubere Volksrepräsentanten mit gläsernen Rathäusern deshalb das sinnvollste. Da lebt der Mensch auf.

Was Wunder, daß die vom Profit verblendeten Menschen, darunter auch die Masse derer, die nie im Leben einen Profit macht, permanent Opfer von ,,Verdummung und Manipulation“ werden.


Sozialismus sinnvoll

Die Spartakisten halten es dafür für einen Bestandteil „sinnvollen Lebens“, sich „Wissen über die gesellschaftlichen Verhältnisse anzueignen“, womit der Profit zwar nicht abgeschafft aber wenigstens beiseite gedrängt werden kann:

„Eine sozialistische Zukunft der BRD, in der die Menschen, ihre Bedürfnisse und Beziehungen untereinander im Mittelpunkt stehen und nicht der Profit.“

Sozialismus ist also, wenn der Profit rechts von der Mitte steht, die Menschen hingegen mittendrin. Diese Menschenansammlung auf engstem Raume bringt natürlich Reibereien mit sich, weswegen schon frühzeitig „falsche Verhaltensweisen wie Egoismus, Prahlerei und Bequemlichkeit ... überwunden werden müssen.“ Bedürfnisse darf man eben doch nicht so einfach im Mittelpunkt stehen lassen, sondern den guten Menschen, denn dessen Lebensmittelpunkt und oberstes Bedürfnis sind bekanntlich seine Tugenden, mit denen er sich in den Dienst der Allgemeinheit stellt.

Wertvoller leben zum Leben, Studieren, Kämpfen für Sinn sind die „kulturellen und sportlichen Interessen der Studenten“, denen der „MSB verstärkt in unserer Arbeit entsprechen will.“ Deswegen also, und nicht dazu, „sich in unserer Arbeit Verantwortung zu stellen“, plant der MSB die „Planung und Durchführung von Freizeitaktivitäten der Gruppen.“

So wird nicht nur dafür gesorgt, daß die Mitglieder sich „politisch weiterentwickeln und sich im MSB zu Hause fühlen“: Auch die „Attraktivität des MSB bei der Masse der Studenten“ wird sich erhöhen, denn nichts ist so attraktiv wie geplante Freizeit und ein neues Zuhause, nachdem man aus dem alten gerade ausgezogen ist.


Sinn im MSB

„Eine solidarische Gemeinschaft zu sein, in der es sich lohnt zu arbeiten und zu kämpfen.“ Genau 20 Seiten braucht der BV, um zu beweisen, daß Sinn nur im MSB zu finden ist:

Leben: Freud und Leid teilen. Organisierte „Feriencamp“ (neudeutsch für Lager nach dem zeitlosen Motto: Kampf-„Kraft durch Freude“) und sich gegenseitig warmhalten gegen „die Kälte des kapitalistischen Systems.“ Brrr!

Arbeiten: Sinnvolles Studium, weil Aneignung von Qualifikationen für einen späteren Beruf ein die gesamte Persönlichkeitsentwicklung prägender Vorgang ist.“

Kämpfen: Beides zusammen! Nicht mehr „links“radikal an dem Ast sägen, auf den man selber Platz nehmen will, zu des noch in alten MSB-Konzepten zu „Marx an die Uni!“ oder „Demokratische Gegenhochschule“ mißverstanden werden konnte.

– nochmals Leben, wieder solidarisch: Alles gemeinsam machen, „feiern auch gemeinsam, unterstützen uns gegenseitig im Studium und helfen uns in privaten Dingen.“

Warum sind die Spartakisten, die sich mit ihrer Lösung der Sinnfrage den Zugang zum Bund Deutscher Pfadfinder geebnet hätten, wenn dieser nicht seit Jahren links unterwandert wäre, immer noch Marxisten? „Weshalb sind wir Marxisten? Weil wir einen weiteren Horizont brauchen.“ (Also: statt Dogmatismus Flexibilität!)
So weit ist ihr Horizont, daß sie entdeckt haben, was heutzutage eine sinnvolle Lebensalternative für Adressaten der »Partei der Jugend« ist: Reaktionäre Sprüche vom ganzen Menschen, vom erfüllten Leben und das Versprechen, daß sie solche ganzen Kerle sind. So verwandelt der Zeitgeist bei einem Verein, der jeden Menschen durch Alternativen zur bestehenden Vorherrschaft glücklich machen will, die fortschrittliche Perspektive, die den einfachen Demokraten zum wahren Demokraten vervollständigt, in den höheren Sinn, der aus einem halben Menschen mehr für sich und andere macht. Auch ein Fortschritt!

 

aus: MSZ 31 – Oktober 1979

zurück zur Startseite