Frieden und/oder Sozialismus Leserbrief (geringfügig gekürzt) an das Betrifft: Anmerkung zu MSZ Nr. 30 Für die Aufrüsterei läuft im gesamten Westen derzeit diese furchterregende Kampagne. Aber, genauso wie es falsch ist, bestürzt und erschreckt der Ereignisse zu harren – und etwas ist im Kalkül, sonst würde nicht derart gezielt gelogen – und sich mit ihrer scheinbaren Unvermeidlichkeit zu arrangieren („Gründe und Material sind vorhanden, Anlässe werden sich kaum vermeiden lassen“ – Juli-MSZ 79), hilft es natürlich auch wenig, wenn selbe MSZ Blödsinn verzapft wie auf S. 7: „Unter dem Zwang des selbstgewählten Mitrüstens ... die selbstgewählte Verpflichtung, am Wettrüsten teilzunehmen... die sich nicht aus der Bedrohung durch die USA (ergibt). Dagegen ließe sich mit gezieltem Ausbau der Abwehrsysteme zur Verteidigung des eigenen Territoriums durchaus einiges ausrichten...“ – Das angesichts eines Landes, das die imperialistischen Räuberbanden zweimal innerh. 30 Jahren 1918-1920 und 1942-45 in grauenhafte Kriege in seinem Territorium verwickelt haben. Und ein zweites: Die sowjetische Bedrohung war noch immer der Vorwand zum Aufrüsten. Was soll man sagen über: „... die sich nicht aus der Bedrohung durch die USA ergibt“ angesichts folgenden Zitats von TIME: „This (upgrading) would enable these FB-III to fly into theUSSR faster (at 740 m.p.h. vs 450 for the B-52) and more safely at low altitudes. The FB-III would be more difficult for the Soviets to detect ...“ Ich muß sagen, diese Attitüde der MSZ halte ich für absolut fatal, im Ende zutiefst reaktionär, Propaganda zu machen gegen die Kraft, die durch ihre relative Unkalkulierbarkeit für den kapitalistischen Westen diesem die Lust am Kriegfuhren noch am ehesten versauern kann, aber je weniger, je weitverbreiteter der Anti-Sowjetismus im Westen selbst ist. Um grob zu sein: Das ist Steigbügelhalten für die imperialistischen Räuberbanden. Was ist zu tun? Lenin zitiert in dem „Brief an die amerikanischen Arbeiter“ Eugene Debs, der in einem Artikel „What shall I fight for“ schreibt, daß er, Debs, sich eher füsilieren ließe, als daß er die Kredite für den gegenwärtigen (1915) reaktionären und verbrecherischen Krieg bewilligte. Daß er nur den einen geheiligten und vom Standpunkt des Proletariats berechtigten Krieg kenne usw. Was ist die gegenwärtige Propaganda anderes, als unsere Zustimmung zur solchen Verwendung unseres Geldes einzuholen und unsere Bereitschaft zum Morden und Rauben für die imperialistischen Aasgeier. Ich meine, es ist unsere verdammte Pflicht, Sachen wie die „Kampagne für Frieden und Abrüstung“ und ähnliches zu unterstützen, vollkommen egal, wieviele Pfaffen und Revis und was sonst noch da mitlaufen, solange es nur Erfolg verspricht, die Mittel zur Aufrüstung zu verweigern. Diese Bewegungen ausnützen, das ist revolutionärer Internationalismus, nicht, die Pfaffen zu kritisieren, das ist ein alter Hut. Und wir werden noch nicht einmal ins Gefängnis gesperrt dafür (wie erwähnter Eugene Debs). Anstatt „verdammte Pflicht“ sollte ich eher sagen: es ist das unsere Freiheit: einzusehen, daß es das ist, was wir im Augenblick zu tun haben: den Frieden zu sichern, mit allen Mitteln und Unterstützung aller dabei nützlichen und hilfreichen Kräfte. Sonst können wir uns den ganzen Sozialismus in den Arsch schieben. Reiner L. *** Antwort der Redaktion 1. Der harte Vorwurf, die MSZ sei ein „Steigbügelhalter für die imperialistischen Räuberbanden“, entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Die kritisierte Stelle im SALT-Artikel verzapft keinen Blödsinn, sondern bestreitet mit Recht das Argument linken militärischen Sachverstandes, die Sowjetunion wäre gezwungen, mit den Staaten des „imperialistischen Lagers“, allen voran den USA, um deren Ausrüstung ihrer Kriegsmaschinerie zu konkurrieren, weil anders der Schutz der Errungenschaften des sowjetischen Sozialismus nicht gewährleistet sei. Einmal davon abgesehen, daß das Argument. mit dem „Schutz“ sich in der Welt von Krieg und Frieden positiv einrichtet, indem es die Ideologie von einem „defensiven“ Militär übernimmt, gibt es eben einen bedeutenden Unterschied zwischen der Absicht, den Imperialisten die „Lust“ an einem Angriff auf die Sowjetunion zu nehmen, und der, mit der Unterwerfung unter das Wettrüsten den Beweis anzutreten, daß man ebenso wie die USA in der Lage ist, einen Atomwaffenkrieg zu gewinnen. Die erstere Absicht erheischt – um noch einmal auf die im angegriffenen Zitat erwähnte militärische Rationalität zu sprechen zu kommen, die hier allein zählt – den Unterhalt einer Streitmacht, die in der Lage ist, die USA wirksam bedrohen zu können. Der Aufbau einer Streitmacht dagegen, mit der ein Krieg gegen die USA samt ihren Allierten gewonnen werden kann (wobei dieser Zweck mit dem Aufbau des Sozialismus nichts mehr zu tun hat!), macht tatsächlich das Mithalten im Rüstungswettlauf notwendig. Ein Wettlauf übrigens, den die Sowjetunion, wie die westliche Kriegspropaganda hämisch vermerkt, aufgrund ihrer ökonomischen und technologischen Unterlegenheit nicht gewinnen kann. Das Peinliche an der Sowjetunion als einer Macht, die dem Imperialismus, wenn schon sonst nicht, so doch auf dem Kriegssektor Paroli bieten will, ist nun gerade, daß sie sich als Weltfriedensmacht begreift. Womit wir bei dem Argument wären, die Sowjetunion sei „die Kraft, die durch ihre relative Unkalkulierbarkeit für den kapitalistischen Westen diesem die Lust am Kriegsführen noch am ehesten versauern kann“. Die Realität von Vietnam bis zum Iran heute sieht anders aus, erklärlich durch den Drang der Gewaltigen im Kreml, ,,Machenschaften“ des Imperialismus nicht entgegenzutreten, sondern sie zu benutzen, um die Sowjetunion als wahren Hüter des Weltfriedens zu profilieren. Die Auffassung mancher Revisionisten, die Sowjetunion sei „imperialistisch“ geworden und strebe nach der „Weltherrschaft“, ist absurd, schon allein angesichts der Realitäten des imperialistischen Herrschaftsverhältnisses, mit denen sich die Sowjetunion auseinanderzusetzen hat und an denen sie sich orientiert; die offizielle Version, das „sozialistische Lager“ sei der Garant des Weltfriedens, blamiert sich an den Resultaten der eigenen Politik. Gerade im Fall Vietnam, um ein hervorstechendes Beispiel zu wählen, wo von Revisionisten stets die „militärische Unterstützung“ Nordvietnams durch die Sowjetunion hochgehalten wird, läßt sich das Argument von der ,,relativen Unkalkulierbarkeit“ der Sowjetunion für den Westen widerlegen. Die USA konnten schließlich ihren Krieg in Vietnam nach ihrer freien Kalkulation durchführen, weil sich für sie die Sowjetunion als absolut kalkulierbar dargestellt hatte! Und dies mit Recht, denn die Sowjetunion hat deswegen nichts unternommen, den Vietnamkrieg zu verhindern, weil sie ihn stets bloß als ,,Belastung“ im sowjetisch-amerikanischen Verhältnis betrachtet hat. Also, werter MSZ-Leser, von wegen „Antisowjetismus“ und so (solch einen Vorwurf läßt die MSZ nicht auf sich sitzen!): Für den „kriegslüsternen Westen“ ist die Sowjetunion ein zu berücksichtigender Faktor, aber eben ein zu berechnender, weil die Weltmacht des Sozialismus sich auf die Diplomatie von Krieg und Frieden positiv eingelassen hat, statt diese Mittel der imperialistischen Politik zu überlassen. 2. Eine „Kampagne für Frieden und Abrüstung“ ist das Allerletzte, was im Kampf gegen den Krieg unternommen werden muß und wozu sich ein Linker hergeben sollte. Wer als Linker für den Frieden kämpft, sollte einmal bedenken, wofür er da eintritt. Er erhebt sich souverän über all das, was er als Linker von der Welt will, und landet geradewegs beim Standpunkt der Außenpolitik seines Landes. Der Frieden ist doch diejenige Angelegenheit in der Welt, die den Grund für den Krieg abgibt, weil immer, wenn er gebrochen wird, verteidigen sich die Staaten mit dem Krieg, um den Frieden wieder herzustellen. Deshalb ist die Parteinahme für den Frieden (= der Zustand, in dem der Imperialismus ohne die Anwendung des letzten Mittels der Politik funktioniert) immer auch eine Parteinahme für den Krieg, sei sie auch so vorgetragen wie in dem bürgerlichen Ideal einer Staatenwelt ohne Gewalt, für dessen Realisierung heutzutage die Linken sich einsetzen. Auch den Kampf um die Abrüstung sollten die Linken lieber vollständig dem Gegner überlassen. Der SALT-Artikel sollte ja gerade darauf hinauslaufen, daß das linksbürgerliche Ideal der Abrüstung (die Vorstellung, daß die Staaten das Interesse haben könnten, sich Beschränkungen in der Handhabung militärischer Gewalt aufzuerlegen) das Ideal der existierenden Abrüstungsverhandlungen darstellt, also des wechselseitigen Erpressungsgeschäfts, das hier stattfindet, um für den Krieg gut gerüstet zu sein. Es versteht sich (leider) von selbst, daß ein weiter Weg besteht von der realitätsfremden Gläubigkeit eines Linken, mit Abrüstungskomitees etwas gegen die Gefahr des Krieges ausrichten zu meinen, bis zu der Einsicht, daß allein diejenigen, die in den Krieg geschickt werden, ihn verhindern können – wenn sie es wollen. 3. Hoffentlich hat sich der Brief-Schreiber die Auffassung, daß der Krieg nur vom Standpunkt des Proletariats aus „eine geheiligte und gerechte Sache“ sei, nicht selbst zu eigen gemacht; der im Brief gepflegte Moralismus läßt allerdings diesen Schluß zu. Mit dem Einfall, zwischen gerechten und ungerechten Kriegen zu unterscheiden, haben die Linken nämlich ihre Parteinahme für jeden Krieg erklärt: Welcher Krieg wird denn nicht von den Proleten erledigt?
aus: MSZ 32 – Dezember 1979 |