Die größten Angeber des vergangenen Jahrzehnts – Teil II
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H. KÜNG – Der ideale Glaubensrealist


Das deutsche geistige Leben gerät aus dem Häuschen. Alle Welt macht einigen Wirbel um den Professor und Pfaffen aus Tübingen. Und bei aller Lächerlichkeit, die es hat, wenn sich erwachsene Menschen allen Ernstes vor der Weltöffentlichkeit darüber in die Wolle bekommen, wie so ein gestandener Herr Gott seinerzeit die Sache mit der Jungfer hingetrickst hat und ob und wem er heutzutage todsichere Tips gibt, ist es ja ein Streit innerhalb eines gigantischen Propagandaapparates um die zeitgemäße Linie beim auch von den weltlichen Instanzen hochgeschätzten Geschäft der Massenverdummung.

Wer ist der Kirche klügster Kopf?

Küng setzt sich seit Jahren für die Ziele seines Vereins ein, indem er aufgeklärtes Naserümpfen über den lieben Gott im allgemeinen und die Verstaubtheit der katholischen Kirche im besonderen nicht einfach zurückweist und auf Glaubensgebote pocht, sondern dem Zweifel Verständnis entgegenbringt. So bescheinigt Küng – und zwar je nach der Zusammensetzung des Publikums – alternativen Weisen, einen höheren Sinn fürs Leben zu erfinden – also vor Künstlern der Kunst, ein andermal der Philosophie etc. –, ihre Berechtigung, um dann dezent darauf hinzuweisen, daß einer der hoch hinaus will in Sachen Sinn, inkonsequent wäre, wollte er nicht zum Sinn-Superlativ Herrgott vorstoßen. Was die Katholische Kirche angeht, nimmt Küng den Fortschrittsmenschen den Wind aus den Segeln, indem er Vorbehalten bezüglich Organisation und Dogmatik Recht gibt, bzw. sich selber den einen oder anderen ausdenkt. Vom Bewußtsein getragen, daß seine Mäkelei an der Kirche seine werte Person zum katholischen Werbegag für Intellektuelle macht – „In mir greift die Kirche ihren klügsten Verteidiger an.“ –, hat Küng sich nicht nur regelmäßig mit prinzipiellen Anfragen ans Papsttum hervorgetan – „Es ist nicht demokratisch, wenn einer allein entscheidet.“ –, sondern ist auch dem konkreten Karol mehr oder weniger vorlaut nahegetreten – „Kann er noch dazu lernen?“

Der allerdings hat bei seinen Agitprop-Tourneen in Polen, Irland etc. demonstriert, daß der Glaube – und zwar ohne intellektuelle Skrupel bzw. Schnörkel – durchaus Konjunktur hat, und teilt kritischen Geistern wie seinem Küng mit, daß er deren Problematisierung seiner und der Kirche Glaubwürdigkeit für einen Schuß nach hinten hält. Als kämpferische Verkörperung des Heils, das die katholische Kirche den Seelen zu bieten hat, verzichtet Woytila gerne auf die Dienste von Theologen, die durch Opposition innerhalb der Kirche auf Seelenfang gehen, und fühlt sich auch nicht angesprochen, wenn Küng auf den listigen Gedanken verfällt, seine Menschenrechtspropaganda der Inkonsequenz zu bezichtigen: schließlich hat er nicht von der Pike auf gelernt, die Menschenrechtsideale als Waffe zu handhaben, um sich dann von einem, der den kirchlichen Nachwuchs auszubilden hat, die Unterminierung der Moral der Truppe aufschwätzen zu lassen durch den naseweisen Fingerzeig, die Verwirklichung der Menschenrechte stünde ausgerechnet im eigenen Haufen erst noch an.


„In der Wahrheit

Eine Kirche, die seit 1870 mit dem Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes über die vorteilhafte Einrichtung direkter Kontakte zum Heiligen Geist verfügt:

„Der Beistand des Heiligen Geistes bewahre Papst, Konzil und Bischöfe vor einem Irrtum, wenn sie einseitig, etwas als von Gott geoffenbart feststellen“ (Die Hirten),

verfügt in Gestalt des Papstes, dessen menschliche Begrenztheit der Verkündigung des vollen, unverkürzten und unbegrenzten Glaubens keinen Abbruch tut, über die Wahrheit ihrer Lehre und bewahrt in solch seelsorgerischer Verantwortung die Gläubigen vor allen Anfechtungen des Zweifels. Nicht also erst seit dem Herbst 78 überläßt die Katholische Kirche die Verantwortung für die Wahrheit des Glaubens nicht ihren hauseigenen Theologen. Ihnen kam immer schon die für die Gläubigen überflüssige, dafür wissenschaftlich um so reizvollere Aufgabe zu, den Glauben, der dem Verstand nicht zugänglich ist, weil er ihn übersteigt, mit Hilfe des Verstandes zu untermauern und zu verteidigen:

„Das Fundament der Theologie sei aber der verbindliche Glaube der Kirche. Aber dieser Glaube müsse theologisch durchdrungen, entfaltet und begründet werden.“ (ibid.)

Seitdem der dogmatische Papst aber dermaßen vital vom Heiligen Geist durchdrungen ist, daß er nicht nur alle Zweifel an diesem Umstand, sondern überhaupt durch das Charisma seiner – nicht unbedingt durchgeistigten, dafür um so unbeirrter den wahren Glauben verteidigenden – Person entkräftet, so „daß jeder weiß, worauf er sich im Gott geschuldeten Gehorsam des Glaubens verlassen kann“ (ibid.), mehren sich in den Reihen der Bischöfe die Stimmen, die auf die eben zitierte notwendige Entfaltung des Glaubens mit Hilfe der Theologie keinen gesteigerten Wert legen. Und wenn auch nicht alle wie Höffner den „Wert der theologischen Wissenschaft“ überhaupt ,,bezweifeln“ – „der eine Professor sagt dies ... der andere das“ –, so sind die Theologen doch generell daran zu erinnern, daß der Papst für die Wahrheit und die Theologen für deren Verteidigung zuständig sind. Küng aber ist zu bescheinigen, daß „eine Anfrage“ – sei sie noch so konstruktiv und keinesfalls als Anklage gemeint – eine Bezweiflung der Dogmen ist, mit der man sich (heute) keine Verdienste (mehr) um die Verteidigung der „Weite und Tiefe“ des katholischen Glaubens erwirbt.

Ein Streit ...

Wenn Küng seit nunmehr gut 15 Jahren mit unverminderter Intensität den gesamten Dogmenbestand seiner Kirche „eindrucksvoll überprüft“, so „orientierte“ er sich dabei „an den Nöten und Hoffnungen der heutigen Menschen“ (Küng zu Neujahr). Den Zynismus, daß etwa die Klärung der heißen Frage, wie eine menschliche Frau einen göttlichen Sohn gebären kann, als Beitrag zur Lösung „der drängenden Fragen der Menschen“ zu verstehen sei, leistete er sich in der Gewißheit eines Christenmenschen, für den nur Glaubensnöte als Nöte zählen. Mit seinen amtlichen Glaubensbrüdern durchaus einig in der Einschätzung, daß die Welt am Glauben kranke, konnte sich ihr Streit darauf beschränken, was als wirkliche Glaubensnot anzusehen und wie ihr abzuhelfen sei. Von amtlicher Seite mußte man darauf beharren, daß das Problem, das der Gläubige sich damit einhandelt, wenn er einen Gott in die Welt kommen lassen will, bereits auf die schlüssigste Weise erledigt sei: Daß

„die Jungfrau Maria »den Sohn Gottes auf Erden« geboren hat, »und zwar ohne einen Mann zu erkennen, vom Heiligen Geist überschattet«“,

ist dann keine Schwierigkeit für den Verstand mehr, wenn man an die biologische Wirksamkeit des Geistes glaubt:

„Ebenso ist auch seine (=Jesu Christi) jungfräuliche Empfängnis von der Kirche allezeit im biologischen Sinn verstanden und verkündet worden, was keineswegs nebensächlich ist. Das Verhältnis des Sohnes Gottes zu seinem göttlichen Vater ist ausschließlich. Jesus kann sich nicht zwei Vätern verdanken.“ (Gevatter Höffner)

Auf dieses logisch schlüssig aus dem ersten gefolgerte Mysterium meinte Küng die moderne Menschheit nicht mehr verpflichten zu dürfen, weshalb sie nicht „an das biologische Faktum einer jungfräulichen Empfängnis oder Geburt glauben“, sondern sich das Mysterium der Gottessohnschaft irgendwie anders, jedenfalls ohne das daraus abgeleitete Mysterium jungfräulicher Empfängnis verstehen soll, – Pfui Teufel.


... unter Brüdern

Doch fällt an diesem Streit nicht nur unangenehm auf, daß ausgerechnet an seinem glückliehen Ausgang die Welt genesen soll. Die selbstgerechte Penetranz (!), mit der er von beiden Seiten geführt wird, ergibt sich zwanglos aus dem Umstand, daß sich hier Christen die Meinung sagen. Die sind nämlich immer schon „in der Wahrheit“.

Um dem eigenen Argument Nachdruck zu verleihen, genügt daher der Vorwurf an den anderen, den Vereinsstandpunkt verlassen zu haben – Küng hängt einem „verkürzten Glauben“ an, der Papst aber „ist nicht in allen Punkten orthodox“ – sowie die halbseidene Bekräftigung, ihn selbst gepachtet zu haben: $abei verweist der Papst auf den Heiligen Geist, d.h. auf seine Autorität, und Küng auf Jesus: „Jesus war voll und ganz Mensch, nicht von Zweifeln frei“, und damit auf seine der Autorität überlegene Grüblernatur. Brüder also, die einander davor bewahren wollen, vom Pfad des Glaubens abzuweichen, lieben sich so herzlich, daß sie sich auf den Verlust der Wahrheit durch persönliche Nettigkeiten aufmerksam machen: „Kardinal Höffner nennt Küng unredlich“ und Küng vergleicht den Papst mit Jesus, weil den Vergleich bisher noch niemand ausgehalten hat. Und weil man in aufrichtigem Dialog miteinander verkehrt, sollte damit beileibe nichts gegen den anderen gesagt sein: „Die römische Erklärung‘ ist nicht so sehr gegen jemanden gerichtet, als für die Gläubigen erlassen.“ (Höffner). Denkt schon der brave Mann an sich selbst zuletzt, so beherrschen die für seine Lenkung Verantwortlichen die Heuchelei der Selbstverleugnung perfektestens: bei dem Entzug der missio canonica handelte es sich keineswegs um eine kirchenpolitische Maßnahme im Interesse der Katholischen Kirche, sondern um einen sehnlichen Wunsch der Menschheit, dem die Kirche – immer im Dienst am Menschen – nachkam, so ihre eigenen Vorhaben mit Küng dem Volkswillen aufopfernd: Hat nicht die Menschheit „ein Recht auf zuverlässige Verkündung“ (Höffner)? Aber auch bei Küng muß sich das Volk beschwert haben, weshalb er „dem Leiden von Millionen unter der Ungewißheit“ durch seine „Büchlein“, „bescheidene Anfragen“ enthaltend, abzuhelfen versuchte. Doch wenn auch Küng nichts tat, „als für die berechtigten Anfragen ungezählter Katholiken zu sprechen“, als er den Papst seinen den Menschenrechten widersprechenden Führungsstil auszureden versuchte, so begegnete er doch innerhalb der Katholischen Kirche nicht nur einem, der den Schlag mit der Menschenrechtswaffe zu parieren verstand:

„Das kirchliche Lehramt habe ,den Glauben der Einfachen gegen die Macht der Intellektuellen zu verteidigen*, müsse diejenigen schützen, ,die nicht Bücher schreiben, nicht im Fernsehen sprechen und keine Leitartikel in den Zeitungen verfassen können: Das ist sein demokratischer Auftrag.“ (Ratzinger zu Neujahr)


Ecce homo!

Küng hat sich, bevor es zu dem hintertückischen Anschlag auf die Menschenrechte eines deutschen Theologieprofessors – „eine vorweihnachtliche Nacht- und Nebelaktion“ – kam, während vieler Jahre in dem Lavieren geübt, das das Gefallen erforderte, welches er an der Position des kirchenkritischen Kirchenzugpferds nun einmal gefunden hatte; seine bedeutsamen Überlegungen immer im Gespräch zu halten, ohne es auf ihre Durchsetzung ankommen zu lassen – , jener Mittelweg zwischen Opportunismus und Häresie“ –, das hat natürlich nichts mit parasitärer Zufriedenheit zu tun (evangelisches Pfaffentum ist eben als solches alles andere als weltbewegend; es muß schon ein katholischer Pfaff ... und wenn er konvertiert, ist er ja keiner mehr), sondern alles mit Aufopferung für den rechten Glauben und seine gerechte Verwaltung. Einerseits ist Hans sicher irgendwie davon überzeugt, daß er ein blitzsauberer Charakter ist, andererseits glaubt er es manchmal wohl selbst kaum. Jedenfalls konzentriert das Pfäffchen, das sich so gern mit Galilei vergleicht, allen Verstand, über den es gebietet, neben fundamentaltheologischen Überlegungen

– „Katholizität ist ihrem Wesen nach
XXXKatholizität im Raum ...
X - X" X- X" Xin der Zeit...
X - X" X- X" -X"X- Tiefe ...
X - X" X- X" -X"X- Weite“

auf trotzige Spitzfindigkeiten, denen es weniger auf den Standpunkt als auf die Demonstration der eigenen sauberen katholischen Weste ankommt:

  1. Hans ist katholisch „secundum evangelium, also dem Evangelium gemäß“; die Kirche aber ist „römisch-katholisch, also römisch als katholisch „ – ällabätsch!
  2. die Inquisition schadet dem Papst mehr als Hans, aber nur Hans weiß das, und sagt’s trotzdem allen, dieser Hans!
  3. Hans weiß sogar, daß die Inquisition sich nicht mal an die eigenen Regeln hält, der Sauhaufen, der!
  4. Saubermann bleibt Hans deshalb auch und gerade, wenn er seinen Brüdern in Christo hinsemmelt: „Auch eine Katholisch-Theologische Fakultät ist eine staatliche, nicht eine kirchliche Einrichtung.“ Amen.

Freiheit der Wissenschaft oder Herrschaft des Dogmas?

Wo sich die Kirche intern um ihre Politik streitet, kann sie der ungeschmälerten Anteilnahme von seiten der Öffentlichkeit sicher sein, die die Kirche als Institution schätzt, die für die Verkündigung nützlichen Glaubens zuständig ist.

Gewiß gibt es vom demokratischen Standpunkt aus Vorbehalte gegen die Kirche, die sich jedoch alle ein wenig abwegig ausnehmen, weil sie nur die Überlegenheit der eigenen Weltanschauung unterstreichen, ohne auf die Funktionalität der Kirche verzichten zu wollen. So nimmt sich unser Außenminister Küngs Mahnung – „es müsse sich jetzt zeigen, ob der Vatikan sich in alles einmischen kann‘ „ – zu Herzen und verspricht mannhaft den deutschen Staat dem drohenden Machtzugriff der Kirche zu entreißen: „Die BRD ist ein liberaler Staat. Hier gilt die Freiheit der Wissenschaft und nicht die Herrschaft des Dogmas.“ Solch markige Worte mögen ihn zwar den Liberalen noch sympathischer machen – absurd sind sie zweifellos angesichts des Streits, in dem die Kirche sich nicht nur jeglichen Angriffs auf politische Verhältnisse enthält, sondern mit der Sorge um ihre Funktionalität die Erfordernisse der Politik reflektiert. Wo Genscher eine Gefahr erfindet, um Punkte zu machen, gefallen sich andere aufgeklärte Demokraten darin, den Streit als „völlig antiquiert“ zu titulieren, um mit dieser Verniedlichung der Religion die Modernität ihrer Weitsicht zu betonen, die in den sich relativierenden Wahrheiten – zumindest unter Demokraten – den Dogmenstreit hinter sich gelassen hat.

Im großen und ganzen aber beweist sich die bürgerliche Aufgeklärtheit, indem sie den Streit vom kirchenpolitischen Standpunkt aus beurteilt, und dabei die Punkte zwischen Küng, Papst und dem erzkonservativen Bischof Moser – „ein Mann mit Vernunft und Augenmaß“ (Heigert/Süddeutsche Zeitung) – ziemlich gerecht verteilt. So spricht für Küng sein ehrenwertes Anliegen, das „schwierige Christsein wieder“ dadurch zu „ermöglichen“, daß er sich um „verständlichere Formeln“ für Dogmen bemüht, deren „sprachliche Formulierungen“ einem Heigert zumindest nicht „von vollständiger Überzeugungskraft“ zu sein scheinen. Wenn also auch „die Argumente“, mit denen er kritische Menschen an die Kirche „band“, nicht zu verachten sind und die Kirche sich mit einem „Eklat“ – wo scheppert’s eigentlich? – schadet, spricht doch andererseits gegen Küng bereits die Tatsache, daß in geregelten Organisationen Ordnung herrschen muß:

„Jede Gruppe, jedes System muß das Recht haben, sich klar und eindeutig zu definieren.“

Und so gesehen hat „der umstrittene Theologe“ mit seinem „unklugen Taktieren“ zu wenig Sinn für die Machtverhältnisse gezeigt, weshalb auch an seinem „provokanten“ Auftreten die entscheidenden Charaktermängel wie Eitelkeit, Überheblichkeit, Selbstüberschätzung und Larmoyance mühelos zu erkennen sind.

 

aus: MSZ 33 – Januar 1980

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