Der Konjunkturbericht in der MSZ

Von Boom zu Boom oder: Zwischen den Krisen


„Ich habe in meiner Jugend immer gedacht, der Sozialismus sei die beste Gesellschaftsform. Jetzt weiß ich, daß es die GmbH & Co. KG ist." (Hans Matthofer, Bundesfinanzminister)


17. Oktober: Der Investitionsboom läuft ohne Beispiel

„... man müsse bis ins Boom-Jahr 1970 zurückgehen, um eine noch stärkere Expansion zu finden ... errechnet sich ein reales Wachstum der Anlageinvestitionen von 10 %. Der schon seit längerem in Gang befindliche, wenn auch nicht stetige Aufschwung der privaten Investitionstätigkeit habe damit im ersten Halbjahr einen zusätzlichen Schub erhalten.“

Frage: Liest man nicht dauernd, daß die Wiederbelebung der Wirtschaft auf äußerst schwächlichen Beinen daherkomme, man von einem eigentlichen Aufschwung noch gar nicht reden könne?

Antwort: Das kommt ganz darauf an, wie man es sieht. Für die öffentliche Darstellung hat folgende Auffassung zu überwiegen:

„Die Signale, welche die IG Metall setzt, müssen in der gegenwärtigen »leicht verletzlichen wirtschaftlichen Lage« für die weitere Konjunkturentwicklung mit großer Sorge erfüllen.“ (Bau-Industrieverbandsboß Paul Brochier am selben Tag)

während man es unter Insidern durchaus auch ganz anders sehen kann:

„Dies alles muß vor dem Hintergrund einer sehr hohen Unternehmensliquidität gesehen werden. Allein die Bestände an Bargeld, Sicht- und Terminguthaben bei Banken dürften im Schnitt des ersten Halbjahres auf 240 Mrd. DM zu veranschlagen sein. Das ist deutlich mehr als früher.“

Da fragt man sich, wo sie denn auf einmal das viele Geld herhaben. Noch im vorigen Jahr wurde als deutlichstes Zeichen der Krise die einschnürende Geldknappheit beklagt; trotz aller Geldgeschenke des Staats muß es ein Kunststück besonderer Art gewesen sein, aus dem Nichts 240 Mrd. hervorzuzaubern. Doch der Spuk löst sich auf bekannt einfache Weise: da die Unternehmer besondere Meister darin sind, dem Schmalhans den Riemen enger zu schnallen, haben sie das Geld aus den eigenen Unternehmen herausgeholt:

„Unter dem Einfluß der weiterhin günstigen Gewinnentwicklung habe sich auch ein erheblicher Spielraum für die Eigenfinanzierung ergeben ... um fast ein Fünftel mehr als in der gleichen Vorjahreszeit ...“

Diese plötzliche Produktion von zuvor schmerzlich vermißtem Geld kann nur zustande kommen durch die wieder erfolgreiche Produktion von Gewinnen, die wiederum nur möglich wurden nach einem langwierigen Prozeß der Einsparung an den Kosten:

a) billiges Aufkaufen der Pleiten

b) intensives Einsparen am Kostenfaktor Arbeit, der zugleich zu höherer Leistung gezwungen wurde.

Jedoch braucht die Gewinnerzielung als weitere Bedingung, daß die nun wieder profitablen Produkte gekauft werden – die Arbeiter mit ihrem verminderten Reallohn können es kaum sein, die den „Nachfrageboom“ ankurbeln. Bleiben nur die Kapitalisten, die voneinander kaufen. Dafür haben sie auch gleich begonnen – daß die von ihnen gemachte Nachfrage sich erweitere und zusätzliche Investitionen erfolgversprechend mache –, kräftig Kredite auf Vorrat aufzunehmen:

„Die Unternehmen beschafften sich trotz ihrer günstigen Eigenfinanzierung über Kredite und Aktienemissionen 22 Mrd. DM, was einer Verdreifachung des Vorjahresbetrags entsprach.“

Wie man sieht, ist dem Unternehmer die vorhandene Liquidität nur Ausgangsbasis für die Erweiterung des Geschäfts, keinesfalls läßt er sich von ihr begrenzen. Er macht Schulden, die sich in seinen Händen noch jedesmal in Kapital verwandeln; davon kann er nie genug bekommen und dafür macht er auch leicht den Übergang zum schwindelhaften Kreditgeschäft: genau so, wie sich mit einem Kredit einkaufen läßt, läßt sich auch – in einem Stadium, wo alle verwegen expandieren – mit einem in Aussicht gestellten Kredit (und existiere er auch nur in der berechnenden Phantasie des Käufers) einkaufen bzw. das Vertrauen des gar zu gern leichtgläubigen Verkäufers erschleichen.

Um das dumme kleine Problem, daß hier ja immer noch „nur“ Kapitalisten voneinander kaufen, also Investitionsgüter bestellt und produziert werden, brauchen sie sich nicht zu kümmern – solange das Geschäft läuft, ist die Frage, wie denn diese Investitionen schließlich in Sachen sich niederschlagen, die verbraucht werden, und wer denn nun diese Güter kaufen soll, nur naiv.

Übertreiben wir nicht: auch diese Nachfrage ist vorhanden und entwickelt sich sogar. Freilich hat sie ihren Preis:

„Überziehungszinsen überschreiten magische Grenze von 10 %“

Der gewöhnliche Girokonten-Besitzer sieht sich also bemüßigt, im Boom auch ein bißchen einzukaufen, wofür er sich sofort verschulden muß – wie sonst könnten Banken gleich 10 % verlangen – und was er sich eben deswegen gar nicht erlauben kann. Eine gewaltige Nachfrage wird sich auf Basis dieser Schulden, die nun mal nicht Kapital werden wollen, nie einrichten.


20. Oktober: Ungeliebte Aktien

„Auf der Schattenseite liegen heuer die in Aktien anlegenden Investmentfonds. Per saldo haben sie bisher Rückflüsse hinnehmen müssen. Der Grund dafür liegt einmal sicherlich an der Ungunst der Börse, denn die Anleger handeln betrüblicherweise immer noch ziemlich prozyklisch. Bei nachgebenden Kursen verkaufen sie – und umgekehrt.“

1. Unsinn: Der Grund für den Rückgang der Aktien liege darin, daß an der Börse Aktien verkauft, also Kurse gesenkt werden.

2. Unsinn: Die Anleger sollten antizyklisch kaufen/verkaufen – also nicht ihr Vorsichtskalkül, sondern staatliche Konjunkturüberlegungen im Kopf haben.
Die Unsinnigkeit solcher Wunschvorstellungen sowie den tatsächlichen Grund für den Aktienrückgang führt die Meldung selbst an:

„Dies ist sicherlich bemerkenswert in einer Zeit, in der es die Warentermin-Vermittler trefflich verstehen, den Anlegern mit vagen Versprechungen exorbitanter Gewinne das Geld millionenweise aus der Tasche zu ziehen ...
Eine Risiko-Aversion kann natürlich – anders formuliert (!) – auch der Glaube sein, daß es jener Anlage an den nötigen Chancen mangelt, wenn man mit anderen Möglichkeiten, Rendite zu produzieren, vergleicht.“

Die Aktie – in der letzten Krise das beliebteste Papier, da die allgemeine Erwartung, gewonnen aus dem dazumal erreichten Stand der deutschen Aktiengesellschaften und ihrer damit verknüpften internationalen Konkurrenzfähigkeit, dahin ging, daß sie die Turbulenzen nicht nur überstehen, sondern danach auch die ersten mit prächtigen Gewinnen sein werden – leidet unter schwindendem Ansehen, da jedermann nun mit größeren Gewinnerwartungen operiert, jedermann aufgrund der günstigen Wirtschaftslage zu größerem Risiko bereit ist.

Nicht also die Aktiengesellschaften haben sich verschlechtert, sondern im Gegenteil: die auf sie gebauten Hoffnungen sind voll aufgegangen und den Besitzern des Geldkapitals ist die Möglichkeit verschafft, nun vermehrt in riskantere Geschäftchen einzusteigen, ohne dabei noch ein Risiko tragen zu müssen. Auf Basis des gewonnenen Polsters ist so ein „risk- mixer“ nämlich gar zu gerne bereit, seine zögerliche Menschennatur zu ändern, sprich: sein risk neu zu mixen. Herauskommen tut in jedem Fall Profit; wenn die Wirtschaft profitiert, wird sein Fonds ja wohl mitprofitieren.


23. Oktober: Weltweit Abschwächung, aber keine Rezession

Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute: Verteilungskämpfe entscheiden Wachstumstempo

In den Verteilungskämpfen, so die Botschaft eines jeden Gutachtens/Prognose, liegt das wahre volkswirtschaftliche Risiko. Ist dieses mal ausgeschaltet, dann kann's so oder so werden – dieses Risiko muß man schon auf sich nehmen.


23. Oktober: Investitionen schaffen jetzt Überkapazitäten

Hier gibt uns die Bayerische Landesbank einen kleinen Einblick in die Geheimnisse des Zusammenhangs von Mehrwertproduktion und tendenziellem Fall der Profitrate:

„Der Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen erfordert in einer technisch hochentwickelten Wirtschaft (= das hat sie schon immer getrieben) auch die Mobilisierung relativ kleiner Rationalisierungsreserven. Das aber ist in der Regel teuer.“

„Teuer“ ist jedoch ein relativer Ausdruck, es kommt nämlich darauf an, was man dafür bekommt:

„So mußten in der Zeitspanne 1970/79 die Produktionskapazitäten um etwa 40 % aufgestockt werden, um einen Anstieg der realen Bruttowertschöpfung ... um wenigsten 20 % zu erreichen.“

Mußten sie? Anscheinend ja. Denn zwar hat man menschliche Arbeit hinausgesäubert, dafür „teure“ Kosten auf sich genommen – aber nur, um aus der verbliebenen Arbeitsmasse um so mehr herauszuholen:

„Pro Produktionseinheit sind also heute weit mehr Maschinen und damit auch mehr Kapital erforderlich als noch vor zehn Jahren. Dies erklärt (erklären tut's natürlich nix, aber darauf kam es ja auch nicht an) auch den kräftigen Anstieg der Arbeitsproduktivität, der Produktion je Beschäftigungsstunde.“

Die Gefahren solch vermehrter Ausbeutung werden ebenfalls erwähnt:

„Diese Zahlen zeigen, daß die Produktionskapazitäten stärker gewachsen sind als die Nachfrage. Das aber könnte schon bald Probleme aufwerfen.“

Rätsel: Nach bisheriger Erklärung müßte die Zahl der Arbeitslosen gerade jetzt dauernd steigen. Tut sie aber nicht – obwohl Arbeiter laufend „ersetzt“ werden.


24. Oktober: US-primerate steigt auf 15%

Die primerate ist der allgemeine Kreditzins. Seine phantastische Höhe zeigt an, daß die Geschäfte in den USA phantastisch laufen, trotz (wegen!?) Dollarschwäche und Aktienstürzen: die Zinsen sind deswegen so hoch, weil so viel investiert wird, weil man mit den anderen mithalten muß. Was nur geht, wenn man sich immer mehr verschuldet, was darum leicht geht, weil überall so viel nachgefragt wird – wobei man sich um den Absatz der Produkte nicht zu kümmern braucht, weil man ja überall Kredit kriegt. Diese Hochkonjunktur, die wie alle anderen auch so schöne Attribute wie „überschäumend“, „überhitzt“ oder ,,galoppierend“ (statt im Trab) mit sich führt, trägt schon alle Merkmale der Krise in sich, weswegen die hiesige Berichterstattung sich auch nie darüber schlüssig wird, ob da drüben nun Boom oder Rezession herrscht. Wenn also die US-Banken den Zins so hoch setzen, so ist dies zweifellos Anzeichen einer äußerst lebhaften Kreditnachfrage, die ihnen dieses Geschäft ermöglicht, ebenso zweifellos ist damit auch schon etlichen Kapitalisten das Genick gebrochen – entweder, weil sie diese Kredite nicht mehr bekommen oder sie wissen es bloß noch nicht.

Soweit alles ganz normal. Daneben gibt's aber auch eine amerikanische Eigenheit – die nur wir, nicht aber die Kommentatoren wissen, was ihre Unentschlossenheit entschuldigen mag –, nämlich, daß der Staat und Kapital in den USA aufgrund ihrer Weltvormachtstellung reichlich Möglichkeiten haben, sich an den Wirtschaften anderer Länder zu sanieren. Der Vorstellungen, wie auswärtiger Reichtum in die Bresche des ausbleibenden Profits der US-Konzerne springen kann, gibt es viele, was die Phantasie des Lesers herausfordern möge. Eine Stütze:

3. und 6. November!
(– US-Regierung gewährt Chrysler Kreditbürgschaft – Carter-Bonds finden gute Aufnahme
)


25. Oktober: Ein Jubiläum: Schwarzer Freitag löst die Weltwirtschaftskrise aus.

Angestachelt durch einen ziemlich dramatischen Aktienkursverfall während der letzten drei Tage erfreut sich das 50er Jubiläum des „Schwarzen Freitags“ regen propagandistischen Zuspruchs. Nicht gefragt ist die Erklärung dieses Börsenkrachs, sondern das Herausfinden von Schuldigen – woran sich stets die tröstliche Versicherung anschließt, daß sich so etwas so heute nicht wiederholen könne.

Bösewicht Nr. 1 ist die Habgier – im Menschen:

„Sturz in das Elend aus Gier nach Geld“:

Dieser Bösewicht wütet dann erst recht, wenn er in einem mittellosen Menschen anzutreffen ist, der sich auf Gelddinge eigentlich nicht versteht, sondern nur auf Verbrauch:

„Der Babbitt (= der amerikanische Spießbürger) war ein ideales Medium für die Verbreitung eines zivilisatorischen Massenwohlstandes mit Auto, Telephon, Kühlschrank, Coca-Cola und Konservenmahlzeiten“ (man beachte die auserlesene Qualität der Wohlstandsgüter). „Er lief willig allen Verlockungen der Finanzjongleure nach, sobald der Nachbar es auch tat. Er verschuldete sich unmäßig in der gesicherten Hoffnung auf unausbleibliche Kursgewinne. Doch falls irgend etwas einmal schiefgehen sollte, mußte er zwangsläufig genauso hysterisch reagieren wie in seiner verrückten Jagd nach Wertpapiervermögen und Wohlstandssymbolen und gesellschaftlichen Ritualen. Der Babbitt war im kritischen Stadium der Konsumgesellschaft Amerikas Krisenrisiko Nummer eins, aber niemand wußte es.“

Abgesehen von dem schon säuischen Angriff des SPIEGEL-Redakteurs auf die Vorstellung vom kleinen Glück, ist es auffällig, daß über zwangshysterische Verrücktheit hinaus der Babbitt objektiven Anlaß für seine Wunschvorstellungen hatte. Milde angedeutet in den ,,Finanzjongleuren“, später – wenn ihre Unfähigkeit, den eigenen Stall rechtzeitig auszumisten, ausführlich dargestellt ist – offen benannt: die Banker ließen die Babitts herein mit dem kurzsichtigen Gedanken, aus deren Spekulationswut Gewinn zu ziehen:

„Immer wieder heizten Börsenprofis und Investmenthais den Börsenboom an ... Im Augenblick eines Rückschlags an der Börse mußte das System und folglich der Reichtum des kleinen Mannes nach Art der Seifenblase zerplatzen ... Die Bankiers auf der Wallstreet, teils selber von Spekulations-Run ergriffen, ließen es geschehen, obwohl ihnen klar sein mußte, wie entsetzlich eine Babbitt-Hausse, eine von Nicht-Profis getragene Börsenspekulation enden würde.“

Auch die Industrie bekommt ihr Fett weg, weil sie die Käufer nicht genügend hinter’s Licht führte:

„Aber je mehr Leute ihre Chevrolets, Packards ... fuhren, je mehr Leute Staubsauger und Radios besaßen, desto näher mußte (!) der Zeitpunkt rücken, an dem der Boom brach. Denn das Potential an neuen technischen Einfällen für den Konsumenten (!) war erschöpft, der jährliche Modellwechsel der Automobile noch nicht erfunden.“

Die SPIEGEL-Aufzählung der Schuldigen läuft darauf hinaus, daß zwar jedermann irgendwie zu dieser verhängnisvollen Entwicklung beitrug, daß letztendlich aber eine Entartung der Börse allem zugrunde lag. Das Schicksal mußte zuschlagen, weil menschliche Dummheit auf dem rationellsten Markt der Welt sich breitmachen konnte. Wären die Börsenfachleute unter sich geblieben, dann hätte es nur eine ganz normale Krise gegeben – daß es sie geben mußte, ist immer en passant in den Hinweisen versteckt, die Produktion sei daneben eigentlich auch schon am Ende gewesen – mit ganz normaler Kapitalentwertung und Massenarbeitslosigkeit.

Umgekehrt hatte diese entartete Krise auch viel Gutes: daß ein gewöhnlicher Spießbürger sich heute einbilden könnte, mit seinen paar Kröten an der Börse zu spekulieren, gar so zu tun, als  könne er aus seinen Schulden Geldkapital machen, ist ausgeschlossen. Eine (mittlerweile) ordentlich regulierte Börse, wo Geldkapitalisten gemäß ihren rationalen Risikoverteilungen herumspekulieren, ist die sauberste und vernünftigste Sache der Welt – damit jene das tun können, trägt der kleine Mann sein Geld auf die Bank, wo es bekanntlich sicher liegt und für ihn arbeitet. Der ganze komplizierte Zusammenhang noch einmal in der Darstellung einer Boulevard-Zeitung:

„Das Spekulationsfieber hatte die Menschen »high« gemacht. Im gierigen Verlangen, rasch das große Geld zu machen, trugen sie ihre Ersparnisse auf die Börse. Wer nicht genug hatte, kaufte Aktien auf Pump. Die Wirtschaft stagnierte. Die Unternehmer drosselten die Produktion. Wie ein Flächenbrand breitete sich Mißtrauen aus ...
Kann sich das Elend von 1929 wiederholen? Keine Regierung sieht heute tatenlos zu....
Fazit: Eine Wiederholung der 1929er Krise ist auszuschließen. Aber eine ebenso schwere Krise kann aus einer völlig anderen Ursachenkette entstehen. Ein Patentrezept haben wir dagegen heute auch nicht.“

Die MSZ hätte schon eins, aber wahrscheinlich wäre es zu patentig. Wir verraten es solange nicht, wie der Leser nicht folgende Fragen restlos aufgeklärt hat:

Warum brach plötzlich ein Spekulationsfieber aus?

– konnte jedermann soviel Kredit erlangen?

„Für den Kauf einer Aktie im Wert von 100 Dollar waren oft nur bare 5 Dollar notwendig. Die »restlichen« 95 kamen als Kredit vom Wertpapierhändler, der sich selbst wiederum bei den Banken Kredit holte.“

– drosselten die Unternehmer plötzlich die Produktion, wo doch die Nachfrage hektisch und die Kurse hoch waren?

– sollten überhaupt die Kursbewegungen Einfluß auf sie nehmen, wo doch das durch die Aktienausgabe erlangte Kapital sicher und unwiderruflich bei ihnen angelegt und durch das Börsengeschrei nicht im geringsten in seinem Wert veränderbar war?

Aufklärung verschafft genaues Studium des Konjunkturberichts. Zwei historische Besonderheiten zur Erleichterung samt einer Moral der Geschichte seien noch nachgeschoben:

1. Der erste Weltkrieg hatte den Amerikanern zu günstigen Bedingungen verholfen, ihren gigantischen Inlandsmarkt (einschließlich Südamerika, welches ihnen die Monroe-Doktrin und weil dort eben auch Amerikaner

– oh glückliche Wortschöpfung! – wohnen, zugesprochen hatte) auszunutzen, ohne sich militärisch und ökonomisch auf dem daneben bestehenden Weltmarkt engagieren zu müssen.

2. Aufgrund dieser günstigen Ausgangslage und der auf ihr basierenden großen Erweiterung der Produktion stellte sich eine sehr umfangreiche private Nachfrage ein; die Amerikaner vertrauten auf einen stetigen Fortschritt der Prosperität, an dem sie teilzunehmen gedachten und – als maßlose Babbitts eben – wofür sie sich sorglos verschuldeten,

So verhalfen sie kapitalistischer Überproduktion zu stolzen Erfolgen und sich selbst zu umso größerem Elend. Woraus der Schluß zu ziehen wäre, daß es einem Babbitt umso besser geht, je weniger er frißt und eventuell übriggebliebenes Geld für einen ordentlichen Sparzins auf die Bank trägt.


27. Oktober: Geprellte Sparer (I)

„Trotz stark gestiegener Kapitalmarkt-Renditen sind die Sparzinsen von den Banken einfach »vergessen« worden, an der Spitze der Satz für die gesetzliche Kündigungsfrist mit lächerlichen 3,5 %. Zum Vergleich: Unter Banken rentieren sich einjährige Papiere mit 8,5 - 9 % ...“

Es ist doch zu seltsam, daß die Banken den gewöhnlichen Sparzins einfach(!) „vergessen (!)“ haben. Sollte es daran liegen, daß kein gewöhnlicher Mensch sein Geld auf einem Sparkonto anlegt? Es kann sich nur um die außergewöhnlichen Menschen handeln, die ihr Erspartes gegen eine geringe Benutzungsgebühr den Banken überlassen, um eine Reserve für die Notzeiten zu haben, und dafür auch den jährlichen Inflationsverlust hinnehmen bzw. es sich gerade nicht leisten können, mit ihrem Geld irgendwelche riskanten Vermehr–Abenteuer einzugehen. Es wäre nämlich immer gleich ihr ganzes Geld, das sie spekulativ anlegen (darunter ist es sinnlos), und nicht ein Teil, den man mal auf's Spiel setzen kann (wie das ein „risk-mixer“ macht). Sei die Konjunktur auch noch so günstig – sie müssen davon ausgehen, daß sie ihnen nur Gefahren auf den Hals lädt. Diese antizipierend, zahlen sie jetzt schon einen kleinen Obolus für den Aufschwung der Wirtschaft, animistischen Naturvölkern gleich, die den Göttern einen Teil ihrer Nahrung opfern, wohl wissend, daß der nächste Winter bestimmt kommt.


29. Oktober: Spielzeug der Politiker

„Falsches »Timing«, wie die Experten die zeitliche Dosierung wirtschaftspolitischer Eingriffe nennen, ist wahrscheinlich die wesentlichste Ursache für das beständige Auf und Ab der Konjunktur, viel wichtiger jedenfalls“ (!, egal, was man sich sonst so ausdenken kann) „als irgendwelche »immanenten Instabilitäten des Kapitalismus«.“

Weshalb kommen denn die Politiker auf die Idee von der Notwendigkeit wirtschaftspolitischer Eingriffe, die zudem – so der Experte – noch sehr genau »getimet« sein müssen? Was sie aber nie ganz richtig hinkriegen, sonst gäb's ja keine Experten! Auf diese glänzende Bestätigung der Marx'schen Ableitung von der Notwendigkeit der Krise fällt einem Widerpart der bürgerlichen Ökonomie, dem marxistischen Krisentheoretiker Elmar Altvater z.B., auch nichts Besseres ein als der dumme Spruch, daß sich die kapitalistische Wirtschaft immer und erst recht jetzt in der Krise befinde, vor deren vollständiger Durchsetzung sie nur, gerade noch so eben, der bürgerliche Staat bewahre.

Entschließen wir uns doch mal zu folgender radikaler Hypothese, die im folgenden zu testen wäre: Der Staat setzt den Konjunkturzyklus durch, indem er laufend antizyklisch in ihn eingreift.


31. Oktober: Erster Test. Die Bundesbank bleibt ihrer Linie treu

und setzt die Diskont- und Lombardzinsen hoch.

Die damit verfolgte Vorstellung ist: Kreditgeschäft verteuern, Boom bremsen. (Da wissen wir aber jetzt schon, daß man sich um 2 Tage vertimt hat.) Die erste Vermutung wäre: die Banken sind sauer. Weit gefehlt – sie begrüßen und warten schon lange darauf! Sie wissen nämlich, daß eine Kreditverteuerung im gegenwärtigen Stand der Konjunktur keineswegs die Kreditnachfrage verringert. Sie haben doppelten Vorteil: 1. können sie nun alle gemeinsam die Zinsen anheben, 2. nimmt so mancher schnell jetzt einen Kredit auf, weil er sich weitere Verteuerung erwartet. Die Zinsen der Geschäftsbanken lagen schon zuvor über den neu dekretierten Zinsen der Bundesbank: das Aufschliessen letzterer ist die offizielle Versicherung des Staates, daß er mit dem Verhalten der finanzwirtschaftlichen Abteilung seiner nationalen Ökonomie zufrieden ist.

Was also bewirkt der Staat? In seiner Sorge um die Inflation, die ihm eine „ungesunde Überhitzung“ des Wirtschaftswachstums anzeigt, verteuert er die Investitionen – die deswegen keinesfalls zurückgehen, da hinter ihnen der Zwang der Konkurrenz steckt. Er verschärft damit für viele Unternehmer den Zwang, sich um des erwarteten Gewinnes wegen auf waghalsige Abenteuer einzulassen bzw. ohne Vorsicht operieren zu müssen, weil es mit dem Operieren sonst gleich ein Ende hat. Garantiert ist damit, daß es jetzt ans Feststellen von Unterschieden am Kapital geht, daß die Krise nicht zu spät eintrifft und daß sie diejenigen trifft, die es verdienen. Die nämlich, die vorher ohne die Kapitalbasis großer Unternehmer in den Aufschwung hineingingen, werden nun befragt, ob ihre Anstrengungen ausgereicht haben, um sie verdientermaßen mit in den nächsten Aufschwung hineinzunehmen. Bei negativer Antwort steht ihnen nun der große Kehraus ins Haus „Für ein sauberes Kapital“.


6. November: Konjunkturbericht: Zahl der Arbeitslosen leicht angestiegen –

zudem die Zahl der Kurzarbeiter; die offenen Stellen sind weniger geworden; außerdem sei das Wetter außergewöhnlich gut gewesen, sonst wären die Arbeitslosenzahlen noch höher. Dies seien Anzeichen der konjunkturellen Belebung, sagt Bundesarbeitsamtpräsident Stingl – und er hat recht damit. Nachdem sich auch in der BRD ein stehendes Arbeitslosenheer zur Selbstverständlichkeit neben und für die florierende Wirtschaft gemausert hat, dreht sich alles nur noch um die Frage, wie dieses Heer richtig als Mittel für weitere Ersetzung von Arbeitskraft zu benutzen ist, wie also dieses Reservoir zu speisen und auszuschöpfen ist.

Die beständig nebeneinander her verlaufende Expulsion und Attraktion der Arbeitskraft bestätigt den ideologischen Leierkasten: gibt es nun zuviel oder zuwenig Arbeitslose? Das Kapital, währenddessen, überlegt sich, ob nicht so manche Investition sinnvoll wird, weil es die Arbeitslosen gibt, und sorgt so dafür – unter lautem Wehklagen über Mangel an qualifizierten Arbeitskräften –, daß es sie auch weiterhin gibt. (Vgl. Rätsel vom 23. Oktober)


6. November: Das aktuelle Stichwort: Carters Bonds

„Carter-Bonds, das sind auf DM laufende Inhaberschuldverschreibungen des Schatzamtes der USA. Dank ihrer relativ kurzen Laufzeit von 2 1/2 Jahren haben sie den Charakter von Kassenobligationen ... Die Emission dieser Papiere hat folgenden Grund: Wann immer der Dollar am Devisenmarkt unter Druck gerät, stützen ihn die Notenbanken, allen voran die amerikanische, aber auch die Deutsche Bundesbank. Bei dieser Gelegenheit wird die zum Ankauf von Dollars nötige Menge an DM sozusagen aus dem Nichts geschaffen. Das bläht die Geldmenge in der BRD auf und bringt Inflation mit sich. Deswegen wurden die Amerikaner veranlaßt, sich nicht mehr dieser Geldschöpfung zu bedienen, sondern auf den Finanzmärkten vorhandenes Geld zu leihen. Ein solcher Vorgang ist inflationsneutral ...“

Früher, da wurde der Dollar gestützt, indem die Deutsche Bundesbank Geld druckte. Da sie nur eine DM-Presse im Keller hat, druckte sie eben DM. Aus einem geheimen Grund gelang es der amerikanischen Notenbank, die keine DM-Presse im Keller hat, sondern nur eine Dollar-Presse –, die Deutsche Bundesbank dazu zu veranlassen. Dennoch fiel und fiel der Dollar, die amerikanische Zahlungsbilanz wurde immer negativer, die Inflation nahm – bei soviel Stützungskäufen – überall zu.

Jetzt sollen sich die Amerikaner „nicht mehr dieser Geldschöpfung bedienen“, sondern sich schon vorhandene DM holen, und zwar von den deutschen Banken. Damit diese zugreifen, verspricht ihnen die Deutsche Bundesbank die Lombardfähigkeit der Carter-Bonds, zum ersten Mal bei einem ausländischen Wertpapier, was „nicht geringes Erstaunen an den Finanzmärkten auslöste“: die Banken können die Carter-Bonds bei den Banken einreichen und beleihen – also Geld damit schöpfen (wie auch die Privatleute, die solche Wertpapiere als Geldersatz verwenden können). Immerhin haben es nun nicht die Amis getan.

Die wurden ja unsererseits „veranlaßt“, das bleiben zu lassen, also dazu, nicht länger so auf dem deutschen Geldmarkt bzw. in der staatlichen Geldsouveränität herumzufuhrwerken. Geändert hat sich demnach das Verfahren, die Deutschen haben aufgemuckt – unverändert bleibt die Vormachtstellung der USA: sie beschaffen sich harte Währung auf Kosten des anderen Staats, womit das „Aktuelle Stichwort“ mit Hilfe einer kleinen Lüge fertig wird – auf die man deswegen kommt, weil man mit der „ Veranlassung“ etwas erreicht zu haben meinen will. Die Lüge besteht in der Hoffnung, daß die Amis die DM zum Aufkauf von Dollar verwenden werden. Nachdem diese jahrzehntelang den Weltgeldmarkt mit dem Weltzahlungsmittel Dollar überschwemmt haben, werden sie nun die Dollars aufkaufen und im Noten-Ofen – der direkt neben der Noten-Presse steht – verbrennen.. Da wird ihnen schon was anderes zum Einkaufen einfallen.

Was man daraus über das Weltgeld lernt: ohne den Dollar, und sei er auch noch so krank, geht es nicht. Alle anderen haben ihre Malaisen damit und müssen doch dafür sorgen, daß er einigermaßen oben bleibt. So werden sie bei den Amerikanern vorstellig und bitten diese, ein bißchen was für ihre eigene Währung zu tun. Den US-Boys ist das ziemlich egal – aber bitteschön: Carter-Bonds, iss recht?

Da sie – wie gesagt – den Dollar mit den DM nicht einkaufen (stützen) werden, ist also ihre Nachgiebigkeit gegenüber der europäischen Bitte nichts anderes als ein bequemer Weg, an eine harte Währung zu kommen, die sie nun neben dem Dollar – um den sie sich nicht zu kümmern brauchen, den sie einfach haben – in die Welt setzen. Sie erweitern die Überschwemmung der Welt mit ihrem Zahlungsmittel, auf das nie verzichtet werden kann, um den Gebrauch fremder, witzigerweise stabiler Währungen. Witzig darum, weil die Stabilität dieser Währungen gerade dem Dollarverfall sich verdankt und zugleich dafür herhalten muß, diesen Fall samt negativen Folgen auf(recht) zu (erhalten.

Welchen Vorteil sollen nun die europäischen Zentralbanken von den Carter-Bonds haben? Nun, immerhin hat man jetzt einen Ersatz-Dollar, der Zinsen abwirft, d.h. mit dem die Geschäftsbanken wenigstens ein Geschäft machen können. In diesen Dollar kann man also Vertrauen haben – obwohl dieselbe Ökonomie und derselbe Staat wie beim weichen Dollar dahinterstehen. (Die spannende Frage, wie die Amis die Zinsen wie auch die Kapitalsumme in DM – wie versprochen – auszuzahlen schaffen, braucht, man sich jetzt noch nicht zu stellen. Es handelt sich doch erst um die zweite Anleihe ...)

Ein anderer Staat kann es sich nicht erlauben, so mit seinem eigenen Geld und mit dem der anderen umzugehen. Drum werden die künftigen ,,Veranlassungen“ sehr interessant sein.


7. November: Geprellte Sparer (II)

(Ein Nachtrag oder: Die Zeitung macht sich für die Sparer stark)

„Lange, sehr lange haben die Banken und Sparkassen ihre Kunden hingehalten ...
Das ist volkswirtschaftlich außerordentlich negativ zu bewerten ... Leute, die sich mit anderen Anlageformen nicht recht auskennen, schnell über das Ersparte verfügen wollen oder ganz einfach am Gewohnten festhalten ...
Schließlich liegt in einer beständigen Spartätigkeit auch ein wesentliches Element für den Geldzufluß bei den Banken und Sparkassen (seht ihr!) ... Spareinlagen sogar leicht rückläufig. Das ist ein ernstes Zeichen auf einem empfindlichen (!) Markt.“


10. November: Die Trendwende ist da

Sie ist deswegen da, weil

1. die Kapitalisten nach ihren Gewinnerwägungen handeln, z.B. ihre Lager auffüllen, wenn die Waren noch billig sind, sich also nicht nach antizyklischen Vorschlägen richten, im Gegenteil den Zyklus produzieren (woraus ihnen jedoch kein Vorwurf gemacht wird):

„Ein wesentliches Auftriebsmoment für die Konjunktur im laufenden Jahr war die Aufstockung der Vorräte um schätzungsweise 15 Mrd. DM, ein dicker Brocken, der zur allgemeinen Nachfragesteigerung beigetragen hat. Hier wird im nächsten Jahr ein Umschwung eintreten; in Erwartung steigender Preise und teils auch einer expansiven Produktion sind Käufe vorweggenommen worden, die im nächsten Jahr als Nachfragelücke in Erscheinung treten werden: das sogenannte Phänomen (!) der »lagerzyklischen Schwankungen«.“

2. die Preise steigen, weil sie steigen:

„Die Einkaufspreise des Einzelhandels sind so gestiegen, daß man noch mit einer weiteren Preiserhöhungstendenz in diesem Bereich wird rechnen müssen.“

3. die Konsumenten sich weigern, stabilitätspolitisch erforderliche weitere Verschuldungen auf sich zu nehmen:

„Als negatives Moment ist im kommenden Jahr vor allem auch die voraussehbare Konsumschwäche einzukalkulieren ... Größere Teile des verfügbaren Einkommens sind bereits heuer vorweggenommen ... (woraus sich natürlich wieder eine Nachfragelücke entwickelt).“

4. das Öl immer teurer wird.

 „In der ersten Hälfte des laufenden Jahres sind die die Preise der OPEC um rund 60 % gestiegen... Man muß sich fragen, ob die zuständigen Instanzen sich über die destruktiven Folgen dieses drastischen Eingriffes in das Gleichgewicht des Welthandels und des internationalen Zahlungsverkehrs ganz im klaren sind.”   „PREISTREIBEREI
Anfang dieser Woche erhöhte die staatliche britische Ölgesellschaft BNOC ihre Preise gleich um deftige 11 %. In Branchenkreisen, so hieß es unmittelbar nach dem Schritt, werde erwartet, daß die größeren privaten Ölkonzerne sich bald der Preiserhöhung anschliessen werden. Die BNOC hat somit wieder einmal Preisführerin gespielt – den wegen ihrer hohen Gewinne viel kritisierten Ölkonzernen die Kohlen aus dem Feuer geholt.
Sicherlich, der Preis für Öl ist international.
Durch die BNOC gießt England damit Wasser auf die Mühlen der Preistreiber der OPEC.
Das bisherige Zulangen des Konzerns läßt nicht darauf hoffen, daß diese Marktmacht zu einer Korrektur von Exzessen der OPEC-Länder eingesetzt wird.“

(Der erste Artikel stand auf der linken, der zweite auf der rechten Seite derselben Zeitungsseite.) Um ein für alle mal klarzustellen, warum so ein Journalist vor der bösen Zukunft warnt, ohne die blasseste Ahnung davon zu haben, warum sie so sein wird, zitieren wir einmal den immergleichen Zentralsatz:

„Die stärkste Schubkraft der Konjunktur wird auch im nächsten Jahr die Investitionstätigkeit sein. Diese Prognose gilt freilich nur unter der Annahme, daß Verteilungskämpfe und eine Preis-Lohn-Spirale vermieden werden können.“

Die eigene Widerlegung dieser immergleichen Zentrallüge folgt unmittelbar darauf:

„Wie lange sich die gegenwärtig noch rege Investitionstätigkeit gegen die negativen Einflüsse der schwächer werdenden Konjunktur und der verunsicherten Absatzchancen im In- und Ausland wird behaupten können ...“

D.h.: die Investitionstätigkeit richtet sich nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten. Sie ist eine, unabhängig von dem, was der Journalist unter Konjunktur sich vorstellt, ablaufende Tätigkeit. Und es werden weder die Preise noch die Löhne sein, die ihren Abbruch erzwingen.


12. November: Unterbringung gelungen

Kürzlich tauchte anläßlich einer Diskussion von Mitgliedern der MG über das Ölproblem die erstaunte Frage auf, ob man denn als gewöhnlicher Mensch keine Aktien der großen Ölkonzerne kaufen könne. Hier die Antwort: man kann!

„Die aus britischem Staatsbesitz angebotenen 80 Millionen Stammaktien der Mineralölkonzerne British Petroleum Company (BP), London, wurden problemlos (!!!) untergebracht (!!!). Die Zeichnungslisten für BP-Aktien im Wert von 290 Mill. Pfund Sterling, die etwa 5 % des BP-Kapitals repräsentieren, wurden schon eine Minute nach Öffnung wieder geschlossen..“

Man muß sich das so vorstellen: 4000 wildgewordene Londoner Börsenjobber rotten sich mit gespitztem Füllfederhalter um 8.58 Uhr vor dem Zeichnungslistenaufleghaus zusammen ...

Marginalie: Im übrigen ist an dieser Meldung exemplarisch zu studieren, wie man mit einer durch und durch objektiven Nachricht lügen kann. Die sich aufdrängende Frage, deren Beantwortung doch interessanter sein dürfte, wer denn nun und warum das Aktienpaket gekauft hat – und die Zeichnungsauflegung tat dabei offensichtlich nur formellen Bestimmungen genüge –, wird durch die einfache Mitteilung, daß es passiert sei, vom Tisch gewischt.


17. November: Politik mit Geld-Blockade

„Tarry Jew:
The law hath yet another hold on you
It is enacted in the laws of Venice,
If it is proved against an alien
That by direct or indirect attempts
He seek the life of any Citizen
The party 'gainst the which he does contrive
Shall seize one half his goods; the other half
Comes to the privy coffer of the State
And the offender's life lies in the mercy
Of the duke only ...“
(W. Shakespeare, The Merchant of Venice, 4. Akt, 1. Szene)

„Wart, Jude!
Das Recht hat andern Anspruch noch an dich.
Es wird verfügt in dem Gesetz Venedigs,
Wenn man es einem Fremdling dargetan,
Daß er durch Umweg' oder gradezu
Dem Leben eines Bürgers nachgestellt,
Soll die Partei, auf die sein Anschlag geht,
Die Hälfte seiner Güter an sich ziehn;
Die andre Hälfte fällt dem Schatz anheim,
Und an des Dogen Gnade hängt das Leben
Des Schuldgen einzig …“
(Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel)

Ein Wirtschaftskrieg ist normalerweise eine Sache, worunter beide Seiten leiden müssen, den sich die stärkere Seite jedoch mit der Sicherheit zumutet, letztlich mit vergrößertem Vorteil abzuschließen. Der Wirtschaftskrieg der USA zeigt, daß es aber auch solche gibt, bei denen nur eine Seite die Macht hat.

Die Sperrung der iranischen Konten in den USA widerlegt mit einem Schlag das ganze Geschwätz über die (Geld-)Macht der Ölscheichs: bei diesem Krieg haben die USA keinerlei Nachteile aus den eröffneten Feindseligkeiten zu gewärtigen. Kaum nämlich war die Maßnahme bekanntgegeben, meldeten sich die Banken besorgt bei Präsident Carter: ob sie denn nun mit den bei ihnen eingelegten iranischen Milliarden nicht mehr „arbeiten“ dürften, ob er denn obendrein durch diesen „Liquiditätsabzug“ den lukrativen Euro-Dollar-Markt – wo ein Gutteil dieser Milliarden hingeschafft wurde – gefährden wolle? Die beruhigende Antwort: Seid Ihr denn Perser?

Kurzerhand erklärt der US-Staat den iranischen Staat für enteignet, erklärt die momentan bestehende Verfügungsgewalt seiner Banken über dieses Geld zur einzigen Gewalt überhaupt. Selbst nach unserem Grundgesetz eine äußerst legale Maßnahme: schließlich ist das Eigentum „sozialpflichtig“! Die Scheichs können also nur solange als Eigentümer gelten, wie sie sich anständig für die amerikanische (bzw. kapitalistische) Sozietät aufführen.
Was machen die Enteigneten? Sie halten ihre Verfügungsgewalt über eine Handvoll amerikanischer Citizens aufrecht. Doch –

„Ob die Mullahs aber gerade an dieser Stelle wie ordentliche Kaufleute denken und handeln, darf mit Fug bezweifelt werden“ –

werden sie sehr schnell merken, daß sich aus dem Fleisch der Bürger einer Supermacht keine Zinsen geschweige denn die Kapitalsumme pressen lassen. Das hätten sie schon aus dem Schicksal des Kaufmanns Shylock, einem Angehörigen der ihnen verhaßten Rasse und Opfer frühen Imperialismus’ lernen können:

Portia: „The words expressly are »a pound of flesh«:
      Take then thy bond, take thou thy pound of flesh;
      But, in the cutting it, if thou dost shed
      One drop of Christian blood, thy lands and goods
      Are, by the laws of Venice, confiscate Unto the State of             Venice. …
Shylock: „Is that the law?“
                                                            (ebd.)

Porzia: „Die Worte sind ausdrücklich: ein Pfund Fleisch!
      Nimm denn den Schein, und nimm du dein Pfund                   Fleisch;
      Allein vergießest du, indem du's abschneidst,
      Nur einen Tropfen Christenblut, so fällt
      Dein Hab und Gut nach dem Gesetz Venedigs
      Dem Staat Venedigs heim. …
Shylock: Ist das Gesetz?

Abschließend eine tröstliche Bemerkung:

„Für den normalen Bürger sind acht Milliarden Dollar als Wertgröße nicht mehr konkret vorstellbar.“

 

aus: MSZ 32 – Dezember 1979

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