Immer auf Achse, der Henry
Denn überfallartig verblüffte er das Publikum gleich mit der Erklärung, daß er „nicht mehr der Regierung der Vereinigten Staaten angehöre“ und die ,,Delegierten daher (!) keine Aussagen zur aktuellen Außenpolitik seines Landes erwarten durften“. Daß er jetzt das Maul hält und sich über Möglichkeiten der Verbesserung des Komforts im Reiseverkehrs widmen würde, hatte allerdings niemand von ihm erwartet. Schließlich wollte er ja nur betonen, daß er für gewisse Formen gegenwärtiger amerikanischer Außenpolitik die Verantwortung nicht trage, sie aber wohl wieder übernehmen müsse, wenn die Welt nicht untergehen soll, und deshalb redet er nur über die Notwendigkeiten der amerikanischen Außenpolitik:
Und der Saal tobte – wie überall, wo der Agitproptraveller Henry auftrat und solch tiefsinnige Sprüche klopfte. Es ist eben ein gewaltiger Unterschied, ob der Heini K. am sonntäglichen Stammtisch bierernst zum x-ten Male in die beifällig nickende Runde brummt: „De Russn butzn uns weg wia nix, wanns so weida gähd!“ oder ob ein deutsch-amerikanischer Harvard-US-Ex-Außenminister-Chase-Manhattan-Consigliere denselben Kalten-Kriegs-Gemeinplatz in nicht einmal schöne und ebenso wenig komplizierte Form bringt und vielsprachig radebrechend – „Ich spreche keine Sprache ohne Akzent“– multimedial von sich gibt. Und nur weil er jetzt Reserve-Praktiker der Macht ist, führt man sich seine Kalauer als bedeutsame Kritik an dem, der sie praktiziert, zu Gemüte – ganz so als würde Klein-Jimmy blauäugig und unerfahren nur reden, anstatt Waffen zu bauen, die den eigenen Worten erst Gewicht und Sprengkraft verleihen: „Die westliche Welt solle jederzeit zu Verhandlungen bereit sein (SALT III), aber erst nachdem ein echtes Gleichgewicht geschaffen sei. Wollte die amerikanische Außenpolitik dem Ostblock gegenüber am Prinzip des Gewährenlassens weiter festhalten, dann sei die seit vier Jahren zu beobachtende Ausbreitung des sowjetischen Einflusses nicht mehr aufzuhalten.“ (ibid.) Um aller Welt kundzutun, wie das empfindliche Gleichgewicht der Weltpolitik durch einen Künstler der Politik feinfühlig austariert werden muß, wirft er mit seinem Rezeptbuch der Geheimdiplomatie 1,3 Kilo Papier (zuviel) auf den Buchmarkt, um der Welt zu zeigen, wie souverän er die amerikanische Überlegenheit international ausgenutzt hat, ganz so, als hätten die USA ihre außenpolitischen und militärischen Siege der Überlegenheit Ihres Außenministers über seine Verhandlungsgegner und über seinen Dienstherrn im eigenen Haus zu verdanken. Logisch, daß da das Übergewicht der Amerikaner, die Trumpfkarte in der Hand des diplomatischen Hasardeurs Henry beim Machtpoker nicht aufgedeckt zu werden braucht, da die Kontrahenten eh wissen, wo die Trümpfe stehen. Logisch auch, daß die Voraussetzungen politischer Macht beim Memorieren nur die Verdienste dessen, der sie praktiziert, über Gebühr schmälern würde.
Als Schüler der Geschichte bedient sich der Memoirenschreiber der Technik des römischen Geschichtsschreibers Livius, der an den Qualitäten der den Römern unterlegenen Gegner, die virtutes romanorum pries, ohne von ihnen zu sprechen. Mit bewundernswertem Geschick spürt der Politpsychologe in US-Diensten an einem seiner durchtriebenen Gesprächspartner die aus jedem besseren Sozialkundebuch bekannten systemimmanenten Rassenmerkmale kommunistischer Russen auf:
Angesichts der allgemeinen Ratlosigkeit war es Henry vorbehalten, den Gordischen Knoten nicht brachial zu zerschlagen, sondern diplomatisch aufzutauen. Er – bunter Hund bei allen Größen dieser Welt – machte sich auf und tauchte unter. Mit Sonnenbrille, hochgeschlagenem Mantelkragen, lancierten Enten, mehrmaligem Auto- und Flugzeugwechsel mogelte er sich auf dem nächsten Weg über Pakistan in die diplomatisch noch nicht existente Volksrepublik und schlug allen Schnüfflern dieser Welt ein teuflisches Schnippchen; sogar dem amerikanischen Geheimdienst: Henrys Leibbullen fuhr vielleicht der Schreck in die Glieder, als sie erfuhren, daß sie auf rotchinesischem Boden stünden! Derartig große Vorbereitungsschwierigkeiten lassen erahnen, welche Kniffligkeit und Diffizilität die Gespräche selbst erst für unseren Helden bereithalten. Die maskenhaft glatte Art der Chinesen, die Pikantheit der Beziehungen überhaupt – man konnte damals ja nicht wissen, wie die Russen reagieren, die Europäer die Neuigkeit aufnehmen würden! – und das Problem des kleinen Taiwan erforderten schon Spitzenleistungen der Diplomatie: ,,Wir brauchten eine Formel, mit der die Einheit Chinas anerkannt würde, ohne die Ansprüche Pekings oder Taiwans zu unterstützen. Schließlich formulierte ich die amerikanische Haltung so: »Die Vereinigten Staaten erkennen an, daß alle Chinesen beiderseits der Straße von Taiwan auf dem Standpunkt stehen, es gebe nur ein China. Die Regierung der Vereinigten Staaten stellt diese Haltung nicht in Frage.« Ich glaube, nichts von dem, was ich getan oder gesagt habe, hat Tschou mehr beeindruckt als diese zweideutige Formulierung, mit der beide Seiten fast zehn Jahre haben leben können.“ Großartig! Hier wird klar, warum Nixon nicht seinen Außenminister, sondern seinen außenpolitischen brainstormer ins Reich der Mitte schickte und letzteren auch noch mit der pikanten Aufgabe betraute, ersteren im nachhinein über seine neue Außenpolitik zu instruieren (Erst an solchen Stellen fällt es dem Leser wie Schuppen von den Augen, daß Henry, der die Außenpolitik managte, die meiste Zeit gar nicht Außenminister war – wie ungerecht!). Nichts von dieser Brillanz hat er verloren, wenn er egg-headed im deutschen und österreichischen Fernsehen auf deutsch die weltpolitische Lage haarscharf analysiert: „In Angola haben die Kubaner die MPLA unterstützt; und ich glaube nicht, daß ein Land wie Kuba in der Lage ist, Weltpolitik zu machen!“ (Blinzel-blinzel) und dann darum bittet, den schwierigen Zusammenhang in Englisch sagen zu dürfen, you know! Und das geht dann ungefähr so: ,,It comes upon, to strike to hairy exactly in the right moment. Like my big forrunner Metternich has put it in the famous sentence: It's now or newer!“
Solche Leuchten werfen Schatten! Und immer wieder ist Henry selbst es, der das Licht auf seinen Präsidenten wirft: Verzweifelt versucht er Time von den Vorhaben abzubringen, Nixon mit ihm zusammen zum Man of the Year zu machen. Nur mit der Drohung, ihn alleine dazu zu küren, konnten die Redakteure ihn abwimmeln.
„Selbstverständlich ist Nixon für das Kommunique verantwortlich, und ihm gebührt Anerkennung. Ein Präsident ist immer für die politischen Entscheidungen verantwortlich, gleichgültig, wer die technischen Vorbereitungen geleistet hat.“
Und so besteht wohl Henrys Könnerschaft und größtes Verdienst darin, daß er es schafft, in solch plumpen Understatements das Faktum, daß er Außenminister der Weltmacht Nr. 1 war und deren Potenz einsetzen konnte, sich als persönliches Verdienst anzurechnen, ja geradezu die Macht der USA als Resultat der eigenen Potenz bewundern zu lassen: „Man (Nixon und Mao) scherzte über meine Freundinnen und darüber, wie ich sie dazu benutzte, meine Geheimreisen zu tarnen.“ Sein besonderes Geschick demonstriert Henry etwa darin, daß er es sich immer wieder leisten kann, seinem Gesprächspartner einen „lediglich kosmetisch veränderten Neuentwurf“ vorzulegen und abzuwarten, ob der Verhandlungspartner mit der „kosmetischen Korrektur“ den Unwillen der USA, ihren Standpunkt aufzugeben, endlich akzeptieren will oder mit weiteren Zugeständnissen dazu auffordert, mehr als nur kosmetisch nachzugeben. Die Urtugend des Politikers, Härte zu bewahren, wo man hart bleiben kann, beherrscht Henry nämlich wie kaum sonst einer. In eine der ,,heikelsten Situationen“ geriet der Diplomat, als Le Duc Tho beinahe allen Forderungen Henrys nachgegeben hatte, in der Hoffnung, die Amerikaner würden in Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen eine Ablehnung sich nicht mehr leisten können, da der Konkurrent Nixons in seinem Wahlprogramm schon mehr angeboten hatte, als die Vietnamesen jetzt forderten.
Wenn Dr. Kissinger hier einen seiner wenigen Fehler („Der erste Fehler, den ich zugebe, kommt auf S. 1000“) „eingesteht“, es sei ,,taktisch unklug“ gewesen, Thieus Forderungen zu präsentieren, da dies zu einer ,,Verhärtung“ und schließlich zum Abbruch der Verhandlungen geführt hätte, dann nur, um dem Dogma, daß große Persönlichkeiten auch Schwächen haben, kleine Schwächen eben, gerecht zu werden. Schließlich hat er erstens die „Frechheiten des Bündnispartners, für den man jahrelang Opfer gebracht hat“, taktisch geschickt eingesetzt, d. h. seinen Fehler, im Glauben, die doktrinären Vietnamesen würden nicht darauf eingehen, ein zu „großzügiges“ Angebot unterbreitet zu haben, wieder wett gemacht. Zweitens wurde Thieu – als die Sache für die USA gelaufen war – mit energischen Worten abgespeist, weswegen Henry drittens gar nicht weiterverhandeln wollte, weil er sich viertens im Besitz der Mittel wußte, Hanoi wieder an den Verhandlungstisch zu bringen, so daß ein Ergebnis Zustandekommen konnte, mit dem die „Ehre Amerikas und seine Glaubwürdigkeit vor der Welt“ demonstriert werden konnte. Zum Zwecke der Ermöglichung dieser Demonstration mußte man den Nordvietnamesen „an den. Verhandlungstisch bomben“. Gegen den Vorwurf, den Mut zu dieser staatsmännischen Entscheidung nicht gehabt zu haben, setzt Kissinger sich entschieden zur Wehr: „Nixon erinnert sich, ich hätte eine Intensivierung der Bombenangriffe südlich des 20. Breitengrades und in Südlaos empfohlen, nicht aber eine Bombardierung bewohnter Gebiete, ich kann mich nicht daran erinnern, meine vielmehr, die Wiederaufnahme der Bombenangriffe im gleichen Umfang empfohlen zu haben, wie sie vor dem Oktober durchgeführt wurden, und zwar in ganz Vietnam. Die bewohnten Gebiete wollte ich nur (!) mit Jagdbombern angreifen lassen.“ Auch wir müssen Henry gegen den Vorwurf der Weichlichkeit in Schutz nehmen. Seine Antwort auf Nixons Beschwerde, daß Schulen und Krankenhäuser bombardiert und dabei viele Nordvietnamesen getötet würden, ist im Weihnachtsspiegel 1972 nachzulesen: „Das aber genau ist doch der Zweck der Übung, Mr. President.“
Deshalb sind wir auch der Meinung, daß die Spekulationen für welches Amt er eigentlich der beste Mann wäre, ausgesprochen unangebracht sind. Ein Mann – der seine lange Nancy einsetzt, um das Verhandlungsklima zu verbessern (Mao soll sich bei ihrem Anblick XX XXkichernd einen Buckel geholt haben) – der ganz öffentlich damit kokettiert, daß er seine Geliebten als Waffen geheimer Diplomatie benutzt – der den ganzen Charme seines Zwergwuchses und seiner Riesennase zur Betörung von Golda und Indira XX XX XXaufbrachte – der als erster Gast der Open-end-Diskussion des Ö II, diese nicht nur vorzeitig verließ, sondern auch noch Gräfin XXMary Dönhoff abschleppte – der neben der Ehrenmitgliedschaft bei der SpVgg Fürth auch noch acht andere Jobs mit nichts als seiner XX XX XXPersönlichkeit ausfüllt – Ein Mann, der dann auch noch Zeit hat, pausenlos um die Welt zu jetten, um mit dem amerikanischen XX XX XXMachtpotential anzugeben und es schafft, für dessen sachgemäßen Einsatz den Einsatz seines XX XX XX XX XXAusnahmeintellekts für unentbehrlich auszugeben – Ein solcher Mann, der „sein geradezu erotisches Verhältnis zur Macht offen zugibt“ (SZ); so ein Mann kann und XXmuß einfach die Ämter, auf die es ankommt, alle auf einmal übernehmen!
aus: MSZ 32 – Dezember 1979 |