Humba humba täterä:

Wer Sorgen hat, ist auch ein Narr


In seinen Hochburgen tobt der Karneval bzw. der Fasching, und auch anderswo gibt die närrische Zeit Vorwand für ausgelassene Lustbarkeit. So an den Universitäten, wo Studentenvertreter, die vor Jahreswende noch den ersten nationalen Streik unter ihren Kommilitonen propagierten, nun Hochschulbälle organisieren, bei denen sie sich der aktiven Beteiligung der Agitierten sicher sein können, auch ohne Urabstimmung. Zwar steht ein Student in gewisser Weise über dem Toben der Variante karnevalistischen Frohsinns, wie sie vom Fernsehen übertragen wird, weil er es sich leisten kann, sich selbst zu amüsieren und sein Bedürfnis, sich einmal auszutoben, das ganze Jahr hindurch befriedigt werden kann, ohne daß gleich Existenz und Familie auf dem Spiel stehen; dennoch erfreuen sich Faschingsfeste bei Jungakademikern wieder zunehmender Beliebtheit, was darauf verweist, daß sich die Lustbarkeiten der geistigen Elite vom Spaß des niedrigen Volkes lediglich durch Niveau“ unterscheiden, beide aber aus dem gleichen Grunde feiern und dann am ausgelassensten, wenn partout kein Grund dazu besteht.


Urlaub vom Alltag

„Hier, wo euch Spaß und Frohsinn winkt,
Macht einmal wirklich Pause!
Vergeßt des Lebens Müh‘ und Plag‘
Und tankt Humor und Freud‘...“

Einmal im Jahr darf und soll ein jeder im Lande sich frei machen von des „Lebens grauem Einerlei“, soll Urlaub nehmen vom tristen Alltag, um ihn dann ab Aschermittwoch wieder „viel leichter zu ertragen“. Damit der 3-tägige Frohsinnstrip auch dem gelingt, den tatsächlich einiges plagt, muß dieser sich erstmal die notwendige Einstellung zu seinen Alltagssorgen aneignen. Die heißt Humor und besteht bekanntlich darin, daß man trotzdem lacht:

„Wer auf Entgangenes, Jahr für Jahr,
Voll Ärger blickt zurück,
Der denke einmal mit Bedacht,
Trotz Alltagslast und Weh,
Humor ist, wenn man trotzdem lacht,
Wie hier beim MCC.“

Viel ist damit noch nicht gewonnen, denn wer diese fastnachtsphilosophische Faustregel beherzigt, kann sich zwar in besinnlichen Augenblicken einbilden „über allem“ zu stehen; vergessen hat er „Müh und Plag“ damit nicht, ganz einfach, weil sie noch da sind. Dazu muß er sich erstmal besaufen, und zwar gründlich. Wer fröhlich sein will, muß „heute blau und morgen blau und übermorgen wieder“ voll sein und mit einem „Bumsfallera“ möglichst nicht mit dem eigenen Ehegesponst –“bis morgen früh“ durchmachen mit „Humba humba täterä Die einschlägigen Lieder, die dieses Frohsinnsideal besingen, wären nicht so beliebt, würden sie nicht der Mehrheit des Volkes aus der Seele sprechen. Gerade zur Fastnachtszeit läßt sich die Zwieschlächtigkeit der bürgerlichen Moral nicht mehr übersehen, weil niemand ein Hehl daraus macht. Offenkundig wird, daß sich die Empörung über den Nachbarn, der zuviel säuft, und über die jungen Leute, die unverheiratet zusammenleben, allemal mit dem heimlichen Wunsch paart, sich diese Freiheiten auch mal erlauben zu gönnen. Weil das nicht geht, ohne den Arbeitsplatz zu gefährden und die Familie zu zerrütten, ist es eben toll, wenn einmal im Jahr trotzdem „alles erlaubt“ ist. Daß dabei ausgerechnet ein permanenter Vollrausch und ein bißchen Fremdgehen als Gipfel der Freiheit erscheinen, die die Massen ausleben möchten, läßt allerdings einige Schlüsse zu auf die Freiheiten und Genüsse, derer sie sich im gewöhnlichen Alltagsleben erfreuen dürfen. Und wer sich über dieses bornierte Ideal des Frohsinns lächelnd mokiert, zeigt seinerseits, daß er es nicht nötig hat, solchen bescheidenen Vergnügungen nachzulaufen, weil er sie sich das ganze Jahr über leisten kann.

Einmal im Jahr also – und das unterscheidet dieses Volksfest von den übrigen Festen des Jahres – wird öffentlich die Kehrseite der bürgerlichen Moral gefeiert, und zwar als Kehrseite. Denn mit der Relativierung der Freiheit, die hier gefeiert wird, als Narrenfreiheit und der einhergehenden Selbstbezichtigung als Jecken (nhd.: Verrückte) bekennt sich das Volk auch da noch zu seiner Alltagsmoral als der ultima ratio, wo es ihr zuwiderhandelt. Weil die drei tollen Tage kein Abschied, sondern nur ein kurzer Urlaub von der Alltagsmoral sind, muß selbstverständlich am Aschermittwoch „alles vorbei“ sein, weshalb man von alledem, was man sich vielleicht erlaubt hat, „nichts mehr wissen“ wollen darf. Wer mit der Narrenfreiheit wirklich Ernst macht, hat mit dem auf dem Fuße folgenden Katzenjammer zu rechnen. Wenn er den öffentlichen Suff mit heiler Haut überstanden hat, machen ihm sein leerer Geldbeutel und seine Angetraute humorlos klar, daß er sich eben doch nicht leisten kann, was er sich leisten wollte. Den Fastnachtsfrohsinn wegen seiner Trostfunktion für die „schlimmen Sachen“ des Alltags zu preisen, ist also nicht nur bodenloser Zynismus. Wahr ist daran bestenfalls auch nur dies, daß sich mancher angesichts der unschönen Folgen seiner Ausgelassenheit damit trösten mag, daß es trotzdem schön war.


„Stimmung!“

Die profane Wirklichkeit des Faschings sieht für gewöhnlich nicht minder trostlos aus als sein Ideal. Denn wer das ganze Jahr über kaum etwas zu lachen hat, kann den Frohsinn schwerlich gerade dann in sein Heim zaubern, wenn er erlaubt ist – und schon gar nicht mit einem Besäufnis. In den eigenen vier Wänden bleibt die fröhliche Ausgelassenheit auch im Karneval das Privileg der Kinder, weil die Erwachsenen nicht so verrückt sind, wie sie gerne wären.

Wollen sie dennoch ein wenig an der auf der Tagesordnung stehenden Fröhlichkeit partizipieren und nicht als „Karnevalsmuffel“ gelten, bleibt ihnen meist nur die Möglichkeit, am bunten Treiben auf verkehrsfreien Straßen teilzunehmen oder sogar an betrieblichen Faschingsveranstaltungen. Dort versucht man dann, sich mit den Attributen erzwungener Heiterkeit in die Stimmung zu bringen, in der man gerne wäre – Papierschlangen fliegen über den Tisch, Konfetti aufs Haar oder in den Ausschnitt, begleitet von „Stimmung!“- und „Helau“-Rufen. Hat man ein Exemplar der humorvollen Spezies „Betriebsnudel“ dabei, gelingt es vielleicht sogar, die erzeugten Peinlichkeiten zu überbrücken. Und vollends gelungen ist der Abend dann, wenn man sich übers Schunkeln mit dem Chef bis zum „Du“ näherkommt, auf dem man anderntags keinesfalls bestehen darf, so man Spaß versteht.

Weniger anstrengend und für jeden zu haben ist der auch sonst bewährte Druck auf die Taste. Was da allerdings dem Bürger einfällt, ist der fade Humor einer Kopie der Staatsordnung in närrischem Gewände, wo der Bürgermeister nach der symbolischen Schlüsselübergabe dem Fastnachtsverein die Macht abtritt, die der Bürger im Narrenkleid liebevoll mit Prinzengarde, Orden und Präsidium kopiert, um damit sein Einverständnis mit den banalen Alltagsformen der Staatsgewalt, wo die Soldaten keine schönen Beine haben, sie zumindest nicht zeigen, als Jux zu demonstrieren, der allerdings bitter ernst gemeint ist, wovon noch die peinlich genaue Einhaltung der Karnevalsordnung zeugt. Der Prolet allerdings, dem die staatlichen Institutionen, von denen er nichts hat außer dem Zwang, an sie Geld abzuführen, das ihm abgeht, steht dem Kostümstaat reichlich verständnislos gegenüber und findet sein Gefallen an den Tiraden der Büttenredner, die ihm mit ihren Witzchen über alles das, was ihm so stinkt, aus dem Herzen sprechen, und zwar ohne alle intellektuellen Schnörkel. Dafür nimmt er gerne in Kauf, daß seine Unbescheidenheit und diejenige seiner Gewerkschaft beliebtes Angriffsziel der bramarbasierenden Geschäftsleute in der Bütt sind. Im gepflegten heimischen Dialekt vorgetragen spricht die Veranstaltung sein Gemüt an, appelliert an seinen Lokalpatriotismus, und da auch die Großaufnahmen lachender Politiker im Saal ihm bestätigen, daß diese Menschen wie du und ich sind, versteht auch er einen Spaß und lacht herzlich über seine Verarschung.


Mehr Spontaneität ...

Kritische Intellektuelle, die aus ihrer Abneigung gegen die trostlose Fastnachtsrealität eine Theorie machen, nehmen das Freiheitsideal und die Trostfunktion des närrischen Treibens weit ernster als dessen platte Apologeten. Nicht nur Trost, sondern gar positive „Folgen für den Alltag“ soll das Fest erbringen, was nur geht, wenn im Karneval – endlich! – das Volk wirklich frei ist von seinen Alltagszwängen:

„Man muß somit von dem Fest erwarten können, daß es den Ablauf von Alltagsmechanismen verhindert und bisherige gesellschaftliche Normen aufhebt und neue setzt (!).“ (Erz/Jungrichter)

Weil die närrische Wirklichkeit diesem „Anspruch, den man (?) für den Karneval erhebt, nicht gerecht“ wird, muß sie sich als „Scheinspontaneität, Scheinfreizügigkeiten“ usw. – entlarven lassen. Wobei sie der Vorwurf besonders hart trifft, daß die „ideologischen und schichtenspezifischen. Differenzen“ durch den „Katalysator Fastnacht“ nicht beseitigt, sondern nur „überspielt“ werden. Solche Fans der ungehemmten, alle einenden Spontaneität haben auch am „Arbeits- und (!) Alltagsleben“ nur auszusetzen, daß dessen „zunehmende Mechanisierung und strenge Strukturierung“ der Phantasie und Spontaneität zu wenig Raum lassen. Damit sie diesen Raum wenigstens drei Tage im Jahr erhalten, ist zu erwägen, ob sich die „gesellschaftlichen Strukturen“, die das Volk hemmen, nicht ändern sollten:

„Im Fest Fastnacht, das weder absterben noch verkümmern soll, wird sich erst dann eine positive Entwicklung abzeichnen, wenn sich die gesellschaftlichen Strukturen verändern.“

Womit ein weiterer Grund für notwendige System Veränderung gefunden wäre, mit dem man wohl demnächst die jungen Mitglieder von Karnevalsvereinen unterwandern wird.


... für den fröhlichen Faschismus

Wie es hier und heute aussehen würde, wenn sich die Massen ungehemmt austoben würden, bekommt man nirgends deutlicher gesagt als dort, wo mit dieser Möglichkeit ganz offen und ausgiebig kokettiert wird. Dabei machen die Mainzer Mammut-Veranstaltungen auf den ersten Blick einen ganz harmlosen Eindruck. Bemüht man sich hier doch nach Kräften unter dem Motto „Allen wohl und niemand weh“, jede vorgebrachte Kritik dadurch zu relativieren. daß sie komisch sein muß, der tiefen Einsicht folgend:

„Wer Land und Leute kritisiert,
Dies noch humorvoll persifliert,
Und andre dabei nicht verletzt,
Der ist ein Narr, wie man ihn schätzt.“

In der Tat humorvoll werden die reimenden Narren alles los, was dem Bürger das ganze Jahr lang stinkt, indem sie erstens die gewöhnlichen Alltagssorgen wie Ehe-, Schul- und Arbeitsprobleme unter der Rubrik „Menschliches, allzu Menschliches“ abhandeln und zweitens den Staat für das, was er ihnen abverlangt so kritisieren, daß sie manchen Politiker durch den Kakao ziehen.

Auf der anderen Seite bietet die auf die Spitze getriebene Selbstrelativierung eine günstige Gelegenheit, den faschistischen Kern des Volksgeistes ganz humorlos ohne Wenn und Aber zu entfalten. Da wird in einer Direktheit gegen die zu Felde gezogen, die an der eigenen Unzufriedenheit schuld daran sein sollen, daß mancher Dregger und Jäger vor Neid erblassen könnte. Die Schuldigen sind, wen wundert's, die „arbeitsscheuen Elemente“ wie Hippies, Penner, Studenten, Terroristen und sonstige Verbrecher, die knallhart vor die Alternative: Arbeit oder Leben! gestellt werden. Auch der Staat bekommt dabei sein Fett weg, weil er sich noch sagen lassen muß, wie er mit solchem Gesindel umzugehen hätte:

„Zu Till Eulenspiegels Zeit,
Da gab's eine Gerichtsbarkeit,
Die auf dem Marktplatz, voll Effekt,
Ihr Urteil öffentlich vollstreckt.“

Und in diesen Faschistereien, die erkennen lassen, wie sich das Volk gerne austoben würde, wäre es nicht immer noch zufrieden genug mit seinem Staat, sind sich die Staatsbürger über alle „ideologischen und schichtenspezifischen Differenzen“ hinweg leider tatsächlich einig.

 

aus: MSZ 21 – Januar 1978

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