Ein neuer Sieg im Volkskrieg
Die Spekulationen über den Machtwechsel sprechen eine deutliche Sprache: dem Imperialismus, den die Opfer in seinem Machtbereich einen Dreck scheren, solange sie funktional sind, was nicht nur das Beispiel Iran zeigt, dienten die Meldungen aus Kampuchea lediglich als Material für seine interessierte Beweisführung, daß es zu ihm keine Alternative gibt. Das Los der Khmer war ihm unter Pol Pot genauso herzlich gleichgültig wie unter Lon Nol. Daß die Befreiten unter dem Regime einer Befreiungsbewegung nichts zu lachen haben, gilt als selbstverständlich. Und der Umgang der neuen Regierung mit dem befreiten Volk von Kampuchea bot für diese Weisheit genügend Material – selbst wenn die Phantasie der Reporter bei der Berichterstattung gelegentlich die Wirklichkeit überbietet. So war das Pol-Pot-Regime in nicht ganz 3 Tagen erledigt – selbst Lon Nol hatte in seiner belagerten Hauptstadt fast ein Jahr lang durchgehalten –, da die regierende Fraktion der ehemaligen Kampucheanischen Befreiungsfront sich nicht einmal mehr auf die Armee stützen konnte, mit der sie ihre Macht ausübte. Den marschierenden Kolonnen der Vietnamesen und der in Vietnam ausgerüsteten, schon vorher desertierten Teile der kampucheanischen Armee wurde kein nennenswerter Widerstand entgegengesetzt, weil nicht einmal mehr die Truppen des Regimes eine Veranlassung hatten, ihre Regierung zu verteidigen. Aus dem via Peking proklamierten Volkskrieg wird wohl auch nicht viel werden, weil die Bauern von der Fronarbeit auf den requirierten Felder genug haben, ganz zu schweigen von den ehemaligen Stadtbewohnern, denen die neue Regierung die Rückkehr nach Pnom Penh erlaubt hat. Der reaktionäre Plan der gestürzten Pol-pot/Ieng-Saray-Fraktion, die Massen in den primitiven, durch den Krieg weitgehend zerstörten Produktionsanlagen für ein unabhängiges nationalistisches Khmer-Reich leiden statt Reichtum schaffen zu lassen, – Kleinproduktion und Landwirtschaft auf Basis menschlicher Arbeitskraft – senkte schnell die Begeisterung derer, denen man die Statistenrolle in der „größten Umwälzung der Menschheitsgeschichte“ zugedacht hatte. Die Maoisten mußten erleben, daß der Spruch ihres Idols, daß, wo Unterdrückung herrscht, sich auch Widerstand regt, gegen sie selbst ausschlug: aus den Überlebenden der Parteisäuberung vom Mai 1978 entstand der Führungskern der jetzt siegreichen neuen Befreiungsfront. Die einzig außenpolitische Tat eines Regimes, das sich selbst zum Freund und Promotor aller antiimperialistischen Kräfte erklärt hatte, war die Anzettelung des Grenzkonflikts mit Vietnam. Das proklamierte Ziel: „die heilige Erde der Khmer“ von den vietnamesischen Siedlungen entlang des ehemaligen Ho-Tschi-Minh-Pfades, der durch kampucheanisches Territorium verlief, zu säubern. Ein Land wie Kampuchea, das im Inneren mit handfesten Überlebungsproblemen seiner Bevölkerung zu kämpfen hatte, investierte Mensch und Material in Feldzüge zur Eroberung von Gebieten, auf die man einen Rechtsanspruch gemäß kolonialer Grenzziehung anmeldete. Im flagranten Gegensatz übrigens zur Bündnispartnerschaft gegen den US-Imperialismus, wo die Unterstützung vietnamesischer Truppen auch auf dem „heiligen Boden der Khmer“ durchaus willkommen war. Dem Regime Pol Pot wäre auch dann keine Träne nachzuweinen, wenn sein Sturz allein das Werk einer Invasionsarmee gewesen wäre. Daß es ein Unterschied ist, ob eine imperialistische Soldateska ein Volk überfällt, oder ob mit ausländischer Hilfe ein Regime beseitigt wird, sollten sich gerade auch diejenigen sagen lassen, die jedes Jahr die US-Okkupation Europas als „Befreiung vom Hitler-Faschismus“ feiern.
Daß die feierliche Umbenennung Saigons zur Ho-Tschi-Minh-Stadt kein einziges der Probleme eines Landes löst, das durch den Imperialismus „in die Steinzeit zurückgebombt“ wurde, und daß die Wiedervereinigung mit dem Süden zunächst nichts anderes als der Anschluß eines Gebietes ist, in das nach dem Kolonialismus auch der Imperialismus seine Spuren in Ökonomie und Gesellschaft eingegraben hatte, zeigt die Nachkriegsgeschichte. Die vietnamesische Reaktion auf die Gebietsforderungen Kampucheas entsprach so von Anfang an den sowjetischen Bemühungen, den chinesischen Einfluß in Asien zurückzudrängen. Vietnam ließ die Grenzverhandlungen mit Kampuchea scheitern und beschränkte sich zunächst auf die militärische Sicherung seiner Besitzungen an und entlang der Grenze. Zur Eskalation des Konflikts mit dem indochinesischen Nachbarland kam es durch den Abbruch der Beziehungen mit der VR China. Deren Außenpolitik erklärt jede antiimperialistische Bewegung, die notwendigerweise sich von der Sowjetunion die Waffen für den Kämpf und die Mittel für den Aufbau der befreiten Ökonomie holen muß, zum „konterrevolutionären“ Feind der „anti-hegemonistischen“ Weltmacht China. So war die Fluchtbewegung der Hoas (Chinesen mit vietnamesischer Staatsbürgerschaft), ausgelöst durch das Vorgehen der vietnamesischen Administration gegen den Handel in den Städten und auf dem Land, der aus dem Hunger seinen Profit zog, nur der Vorwand für die Einstellung jeglicher Hilfeleistung der VR China, und der Beitritt der SR Vietnam zum Comecon der Anlaß für die Massierung chinesischer Truppen an der Grenze zu Vietnam. Die Spaltung der KP Kampucheas und die Flucht von Teilen der Armee nach Vietnam schuf den letzten Grund für Vietnam, wenigstens eine der permanenten Störungen und Bedrohungen seiner Aufbau- und Konsolidierungspolitik zu beseitigen. Die Gründung der neuen „Befreiungsfront zur Rettung Kampucheas“ und deren Unterstützung durch die Khmer-Bevölkerung schien die Gewähr dafür zu bieten, daß sich im Nachbarland auf Dauer ein Regime etabliert, mit dem sich reibungsfreie Beziehungen unterhalten lassen.
Der hämisch konstatierte Beleg, die Auseinandersetzungen zwischen Vietnam und Kampuchea demonstrierten, daß der Sieg im Volkskrieg nur eine neue Form der Unfreiheit hin zu neuen Kriegen „der Opfer der Aggression untereinander“ führe, geht an der Sache entschieden und interessiert vorbei. Wo der Hunger und das Elend, das Zurandekommen mit der Erbschaft des Imperialismus, die Aufgaben der Politik diktieren, steht der Sozialismus nicht auf der Tagesordnung. Inwieweit bzw. ob überhaupt die vietnamesische Revolution sich bei der Bewältigung der Probleme des Landes und der Region der Mittel kommunistischer Politik bedient oder ob der Nationalismus als treibendes Moment des Befreiungskrieges auch dem „Aufbau des Sozialismus“ seinen Stempel aufdrückt, wird Gegenstand einer ausführlichen Analyse in der nächsten MSZ sein.
aus: MSZ 27 – Januar 1979 |