Franz Beckenbauer verläßt Deutschland:

Der Kaiser-Transfer


Dulce et decorum est ...

Es ist entschieden: Franz Beckenbauer geht nach Amerika. Anders als bei dem normalen Fußballerhandel, der als spannungserregendes Moment zum Geschäft der Bundesliga dazugehört, ist die öffentliche Anteilnahme bei dieser Transaktion in die Abgründe menschlicher Tragik vorgestoßen: Charakter, Moral und Schicksal eines Spitzenfußballers verschafften der Affäre neben Problemen der inneren Sicherheit und Kriegsberichten aus fernen Ländern ihren gleich bedeutsamen Platz in der deutschen Tagesschau ebenso wie auf den Kommentarseiten seriöser Tageszeitungen. Etwas ist kaputt gegangen im Verhältnis der Nation zu ihrem Libero, so daß auch die MSZ nicht umhin kann, sich die Frage zu stellen:


Wer war Franz Beckenbauer?

Ein guter Fußballer, weshalb er 103mal für die deutsche Nation antreten durfte, für die er dann eine Weltmeisterschaft fast und eine weitere wirklich gewonnen hat. Ereignisse der Art, die 13 Mio. Bundesbürger in einem „Wir haben gewonnen“ zusammenschmelzen lassen, sind die Quelle dieser besonderen Liebe zu einem Giesinger Vorstadtlackel. Anders jedoch als seine fußballerisch nicht minder verdienstvollen Kollegen, die entweder nach der Weltmeisterschaft egoistisch auf ihrem Privatleben bestanden und als Nationalspieler abdankten oder aber in einer Weise Fußball spielen, die eine gewisse Würde entbehren läßt, wie Berti Vogts sich nicht dafür zu schade ist, sich noch in jedes gegnerische Belli zu verbeißen, ist Franz Beckenbauer in seiner Leiblichkeit, seinem Fußballstil und dem, was man herkömmlicherweise Charakter nennt, Nationalspieler. Als Libero, dessen sprichwörtliche Eleganz im Umgang mit dem Ball nicht durch Müller’sche Stampfer beeinträchtigt wird, der mit Weitblick und Autorität seine Kollegen zu dirigieren wußte und der sich auch nie dem Ruf der Nation versagte, besaß er neben dem Erfolg alle wesentlichen Elemente einer Führungspersönlichkeit, Eigenschaften, die sich außerhalb des Spielfelds aufs glücklichste ergänzten mit einer soliden Dummheit und dem Vermögen, in einigermaßen flüssiger Rede reaktionäre Kommentare zum Weltgeschehen abzugeben, wie etwa den prägnanten Hinweis auf die Grundübel der heutigen Zeit, Krankheit und Kommunismus. Diese seine Qualitäten ermöglichten ihm denn auch einen traumhaften Aufstieg: mit seiner genialen Brauchbarkeit für die Herzeigerei als Stolz der Nation, dumm und willig genug, sich angefangen von Sportpressebällen bis hin zu den Wagner-Festspielen in Bayreuth alles gefallen zu lassen, errang er das Bundesverdienstkreuz (säuerlich überreicht von Hans Maier), Freundschaftsbezeugungen politischer Führungspersönlichkeiten, sowie Einladungen, als Schmuckstück diversen staatlichen Empfängen beizuwohnen wie zuletzt der Hochzeit im Hause Sadat, Insgesamt also ein Mensch, mit dem es peinlich ist zu verkehren, es sei denn, man ist ein Staatsmann und kalkuliert mit der Repräsentation, die er in seiner Person ist. Und daß ein Beckenbauer die Massen mehr bewegt als beispielsweise ein Scheel oder Schmidt, werden diese hauptberuflichen Repräsentanten wohl wissen, greifen sie doch nur zu gerne auf solche Figuren zurück.


Am Scheideweg ...

Nun aber zur Tragik. Bisher gelang es Franz Beckenbauer, in für Nicht-Politiker beispielloser Weise Geschäft und Dienst an der Nation zu vereinbaren. Daß ein Nationalsymbol seinen gerechten Lohn kassiert, wahre Größe sich auch auf dem Bankkonto niederschlagen muß, ist für alle diejenigen Glieder der Nation, die sich tagtäglich ihre Leistung für sie selbst teuer, für die andere Seite billig abknöpfen lassen, eine Selbstverständlichkeit. Nun aber ist diese glückhafte Einheit kaputt gegangen. Wie ein Schweizer Kommentator treffsicher bemerkt, ist Beckenbauers Vertrag mit dem Profi-Club Cosmos kein einfacher Wechsel zu einem besser zahlenden Arbeitgeber: „Franz Beckenbauer tut, was sich sonst kein Regierender dieser Welt erlauben kann: er wählt sich ein neues Volk und kehrt Deutschland den Rücken.“ (SZ, 21. April) Die öffentliche Meinung schlägt zu. Mit geschäftstüchtig angedeuteten Pikanterien aus dem Intimleben begann die Demontage des Idols. Einzelheiten wurden dem interessierten Publikum bislang nicht mitgeteilt, wahrscheinlich deswegen, weil es keine gibt. Wie soll auch ein Beckenbauer, der zeit seines Lebens keinem Trainer widersprochen und gerade durch seine exorbitante Bereitwilligkeit, an der richtigen Stelle die reaktionären Dummheiten des gesunden Menschenverstandes wiederzukäuen, reüssiert hat, die Selbständigkeit bringen, die das Fremdgehen immerhin noch verlangt. Dies ist jedoch nicht die Sorge der Öffentlichkeit. War man bislang geneigt, dem Menschen Beckenbauer sein mit 17 Jahren gezeugtes uneheliches Kind und den Einbruch in die erste Ehe der späteren Brigitte Beckenbauer zu verzeihen, so wird jetzt auch die glückliche Ehe, das unerläßliche Requisit der Repräsentation, anrüchig.

Sünden, ohne die sich keine normale Ehe aushalten läßt und die dem ,,ziemlich phlegmatischen Hasi“ (Münchener Abendzeitung über Beckenbauer) sogar noch angedichtet werden müssen, sowie das Auftreten der Steuerfahndung, ein in Geschäftskreisen durchaus nicht peinlicher Vorfall, besudeln das Bild vom ehrbaren Franz, gerade als er im Begriff ist, die Nation im Stich zu lassen. Wobei die Urheber und genüßlichen Kommentatoren dieser Geschichten es sich nicht nehmen lassen, um Verständnis für das von ihnen selbst fabrizierte und nun als solches beklagte Opfer zu werben: Intrigen (der DFB mag ihn nicht leiden), Geschäft (sein Manager, Robert Schwan, ist die Schieberfigur im Hintergrund, die den eigentlichen Reibach macht) und nicht zuletzt die taktlosen Berichte aus dem Privatleben (selber hatte man ja, die Bildzeitung an der Spitze, nur von Enthüllungen geschrieben, die von „sog. Klatschblättern“ demnächst enthüllt werden würden!) hätten sich zum Schicksal vereinigt, das dem armen Franz nun über den Kopf gewachsen sei.

Dieses Paradebeispiel öffentlicher Heuchelei, für das eigenhändig gestürzte Nationalsymbol wird scheinheilig Verständnis produziert, wobei die vergangenen Leistungen Franz Beckenbauers dem Publikum mahnend vor Augen gehalten werden, damit es in der momentanen Enttäuschung nicht den Glauben an das verliert, was die Figur einst verkörperte, – erteilt dem Fahnenflüchtigen Kapitän als Opfer menschlicher Schwäche und Fühlbarkeit die Absolution: der Mensch hat versagt, aber das Amt ist nicht befleckt, andere werden es nun tragen müssen.


... zwischen Geschäft und Nation

In einem Punkt kann das „Opfer“ aber mit echtem Verständnis rechnen: die einhellige Meinung, daß man bei soviel Geld nicht neinsagen kann, und daß auch der selbstloseste Diener der Nation für seine Zukunft und Familie sorgen muß – als Fußballer geht er ja seiner Pensionierung entgegen und einem Großverdiener mag niemand den Absturz in die Mittelmäßigkeit gönnen –, setzt Nation und Geschäft ins richtige Verhältnis. Bei einem, der als Zierde der Nation bislang seine Millionen gemacht hat, ist das Millionengeschäft, das ihn mit der Nation auseinanderbringt, mit anderen Maßstäben zu messen, weshalb hier ein Lieblingsargument aus dem Repertoire der Öffentlichkeit heran muß, der längst fällige Vergleich, der in dieser Angelegenheit erstaunlicherweise bislang ausgeblieben ist. Die kleinlichen Feilschereien um die Stellen hinter dem Komma zwischen 6 und 7 %, mit denen die Gewerkschaften einem 1000 DM-Empfänger beispielsweise weitere 30,- DM bescheren wollten, das sind Zahlen, die gefährden den Bestand der Nation. Das Millionenangebot an Beckenbauer aber, hat in seiner Dimension noch die Würde, die erforderlich ist, um unter allgemeiner Billigung Verzicht leisten zu dürfen auf den Ruhm im Dienst am Vaterland. Um billige Geschäftemacherei ist es dem Kaiser eben nie gegangen. Gerade diejenigen, die alljährlich bei den Tarifverhandlungen um der Nation willen von ihrem Materialismus bereitwilligst Abstand nehmen, lassen sich da nicht irre machen: in getreuer Nachfolge ihres Idols, das es auch weniger im Kopf als in entlegeneren Körperteilen hat und darin so gut zu gebrauchen war, angeleitet von den Massenmedien entrüsten sie sich, meckern und haben Verständnis mit dem Opfer, das keines ist. Womit auch hier wieder einmal klargestellt ist, daß es trotz allem Gezeter bei manchen Leuten den Gegensatz von Nation und Geschäft nicht gibt.

Über die Fähigkeit, der Franz Beckenbauer seine Kaiserwürden in einer Republik verdankt, haben wir uns in der MüSZ Nr.5/1974 unter dem Titel „Abseits & Andererseits: Größerer Versuch über das Balltreten“ ausführlich ausgelassen. (Digital leider nicht verfügbar.)

 

aus: MSZ 16 – April 1977

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