Jusos: Pack schlägt sich – und verträgt sich!
Bekanntlich hat die bürgerliche Gesellschaft für jeden ihrer Widersprüche ein Ideal, eine moralische Vorstellung, die von den Nutznießern der Gegensätze gefeiert und denen, die den Schaden haben, zumeist als beherzigenswerte Tugend anempfohlen wird. Der Gegensatz der Klassen erfährt seine Verharmlosung durch die Ideologie der Sozialpartnerschaft, die Unterwerfung unter die Staatsgewalt findet Fürsprecher der Toleranz, der Konkurrenzkampf wird durch Appelle zur Solidarität beweihräuchert und die harte Welt des Eigentums ziert sich mit lieblichen Parolen der Gerechtigkeit. Und neben den wenigen, die dergleichen „Ideen“ als Tugenden, mit deren Hilfe die bürgerliche Scheiße fröhlich fortgeführt wird, zum Kotzen finden, und den vielen, die sie für ihren Eigennutz zu funktionalisieren wissen, indem sie sie anderen aufschwätzen (und dabei nicht versäumen, mit Gewalt zu drohen, wenn der Gehorsam ausbleibt), gibt es auch einige, die sich die Verwirklichung solcher Ideale angelegen sein lassen. Die Durchsetzung der bürgerlichen Ideale gilt ihnen als Sozialismus, und ungeachtet dessen, was MARX über ihre ersten Vertreter gesagt hat (Grundrisse / 160), sinnen sie darauf, in der Sphäre des Staates, in der der ganze Firlefanz seinen Platz hat, die Menschheit einer glücklichen Zukunft zuzuführen. Die Jungsozialisten sind nicht die einzige politische Gruppierung, die sich ein derartiges Programm zurechtgelegt hat. Doch vollbringen sie das einzigartige Kunststück, einen Großteil des revisionistischen Interesses am Staat innerhalb einer bürgerlichen Partei zu vertreten. Sie agitieren in der Reformpartei mit deren Idealen und wenden sie gegen die Praxis der SPD. Ihr Interesse gilt der Umwandlung dieser Partei, obwohl seitens der offiziellen Linie keinerlei Anstalten zu bemerken sind, aus den Idealen der sozialen Gerechtigkeit etwas anderes werden zu lassen als das, was sie sind: eine wirksame Sammlung von Phrasen für Wahlkämpfe, die ohne viel Schwierigkeiten neben eindeutigen Maßhaltevorschriften verkündet werden und von keinem der führenden Männer als Gegensatz zum harten Durchgreifen gegen alle „überzogenen Ansprüche“ verstanden werden. So kritisieren nicht nur die Jusos mit deftig antikapitalistischen Sprüchen ihre Parteiführung, sondern auch diese mit brutalen Antikommunismen ihr Jungvolk – was nur ein einziges Rätsel zu lösen aufgibt. Denn wer sich die Politik der SPD besieht, gelangt zu demselben Urteil wie wir in der Analyse des Orientierungsrahmens '85. Und wer sich die revisionistischen JuSo-Programme ansieht, weiß, daß mit diesen Leuten keine Revolution zu machen ist. Die einzige Frage, die es zu beantworten gibt, ist die nach der Gemeinsamkeit der beinharten Reformer und der aufmüpfigen Jungschar, die sie trotz aller Gegensätze kooperieren läßt. Die Praxis der Partei gegenüber ihrem Jungvolk macht die Antwort für die erste Seite leicht. Die SPD bedient sich der Jungsozialisten: sie sind ein attraktiver Teil ihrer Politik für die kritische Jugend, die eben noch nicht gelernt hat, daß Ideale für den miesen Werkeltag da sind und benützt, aber nicht verwirklicht werden müssen. Willy Brandt verkündet nicht ohne List, daß in der SPD ein Platz für Marxisten sei, wenngleich die Geschichte des Verhältnisses der SPD zu ihren Jugendorganisationen zeigt, daß letztlich die Loyalität der „Marxisten“ die Grundlage für ihre Duldung bleibt. Und zur Loyalität gehört eben Unterstützung im Wahlkampf und anderes mehr. Daß die JuSos den kritischen Kongressen des Aufbegehrens immer wieder Phasen rückhaltloser Unterstützung und Unterwerfung folgen lassen, klärt den zweiten Teil der Sache: sie stehen ihren „toleranten“ Parteivorständen zumindest in einem nicht nach, im Opportunismus des Politikers, der um des eigenen Vorteils willen auch einmal Meinen und Handeln, Ideal und Praxis voneinander scheidet, sich im rechten Augenblick auf das Machbare besinnt. Und in der SPD sind sie, weil die Veränderung, die sie wollen, keine ist. Die Macht der großen Partei, die viele Bürger hinter sich hat, eröffnet ihnen die Betätigung im Felde der großen Politik – welch rosige Perspektive im Vergleich zum Aufbau einer eigenen Organisation, die ihre Adressaten nicht nur dazu bewegt, auf andere Weise dafür zu sein und sich besser vertreten zu lassen, sondern sie kritisiert, weil sie sich z.B. den Sauereien einer SPD-Regierung unterwerfen. ******************
Die Erkenntnis der bürgerlichen Soziologie, daß der Regenerationsprozeß der Parteien stets mit einer „gewissen Radikalisierung“ der politischen Anschauungen des Nachwuchses einhergeht, betrifft die SPD in besonders schmerzlicher Weise: während sich Jungdemokraten und Junge Union darauf beschränken, das Programm der Mutterpartei mit kritischen Akzenten zu versehen, haben sich die Jungen Sozialisten Grundsätzlicheres vorgenommen. Sie kommen der SPD mit ihrer Vergangenheit, pochen aufs Godesberger Programm und wollen mit einer Wiederbesinnnung auf die Ziele des demokratischen Sozialismus eine Kursänderung der Partei erzwingen. Dabei schrecken sie nicht davor zurück, mit Klassenkampfparolen und — im Rahmen ihrer Doppelstrategie — mit einer Mobilisierung der Basis zu drohen. Interne Papiere, die die Eigentumsfrage stellen, sorgen mit Regelmäßigkeit für politische Skandale ebenso wie publik gewordene Kontakte zur DKP. Es riecht nach Volksfront und nicht nur das ZDF-Magazin hat längst die Jusos als Vorhut des Kommunismus in der SPD ausgemacht. Die Jusos selbst jedoch, „die Spaltpilze der Arbeiterbewegung“ (Heinz Kühn), sind sich keineswegs einig über ihre Ziele und ihr Vorgehen: die Vorstandslinie, die das offene Zerwürfnis mit der SPD vermeiden will, konnte auf dem letzten Bundeskongress nur mit knapper Mehrheit die vereinigten Fraktionen der Stamokap-Anhänger und Antirevisionisten niederstimmen, die sich wiederum untereinander bis aufs Messer bekämpfen. Engagierte Juso-Fresser wie Justizminister Vogel drängen mit einem Auge auf die Opposition auf Ausschluß, aber so einfach kann sich die SPD von den Jusos nicht trennen. Holger Börner rühmt die „fruchtbaren Denkanstöße“ und weiß auch die Anziehungskraft der Jusos auf die Jungwähler zu schätzen. Schließlich braucht die Partei „eine junge Generation aktiver Politiker“, die sich „als die starke junge Säule der SPD verstehen.“ (II. 29) I. Wozu taugt die SPD? Der Nachwuchs aber, auf den sich diese (Säulen-)Hoffnung richtet scheint auf diesem Ohre taub, hat er doch nichts als Kritik vorzubringen Nachdrücklich weisen die Jusos darauf hin, daß die „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ und der „Abbau von Privilegien auf allen Gebieten“ – Ziele sozialdemokratischer Politik – immer noch auf ihre Verwirklichung warten lassen „Die politische Praxis der SPD – insbesondere in der Bundes- und Kommunalpolitik bleibt auf weiten Strecken hinter dieser theoretischen Zielsetzung zurück“ (11/57) Empört über den Verzicht der SPD auf die Durchsetzung aller ihrer Zielsetzungen und die Reduzierung auf momentan zu realisierende Reformen werfen die Jusos der SPD gar vor, sie habe ihre Ziele verraten „Die SPD in der BRD begann in den 50er Jahren in enger Anlehnung an das schwedische Beispiel, ihre überkommene sozialistische Programmatik zu revidieren, um ebenfalls als .Volkspartei im Kapitalismus ,regierungsfähig’ zu werden“ (Sozialismus, weil's vernünftig ist /6). Die Jusos halten der SPD vor, hinter ihre eigenen „fortschrittlichen Forderungen“ zurückgefallen zu sein, um an die Regierung zu gelangen. „Anstatt die Bewußtseinsstrukturen der Wähler zu verändern, änderte die SPD ihr Selbstverständnis“ (11/12). Sie machen die SPD auf ihre eigentliche, selbstformulierte Aufgabe aufmerksam, warnen sie davor, sich dem Wählerbewußtsein zu unterwerfen, anstatt es zu verändern, und treten als die besseren, die konsequenteren SPDler auf. Jedoch ist ihre Kritik nicht immer so zurückhaltend, die SPD auf ihre Tradition zu erinnern: sie fahren auch mit größerem Kaliber auf. So beschimpfen sie das neue Selbstverständnis der SPD – Volkspartei zu sein – als Ideologie. die der Bevölkerung glauben machen will, die „Partei wahre die Interessen des gesamten Volkes, so daß sich jeder mit ihr identifizieren könne“ 111/59) und kehren mit dem Hinweis, daß „jede Politik … konkreten Interessen (dient)“ (ebd.), nicht aber ein „irgendwie bestimmtes Gemeinwohl“ vertreten könne, ihre arbeiterfreundliche Gesinnung hervor: „Nimmt man die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ernst, dann kann es in dieser Frage kein Gleichgewicht zwischen Unternehmerinteressen und Arbeitnehmerforderungen gehen. Eine linke Volkspartei muß sich in dieser Frage ohne Zögern auf die Seite der Arbeitnehmer stellen“ (II 59). Den Jusos kommt es also darauf an, daß die SPD wirkungsvoll die Interessen der Arbeitnehmer vertritt und nicht eine „Politik des Interessensausgleichs“ betreibt. Die Konsequenz dieser Kritik muß jedoch verwundern: Obwohl die SPD alles andere tut, als die Jusos wollen; und nichts ihren kritischen Augen standhält, sehen sie sich nicht genötigt, dieser Partei den Rücken zuzukehren. Der Vorwurf, daß die SPD ihre klassenkämpferische Vergangenheit abgeschafft hat, führt sie zu dem kühnen Schluß, daß ausgerechnet diese Verräterin am geeignetsten sei, die fallengelassenen Ziele zu verwirklichen, Im Gegenteil: sie bleiben ihr treu. Ihnen genügt es, daß die SPD eine „Tradition innerhalb der Arbeiterbewegung“ aufweisen kann und auch heute noch einen großen Teil der Wähler auf sich vereinigt, auf die die Jusos nicht verzichten wollen, „wäre es (doch) verfehlt, in sektiererischer Vereinzelung eine neue unbedeutende Organisation zu gründen“ (I/2). Diese eigentümliche Logik liegt aller Kritik an der SPD zugrunde: So ziehen sie über die Regierungsarbeit der SPD her, setzen aber alles daran, sie an der Macht zu halten. Ihr Argwohn richtet sich auf die „gegenwärtige Beschränkung der SPD auf die parlamentarische Arbeit“, die „Modernisierung“ und „Humanisierung“ des Kapitalismus, die Umfunktionierung der „Gewerkschaften zu einem Transmissionsriemen kapitalistischer Interessenvertretung innerhalb der Arbeiterklasse“, die verhindert, „daß die Lohnabhängigen sich in offenem Klassenkampf gegen das Kapital politisieren“ (Sozialismus, weil's vernünftig ist/6). Jedoch führen die Jusos mildernde Umstände für die SPD an: „Im Rahmen der Regierungsfunktionen kann sich allerdings auch die SPD nicht dem Zwang entziehen, staatliche Tätigkeit zur Aufrechterhaltung des Kapitalverwertungsprozesses in Gang zu setzen und für die Probleme Massenloyalität zu sichern“ (1/3). Das Unglück dieser Partei scheint also darin zu liegen, an die Regierung gelangt zu sein. Aber hätte die SPD dann nicht auf die Übernahme der Regierung verzichten sollen? Die Jusos gelangen zu einer anderen Konsequenz. Sie stellen den größten Teil der Wahlhelfer, die nicht müde werden, landauf landab für die SPD zu werben, damit sie jene Regierungsarbeit fortsetzen kann, die ihnen Anlaß zu heftiger Kritik ist. Eines steht fest: auf die Ausübung der Regierungsfunktionen durch die SPD wollen auch die Jusos nicht verzichten. Obwohl sich die „Funktion des kapitalistischen Staates“ in der „Aufrechterhaltung des privaten Kapitalverwertungsprozesses“ (1/1) sehen, sind sie darauf bedacht, daß die SPD an der Regierung bleibt. „Der Parlaments- und Regierungsarbeit kommt die Funktion zu praktische Veränderungen entsprechend den veränderten gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen durchzuführen und zu sichern“ (1/3) Sie wissen also auch schon, wie sich der kapitalistische Staat für Juso-Zwecke einspannen ließe: Mit einem veränderten gesellschaftlichen Kräfteverhältnis, d. h. mit genügendem Druck von der Basis auf die Regierung, glauben sie Reformen durchsetzen zu können. Freilich: der Druck von der Basis auf SPD und Regierung fehlt, und er kann — so die Jusos — nur entstehen. „wenn die Masse der Lohnabhängigen sie (die Reformen) als ihre eigene(n) Forderung(en) übernimmt“ (1/2).
„Es gilt, die SPD radikal zu demokratisieren, das Parlament nicht nur zu wählen, sondern ständig zu kontrollieren, es dem Druck des Volkes auszusetzen, das sich seiner vitalen Interessen bewußt werden muß.“ (II, 96) Die Jusos haben sich also einiges vorgenommen: nicht nur die Aufklärung der Bürger steht an, da diese sich ihre ureigensten Interessen bislang offensichtlich verheimlicht haben, die trägen und unbewußten Bürger sollen auch noch dazu veranlaßt werden, über ihren begrenzten Horizont hinauszugehen und die Partei in Schwung zu bringen. Soll die Unzufriedenheit der Bürger für die Parteireform funktionalisiert werden, müssen die Jusos diese also zunächst einmal wecken: „Die zunächst nur passiv in der Mangelsituation befindlichen Bürger werden zuerst über den Konflikt selbst informiert“ (11/110), um sie dann zu weiteren Schritten zu bewegen: „Die betroffenen Bürger werden an und im Konflikt mobilisiert.“ (ebd.) Auf der Suche nach mobilisierbarem Potential wenden sich die Jusos konsequent an diejenigen, die aufgrund ihrer lohnabhängigen Stellung im Produktionsprozeß zu den Benachteiligten dieser Gesellschaft gehören — aber diese sind sich ihrer „vitalen Interessen“ durchaus bewußt und nicht nur das, sie haben auch — ohne die Unterstützung der Jusos — ein Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen geschaffen. Die Gewerkschaften vertreten bereits die Forderungen der Arbeiter und bemühen sich darum, sie gegenüber Unternehmern und Staat durchzusetzen. So bleibt den Jusos nichts anderes übrig, als der Gewerkschaft ein ums andere Mal die Berechtigung ihres Kampfes zu versichern, allenfalls maulen sie über die mangelnde Entschiedenheit der Gewerkschaft und treiben sie an, das zu tun, was sie zu tun vorhat: „Die Jungsozialisten erwarten von den Gewerkschaften, daß sie sich ihre Forderungen nach angemessenen Tarifabschlüssen und einer Demokratisierung der Wirtschaft durch das vorliegende Mitbestimmungsmodell und die Vermögensbildungsillusionen nicht abkaufen lassen werden!“ (1/ 10) Eine kleine Gegenleistung für diese rückhaltlose Unterstützung können sie jedoch auch verlangen: Die Gewerkschafter in der SPD „sollen die gewerkschaftlichen und andere gesellschaftspolitische Forderungen der Arbeitnehmer in die Partei hineintragen und dort durchsetzen“, wobei sie natürlich wieder auf die Jusos rechnen können: „Dabei werden sie von den Jungsozialisten voll unterstützt.“ (I/ 14) Die Gewerkschaft ist ihrerseits über diesen neuen Bundesgenossen nicht immer ganz glücklich, soweit dieser an der eigenen Basis mit einer „antikapitalistischen Betriebsstrategie der Vertrauensleute“ herumtönt und sie gegen die mangelnde Tatkraft der Gewerkschaftsführung aufhetzen will. Aber so ernst ist es den Jusos wiederum nicht mit diesen Bemühungen: „Um eine politische Zersplitterung bei der Durchsetzung der Interessen der Arbeiter zu vermeiden, kann und darf es keine eigenständige Betriebsarbeit der Jungsozialisten geben.“ (I/ 14) Der Verzicht auf eine eigene Betriebsarbeit kam nicht schwer, denn an eigenen Strategien mangelt es. So halten sich die Jusos weitgehend abstinent von der Gewerkschaftspolitik, beklagen von Zeit zu Zeit, daß es „noch nicht gelungen ist, die Arbeit der Jungsozialisten im nötigen Ausmaß auf die betriebliche Seite der Doppelstrategie zu orientieren“ (I, 3) (leider ist inzwischen auch der Renommierarbeiter im Bundesvorstand, Loke Mernizka, 36, in die SPD hinübergealtert). Aber letzten Endes erscheint as doch am günstigsten, die Gewerkschaften machen zu lassen, und sich selbst damit zu begnügen zumal man ja eigentlich andere Ziele verfolgt – die „gewerkschaftlichen Interessen in die SPD hineinzutragen“ … So bleibt es ihnen verwehrt, sich im Zentrum der gesellschaftlichen Widersprüche als Entdecker und Propagandisten vitaler Interessen zu profilieren, und auch andernorts ist die Weide schon abgegrast, haben doch die Interessen der von Konflikten irgendwelcher Art betroffenen Bürger zumeist schon einen organisatorischen Ausdruck gefunden. Die vernachlässigte Basis Aber so schnell geben Jusos nicht auf, sie entdecken andere Interessen, die sich bisher mangels Masse oder Durchsetzungsvermögen nicht zu artikulieren vermochten: Kinder werden in ihren elementaren Spielbedürfnissen beschränkt, Gastarbeiterkinder erhalten keinen Sprachunterricht, Mieter und Städtebewohner müssen Teuerungen und Sanierungen weichen, Verkehrsteilnehmer sind ohnmächtig gegenüber Preissteigerungen, Eltern finden für ihren Nachwuchs keinen Platz im Kindergarten und Obdachlose bewohnen menschenunwürdige Lager. Grund genug, so meinen die Jusos für eine energische Artikulation der Unzufriedenheit — nicht aber so die betroffenen Gruppen. Enttäuscht konstatieren die Parteireformer, daß die Benachteiligten sehr wohl über ihre Benachteiligung Bescheid wissen, daß sie aber „ein latent vorhandenes politisches Ohnmachtsgefühl“ III, 102), „Resignation und Gleichgültigkeit“ IUI. 79) an der politischen Aktion hindern. Die Jusos müssen sich eingestehen, daß das Vorhandensein vitaler Interessen und deren Umsetzung in ,Druck' auf die Partei nicht dasselbe ist. Wenn die Bürger sich mit ihrer Notlage abgefunden haben, dann muß man ihnen demonstrieren, daß sie unrecht haben, da sich durchaus etwas andern läßt. „Ein wichtiges Moment bei der Auswahl der Konfliktsituationen ist die Erfolgsorientierung. Die Konfliktstrategie muß so angelegt sein, daß Zwischenerfolge möglich sind, die im Bürger ein wachsendes Bewußtsein der politischen Stärke entwickeln.“ (II, 101) Die Basisarbeit erfordert einen Zwischenschritt: in der Organisierung von Selbsthilfeaktionen müssen die Jusos den Bürgern Anreize schaffen für den langen Weg der Parteireform. Angelockt werden müssen die Unterprivilegierten durch eine partielle Befriedigung ihrer Ansprüche, um sie zu größeren Wünschen und entsprechend größerer Unzufriedenheit mit der SPD zu bewegen, die sich dann als Druck gegen die Partei zu deren Fortschritt auswirkt, wie die Jusos ihn wünschen. Und so schaffen die Jusos Erfolgserlebniss: sie bauen Spielplätze, gründen Kinderläden und Mieterinitiativen, organisieren Rote-Punkt-Aktionen, suchen Wohnungen und Arbeitsplätze für Obdachlose — und sind wiederum mit dem Erfolg nicht zufrieden.
Ein Kinderladen im Wedding sollte neben der Realisierung eines emanzipatorischen Erziehungsmodells ein „Arbeitsbündnis zwischen Mittelstand und Arbeiterschicht“ zustandebringen Jedoch „formulierten gerade die Arbeitereltern kaum ihre Wünsche und Bedürfnisse“ und konnten „den Mittelstandseltern kaum den notwendigen Einblick in ihre eigene Problematik geben.“ Schließlich wollten sie ihre Kinder unterbringen, nicht aber ihre ohnehin beschränkte Freizeit mit Erörterungen über pädagogische Fragen, Fragen über die frühkindliche Sexualität, über ihre Aggression“ etc. vertun, um dem Wunsch der Jusos entsprechend sich mit Bürgereltern zusammenzufinden – auch politisch“. (III, 103-7) Dabei hätte doch die Anwerbung von Mittelständlern der Durchsetzung der Arbeiter in der Partei nur nützlich sein können.
Getreu ihrer Devise, die Konflikte in einen gesellschaftspolitischen Kontext zu stellen“, begründen die Jusos zunächst einmal die gesellschaftliche Funktion der Obdachlosigkeit mit der Disziplinierung der Arbeiterschaft. Ihre erste Hilfeleistung besteht darin, den ihrer Meinung nach diskriminierenden Begriff zu ersetzen, denn „durch den Begriff wird der Mitbürger in den Einfachst- und Übergangswohnungen von allen anderen dieser Gesellschaft hintangestellt“ (I, 33), um sich dann den Obdachlosen selbst zuzuwenden. Kieler Jusos sorgten für eine „konkrete Verbesserung der Lebensbedingungen der Lagerbewohner“, suchten Wohnungen und Arbeitsplätze und feierten schließlich die „Wiedereingliederung in die Gesellschaft“ als ihren Erfolg. (III, 112—6) Internen Zweiflern gegenüber, die darauf hinweisen, daß „unser Gesellschaftssystem durch den in allen Bereichen vorhandenen Leistungsdruck die Existenz von Randgruppen geradezu fördert“ (1, 33), daß also auf die Wiedereingliederung der gesellschaftsfähig gemachten Obdachlosen die Wiederausgliederung anderer Opfer des Leistungsdrucks folgen würde, entgegnen die Kieler Jusos: „Hier ist der Beweis, daß sich die Lage von sozial Benachteiligten in dieser Gesellschaft verbessern läßt, wenn man sich den Problemen der Unterprivilegierten mit Ausdauer und Engagement widmet.“ (III, 116) „Mit der Initiative der Bürger ist kein Staat zu machen“ Wem aber sollte etwas bewiesen werden? Das politische Ohnmachtsgefühl der Bürger hatte durch erfolgreiche Bürgerinitiativen widerlegt werden sollen, um eine „weiterführende Politisierung zu erreichen“. (II, 1041 Die Bürger aber sind undankbar: sie sind einfach mit dem Resultat zufrieden und denken nicht daran „die gemeinsame Praxis in eine systemverändernde Gesamtstrategie“ (II, 108) einzuordnen. Entrüstung über die Borger die nur auf ihre ,vitalen Interessen' bedacht sind, greift um sich: „Die Gefahr für Initiativen, die im Ansatz einen Mangel durch genossenschaftliche Selbsthilfe abhelfen wollten, liegt darin, daß der politische Kontext, aus dem sie entstanden sind, zurücktritt (!) gegenüber dem Moment der Selbsthilfe, z. B. ein mittelständisches Erziehungsbedürfnis zu befriedigen. Statt politischer Organisation entsteht ein für den gesellschaftlichen Kampf bedeutungsloser kollektiver Dienstleistungsbetrieb.“ „Was bleibt, ist eine Aktion, die das Interesse am billigen Verkehrstarif durchsetzt – der politische Stellenwert geht verloren.“ (II, 117-9) Die Jungsozialisten setzen auf ihre Ausdauer: vielleicht bringt es die Summe aller Initiativen im gesellschaftlichen Basisbereich“ und die vermehrte .Information über den gesamtgesellschaftlichen Hintergrund“ (II, 104—5) Unermüdlich betätigen sie sich als Pioniere der staatlichen Sozialpolitik, entdecken Lücken, die die Fürsorge gelassen hat, die sie entweder in mühevoller Kleinarbeit durch den Aufbau von Selbsthilfeinitiativen schließen oder in Forderungen an den Gesetzgeber umwandeln. Damit jedoch die politische Perspektive nicht verlorengeht, schmücken sie ihre diversen Aktivitäten mit Verweisen auf den Gegner, sei es nun die „profitgierige Industrie, die die Spielplatzgestaltung steuert“ (III, 90), „kapitalkräftige Unternehmen, die die Wohnbevölkerung verdrängen“ (III, 79) oder „die profitorientierte Wirtschaftsverfassung“, die die „öffentliche Armut im Nahverkehr verschuldet“. (II, 109) Jedoch bewegen auch diese Hinweise die Adressaten nicht zu größerem Eifer: die Bürger, denen die Jusos geholfen haben, sich im System vorteilhafter einzurichten, gelüstet nicht nach Systemveränderung. Soweit die Selbsthilfe gelingt, lassen sie es damit bewenden – sie haben ihr Ziel erreicht –, soweit sie an Schranken stoßen, finden sie sich damit ab. Daß die Verkehrsbetriebe bankrott gehen, wenn der Null-Tarif eingeführt wird, leuchtet ihnen ein, ebenso, daß den Städten das Geld für eine Sanierung mangelt oder die gesetzlichen Mittel, um die Hauseigentümer in Schach zu halten. Der Hinweis auf den politischen Stellenwert, den die Jusos ihren Aktionen geben wollen, die Aufforderung zur „Mitarbeit in den herkömmlichen Institutionen, einer Partei sprich SPD“ stößt auf taube Ohren: „Dieser Hinweis ist nicht unbedingt sinnvoll, wenn man die bestehenden Vorbehalte der Bürger, in den herkömmlichen Organisationen mitzuarbeiten, in Rechnung stellt.“ (II, 105) Daß die Tätigkeit der Jusos darauf hinausläuft, solche Vorbehalte zu schaffen, indem sie die SPD vor den Bürgern miesmachen, fällt ihnen nicht auf. Ihre Aufforderung, sich um eine Partei zu kümmern, die von ihnen ständig darin kritisiert wird, daß sie die Interessen der Bürger vernachlässigt, wird von diesen entsprechend quittiert: sie denken nicht daran, sich vor den parteipolitischen Karren der Jusos spannen zu lassen, schließlich ist es nicht das Geschäft der Wähler, die Partei zu verbessern – sie haben genügend andere Sorgen. Unzufriedenheit ist normalerweise kein Grund, in eine Partei einzutreten! Vollends absurd mutet die Bürger der Vorschlag an, allen Organen der staatlichen Verwaltung Bürgerräte zur Seite zu stellen, um die Interessen der Bevölkerung unmittelbar zur Geltung zu bringen, da sie ja gerade dafür, ihre Vertreter wählen und diese auch bezahlen, damit sie sich nicht um alles selber kümmern müssen. Enttäuscht resümieren die Jusos: „mit der Initiative der Bürger allein ist kein Staat zu machen“ (III. 107). Wenn die Initiative der Bürger so dürftig ausfällt, muß die Partei attraktiv gestaltet werden, um sie zu Taten zu bewegen: „Der völlige Verzicht auf Arbeit in der SPD hätte langfristig die Konsequenz, daß die entstandene Mobilisierung ohne weitergehende Perspektive versickerte und damit unwirksam bliebe.“ (I, 3) Sie schimpfen über Apathie und Resignation derjenigen, deren nicht berücksichtigten Interessen ihnen als Vehikel der Parteireform dienen sollten. Verärgert über die Engstirnigkeit und Skepsis der Bürger gegenüber der Partei und vielleicht auch der unbezahlten Sozialarbeitertätigkeit überdrüssig, besinnen sie sich auf ihre andere Hälfte, die Parteiarbeit.
„Die Arbeit in den Institutionen dient dem Zweck, Basisforderungen politisch umzusetzen – sozialistische Alternativen öffentlich darzustellen.“ (III, 56) „Nur wenn man überzeugend darzustellen vermag, wofür es sich lohnt, diese Gesellschaft zu verändern, kann man eine Massenbasis für sozialistische Politik bekommen.“ (III, 55) Um die Massen zu werben, sind Einfälle verlangt, eine „Synthese von Sozialismus, Futurologie und Phantasie.“ (II, 98) Der Juso, der die Partei mit Hilfe des Bürgers auf Vordermann bringen wollte, muß nun erst einmal per Partei die Bürger für den Fortschritt begeistern. Aber auch in der Parteiarbeit müssen die Jusos fürchten, daß die Bürger sich zu schnell zufriedengeben. Jede Reform bringt die Gefahr mit sich, daß sie die Nutznießer darüber hinwegtäuscht, daß noch viel mehr geschehen muß, und so ist jede Reform eine ambivalente Sache: „Einerseits kann sie die soziale Stellung der Lohnabhängigen bessern und damit ihre Aktionsmöglichkeiten erweitern, andererseits kann sie soziale Konflikte mildern oder vertuschen.“ Bei der Ausarbeitung solcher Projekte muß der Juso also darauf bedacht sein, die Massen auf Trab zu halten, d. h. nicht alle Wünsche zu erfüllen, dafür die Perspektive vorzuweisen: „Die Bedeutung eines Reformprojekts muß gesellschaftlich vermittelbar sein, damit Massenmobilisierung möglich (!) wird, d. h. daß es möglich sein muß, Problembewußtsein zu entwickeln und das Teilziel einsichtig zu machen.“ (1, 2) „Antikapitalistische Strukturreformen“ Für die Jusos sind Reformen also nur soweit von Interesse, als sie die gesamtgesellschaftliche Perspektive deutlich zu machen vermögen und sie verwenden alle Mühe darauf, die einzelnen Projekte als Teilschritte auf einem langen Weg darzustellen. Während Parteien üblicherweise ihren Erfolg in der Zufriedenstellung der Bürger sehen, erhoffen sich die Jusos von jeder Reform das sichere Gegenteil. Für diese Doppelfunktion, die jedes einzelne Reformwerk leisten soll — konkrete Fortschritte sollen erzielt werden, um zugleich den Blick offenhalten, für das, was alles noch reformiert werden muß, haben die Jusos einen schönen Namen gefunden: sie entwerfen „antikapitalistische Strukturreformen“ (I, 5). Wenn dieser Titel seinen Urhebern auch ganz flüssig über die Lippen geht — im Umgang mit den gesellschaftlichen Problemen, der Steuerung der Marktwirtschaft oder der gewerkschaftlichen Mitbestimmung z. B, zeigt sich, daß ein Angriff auf die „kapitalistischen Strukturen“ etwas anderes ist als deren Reform. Darüberhinaus versanden die vermeintlichen Angriffe bereits in den parteiinternen Durchsetzungsversuchen. Der Unmut derjenigen, deren Reproduktion innerhalb der von den Jusos kritisierten Strukturen verläuft und die sich daher angesichts dieses Vorhabens um ihre Sicherheit zu sorgen beginnen, wird zu einem Argument, das alle weitergehenden Vorstöße in der Partei abgeblockt werden. Anstatt unter den Massen Begeisterung auszulösen, wird die politische Perspektive zu einem lästigen Zubehör der Reformarbeit, das sich im Ringen um die Durchsetzung allmählich abschleift und schließlich ohne Schaden gestrichen werden kann. In der marktwirtschaftlichen Praxis haben sich „Investitionen nicht nach gesellschaftlichen Bedürfnissen, sondern prinzipiell nach den Absatz-, und Gewinnerwartungen der Unternehmer zu richten“. (I, 16) Daran kann die von der SPD propagierte indirekte Investitionslenkung (die sogenannte Globalsteuerung durch Kreditvergabe, Steuern, Subventionen, Zinspolitik etc.) – nach Meinung der Jusos – nichts ändern, da die „Unantastbarkeit unternehmerischer Investitionsentscheidungen“ bestehen bleibt, was immer wieder zu „erheblichen Fehlentwicklungen führt“. (I, 16) „Sollen die Krisen des marktwirtschaftlichen Systems nicht auf dem Rücken der Lohnabhängigen und Unterprivilegierten ausgetragen werden, so müssen andere Modelle der Investitionslenkung entwickelt werden. Dabei muß auch die Eigentumsfrage gestellt werden.“ (I, 17) Die Jusos treten für die direkte Investitionslenkung ein, „die in ihrem Kern auf der Konstruktion eines Instrumentariums zur Beeinflussung von Investitionen durch direkte Einwirkung über ein Genehmigungsverfahren beruht,“ (I, 17) Da jedoch die „Planungsinitiative bei den Unternehmern bleibt ... die ökonomische Tätigkeit der Großkonzerne nach wie vor im kapitalistischen Verwertungsinteresse erfolgt, ist die Auffassung, daß ein Investitionskontrollamt reaktiv für die Interessen der arbeitenden Bevölkerung und gegen die Interessen der Großkonzerne handeln könnte illusionär.“ (I, 18) Als Teilziel auf dem Weg zu einer arbeiterfreundlichen Gesellschaft kann der Versuch, durch „andere Modelle der Investitionslenkung“ die Mängel der freien Marktwirtschaft zu kompensieren, nicht bestehen. Die beste Verbesserung des Systems ist natürlich seine Abschaffung. Das Interesse der arbeitenden Bevölkerung verlangt eigentlich eine „Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien“. Erst dann ist ein „verbindlicher gesamtwirtschaftlicher Investitionsplan“ realisierbar, dies aber wiederum hat die „Erringung der politischen Macht der Arbeiterklasse zur Voraussetzung.“ (ebd.) Hier enden aber nun auch die jungsozialistischen Einsichten, denn die Massen haben hierfür nicht das richtige Bewußtsein. Solche Höhenflüge rütteln sie nicht auf, sondern verschrecken sie höchstens. Also zurück in die Realität, geht es doch schließlich darum, die SPD nach links zu drängen, und vor diesem Ziel disqualifizieren sich solche Pläne, mögen sie noch so richtig sein. Zwar ändern die Wirkungen der direkten Investitionslenkung die Lage der arbeitenden Bevölkerung nicht, aber das Projekt wollen die Jusos nicht aufgeben. Im Rahmen der anvisierten paritätischen Mitbestimmung will man zumindest auf eine „Festlegung der Investitionen und Produktionsinhalte nach gesellschaftlichen Bedürfnissen hinwirken und zur Verhinderung von am Profitinteresse orientierten Produktionsweisen (geplanter Verschleiß) beitragen.“ (II, 182) Das Versprechen, auf eine radikale Lösung „hinzuwirken“ bzw. zu ihr „beizutragen“, belegt nur noch das schlechte Gewissen bei der Befürwortung der modifizierten Investitionslenkung zu der sie sich nun durchgerungen haben. Selbst dabei gibt es noch Schwierigkeiten: es „setzt ein völlig neues gesellschaftliches Bewußtsein bei den Arbeitnehmern voraus, für das es nur wenig Anzeichen gibt. (Einsicht in die Verkehrsprobleme bringt heute keinen Automechaniker dazu, für die Produktion von Straßenbahnen statt Autos zu plädieren.“ (II, 182) So sind die Jusos wieder bei ihrem Ausgangspunkt angekommen - die Versuche, die Parteidiskussion zu radikalisieren. scheitern an der harten Realität. Hier geht es von vorneherein etwas vorsichtiger zu, die Mitbestimmung soll nur die „Voraussetzung für den Übergang zum Sozialismus“ (II, 176) schaffen. Mit den Worten eines Juso: „Die Mitbestimmungsforderung bietet einen Ausweg aus der Sackgasse, in die sich die Jungsozialisten durch die Forderung nach Vergesellschaftung der Produktionsmittel begeben haben . . . Aber nicht nur aus taktischen Erwägungen drängt die Milbestimmungsforderung die Vergesellschaftsforderung in den Hintergrund, vermag sie doch langfristig einen Großteil der Fortschritte zu erzielen, die von einer Vergesellschaftung der Produktion zu erwarten wäre.“ (II. 176f) Also doch, empören sich die Wähler, jetzt machen sie es durch die Hintertür. Schleunigst bauen die Jusos wieder ab: „Eine solche neue Wirtschaftsverfassung muß schrittweise eingeführt werden, ohne daß dadurch Belastung der Stabilität oder gar handfeste Wirtschaftskrisen entstehen dürfen.“ (II, 179) Daß das Gewinnstreben und die Produktion nach gesellschaftlichen Bedürfnissen sich selbst widersprechen, haben die Jusos selbst konstatiert. Die neue Wirtschaftsverfassung muß also entweder die Unternehmermacht beseitigt haben oder sie ist die alte Wirtschaftsverfassung geblieben. Schritte, die die Stabilität der Marktwirtschaft nicht belasten, können also keine Meilensteine auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaftsverfassung sein. Wie sie dennoch beides miteinander vereinbaren läßt (vielleicht laufen die Unternehmer zu den Jusos über?), bleibt den weiteren Theoriediskussionen überlassen. Die Jusos legen den zweiten Rückwärtsgang ein: es geht nurmehr darum, was Mitbestimmung sein könnte: „Macht durch die Arbeitnehmer ist durch die Mitbestimmung nur zu erreichen, wenn sie sich nicht als Element der Partnerschaftsideologie zwischen Kapital und Arbeit versteht, sondern als Gegenmacht gegen die Interessen des Kapitals.“ (II, I73) An diesem gedanklichen Kunstwerk, das das Miteinander der Betriebsführung zum geeigneten Schlachtfeld erklärt, um die Interessengegensätze auszutragen, fällt den Jusos nur auf, daß die Gegenmacht sich nicht als solche versteht. So setzen sie ihren Krebsgang fort und wollen die Mitbestimmung als Trainingsplatz für Demokratisierungsübungen verstanden wissen „Mitbestimmung kann nur dann einen Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft leisten, wenn sie selbst demokratischen Prinzipien unterliegt; dazu haben die Jusos in ihrer Konzeption besonderes Gewicht auf die ständige Kontrolle der gewählten Arbeitnehmervertreter auf allen Betriebsebenen gelegt …“ (11. 175) Da sie sich aber mit dieser Forderung gegen den DGB stellen, müssen sie sofort betonen, „daß dies als langfristige Forderung zu verstehen sei, die nicht darauf abziele, beim heutigen Stand der innerbetrieblichen Auseinandersetzung die Stellung des Betriebsrats (damit indirekt auch der Gewerkschaft) in den Betrieben zu schwächen . ..“ (II, 175) Zuguterletzt sind sie also auch hier von ihren Höhenflügen zum Machbaren zurückgekehrt. Obwohl sie konstatiert haben, daß die Mitbestimmung durch die Partnerschaftsideologie dem Kapital dient, haben sie sich mit all dem abgefunden und hoffen auf eine bessere Zukunft. Es gibt jedoch noch ein Betätigungsfeld, wo die Parteireformer, ungehindert von dem Widerstand, auf den ihre Projekte in der SPD stoßen, endlich einmal ans Regieren kommen können. Auf den unteren Stufen der Macht – in den Kommunen – bieten sich Chancen für einen direkten Angriff auf die Verhältnisse. Die „Verwilderung der Städte durch den Kapitalismus“ schafft genügend Probleme, die nach einer energischen Lösung verlangen, an denen sich die Massen mobilisieren lassen. „Die Wohnungsversorgung unterliegt in der BRD den Gesetzen des freien Marktes und der Kapitalverwertung . Unter diesen Bedingungen kann es eine Befriedigung der Wohnungsbedürfnisse der unteren und mittleren Einkommenschichten nicht geben . . . Für die Masse der Bevölkerung verschlechtert sich die Wohnungsversorgung noch zusätzlich durch die Mechanik der Bodenrente.“ (I, 27) Unter diesen menschenunwürdigen Bedingungen sollte es doch möglich sein, „die Aktivierung der Wohnbevölkerung“ zu erreichen. Aber für was? Die Jusos werden wieder vorsichtig: „Langfristig ist die gesamte Wohnungsversorgung mit Ausnahme bestehender eigengenutzter Eigentumswohnungen und Eigenheime (man will den kleinen Mann schließlich nicht vergraulen) zu vergesellschaften.“ (I, 30) Damit ist die radikale Tour schon beendet, für die eigentliche Arbeit der Jusos in der Kommunalpolitik hat die Sozialisierung von Grund und Boden keine Bedeutung. Der Widerspruch einer sozialistischen Kommunalpolitik wird nur festgestellt, um das Sozialistische daran zu begraben: „Einerseits wird eine sozialistische Kommunalpolitik nicht für möglich gehalten Andererseits aber ist Kommunalpolitik die Nagelprobe dafür, ob die Interessen der unterprivilegierten Mehrheit wirksam vertreten werden oder nicht.“ (II, 167) So wendet man sich den Alltagsfragen zu, richtet Wohnungsvermittlungsstellen ein, verhindert in den Stadträten den Abbruch von Altbauwohnungen und sorgt für mehr Grün. („Die im Zentrum der hessischen Hauptstadt Pflastersteine aus den Straßen reißen, um Rasen zu säen und Bäume zu pflanzen, tuns für den Sozialismus.“ (III, 117) Zwar soll solche Kommunalpolitik zum „Motivierungsmittel sozialkritischer Politik werden“ (II, 167), muß sich aber an die Motive der Adressaten halten, die zunächst einmal wissen wollen, was es ihnen nutzt. „Das wiederum hat zur Folge, daß die konkreten Alternativen systemimmanent ausfallen.“ (II, 168) So drehen sich Juso-Stadtverordnete im Kreis: die langfristige Perspektive im Hinterkopf, wollen sie kurzfristig bessere Sozialpolitik machen: „Wir müssen hier im Rathaus zwischen Zielkonflikten entscheiden. Dabei können wir nur versuchen, das Instrumentarium des Kapitalismus so weit wie möglich für unsere Zwecke einzusetzen … Na klar, ich hätte auch lieber eine andere Gesellschaftsordnung.“ (Jordan, Stadtentwicklungsdezernent, III, 127) Im Unterschied zu den theoretischen Höhenflügen zeigt sich hier, daß die Jusos in den Ämtern von alleine ihre gesellschaftspolitische Perspektive einrollen. Mit den Worten von Johano Straßer: .Sie haben einen Zipfel der Macht, die notwendig ist, um gesellschaftliche Veränderungen einzuleiten. Aber mit den Erfolgen wächst auch die Verantwortung (!). Mit unausweichlicher Dringlichkeit stellt sich die Frage nach den konkreten Alternativen.“ (III, 54) Die konkreten Alternativen aber sind durch die marktwirtschaftliche Realität abgesteckt. Es bleibt die systemimmanente Entscheidung von Zielkonflikten. Wird dabei zu ,links' entschieden, z. B. die Gewerbesteuer zu sehr heraufgesetzt, um noch mehr Bäume pflanzen zu können, dann wandern die Unternehmer ab. Die Juso-Stadträte berauben sich ihrer finanziellen Grundlage und bei der nächsten Kommunalwahl wird ihnen ihr guter Wille quittiert. Verantwortung tut not.
Die Jusos haben es sehr schwer: sie wollen die „SPD entsprechend verändern, damit diese eine Partei mit klarer sozialistischer Perfektion wird“. Dies wird sie aber nur „auf Grund des Drucks der Arbeiterklasse“, von dem nicht viel zu spüren ist. (I, 4) Der Versuch, der Partei Reformprojekte aufzudrängen, die die Massen aufrütteln, scheitert gerade daran, daß diese keinen Druck dahintersetzen . . . Im Gegenteil, die Massen werden mißtrauisch und so finden auch die Strukturreformen in der Partei keinen Anklang — der Hinweis auf die Ängste der Wähler vor grundlegenden Reformen, die mit der Stabilität der sozialen Ordnung auch ihre private Existenz zu gefährden drohen, entschärft noch jedes Reformprojekt. Auch in dem Bereich, in dem die Jusos endlich zum Zug kommen, in der Kommunalpolitik, verschwindet die Hoffnung auf die Durchsetzung „konkreter Alternativen“ schnell angesichts der schwierigen Frage, wie sich dies mit einem begrenzten Budget und den gesetzlich garantierten Eigentumsverhältnissen verwirklichen lassen soll.
Da auf die Bürger bei der Durchsetzung der für erforderlich gehaltenen Maßnahmen zur Reform des Systems kein Verlaß ist, beginnen die Jusos damit zu sympathisieren, energisch durchzugreifen, notfalls auch ohne die völlige Zustimmung der Bürger, Johano Straßer erwägt neuerdings die Vorzüge einer „Struktur zur Zentralisation der Willensbildung und zur Durchsetzung eines in Mehrheitsbeschlüssen sich manifestierenden allgemeinen Interesses auch gegenüber den einzelnen Mitgliedern dieser Mehrheit selbst.“ (Spiegel 24) Ein eigentümlicher Wandel hat sich vollzogen: die Empfindlichkeit der Jusos gegenüber einem Machtzuwachs des Staates – die Verhinderung der Notstandsgesetze wurde noch als eine „Lebensfrage der Demokratie“ (II, 17) begriffen – ist einer Haltung gewichen, die die Stützen staatlicher Macht durchaus zu schätzen weiß. Straßers Empfehlung „dafür zu sorgen, daß die staatlichen Machtapparate (Polizei, Bundesgrenzschutz. Bundeswehr) auch dann auf die Demokratie verpflichtet bleiben, wenn die Linke daran geht, ihre bürgerlichen Schranken aufzuheben.“ fällt beim „Spiegel“ unter die Rubrik „Marxistische Staatsphilosophie“, allein weil hier Gewalt ins Spiel kommt, und nur „Der Spiegel“ kann auf die Idee kommen, Gewalt mit Kommunismus gleichzusetzen. Nur gescheiterte Jusos können auf den Gedanken verfallen, den Machtapparat des bürgerlichen Staats ausgerechnet dafür einsetzen zu wollen, das Wohl der Bürger gegen deren Willen durchzusetzen. „Auseinandersetzungen gibt es bei uns doch immer. Das ist doch logisch.“ (Heide Wieczorek-Zeul) Vorläufig jedoch scheitern die Jusos an der Parteiraison, was unter ihnen selbst erbitterte Streitigkeiten hervorbringt. Anhand der Frage der Durchsetzung in der SPD fraktionieren sich die Parteikritiker. Die einen setzen auf den langsamen Fortschritt der Doppelstrategie, nehmen Abstriche an ihrem Konzept in Kauf, trösten ihre hochgespannten Erwartungen mit dem Schritt für Schritt sozialdemokratischer Reformwerkelei und nähern sich unversehens dem Standpunkt der Partei, die sie reformieren wollten. Die andere Seite radikalisiert sich und beharrt gegenüber allen Forderungen der Parteiraison auf der Notwendigkeit von Enteignung und Verstaatlichung. Der Streit spitzt sich zu in der Frage nach dem Stellenwert der Reformen. Überwinden oder stabilisieren sie das System? Während die einen die Reformarbeit selbst für ausreichend erklären, um die neue Gesellschaft herzustellen, schreiben die anderen ihnen nur eine vorbereitende Funktion zu und verweisen auf die Notwendigkeit der Revolution. Trotz eifriger Textexegesen des Godesberger Programms konnte diese Frage auf dem letzten Bundeskongreß nur per Abstimmung zugunsten der Vorstandslinie entschieden werden – die Kontroverse setzt sich also fort. Da es sich darum dreht, ob man in der SPD Politik macht, wobei die eigenen Ziele zurückgestellt werden müssen — oder ob man weiter an ihnen festhält und sich damit von der praktischen Politik abschneidet, gerät der Streit unter den Jusos zur endlosen Theorie-Praxis-Debatte mit allen dazugehörigen Diffamierungen. Diejenigen, die sich darauf beschränken, das schlechte Gewissen der SPD zu spielen, müssen sich „moralischen Rigorismus“ (III, 13) vorwerfen lassen. Sie hängen einem „Mythos von der unbefleckten Empfängnis des Sozialismus an“ (III, 53) an und glauben, daß die Politik „ohne einen Spritzer auf der reinen theoretischen Weste vollzogen werden könne.“ (III, 13) Eigentlich gehören sie gar nicht in die SPD: „Wer im Strom gefährliche Stromschnellen ausgemacht hat, darf den nicht als kompromißlerischen Feigling hinstellen, der versucht, den gefährlichen Sieben auszuwaschen. Wer das Aufgeben von politisch erkämpften Machtpositionen riskiert damit seine theoretisch erarbeiteten Positionen nicht revidiert werden müssen, gehört nicht in eine politische Partei, die sich im politischen Kampf befindet …“ (III, 24) Was dem einen recht ist, ist den anderen billig: diejenigen, die sich auf de geduldige Parteiarbeit verlegen, sind charakterlos. „Opportunismus und Anpassungspolitik“ (III, 52), „Linkskarrierismus“ und Korrumpierung durch Parteiämter werden ihnen vorgehalten. (I, 7) Daß dies zwangsläufig geschieht, wollen sich die Jusos in der Partei durchsetzen, weigern sich die „Dogmatiker“ zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist dies nur die eine Variante des Widerspruchs, den ein radikal reformistischer Flügel in einer staatstragenden Partei darstellt. Will die SPD regierungsfähig bleiben, ist sie gezwungen, auf ihrem Realismus und der Beschränkung der Reformen aufs Machbare zu bestehen. Daß die Parteilinken sich dem beugen müssen in der Hoffnung auf eine Politik der kleinen Schritte, leugnen die verbissenen Jusos und unterwerfen sich diesem Zwang auf ihre Weise, indem sie sich auf eine parasitäre Existenz in der Partei zurückziehen, die sich darin gefällt, Theroriediskussionen zu fordern und sich diskutierenderweise von der Notwendigkeit, irgendwelche Ziele auch durchzusehen, freispricht. Der Vorzug der Offenheit, den diese Position mit sich bringe, bewährt sich denn auch in zahlreichen Kontakten der theoretisierenden Jusos mit anderen Fraktionen der „antirevisionistischen Linken“. (Auch AK-Neigungen sind schon aufgetreten, obgleich die Verbindlichkeit dieser Position etwas Abschreckendes an sich hat – die Sammelbewegung des „Sozialistischen Büros“ dagegen verspricht einen fruchtbareren Gedankenaustausch.) So bewegen sich die Jusos, die Jusos bleiben wollen, nach wie vor in ihrem Zirkel, an der Partei festzuhalten, da man nur über sie politischen Einfluß gewinnen kann, jedoch mit ihrer kritischen Position in der Partei einflußlos zu bleiben. Das Kalkül mit der Macht – „die SPD ist organisatorisch in der Arbeiterklasse verankert und wird von dieser weitgehend als ihre Partei akzeptiert“ (I, 3) – hindert die meisten daran, die Konsequenz zu ziehen, wie der Münchner Stadtrat Geiselberger („Scheiß-SPD, wenn sie CDU-Politik macht“) und die Frankfurter Gruppe um Rainer Eckert, und auszutreten. Die Mehrheit paßt sich an oder belügt sich hartnäckig über die eigene Funktion, das heftige Diskutieren und die Skandale, die man mit „marxistisch“ eingefärbten Papieren erregt, täuschen über die politische Bedeutungslosigkeit hinweg. Die einzige Leistung, die die Jusos vorweisen können, ist die Tatsache, daß sie nach außen hin, das progressive Image der SPD repräsentieren und damit diejenigen in die Irre führen, die angelockt von ihren fortschrittsfreudigen Sprüchen, ihre Erwartungen an die SPD knüpfen. So fristen die Jusos voraussichtlich noch weitere Jahre ihr Dasein in der SPD und verfolgen, angeleitet von der Erkenntnis, „daß sich eine Theorie, die nicht in der Lage ist, mehrheitsfähig zu werden, zur reinen Utopie degradiere“ (III, 14) die bekannte Taktik, zu Wahlzeiten den Bürgerschreck-Juso unter Verschluß zu halten, um die Wähler nicht zu verärgern, und dann, wenn ihnen die Lage günstig zu sein scheint, weitergehende Reformpläne aus der Tasche zu ziehen, um die Partei damit zu erpressen. Ihre politische Bedeutung verdankt sich größtenteils dem Geschick, mit dem der politische Gegner ihr Doppelspiel ausnutzt, wenn er zur Unzeit Juso-Papiere ans Licht der Öffentlichkeit bringt. So werden sie zu einem Unsicherheitsfaktor für die SPD, die es nicht dulden kann, daß mit der klaren Linie das Zutrauen der Wähler verlorengeht. Der Beschluß des Landesverbandes Franken, daß Jusos in Parteiämtern sich nicht mehr auf Beschlüsse der eigenen Bundeskonferenz berufen dürfen, deutet eine mögliche Lösung des Problems an: mit der Beseitigung des Rechts auf eine eigene Programmatik wäre die Unterwerfung unter die Parteiraison perfekt. aus: MSZ 6 – 1975 |