Demokratischer Faschismus in Israel: Der Juden Staat
Die Parteien in der Knesseth, deren Abgeordnete gelegentlich auch einmal die Jacke ausziehen und sich die Beachtung nationaler Interessen handfest einbleuen, sind sich darin einig, daß ihr Staat es sich nicht „leisten kann“, sich einen Staat an seine Grenzen setzen zu lassen, in dem die Opfer seiner eigenen Gründung, die man nicht nur für Terroristen hält, sondern auch entsprechend behandelt, jene Heimstatt finden, um deretwillen Israel seit 1948 seine Bürger dreimal in den Krieg geschickt hat. Die Endlösung der Palästinenserfrage, die ausgerechnet von denen so fanatisch betrieben wird, die Überlebende einer „Endlösung der Judenfrage“ sind, haben die Israelis bislang recht erfolgreich militärisch abgewickelt und sie sehen absolut nicht ein, warum dies nicht mehr gehen soll. Seitens ihrer arabischen Nachbarn wurden sie dabei zum Teil tatkräftig unterstützt (Jordanien, Libanon), teils allein deswegen behindert, weil die Lösungsversuche auf Territorien stattfanden, die syrisches bzw. ägyptisches Staatsgebiet sind. Weil sich also die Existenz Israels der Vertreibung der Palästinenser verdankt und die Fortsetzung dieser Staatsgründung durch Terrorismus über die Annektion von Gebieten angrenzender Staaten verlief, ist dieser Staat existenzfähig nur durch die ständige militärische Konfrontation mit denen, deren Existenz er zerstört hat, bzw. gefährdet. Israeli sein heißt, in ständiger Bereitschaft leben, dafür zu sterben. Dies erfordert von den Staatsbürgern eine Loyalität ihrem Gemeinwesen gegenüber, die die eigene Existenz hinter diejenige des Staates stellt, also auch in „Friedenszeiten“ die Haltung eines Frontsoldaten. Vom Faschismus unterscheidet sich eine solche Gesellschaft dadurch, daß sie im Inneren auf die bekannten Methoden historischer Vorbilder verzichten kann. Anders ausgedrückt: soweit alle Staatsbürger Faschisten sind, muß der Faschismus nicht mehr durchgesetzt werden. Die Konzentrationslager Israels sind die palästinensischen Flüchtlingslager außerhalb der Grenzen und die Wächter kommen nur gelegentlich und dann meistens aus der Luft. Im folgenden wird untersucht, wie der Imperialismus den Faschismus als Demokratie unterhält und warum diese Demokratie nur als Faschismus funktioniert.
Die unbedingte Begeisterung und Unterstützung der westlichen Welt für Israel flaut seit einigen Jahren kontinuierlich ab. Selbst in der BRD, wo absolut unkritische Begeisterung schon deswegen sich einstellen mußte, weil die eigene Vergangenheit eine möglichst überzeugende Demonstration überwundenen Antisemitismus günstig erscheinen ließ und außerdem noch den reaktionärsten Säcken die billige Abgrenzung von ihren eigenen Faschistereien) ermöglichte – selbst in der BRD beginnt ein normales Verhältnis zu Israel sich einzurichten. Der heimliche Ärger über das eigene schlechte Gewissen und über die Selbstverständlichkeit, mit der die ehemaligen Opfer aus moralischer Schuld Kapital (nämlich Wiedergutmachung – kann man sowas denn mit Geld wiedergutmachen? die scheinheilige, staatsbewußte Frage) schlagen, macht sich in der mittlerweile unverdächtigen Form Luft, Israel auch als einen Staat wie jeden anderen zu betrachten, um dabei zwangsläufig auf seine Mangelhaftigkeit im Vergleich zum eigenen Staatswesen zu kommen. So lästert der „Spiegel“ schon etliche Zeit über israelische Eigenheiten und in einer der letzten Nummern fiel ihm besonders auf, daß das Verhältnis von Staat und Religion dort drunten sicher nicht demokratischen Gewohnheiten entspricht. Der Einfluß „strenggläubiger Juden“ auf die politischen Entscheidungen und die Tatsache, daß z.B. der Staat zwar „religiös neutral“ (Brockhaus), das Familienrecht und die dazugehörige Rechtssprechung jedoch religiösen Gerichten übertragen ist, sind für einen demokratischen Staat eigenartig. Den „Spiegel“ wie auch andere Staatsvergleicher interessieren Eigenarten freilich nicht, um sich über die Gründe dafür den Kopf zerbrechen zu können; das Aufspüren „archaischer Regeln, die einer aufgeklärten und egalitären Gesellschaft hohnsprechen“ rührt von der Unzufriedenheit her, daß die Israelis ihre Politik weitermachen, obwohl die westliche Stellung zu diesem Landstrich sich geändert hat. Die früher „heroischen Tugenden“ haben sich dementsprechend in „Starrköpfigkeit und Uneinsichtigkeit“ verwandelt, wenn sich angesichts der erfolgreichen Friedensoffensive des Westens, deren erste Opfer mit dem Libanon und Ägypten schon längere Zeit feststehen, die israelische Politik altmodisch an ihrem immergleichen Zweck des Kriegführens für Landnahme festklammert. „Begin weigert sich beharrlich, die eroberten westjordanischen Gebiete an die Palästinenser zurückzugeben. Für ihn sind neue jüdische Kolonien (!) wichtiger als Schritte zum Frieden.“ („Spiegel“)
Israel ist ein kriegerisches Land. Während andere Länder ihre Armeen sich halten, um im Notfall und wenn es nicht mehr anders geht, die Politik fortzusetzen, existiert Israel allerdings nur für den einen Zweck: die Araber niederzukämpfen. Schon die ersten jüdischen Siedlungen samt der dazugehörigen Terrororganisation Haganah (gegründet 1920) verfolgten nur diesen Zweck und hatten zu Ende der britischen Mandatszeit ihr Ziel mit einer wesentlichen Etappe abgeschlossen: „Was sie aufgerichtet hatten, war eine Nation im wahrsten Sinne des Wortes, ein Staat, dem nur noch der Name fehlte.“ (Abba Eban) Diesen letzten Mangel beseitigte Israel, indem es die Uneinigkeit der Großmächte über den Teilungsplan Palästinas nutzte und im Mai 1948 seine Unabhängigkeit erklärte. Mit der noch am selben Tag erfolgenden Anerkennung der endlich zur führenden Weltmacht aufgestiegenen USA war der Rücken frei: „Als es ausgerufen wurde, stand es bereits im Krieg mit seinen Nachbarn.“ („Süddeutsche Zeitung“), den es dann auch nicht mehr aufhörte. Über die Berechtigung der Kriege gab es keine Frage, sind doch „nur kleine Nationen gegen die Dummheit gefeit, kleine Staaten führen keine überflüssigen Kriege“ ( Hans Habe), was sich schon daran zeigt, daß Israel aus jedem Krieg gestärkt hervorging, nicht dumm also. Umgekehrt waren die Araber an ihrem Schicksal selber schuld, und wenn sie eins draufkriegten, verdankten sie das ihren „Eroberungsgelüsten“ (Abba Eban). Zu allem Überfluß hatte Israel hoch etwas vorzuweisen: „Israel erstaunlichste Errungenschaft in den 30 Jahren seines Bestehens ist ohne Zweifel seine Demokratie ... Selbst in den schwersten Stunden, wie etwa nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973, kamen Ideen an einen Staatsstreich oder totale Herrschaft gar nicht erst auf.“ („Südd. Zeitung“) Zwar kam es dem Westen auf das demokratische Israel nie an, was schon das Adjektiv „erstaunlich“ zeigt, aber als ideelle Dreingabe war es doch hoch willkommen. Und schließlich leistete auch noch die Hl. Bibel Schützenhilfe: als das „auserwählte Volk“ haben die Juden ein angestammtes Recht auf das „gelobte Land“ und angesichts dieses Arguments erscheint der Einwand der Palästinenser, sie wären nicht nur wie die Juden schon mal hier, sondern überhaupt nie weg gewesen, als eher matte Sache. Ja, in Ansehung des „Utopia in der Wüste“, das den Juden gelungen, mag es der Öffentlichkeit gar so scheinen, als seien die Palästinenser nie so richtig da gewesen! Daß es dem kleinen David gelang, sich in diesem Gebiet so festzusetzen, verdankt sich natürlich nicht seinem demokratischen Glamour, nicht der Gerechtigkeit seines Anliegens und auch „Mut, Heroismus und Entschlossenheit“ – auch wenn man sie noch so sehr aufpoliert durch die Erfindung einer „erdrückenden arabischen Übermacht“ – können die „ungeheure Energieleistung des jüdischen Volkes“ nicht erklären. Dafür bedarf es in erster Linie einer vollständigen Durchorganisierung des Staatswesens auf den militärischen Zweck. Diese erreicht in Israel ihre einzigartige Effektivität durch die bedingungslose Anteilnahme seiner Bürger an diesem Zweck, was die geläufigen Maßnahmen des Faschismus gegen sie einsparen und umso zupackender auf den äußeren Feind bzw. seine verschwindend wenigen Dependancen im Inneren richten hilft. Und damit so ein faschistisches Staatswesen nicht an der immanenten Ruinierung der ökonomischen Grundlagen scheitert, bedarf es schließlich noch der sorgenfreien Gewißheit, sich um die laufenden Kosten nicht kümmern zu müssen, d.h. der finanziellen Absicherung von außen.
Die Schlagkraft seiner Armee ist also der Dreh- und Angelpunkt dieses Staates. Israel hat es in diesem Punkt weit gebracht: Die aus den ehemaligen Terrorgruppen Haganah, IZL und Lechi hervorgegangene Zahal gilt heute als die „im Verhältnis zur Landesgröße schlagkräftigste Armee der Welt“ („Südd. Zeitung“). Israel ist waffentechnisch hoch aufgerüstet. Es verfügt über „549 Kampfflugzeuge und rund 3.000 Panzer“ (SZ) und hat dank der Waffenlieferungen und finanziellen Unterstützung für Waffenkäufe von Seiten der USA sein „Kriegspotential stärker erhöht als jeder mögliche Opponent der Region“ (SZ).
Aufgrund einer langen Wehrdienstzeit – „Die Männer vom 18. bis 26. Lebensjahr haben 3 Jahre, die vom 27. bis zum 29. Lebensjahr 2 Jahre aktive Dienstzeit zu leisten; ledige Frauen vom 18. bis 26. Lebensjahr leisten 20 Monate Wehrdienst ... Die Männer gehören bis zum 49., die Frauen ohne Kinder bis zum 34. Lebensjahr der Reserve an, wo sie in jährlichen Kursen weiter ausgebildet werden.“ (Brockhaus) – hat Israel ein verhältnismäßig sehr großes stehendes Heer – „ständig 164.000 Soldaten unter Waffen“ (SZ), das jederzeit losschlagen kann. Im Kriegsfall werden die Frauen
Weil Israel sich ständig in mehr oder weniger großen kriegerischen Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarn befindet, muß jeder wehrtaugliche Israeli jederzeit die Entbehrungen eines Krieges aushalten können: „Ein strenges Marschtraining sorgt für Abhärtung. Hunger und Durst leiden, auf der nackten Erde schlafen, gehören zur täglichen Erfahrung. Gewöhnung an solche Entbehrungen machen sich im Krieg bezahlt. Im Sinai sollen die Truppen mit 1-2 1 Wasser pro Kopf und Tag ausgekommen sein.“ (Däniker) und sein Handwerk besser verstehen als der Gegner. Dafür nimmt man die durch die Reservistenübungen verursachten Störungen der Produktion lässig in Kauf. Jeder Israeli, der seine Militärzeit abgeleistet hat, hat alles, was er als Staatsbürger braucht, in der israelischen Armee gelernt, „die sowohl nationale Bildungsstätte und Staatsbürgerschule wie Kampfeinheit im üblichen Sinne des Wortes ist. ... lernt er, was es heißt, ein vollgültiger Bürger seines Staates zu sein. Er erkennt langsam, daß die Armee, wie andere Organe eines solchen Staates, ihm gehört – wie er auch ihnen.“ (Rushbrook, S. 62 f.) Diese Erziehungsfunktion bewährt sich vor allem bei Neueinwanderern, die deshalb grundsätzlich erst mal in die Armee gesteckt werden. Sie biegt ihnen neben ihrer moralischen Integration – „Die Armee verlieh (ihnen) ein Gefühl der Würde und Berufung sowie das Empfinden der Zusammengehörigkeit“ (Abba Eban) – auch die notwendigen Fähigkeiten bei, um diese praktisch werden zu lassen. Vor allem die aus Osteuropa und den arabischen Ländern eingewanderten Juden haben zum Teil nur geringe bis keine Schuldbildung und beherrschen erst recht nicht den Umgang mit moderner Tötungsmaschinerie. „Kein Israeli verläßt die Armee, ohne nicht wenigstens den Volksschulabschluß zu haben.“ (Jendgens) Die gesellschaftliche Anerkennung des Militärs als die Basis des Staates zeigt sich in einem Umstand, der hiesige Staatsmenschen vor Neid erblassen läßt: In Israel versucht kein Bürger, sich durch irgendwelche Wehwehchen dem Wehrdienst zu entziehen. Im Gegenteil macht ein Israeli, der aufgrund eines Leidens wehruntauglich wäre, die größten Anstrengungen, das zu verheimlichen. Um als vollwertiger Staatsbürger anerkannt zu sein, eine Frau oder einen Job zu kriegen, muß man Militärdienst vorweisen können.
Zur Absicherung und Einverleibung des von der israelischen Militärmaschinerie eroberten Landes und zur Versorgung der an vorderster Front kämpfenden Pioniere des Judenstaates bedient sich der zionistische Staat einer Siedlungsform, die sich schon in vorstaatlichen Zeiten bei der Festsetzung der Juden in Palästina bewährt hatte: der Kibbuz. „Bei Ausbruch des arabischen Invasionskrieges gegen den jungen Staat Israel im Jahre 1948 konnten die zahlreichen Kibbuzim an den Grenzen des Landes den Vormarsch der aus sechs arabischen Staaten eindringenden Heere aufhalten.“ (Der Kibbuz. Schriftenreihe Israel des Israel-Informationsbüros Zürich, S. 24) Mit ihm treibt Israel seine Expansion voran, ohne gleich sein ganzes Militärpotential einzusetzen. Im Kibbuz, der israelischen Form des „Wehrbauerndorfs“, das von einem anderen „Volk ohne Raum“ als Mittel der Unterwerfung eines ganzen Kontinents unter die arische Rasse eingesetzt werden sollte, arbeiten die Siedler „buchstäblich mit der einen Hand am Pflug und in der anderen das Gewehr“ (ebd.); der Kibbuz ist so nicht ohne Grund zum „eigentlichen Symbol des jüdischen Staates“ (Jendges) geworden. Der Kibbuz ist das Mittel der Annexion von arabischem Boden und seiner Verwandlung in jüdisches Staatsgebiet und hat so überhaupt erst die Existenzgrundlage des israelischen Staates geschaffen, sei es, daß die „Landnahme durch den Pflug“ (die Israelis nennen das „Eroberung durch Arbeit“) dem militärischen Schlag zur endgültigen Sicherung der Kibbuznik gegen Angriffe der von ihrem Land vertriebenen Araber vorausgeht, oder daß nach einem siegreichen Feldzug die neuen Grenzen abzusichern sind und das annektierte Territorium für den Staat erschlossen werden soll.
– In den Kibbuzim ist das Privateigentum abgeschafft; es wird in der Regel kein Lohn gezahlt, die xxlebensnotwendigen Güter (Nahrung, Kleidung) werden den einzelnen zugeteilt; falls zur Befriedigung darüber xxhinausgehender materieller Bedürfnisse noch Mittel vorhanden sind, entscheidet das Kollektiv über deren xxVerwendung. Da die Kibbuznik „von vornherein auf ein hartes Leben eingestellt“ sind, kann auch das Prinzip xx xx„Jeder gibt, was er kann – jeder bekommt, was er braucht“ xxbefolgt werden – ein Kibbuznik braucht eben nur das, was er bekommt. – Die Kinder werden außerhalb der Familie, in Kinderhäusern auf ihre zukünftige Aufgabe als Soldat und xxisraelischer Bürger vorbereitet. Sie werden in Altersgruppen zusammengefaßt, die gemeinsam die vormilitärische xxAusbildung und den Militärdienst ableisten und als aufeinander eingeschworene Gruppe für militärische xxSpezialaufgaben eingesetzt werden können: xx„Die stolzen jungen Kibbuzniks sind die besten Soldaten.“ (Habe, S. 73) xxOhne daß die Liebe der Eltern zu ihren Kindern für die Erziehung ungenutzt bliebe (die Kinder können nach xxFeierabend ins Elternhaus kommen und dort z.T. auch „zur Vermeidung von Angstkomplexen und ähnlichen xxErscheinungen“ (Der Kibbuz) übernachten), bietet die Aufzucht der kleinen Kibbuzniks in den Kinderhäusern xxnicht nur den Vorteil für das Ganze, daß Vater und Mutter nicht durch Kinderhüten und ähnlichen Kram von ihren xxPionieraufgaben abgehalten werden, sondern nimmt den Eltern auch die materiellen Sorgen für den Nachwuchs; xxdas hat, in Verbindung mit großzügigen Regelungen des Mutterschaftsurlaubs zur Folge, daß die patriotischen xxjungen Frauen einen kleinen Samson nach dem anderen in die Welt setzen. Womit dafür gesorgt ist (ohne daß es xxeines eigenen staatlichen- Zuchtprogramms bedürfte), daß sich die besten Anlagen der jüdischen Rasse xxweitervererben und Israel auch in Zukunft eine saubere Elite hat.
Denn wer in einem Kibbuz den von allen Israelis verlangten Dienst am Staat in seiner höchsten Form praktiziert, blickt mit „stolzem Mitleid“ auf die Welt herab, die „keine Kibbuzwelt“ ist (Habe), und ist als Super-Israeli – „Der Kibbuz ist Israel – nur noch mehr.“ (Chaim Weizman) – qualifiziert, führende Posten in Politik, Militär, Gewerkschaften etc. einzunehmen: „Die Zahl der Kibbuzniks in Regierung und Diplomatie, in der Knesseth und unter hohen Offizieren ist dreimal so groß, wie es der Zahl der Kibbuzmitglieder entspricht.“ (Habe, S. 69) Obwohl der Anteil der Kibbuznik an der jüdischen Bevölkerung nur etwa 4 % beträgt, spielt die Kibbuzbewegung „im Leben des Landes eine erhebliche Rolle“ (Der Kibbuz). Das ganze auserwählte Volk ist im Grunde Seines Herzens Kibbuznik, was die Politiker für sich auszunützen wissen. Nicht nur für die Führer der „fanatischen“ Parteien des orthodoxen Judentums, sondern auch und gerade für die Politiker der Arbeiterpartei (Mapai/Mapam) ist der Hinweis auf die Herkunft aus einem Kibbuz ein Aktivposten im Kampf um die Gunst der Wähler, rechnet sich doch die israelische Arbeiterbewegung die Idee des Kibbuz und ihre Praktizierung als ihre größte historische Leistung an: „Das Arbeitersiedlungswerk erweist sich immer von neuem als eine unentbehrliche Schule ... der sozialistischen Lebensführung ... und (stellt) bis heute ... und (wohl) auch in Zukunft die originellste Leistung der Arbeiterschaft des Landes dar.“ (Preuß, in: Landau, S. 221) Auch diejenigen, die in den Fabriken und anderswo ihren Beitrag zum Aufbau des Judenstaates leisten, feiern den totalen Einsatz für das Vaterland mit Pflug und Gewehr als ideale Lebensform. Die kompromißlose Indienstnahme der Lebens- und Arbeitsbedingungen für den Dienst an der Nation, also die totale Unterordnung der Individualität unter die Überlebensinteressen des Staates Israel, wird dann als „Aufhebung der Ausbeutung“, als „Sozialismus“ gefeiert.
Das Ideal der „Gesellschaft ohne Ausbeuter und Ausgebeutete, ohne arm und reich“, (Jendges) ist im Kibbuz als Lebensgemeinschaft in und für die Grenzsituation Realität geworden. Für die Aufrechterhaltung dieses hohen, tagtäglich verwirklichten Ideals einer ,,Gesellschaft ohne Unterschiede“ sind kleinere Unterschiede allerdings unumgänglich: die aus den arabischen Ländern eingewanderten Juden werden als Lohnsklaven, mit niedrigstem Lohn und ohne die „politischen und sozialen Rechte“ (z.B. Streikrecht) der „normalen“ israelischen Arbeiter in eigenen Siedlungen (= Ghettos) z.T. rund um die Kibbuzim gehalten und müssen in den vielen Kibbuzim angeschlossenen Fabriken die Dreckarbeit verrichten. – Das ist der diesem besonderen „Menschenschlag“ entsprechende Dienst für Israel, den er ein Leben lang zu verrichten hat. Wenn sich einer von ihnen um die Aufnahme in einen Kibbuz bewirbt, wird ihm praktisch klar gemacht, daß er nicht „gebraucht“ wird; das hat dann natürlich mit Rassismus nichts zu tun, sondern ist eine nur zum Besten der Abgewiesenen getroffene Entscheidung: den hohen Anforderungen an einen Kibbuznik nicht gewachsen, würden sie sich dort eh nicht wohlfühlen können.
Anders dagegen die nach 1948 in großer Zahl aus Ost- und Westeuropa eingewanderten Juden: sie bieten sich, zumal nur wenige ein Unter- und Auskommen in der Industrie finden konnten, freiwillig als „Menschenmaterial“ (Landau) für die Besiedlung der Wüste an. Zwar brachten viele von ihnen nicht die nötige „Bildung“ für das Leben in einem Kibbuz mit, wollten nicht unbedingt die „Strenge des Gemeinschaftslebens“ auf sich nehmen. Da jedoch das Interesse des Staates an Menschenmaterial mit der nötigen Bildung für das harte Dasein eines Kibbuzniks ohnehin durch strategische Erwägungen begrenzt ist – die Ausrichtung des Kibbuz als selbstversorgender militärischer Einheit gerät in Widerspruch zu seinem agrarischen Nutzeffekt – gelang es relativ mühelos auch die Masse der Einwanderer nach der Staatsgründung, soweit sie aus Europa kam, für die Konsolidierung des Siedlerstaates nutzbar zu machen. Dabei ließ sich das Interesse der Einwanderer – meist kleiner Bauern, Handwerker und Kaufleute aus Osteuropa – an einem Stück Land als Eigentum mit dem Anliegen des Regimes, sein Staatsterritorium durch Besiedelung abzusichern, in Einklang bringen. Das Privateigentum sorgte für die Bereitschaft zur wenig lukrativen Schufterei und die alte Angst vor dem Pogrom, die in der ehemaligen Heimat das Leben der Juden beeinträchtigte, ließ sich produktiv in Wehrbereitschaft zur Verteidigung des Erworbenen gegen den äußeren Feind verwandeln. In den Moshavim, kooperativen Dörfern, die in der Regel an weniger gefährdeten Stellen des Landes errichtet werden, bekommt jeder Bauer/Siedler sein eigenes Stück Land, das er mit seiner Familie auf eigenes Risiko mit Unterstützung durch die Kooperative bebaut und von dessen mehr oder minder mickrigen Ertrag er leben muß. Letzteres gelingt trotz aller durch die Freude über die eigene Scholle geförderte Schufterei nicht. Der Staat läßt sich die für ihn unverzichtbare Besiedlung des eroberten Landes gerade soviel kosten, daß die Schufterei auf der eigenen Scholle immer noch besser erscheint als die Rückkehr in ein unsicheres Stadtleben: „Insbesondere die jungen Siedlungen auf armen Böden erforderten Regierungshilfe, um Abwanderung der Siedler in die Städte zu verhindern.“ (Landau)
Bei aller Freiwilligkeit der erbrachten Leistung, die als die „hervorstechendste Eigenschaft“ des Kibbuz im Gegensatz zu „unmenschlichen“ Formen kollektiven Wirtschaftens im Ostblock gefeiert wird – „Der Kibbuz ist keine Kolchose, im Kibbuz ist man freiwillig. Die Kolchose ist eine Pleite, und der Kibbuz ist ein Erfolg.“ (Habe, S. 51) – sind die Moshavim und Kibbuzim ökonomisch immer eine totale Pleite, die durch den Staat mit Subventionen etc. aufrechterhalten wird. Im Unterschied zur Kolchose ist der militärische Zweck bestimmend, somit die Landwirtschaft nur nützlich zur Verminderung der mit der Landnahme verbundenen Kosten. Das gilt besonders für die Kibbuzim, die an den Grenzen, d.h. oft in den unwirtlichsten und unfruchtbarsten Wüstenstrichen angelegt werden und die ihre katastrophale ökonomische Situation durch das militärisch gebotene Streben nach Autarkie noch verschärfen. Die Besiedlung und landwirtschaftliche Nutzung des ständig erweiterten israelischen Staatsterritoriums ist für den Staat eine ständige finanzielle Belastung ohne Aussicht darauf, daß sich das investierte Geld (ökonomisch) rentieren könnte. Selbst die (älteren) Kibbuzim, die durch die Vorwärtsverteidigung Israels von ihrer Grenzlage befreit worden sind und nach langer Anlaufszeit einen „hohen Grad der Entwicklung und einen relativ höheren Lebensstandard“ (Der Kibbuz) erreicht haben, d.h. deren Landwirtschaft (Zitrusfrüchte, u.a.) produktiv geworden ist, verursachen paradoxerweise gerade dadurch dem Staat nur neue Kosten: „Die gewaltige Ausdehnung der Erzeugung führte in manchen Zweigen zu Überschüssen, die auf die Produktionspreise und daher auf die Rentabilität der Landwirtschaft drückten ... Die Regierung sah sich daher genötigt, die Produktion durch verschiedene Mittel zu beschränken, Subsidien zu zahlen und den Export der Überschußproduktion zu organisieren, selbst wenn er nur zu Ungewinnpreisen möglich war.“ (Landau, S. 197) Der israelische Staat richtet sich einen Markt ein, weil er hofft, die staatlichen Zuschüsse für seine Landwirtschaft überflüssig machen zu können, indem er seine Kibbuzim und Moshavim, dem frischen Wind der Konkurrenz ausgesetzt, zwingt, nach den Kriterien eines kapitalistischen Unternehmens zu produzieren. Damit setzt er „eine gewaltige Ausdehnung der Erzeugung“ bei den, der Pionieraufgaben entledigten Kooperativen, die in der Lage sind, produktiver und damit billiger zu produzieren, in Gang – es werden Überschüsse produziert, die, auf den Markt geworfen, Preissenkungen zur Folge haben. Die Konsequenzen sind die üblichen: unproduktiv arbeitende Betriebe müssen unprofitabel, eventuell sogar unter dem Selbstkostenpreis verkaufen oder sie kriegen ihre Produkte gar nicht los, und beides halten sie nicht lange aus; den produktiv arbeitenden Betrieben schmälern die niedrigen Preise den Gewinn. Der Versuch, durch die Ausrichtung der Kooperativen auf die Erwirtschaftung von Profiten Kosten einzusparen, die der militärische Zweck seiner Landwirtschaft dem Staat aufherrscht, ruiniert die Konkurrenz mit den produktiveren Kibbuzim alle anderen. Der Markt zeitigt damit Wirkungen, die den israelischen Staat auf den Plan rufen, der die Existenz seiner landwirtschaftlichen Betriebe nicht von ihrer Rentabilität abhängig machen darf, will er nicht sein Staatsgebiet gefährden. Er sieht sich daher „genötigt“, den Konkurs seiner Kibbuzim und Moshavim mit Subventionen zu verhindern: Der Staat zahlt Erweitetungsvermeidungsprämien, um die landwirtschaftlichen Betriebe dazu zu bringen, weniger zu produzieren, auf daß die Preise wieder steigen; er zahlt den Kooperativen die Einbußen, die sie durch die Absatzschwierigkeiten und die gesunkenen Preise hinnehmen mußten; oder er unterstützt den Export der Überschußprodukte, auch wenn sie auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig sind und er draufzahlt – was immer noch billiger ist, als die Sachen ins Meer zu werfen, erzielt er damit doch wenigstens einen Teil der Selbstkosten –, auf daß im Binnenmarkt verringertes Angebot die Preise steigen läßt. Auch die Expansion der Industrie interessiert in dem Maße, als sie seiner eigenen Expansion förderlich ist: „Der Aufbau und die Entwicklung der israelischen Wirtschaft sind auf einen einzigen überragenden Zweck hin angelegt: der Staat Israel soll in seiner politischen Unabhängigkeit und Lebensfähigkeit geschützt und gestärkt werden.“ (Jendges, S. 104) Die Bedingungen der Kapitalverwertung – der Aufbau eines Verkehrs- und Kommunikationswesens, die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie, Energieversorgung, Arbeitsmarkt, die Erschließung von Auslandsmärkten etc. – werden bereitgestellt, insofern sie mit den militärischen Erfordernissen zusammenfallen: der Staat baut dort eben seine Straßen nicht wegen eines möglichst effektiven Warenverkehrs, sondern für einen schnellen Truppentransport. Und seine Bürger sind zuallererst israelische Soldaten, weshalb in Israel Produktionsausfälle, weil die Arbeiter und -innen zu Reserveübungen eingezogen werden, an der Tagesordnung sind, von den Kriegen, die die Produktion überhaupt lahmlegen, ganz zu schweigen. Zusätzlich verteuern in Israel Rohstoffarmut, die Notwendigkeit, alle Produktionsmittel, von den Hilfsstoffen bis zu den Maschinen, teuer zu importieren und die beträchtliche Entfernung der Absatzmärkte – Negativa, die andere kapitalistische Staaten zu verschmerzen bzw. zu beheben wissen – die Produktion so sehr, daß nur in wenigen Produktionsbereichen Israels Profite möglich sind, wie sie deutsche und amerikanische Kapitale so gewöhnt sind. Und da weder die paar israelischen Kapitalisten aus nationalen Überlegungen heraus investieren, noch gar die ausländischen Kapitalanleger, die ihre Initiative nur entfalten, wenn besonders hohe Gewinne zu erwarten sind, nahm sich das Kapital nur »interessanter« Sphären an, die bei schnellem Kapitalumschlag große Profite bringen. Der größte Teil der notwendigen Produktionszweige ist deshalb unrentabel und wird vom Staat in eigener Regie betrieben: „Der staatliche Sektor erstreckt sich in Israel nicht nur auf einige grundlegende Versorgungseinrichtungen, sondern darüber hinaus auf eine Reihe von Industrieunternehmen.“ (Jendges) und andererseits scheut er keine zusätzlichen Kosten, um die Entwicklung einer Privatwirtschaft in bestimmten Sphären überhaupt zu ermöglichen: „... bestand die Aufgabe v.a. darin, Privatkapital an möglichen Investitionen zu interessieren, v.a. Privatkapital aus dem Ausland. Zu diesem Zweck war es nötig, den Investoren Vergünstigungen zu gewährleisten, in Form von öffentlichen Anleihen zu relativ guten Bedingungen, von Steuerbegünstigungen.“ (Landau), oder auch Zollerlässen auf importierte Rohstoffe. Dabei bezuschußt der Staat nur die Produktionszweige, die er für die unbedingt notwendige Versorgung der Bevölkerung und die Ausrüstung seiner Armee braucht – wobei mit steigender Verschuldung auch die Produktion von Exportwaren, nicht wegen Gewinn, sondern zwecks Devisenimport für ihn wichtig wird: „(Der Staat versucht) die Wirtschaft zur Erfüllung gesellschaftspolitischer und allgemeinpolitischer Zielsetzungen heranzuziehen.“ (Jendges) Da damit die Kapitalinvestitionen allein von der Subventionsbereitschaft des Staates abhängen – er macht die Produktion rentabel –, der Staat somit bestimmt, was in Israel hergestellt wird, schafft er eine disproportionale Entwicklung der Ökonomie ausschließlich nach Maßgabe seiner Politik. Die sich zwangsläufig einstellende Überschußproduktion in den vom Staat profitabel erhaltenen Bereichen führt zu ähnlichen Problemen wie in der Landwirtschaft. Unternehmer in Israel können die aufgrund gesunkener Preise geschwundene Rentabilität ihrer Kapitale nicht dadurch überwinden, daß sie in andere, profitträchtigere Sphären überwechseln. Um ihre Abwanderung zu verhindern, finanziert der Staat laufend, direkt oder indirekt, ihre Profite.
Da der israelische Staat somit systematisch eine umfassende Kapitalakkumulation verhindert, gibt es in Israel zwar reiche Juden, aber es entsteht keine israelische Kapitalistenklasse. Dagegen offeriert die Wirtschaftspolitik Israels dem ausländischen Kapital uneingeschränkte Vorteile, v. a. für solche Unternehmen, die in Israel nur ihre Produktionsstätten haben und mit den produzierten Waren – unabhängig vom israelischen Binnenmarkt – auch die Gewinne gleich wieder mit nachhause nehmen. Sie beuten die billige israelische Arbeitskraft aus und stecken für die paar Devisen, die sie ins Land bringen, nebenher noch die staatlichen Vergünstigungen ein, Daß das Symbol der »blühenden« israelischen Wirtschaft also ausgerechnet die Orange ist und nicht, wie anderswo, rauchende Schlote, ist kein Wunder! So ist die permanente Verschuldung des Staates in Israel nicht, wie in anderen Ländern Mittel, die allseitige Kapitalakkumulation und damit die Produktion des nationalen Reichtums zu befördern, sondern sie ist, da Konsequenz der Weigerung, die Bedürfnisse seiner Wirtschaft zur Richtschnur seines Handelns zu machen, die kostspielige Erhaltung einer mickrigen Produktion, bei gleichzeitiger Verhinderung einer profitträchtigen nationalen Wirtschaft. Die hohe Inflationsrate ist ein zusätzliches Hindernis der Kapitalverwertung, und da sie inzwischen auf über 50 % angestiegen ist, ziehen es reichgewordene Juden vor, ihr Geld ins Ausland zu bringen, wo sie es in sicheren Währungen anlegen, statt es der inländischen Akkumulation zur Verfügung zu stellen – Rabin hat diese Schläue zwar den Premierministersessel, nicht aber den Sitz im Parlament und sein Ansehen als Patriot gekostet.
Diese Möglichkeit bleibt dem normalen, von seiner Arbeit lebenden Israeli allerdings verschlossen, weil ihm die Inflationsrate nichts mehr zum Transferieren übrigläßt. Er zahlt neben dem beständigen Einsatz von Leib und Leben seiner staatlichen Heimstatt auch noch den Preis des ruinösen Unternehmens »israelische Wirtschaft«, sowohl in den Warenpreisen, deren profitdienliche Höhe der Staat künstlich immer wieder herstellt, als auch in seinem, durch Inflation und Reallohnsenkungen abgemagerten Geldbeutel. Und weil die israelische Rumpfwirtschaft dafür sorgt, daß er sich nur das Lebensnotwendigste kaufen kann, weil sie seinen Geldbeutel immer mehr schrumpfen läßt, und, in schöner Ergänzung dazu, bestimmte Gebrauchsgegenstände, die der Staat für unnötig hält, gar nicht anbietet, spielen die care-Pakete israelischer Version von den reichen amerikanischen Verwandten eine nicht unbedeutende Rolle. Dennoch steht bislang die israelische Arbeiterklasse wie ein Mann hinter ihrem Staat. Und wenn israelische Arbeiter einmal streiken, dann mit dem Argument, ihr Dienst am Staat in Krieg und Frieden verdiene doch wenigstens in Friedenszeiten einen Sold, der sie nicht unter das Existenzminimum herunterdrückt. Allerdings sorgt ein handfester ökonomischer Druck dafür, daß trotz solcher Streiks diese Dienste für den Staat nicht zu teuer werden: Ein Heer arbeitsloser orientalischer Juden, die, als Juden ins Land gekommen, wie die arabische Minderheit überall untergebuttert werden – man sieht, in Israel wird das ökonomische Problem Arbeitslosigkeit rassistisch gelöst – fungiert als Reservearmee. Arbeiter, die Pioniere ihres Staates sein wollen, lassen sich vom Staat dazu zwingen, nichts anderes als Kanonenfutter und unterbezahlte gewöhnliche Arbeiter zu sein. So stellen sie ein 100 %ig kapitalfreundliches Element der Wirtschaft: „Per Produktionseinheit liegen die Löhne in der Bundesrepublik um rund 50 % höher als in Israel.“ (SZ, 2.10.78) – dies ist die erfreulichste Nachricht, die Landau den interessierten ausländischen Unternehmern von den Investitionsmöglichkeiten in Israel zu berichten weiß.
Die israelische Arbeiterklasse hat sich mit der Histadrut eine Gewerkschaft geschaffen, die zu ihr paßt: Als Gewerkschaft von Staatsdienern vertritt die Histadruth ihre Interessen in der Erfüllung „genossenschaftlicher, unternehmerischer, sozialer, kultureller und erzieherischer Funktionen“ (Jendges) und ist neben der Armee die wichtigste Stütze des Staates im Lande. Um die straffe Organisierung und Funktionalisierung der Arbeiter für den Staat zu stützen, übernimmt sie die Ausbeutung teilweise in eigener Regie, nimmt dem Staat die unnützen Kosten für die Sozialaufgaben ab, kümmert sich um die entsprechende Erziehung des Volksnachwuchses, der erst lernen muß, daß Aufopferung für den Staat die Erfüllung seines Lebens ist, und um die moralische und produktive Eingliederung der Neueinwanderer. Den Kampf der israelischen Arbeiter richtet sie nicht gegen das Kapital, sondern gegen die „unorganisierte Konkurrenz der arabischen Lohnarbeiter“ (Jendgens) und macht damit klar, daß der israelische Arbeiter keinen Klassenfeind, sondern nur den Staatsfeind kennt. Die Besonderheit des israelischen Proleten liegt nun nicht darin, daß er die Bedürfnisse seines Geldbeutels den ökonomischen und politischen Zielsetzungen seines Staates akkomodiert – soweit ist auch der westdeutsche Arbeiter und seine Gewerkschaft. Vielmehr erfordert eine proletarische Staatsraison in einem Lande, das den Notstand als Alltag institutionalisiert hat, die bedingungslose Unterwerfung aller persönlichen Bedürfnisse unter die Lebensnotwendigkeiten des Staates. Mit dem entsprechenden Bewußtsein ausgestattet, haben die israelischen Arbeiter ihre gewerkschaftliche Interessenvertretung mit dem Staatsinteresse gleichgeschaltet, weshalb im israelischen Faschismus eine Zerschlagung der Arbeiterbewegung nicht nur überflüssig ist, sondern ganz im Gegenteil die freiwillige Koalition der Arbeiter zu einem wichtigen Instrument der Politik nach innen und außen geworden ist. „Vor allem aber herrschte die Überzeugung, daß die Hauptziele der Nation jedes Opfer wert waren und sich der Nutzen des einzelnen, wenn nötig, den Bedürfnissen der Allgemeinheit unterzuordnen hat.“ (Abba Eban)
Daß es zu einer so unglaublichen Verfestigung staatsbürgerlicher Ideologien in den Köpfen von Millionen kommen konnte, dafür bedurfte es schon einer außergewöhnlichen geschichtlichen Entwicklung. Da aber selbst die größten Verrücktheiten noch lange keinen Staat und permanentes Kriegsführen möglich machen, mußte noch eine sehr gewöhnliche historische Entwicklung hinzutreten, um den ganzen Laden finanziell möglich zu machen, war doch Israel – ökonomisch betrachtet – innerhalb kürzester Zeit zum Untergang verurteilt: das amerikanische Interesse an diesem Landstrich brachte 30 Jahre lang die notwendigen Dollars ins Land und ermöglichte nicht nur, sondern forderte die laufend zunehmende Verschuldung des israelischen Staates und Ruinierung seiner Wirtschaft.
Mit der nötigen Verzweiflung ausgestattet, machten Juden seit der Jahrhundertwende massenweise den Exodus ins „gelobte Land“, um dort einen Judenstaat zu errichten. „Im politischen Zionismus bietet die Idee des Staates den Ausweg aus der passiven Leidensgeschichte, während die Idee des Judenstaates die Rettung vor dem Verlust der jüdischen Identität verheißt.“ (Jendgens) Wer wegen der Unterdrückung von Juden auf die Idee einer jüdischen Staatsgründung kommt, will sich nicht mehr massakrieren lassen als Material seines Judenstaats, – sondern will, weil er Jude ist, der handelt sich dafür das Recht und die Pflicht ein, – für seinen eigenen Staat freiwillig sterben zu dürfen, wofür ihm der Imperialismus die nötigen Mittel bereitstellte. Die praktische Verfolgung der „Idee des Staates“ bietet denn auch die sicherste Gewähr dafür, daß aus der „passiven“ eine aktive „Leidensgeschichte“ wird. „»Sei tapfer!« Das war der Rat, als es hieß, von Zuhause wegzulaufen. Jetzt aber ist es der Rat, zu Hause zu bleiben. Wir sind heimgekehrt. Wir sind entschlossen zu bleiben, und um zu bleiben, werden wir kämpfen bis zum Tod.“ (Habe) Die Rettung der ,Jüdischen Identität“, die Gefahr läuft, entweder durch die physische Vernichtung ihrer Träger ausgelöscht zu werden oder durch ihre freiwillige Aufgabe durch dieselben, ist eben etwas anderes als die Rettung verfolgter Menschen. Deswegen galt und gilt der Kampf des Zionismus der „Assimilation“ als „Verrat an der jüdischen Rasse“. Aus der Verfolgung von Juden macht der Zionist eine Auszeichnung des jüdischen Volkes und denunziert damit die Parole des politischen Zionismus von der „Rettung der bedrängten Brüder“ als das Interesse an diesen „bedrängten Brüdern“. So rum betrachtet hat dann auch der Hitler-Faschismus seine positiven Seiten – „Hitler hat ein wenig nachgeholfen“ (Herzl-Sekretärin) – erhöhte er doch drastisch die Zahl der verzweifelt nach Rettung Suchenden.
Die Verfertigung einer „nationalen Identität“ aus der Tatsache, daß die Auswanderer als Juden verfolgt wurden – „Die Juden in aller Welt bilden ein Volk bzw. eine Nation mit dem unabdingbaren Recht, an der unverwechselbaren Eigenart des Judentums bzw. seiner nationalen Identität festzuhalten.“ (Jendges) – benutzt die Religion als unterstützendes Moment, indem sie den religiösen Egalitarismus auf Erden holt, um alle Unterschiede in die Existenz des Staatsbürgers schlechthin aufzulösen – „Das Gefühl der Zusammengehörigkeit und des gemeinsamen Schicksals war nicht immer und nicht überall gegen Verfallserscheinungen gefeit; aber der eigentliche Kern des Judentums war stets intakt geblieben. Hauptbewußtsein des Nationalbewußtseins war die biblische Literatur.“ (Abba Eban) Unter dem Diktat des jeden Kopf beherrschenden „Ich will ein guter Jude sein“ wird der Opferwillen der israelischen Staatsbürger aufrechterhalten, und die Aufgabe jeglichen Privatlebens bzw. seine freiwillige Verwandlung in Staatsdienst als die Menschwerdung der jüdischen Rasse zur eingefleischten Selbstverständlichkeit. Die Geschichte des verschüchterten und schleimigen Ghetto-Juden, der, kaum in Israel angekommen, zum selbstbewußten Staatsbürger sich wandelt und nach kurzer Kibbuz- oder Militärzeit sich zum kraftvoll-stolzen Israeli entwickelt, findet sich noch in jedem Israel-Buch. Nicht genug, daß der Stolz eines jeden Israeli sein Staat ist, er ist auch glücklich, seinen Kopf hinhalten zu dürfen. Diese neue „Auserwähltheit“ möchte er von seinem Staat auch gehörig gewürdigt wissen. „Stellen Sie sich vor, was geschehen würde, wenn ich fiele und mein Name nicht in den Zeitungen stünde? Mama würde mit der ganzen Familie vor das Verteidigungsministerium ziehen.“ (Habe) Das ist die Kritik, die ein ordentlicher Israeli noch an seinem Staat hat und in ihr tummelt er sich mit größter Leidenschaft. Wenn man sich schon mit seinem Staat identifiziert, will man auch darüber mitreden dürfen, wie man sein eigenes Opfer am effektivsten bewerkstelligt – dies ist die Freiheit eines Judenmenschen. Der allseits so gefeierte jüdische Individualismus, mit dessen „ironischer“ Verherrlichung ein Ephraim Kishon nicht zufällig gerade hierzulande nicht schlecht Geld verdient, ist die allerdings einmalige Leistung, sich persönlich und freiwillig zum Mittel des Staates und dessen Anforderungen gemacht und dies als Tugenden verinnerlicht zu haben. Jede antizionistische Opposition im Judenstaat gerät hier nicht nur in den Verdacht, anti-jüdisch zu sein, sie wird auch entsprechend behandelt. Die Mitglieder der inzwischen zerschlagenen Israeli Socialist Organisation MATZPEN, die die ersten jüdischen Opfer des offenen faschistischen Terrors auch nach innen wurden, mußten aus dem Lande emigrieren, nachdem sie im Lande als „Verrückte“ in Irrenhäuser oder als „Verräter“ den entsprechenden Anstalten zugeführt worden waren. Der „Black Panther“-Organisation des orientalisch-jüdischen Lumpenproletariats entledigte sich der Staat durch die Eliminierung der Personen (Zwangsrekrutierung zum Militär), und die revisionistische KP, die ihren Anhang vorwiegend unter der arabischen Minderheit hat, stellt sich durch periodisch abgelegte Bekenntnisse zum „Selbstbestimmungsrecht des jüdischen Volkes“ selbst auf die nationalen Pflichten ein.
Umso empörter ist ein Israeli darüber, daß neuerdings die Grenzenlosigkeit seines Opfers so nicht mehr gefordert ist. Vom Imperialismus in das unwirtliche Land gelassen, um dort die Absicherung einer Interessensphäre zu gewährleisten, wofür sich die jahrhundertelange Leidensgeschichte und die daraus geschlossene zionistische Ideologie so ausgezeichnet einsetzen ließen, bekommt er nun mitgeteilt, daß Umdenken nottut. Zwar werden die USA ihren Vasallen nicht fallen lassen, aber die Reibungslosigkeit, mit der bislang Dollars und Waffen – die Grundpfeiler der produktiven Nutzung jüdischen Bürgersinns – ins Land kamen, hört auf. Stattdessen geht das Feilschen an mit dem Ziel, den Israelis ihren Drang nach außen abzukaufen. Sie sollen sich bescheiden lernen, wird ihnen handfest klargemacht. Sie jedoch, darauf bauend, daß sie aus dem freien Westen nicht mehr wegzudenken sind, drohen nun umgekehrt mit gesteigerter Friedensunwilligkeit. Der Imperialismus setzt auf Frieden, sein von ihm eingesetzter und jahrelang aufgepäppelter Stützpunkt hält an dem ihm einmal zugeteilten aggressiven Auftrag fest und sieht nicht ein, daß sich sein Staat beschränken soll, für dessen Stärkung er alle Entbehrungen auf sich genommen hat. Wie die Sache auch ausgeht – zwei Dinge sind klar: es handelt sich nicht um eine verkehrte Welt und für Opfer der Israeli und ihrer Nachbarn ist so oder so gesorgt.
aus: MSZ 26 – Dezember 1978 |