Ein Beitrag zum »Jahr des Kindes« Konjunkturprogramm für unser wertvollstes Kapital
Der Rechtekatalog, den man allenthalben für die Blagen aufstellt und nicht ohne Phantasie ergänzt, sichert ihnen zu – „sich gesund und natürlich in Freiheit und Würde“ zu entwickeln Daß man diese Rechte seit 20 Jahren „völkerrechtlich verbindlich“ deklariert, zeigt deutlich, daß sich das Schicksal der meisten Erdenkinder durch die Abwesenheit der in diesen Rechten anvisierten Verhältnisse auszeichnet, und daß die UNO den Kampf gegen das Kinderelend aufnimmt, bietet die Gewähr, daß sich an ihm nichts ändern wird. Die Weltorganisation spricht auch offen aus, daß sie ihren Mitgliedstaaten beim Umgang mit den Ersatzmännern nicht dreinzureden gedenkt: Sie „ermutigt (nur) alle Länder, die Programme zur Förderung des Kindes zu überprüfen und entsprechend (!) den Verhältnissen, Bedürfnissen und Prioritäten eines jeden Landes örtliche und überörtliche Aktivitäten zu mobilisieren.“ Die Rücksichtnahme auf die „örtlichen“ Gegebenheiten ist auch am Platze, wenn man sich vor Augen hält, daß die im gleichen Aufruf enthaltene Phrase „Kinder sind der kostbarste Reichtum eines Landes“ auf die Verhältnisse etwa in Indien angewandt reichlich zynisch wirkt. Immerhin macht diese Subsumierung der Kleinen unter die Kategorie der Waren, deren Anhäufung dem einschlägigen Standardwerk zufolge den „Reichtum der Gesellschaften“ ausmacht, „in denen kapitalistische Produktionsweise herrscht“, klar, daß diesen Staaten Kinder als Menschenkinder scheißegal sind, weswegen pragmatisch-nüchterne Beobachter je nach Lage der Dinge einmal das Gebären, ein andermal das Abtreiben von Kindern für den kinder-(=staats-) freundlichsten Akt halten.
Das Jahr des Kindes erweist sich als eine durch und durch imperialistische Veranstaltung, mit der die Metropolen ihre Probleme ideologisch angehen. Für ein Land wie die BRD heißt dies, daß kein Tag vergeht, an dam nicht irgendein Politiker, Pfaffe oder Journalist die Bürger zu mehr Tatkraft im Schlafzimmer auffordert, bzw. Eltern und Erzieher zu einem möglichst effektiven Herrichten des vorhandenen Nachwuchsmaterials agitiert. Bezüglich jener Landstriche, deren Ausplünderung durch das imperialistische System nicht nur die Kinder, sondern auch die ausgewachsenen Schwarzen, Gelben und Braunen in absolutem Elend hält, dienen die Bilder ausgemergelter Kindskörper zur Anstachelung der Spendenfreudigkeit, welche die spektakulärsten Wunden, die das Kapital schlägt, betulich mit Salbe bestreichen soll.
Abgesehen von der Tatsache, daß der Staat nicht vögeln kann, und daß Zwangsmaßnahmen zugunsten dieser manchmal noch schönsten Nebensache der Welt (noch) nicht in Sicht sind, hat er in seiner Agitation zu berücksichtigen, daß er die Aufzucht der künftigen Arbeitsmänner und -frauen dem heimischen Kreis überantwortet hat. Doch ergeben sich daraus für ihn einige unschätzbare Vorteile. Die Vergatterung der zeugungs- und gebärfähigen Volkselemente bemüht zunächst die allgemeinen Einsichten eines jeden Staatsbürgers, daß er sich um das Ganze Sorgen zu machen und seinen Beitrag dazu zu leisten hat. Dieser Allgemeinplatz wird neuerdings wirkungsvoll unterstützt durch eindringliche Vorhaltungen, daß die Leute in ihren – eh' immer verkehrten – Vorstellungen von Lebensqualität („Schöne Wohnung, Urlaubsreisen, Gut angezogen sein, etwas unternehmen können“) ein wesentliches Lebensqualitätsgut, welches alles erst verklärt und überhöht, gerade aufgrund des kleinen damit einhergehenden Verzichts, vergessen haben – das Kind natürlich. Unmittelbar einher geht damit die Versicherung, daß ein so platt materialistisch denkender Mensch natürlich ein schlechter Mensch ist, was sich sehr einleuchtend damit beweist, daß ein Mensch ohne Kind wohl ein Kinderunfreund ist, also in heutigen Zeiten schon fast ein Unmensch. Damit das auch jedem so richtig unter die Haut geht, wird die alte Lüge von der Besonderheit der Kinder – SoundsoAugen, SoundsoGemüt – die auch eine Besonderheit der Zuwendung und damit eigentliche Vermenschlichung erfordere, kräftig aufpoliert und unzählige süße Photos füllen die Illustrierten. Die so angestachelte Affenliebe darf natürlich nie des Gedankens der damit verbundenen Verantwortung verlustig gehen, wäre doch der Gedanke, man wolle nun Kinder haben und sie lieben, nicht nur zu einfach und naiv, sondern geradezu gefährlich. Die Elternliebe hat sich jederzeit dahingehend zu reflektieren, daß sie dem Kind nur dann was Gutes tut, wenn sie es zu einem tauglichen Staatsbürger hochzieht.
Zunächst muß man da keine große Sorge haben, daß das Kind vielleicht nicht so recht mitspielt – „Eine aus dem Geborgenheitsbedürfnis des Kindes sich stets erneuernde Bereitschaft zur Bindung stehen als Bundesgenosse an der Seite eines jeden vernünftig Erziehenden“ – man muß es nur richtig und vernünftig und unter der Ausnutzung kindlicher Schwäche und Zutraulichkeit anfangen: „Jedes Kind wartet darauf und verdient es auch, in den Arm genommen zu werden. Ein Kraulen im Haar, die unvermutet gekochte Leibspeise, ein lustiger Zettel oder das Betthupferl auf dem Kopfkissen: Kinder brauchen solche konkreten, körperlich spürbaren Beweise der elterlichen Zuwendung. Dadurch (!) werden sie viel eher geneigt, auch das elterliche Verbot, den befohlenen Verzicht anzunehmen.“ Prügel sind da durchaus auch ein Mittel, dürfen jedoch nicht so weit gehen, daß der Erziehungszweck durch Dahinsterben des Erziehungsobjektes gefährdet wird. In diesem Fall tritt das Familienrecht, das zunächst den Eltern alle Last aufbürdet, in Gestalt des Jugendamtes dazwischen und verordnet die Aufbewahrung in Heimen, wo man wieder sinnvoll prügelt. In der ausdrücklichen Deklaration dieser Maßnahme als letzter, wenn der Staat nämlich feststellen muß, daß die Eltern die Last der Kinderaufzucht absolut nicht mehr tragen können und in den Fehler verfallen, an dieser Last sei das Kind schuld, was sie als ohnmächtige Empfindung an ihm auslassen, kommt deutlich zum Vorschein, daß der Staat sich hier nicht nur allerhand schöner Kostenersparnis gewiß ist, wenn er die Aufzucht den Eltern überläßt, sondern daß er auch darauf setzt, daß vermittels der Elternliebe die staatsbürgerliche Zurichtung am besten sich bewerkstelligen läßt. Das heißt nun nicht, daß die Eltern bis kurz vors Prügelstadium machen könnten, was sie wollen, sondern für die Gewährleistung des geforderten Resultats sind unzählige öffentliche Instanzen, allen voran die ein- und nebenschlägige Presse, vorhanden, die den Eltern unerbittlich einhämmern, daß man immer daran zu denken habe, daß die Kinder Mittel für ... sind. Die moderne Mutti z.B. läßt sich bei der Geburt nicht einfach gehen und hängt ihrem Schmerz nach, sondern hält sofort die Brust hin, denn „Das Stillen kurz nach der Geburt ist für das Baby gesund, es fördert auch eine enge Mutter-Kind-Bindung.“ und das Kind muß man sofort kräftig anlangen, es muß „Reize bekommen, damit sich die Gehirnzellen vermehren und miteinander verbinden.“ In der ersten Lebensminute entscheidet sich also schon alles Wesentliche: „Die allgemeine Anpassungsfähigkeit solcher Babys ist besonders gut ausgeprägt und harmonisch.“
Die mit der Agitation fürs vermehrte Kinderkriegen verschärft einhergehende Indoktrination der Eltern, einen äußerst sorgsamen Umgang mit dem Jungvolk zu pflegen, zeigt an, daß es dem Staat um seine Zukunft, als vorhandenes Menschenmaterial, allzu bange nicht ist. Wichtiger ist zunächst einmal die Ausschöpfung des vorhandenen Potentials – und daß da noch einiges an Reserven vorhanden ist, hat man ja in den letzten Jahren an den herangereiften Kindern beobachten können –. Es ist also ein untragbarer Zustand, daß „in der BRD heute jedes dritte Kind verhaltensgestört ist“. Hier muß sich das deutsche Elternwesen entscheidend wandeln, liegt doch die weitere Zukunft im Unterleib, die nähere aber in den schon vorhandenen Erzeugnissen desselben. Daß auf die Dauer Menschenknappheit auftreten könnte – daran glaubt doch keiner. Besser ist's jedoch, mit den schon mal vorhandenen Menschlein zweckmäßiger umzugehen, wobei eine größere Masse schon aufgrund der mildtätigen Wirkung auf den Preis der angebotenen Arbeitskraft und damit für die Beibehaltung einer volkswirtschaftlich segensreichen Arbeitslosenquote durchaus zu begrüßen ist. So zeigt sich also, daß das „Jahr des Kindes“ nicht nur ein Jahr der ,,Noch-Nicht-Eltern“, sondern eigentlich auch noch „Jahr der Eltern“ heißen müßte eben „Jahr des Kindes“.
aus: MSZ 27 – Januar 1979 |