Ein Beitrag zum »Jahr des Kindes«

Konjunkturprogramm für unser wertvollstes Kapital


Nach einem Zwischenjahr, das dem weniger brisanten Thema des Denkmalschutzes gewidmet wurde, proklamiert die zu New York residierende Staatenfamilie eine zweite Familienfeier: das »Jahr des Kindes« ist Komplement, aber auch Gegenschlag zum Jahr der Frau. Ging es damals darum, das weibliche Geschlecht neben seiner traditionellen Funktion als Reproduktionsgehilfin des Mannes zur Emanzipation aufzufordern, weil man auf die Produktivkraft ihrer Arbeit nicht verzichten wollte, so rückt die Widmung dieses Jahres wieder die vornehmste Pflicht der Familie, die Bereitstellung von Nachwuchs für Staat und Wirtschaft, in den Vordergrund. Zwar ließ man auch im Frauenjahr keine Zweifel darüber aufkommen, daß die Integration der Weiber in die Welt der Arbeit keineswegs zu einer Vernachlässigung der (Haus-) Frauenpflichten führen dürfe, doch verweisen alarmierende Zahlen in der BRD auf die Tatsache, daß Frauen zwar allenthalben ihre Pflicht tun, ihre vornehmste aber in Staats- und volksgefährdender Weise hintanstellen. Mit der Feier einer „Deklaration der Rechte des Kindes“, die vor 20 Jahren schon erging, mit allen Beschwörungen der Wichtigkeit einer korrekten Kinderaufzucht und vor allem in der penetranten Betonung, wie wichtig der Kindersegen ist, wird nur allzu deutlich, daß das Jahr des Kindes vor allem in den Staaten ein Erfolg zu werden verspricht, wo man es als Jahr der Pflicht zum Kinderkriegen zelebriert.


Recht des Kindes und Pflicht zum Kind

Der Rechtekatalog, den man allenthalben für die Blagen aufstellt und nicht ohne Phantasie ergänzt, sichert ihnen zu

– „sich gesund und natürlich in Freiheit und Würde“ zu entwickeln
– „vor Vernachlässigung, Grausamkeit und Ausbeutung jeder Art“ geschützt zu werden
– „volle Gelegenheit zu Spiel und Erholung zu haben“
– „erst nach Erreichung eines geeigneten Mindestalters zur Arbeit zugelassen zu werden“
– das „Recht auf Vater und Mutter“ zu geniessen, mithilfe dessen sich allein das „Recht auf Zuneigung“ verwirklichen lasse.

Daß man diese Rechte seit 20 Jahren „völkerrechtlich verbindlich“ deklariert, zeigt deutlich, daß sich das Schicksal der meisten Erdenkinder durch die Abwesenheit der in diesen Rechten anvisierten Verhältnisse auszeichnet, und daß die UNO den Kampf gegen das Kinderelend aufnimmt, bietet die Gewähr, daß sich an ihm nichts ändern wird. Die Weltorganisation spricht auch offen aus, daß sie ihren Mitgliedstaaten beim Umgang mit den Ersatzmännern nicht dreinzureden gedenkt:

Sie „ermutigt (nur) alle Länder, die Programme zur Förderung des Kindes zu überprüfen und entsprechend (!) den Verhältnissen, Bedürfnissen und Prioritäten eines jeden Landes örtliche und überörtliche Aktivitäten zu mobilisieren.“

Die Rücksichtnahme auf die „örtlichen“ Gegebenheiten ist auch am Platze, wenn man sich vor Augen hält, daß die im gleichen Aufruf enthaltene Phrase „Kinder sind der kostbarste Reichtum eines Landes“ auf die Verhältnisse etwa in Indien angewandt reichlich zynisch wirkt. Immerhin macht diese Subsumierung der Kleinen unter die Kategorie der Waren, deren Anhäufung dem einschlägigen Standardwerk zufolge den „Reichtum der Gesellschaften“ ausmacht, „in denen kapitalistische Produktionsweise herrscht“, klar, daß diesen Staaten Kinder als Menschenkinder scheißegal sind, weswegen pragmatisch-nüchterne Beobachter je nach Lage der Dinge einmal das Gebären, ein andermal das Abtreiben von Kindern für den kinder-(=staats-) freundlichsten Akt halten.


Wozu die Kinder taugen

Das Jahr des Kindes erweist sich als eine durch und durch imperialistische Veranstaltung, mit der die Metropolen ihre Probleme ideologisch angehen.

Für ein Land wie die BRD heißt dies, daß kein Tag vergeht, an dam nicht irgendein Politiker, Pfaffe oder Journalist die Bürger zu mehr Tatkraft im Schlafzimmer auffordert, bzw. Eltern und Erzieher zu einem möglichst effektiven Herrichten des vorhandenen Nachwuchsmaterials agitiert. Bezüglich jener Landstriche, deren Ausplünderung durch das imperialistische System nicht nur die Kinder, sondern auch die ausgewachsenen Schwarzen, Gelben und Braunen in absolutem Elend hält, dienen die Bilder ausgemergelter Kindskörper zur Anstachelung der Spendenfreudigkeit, welche die spektakulärsten Wunden, die das Kapital schlägt, betulich mit Salbe bestreichen soll.

Beide Stellungen zum Kind – bei uns und dort unten – decken sich darin, daß das Los, zu dem das gleiche Interesse die zwar später gewinnbringenden, aber jetzt noch Kosten verursachenden Winzelmänner verurteilt, in die Verantwortung derer gelegt wird, die sie zur Welt bringen. In Verhältnissen, in denen man Kinder kriegen und nicht kriegen soll, je nach dem Nutzen, der sich aus ihrer reichlichen oder gebremsten Produktion herausschlagen läßt, soll ein „entsprechendes“ Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern dafür Sorge tragen, daß sich der Nutzen des Staates, der allen – ob groß oder klein – Vater und Mutter zugleich ist, einstellt.

Die Agitation des Staates für sein „kostbarstes Kapital“ und gegen den „sorglosen“ oder gar nicht vorhandenen „Umgang“ mit selbigem, sagt mit seltener Offenheit, daß Kinder nur soweit interessieren, wie sie gebraucht werden. Gebraucht werden sie als Material des Produktionsprozesses, also für die Vermehrung des Kapitals. Wenn jetzt Bundesdeutschland mit Appellen zur Kinderfreundlichkeit überzogen wird, dann zeigt sich darin, daß der Staat zwar auf die keimende Elternliebe im jungen oder auch älteren Ehepaar angewiesen ist, aber auch, daß ihn diese Elternliebe nur soweit interessiert, wie sie in zählbaren Resultaten für ihn sich auswirkt.


... denn der Staat kann nicht vögeln

Abgesehen von der Tatsache, daß der Staat nicht vögeln kann, und daß Zwangsmaßnahmen zugunsten dieser manchmal noch schönsten Nebensache der Welt (noch) nicht in Sicht sind, hat er in seiner Agitation zu berücksichtigen, daß er die Aufzucht der künftigen Arbeitsmänner und -frauen dem heimischen Kreis überantwortet hat. Doch ergeben sich daraus für ihn einige unschätzbare Vorteile. Die Vergatterung der zeugungs- und gebärfähigen Volkselemente bemüht zunächst die allgemeinen Einsichten eines jeden Staatsbürgers, daß er sich um das Ganze Sorgen zu machen und seinen Beitrag dazu zu leisten hat. Dieser Allgemeinplatz wird neuerdings wirkungsvoll unterstützt durch eindringliche Vorhaltungen, daß die Leute in ihren – eh' immer verkehrten – Vorstellungen von Lebensqualität („Schöne Wohnung, Urlaubsreisen, Gut angezogen sein, etwas unternehmen können“) ein wesentliches Lebensqualitätsgut, welches alles erst verklärt und überhöht, gerade aufgrund des kleinen damit einhergehenden Verzichts, vergessen haben – das Kind natürlich. Unmittelbar einher geht damit die Versicherung, daß ein so platt materialistisch denkender Mensch natürlich ein schlechter Mensch ist, was sich sehr einleuchtend damit beweist, daß ein Mensch ohne Kind wohl ein Kinderunfreund ist, also in heutigen Zeiten schon fast ein Unmensch. Damit das auch jedem so richtig unter die Haut geht, wird die alte Lüge von der Besonderheit der Kinder – SoundsoAugen, SoundsoGemüt – die auch eine Besonderheit der Zuwendung und damit eigentliche Vermenschlichung erfordere, kräftig aufpoliert und unzählige süße Photos füllen die Illustrierten. Die so angestachelte Affenliebe darf natürlich nie des Gedankens der damit verbundenen Verantwortung verlustig gehen, wäre doch der Gedanke, man wolle nun Kinder haben und sie lieben, nicht nur zu einfach und naiv, sondern geradezu gefährlich. Die Elternliebe hat sich jederzeit dahingehend zu reflektieren, daß sie dem Kind nur dann was Gutes tut, wenn sie es zu einem tauglichen Staatsbürger hochzieht.


Staatsbürgermilch mit der Mutterbrust

Zunächst muß man da keine große Sorge haben, daß das Kind vielleicht nicht so recht mitspielt –

„Eine aus dem Geborgenheitsbedürfnis des Kindes sich stets erneuernde Bereitschaft zur Bindung stehen als Bundesgenosse an der Seite eines jeden vernünftig Erziehenden“ –

man muß es nur richtig und vernünftig und unter der Ausnutzung kindlicher Schwäche und Zutraulichkeit anfangen:

„Jedes Kind wartet darauf und verdient es auch, in den Arm genommen zu werden. Ein Kraulen im Haar, die unvermutet gekochte Leibspeise, ein lustiger Zettel oder das Betthupferl auf dem Kopfkissen: Kinder brauchen solche konkreten, körperlich spürbaren Beweise der elterlichen Zuwendung. Dadurch (!) werden sie viel eher geneigt, auch das elterliche Verbot, den befohlenen Verzicht anzunehmen.“

Prügel sind da durchaus auch ein Mittel, dürfen jedoch nicht so weit gehen, daß der Erziehungszweck durch Dahinsterben des Erziehungsobjektes gefährdet wird. In diesem Fall tritt das Familienrecht, das zunächst den Eltern alle Last aufbürdet, in Gestalt des Jugendamtes dazwischen und verordnet die Aufbewahrung in Heimen, wo man wieder sinnvoll prügelt. In der ausdrücklichen Deklaration dieser Maßnahme als letzter, wenn der Staat nämlich feststellen muß, daß die Eltern die Last der Kinderaufzucht absolut nicht mehr tragen können und in den Fehler verfallen, an dieser Last sei das Kind schuld, was sie als ohnmächtige Empfindung an ihm auslassen, kommt deutlich zum Vorschein, daß der Staat sich hier nicht nur allerhand schöner Kostenersparnis gewiß ist, wenn er die Aufzucht den Eltern überläßt, sondern daß er auch darauf setzt, daß vermittels der Elternliebe die staatsbürgerliche Zurichtung am besten sich bewerkstelligen läßt. Das heißt nun nicht, daß die Eltern bis kurz vors Prügelstadium machen könnten, was sie wollen, sondern für die Gewährleistung des geforderten Resultats sind unzählige öffentliche Instanzen, allen voran die ein- und nebenschlägige Presse, vorhanden, die den Eltern unerbittlich einhämmern, daß man immer daran zu denken habe, daß die Kinder Mittel für ... sind. Die moderne Mutti z.B. läßt sich bei der Geburt nicht einfach gehen und hängt ihrem Schmerz nach, sondern hält sofort die Brust hin, denn

„Das Stillen kurz nach der Geburt ist für das Baby gesund, es fördert auch eine enge Mutter-Kind-Bindung.“

und das Kind muß man sofort kräftig anlangen, es muß

„Reize bekommen, damit sich die Gehirnzellen vermehren und miteinander verbinden.“

In der ersten Lebensminute entscheidet sich also schon alles Wesentliche:

„Die allgemeine Anpassungsfähigkeit solcher Babys ist besonders gut ausgeprägt und harmonisch.“


Die Zukunft aus dem Unterleib

Die mit der Agitation fürs vermehrte Kinderkriegen verschärft einhergehende Indoktrination der Eltern, einen äußerst sorgsamen Umgang mit dem Jungvolk zu pflegen, zeigt an, daß es dem Staat um seine Zukunft, als vorhandenes Menschenmaterial, allzu bange nicht ist. Wichtiger ist zunächst einmal die Ausschöpfung des vorhandenen Potentials – und daß da noch einiges an Reserven vorhanden ist, hat man ja in den letzten Jahren an den herangereiften Kindern beobachten können –. Es ist also ein untragbarer Zustand, daß „in der BRD heute jedes dritte Kind verhaltensgestört ist“. Hier muß sich das deutsche Elternwesen entscheidend wandeln, liegt doch die weitere Zukunft im Unterleib, die nähere aber in den schon vorhandenen Erzeugnissen desselben. Daß auf die Dauer Menschenknappheit auftreten könnte – daran glaubt doch keiner. Besser ist's jedoch, mit den schon mal vorhandenen Menschlein zweckmäßiger umzugehen, wobei eine größere Masse schon aufgrund der mildtätigen Wirkung auf den Preis der angebotenen Arbeitskraft und damit für die Beibehaltung einer volkswirtschaftlich segensreichen Arbeitslosenquote durchaus zu begrüßen ist. So zeigt sich also, daß das „Jahr des Kindes“ nicht nur ein Jahr der ,,Noch-Nicht-Eltern“, sondern eigentlich auch noch „Jahr der Eltern“ heißen müßte eben „Jahr des Kindes“.

 

aus: MSZ 27 – Januar 1979

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