Wahlen in Indien:

Ein Sieg der Demokratie (II)

Während demokratische Journalisten den überwältigenden Wahlsieg der Kongreß-I-Partei und die damit verbundene Rückkehr Indira Gandhis an die Macht mit Ratlosigkeit registrieren, wertet ein offizieller Sprecher aus dem demokratischen Hauptquartier den Triumph der Lady als „einen Sieg der Demokratie“ (US-State Department). Beide Seiten haben irgendwie recht: wenn sich die hungernden Massen in der Größten Demokratie der Welt einen neuen Elendsverwalter erküren, dann siegt allemal die Freiheit, ganz gleich, was die Wähler bewegt hat oder besser wie und wodurch sie zu den Urnen bewegt wurden.

Den Journalisten hingegen klingt ihre Feier des drei Jahre alten Janata-Wahlsiegs über den Ausnahmezustand Indiras noch in den Ohren, jedoch auch unter ihnen macht sich Flexibilität breit: während die ,,Süddeutsche Zeitung“ damals noch die „Mumien“ des Janata-Blocks als „weise alte Männer“ rühmte, tauchen sie jetzt als ,,machtgierige Greise“ auf, die das Protestpotential ,,fahrlässig verspielt“ hätten. Daß die Verlierer ihre drei Jahre an der Macht zumindest privat äußerst erfolgreich genutzt haben – der Paradeparia J. Ram wurde zum unberührbaren Multimillionär – wird von niemandem unter die Gründe des Debakels eingereiht: Immerhin verschaffte sich der inzwischen wieder als „dynamisch“ gelobte Sandjay Gandhi mit der landesüblichen Staatskorruption die Grundlagen seines haushohen Wahlsiegs und für seine weitere Karriere, die auch ohne Ministerposten durchaus „glänzend“ verlaufen wird.

Erste Erklärungen der Siegerin („Indien sieht in dem sowjetischen Eingreifen in Afghanistan eine Gefahr für sich“) stimmten zuversichtlich, daß die neue Regierungsclique nicht nur am Indus für law & Order sorgen (Indiras Wahlslogan), sondern auch die inzwischen so schön geschlossene Front gegen den Hauptfeind verstärken wird, zumal sich die „Besorgnis“ Indiras vor der Aufrüstung Pakistans durch die USA in den Grenzen einer „großen Politikerin mit weltpolitischem Gespür“ hält. Was die Inder selbst betrifft, so hat der „Figaro“ klargestellt, daß ihr Problem nicht der Hunger ist, sondern eine funktionierende Staatsgewalt:

„Das größte Problem Indiens ist seine riesige und vielfältige Menschenmasse in seinen 22 Bundesstaaten und 9 Territorien, wo 15 Sprachen und 1652 Dialekte gesprochen und 6 Religionen praktiziert werden.“

Das Wahlergebnis verschafft Indira die erforderliche Mehrheit in der Lok Sabha, um zumindest mit diesem Problem auf absehbare Zeit mit Normalzustand und – wenn es nötig ist – auch wieder mit Ausnahmezustand fertigzuwerden. So macht sich niemand Illusionen über die Demokratie in Indien, die in regelmäßigen Abständen jeweils einer anderen Clique zur gewinnträchtigen Herrschaft über die stets gleichen Zustände verhilft.

 

aus: MSZ 33 – Januar 1980

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