Antifaschismus open-end:

Die Linken im Holocaust-Fieber


Holocaust und das Ausmaß der öffentlichen Debatte über diesen Film vor, während und nach dessen Ausstrahlung überraschte niemanden mehr als diejenigen, die den Antifaschismus und die Abrechnung mit der faschistischen Vergangenheit als zentrales Problem der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft zu ihrem politischen Programm erhoben haben. Ausgerechnet ihr ureigenstes politisches Terrain wurde ihnen von den bürgerlichen Meinungsmachern streitig gemacht – wobei die Genugtuung darüber, daß endlich auf großer Basis die faschistischen Greueltaten angeklagt werden, nicht die Sorge zu überdecken vermag, daß ihr jahrzehntelanger antifaschistischer Einsatz nicht als solcher honoriert werden könnte.


Eine neue antifaschistische Bewegung

Allein die Tatsache, daß es Holocaust gab und daß darüber so viel diskutiert wurde, verbuchen sie als einen Schritt vorwärts, allerdings nicht ohne mißtrauisch zu beäugen, ob dieser Schritt sie und ihre Politik vorwärts bringt. Alle filmkritischen „Wenn“ und „Aber“ zu einem „aus Profitinteresse entstandenen Machwerk“ aus Hollywood können das laute „Ja“ zu diesem Film nicht übertönen, weil sich die, die seit langem erfolglos antifaschistische Politik propagieren, offensichtlich von der Weckung antifaschistischer Gefühle durch eine „Seifenoper“ (Rote Fahne) etwas versprechen:

„Holocaust hat wie kein anderes Ereignis in der Geschichte der BRD Millionen Zuschauer aufgerüttelt, erschüttert und schockiert (Melissa?), wie kein anderes Ereignis antifaschistische Gefühle mobilisiert.“ (MSB/DKP-Bremen)

So nahm die KPD ihre vor der Sendung von Holocaust verfaßte negative Einschätzung des Films –

„Die Gesamtwirkung des Films bestand darin, den Nazismus und den Widerstand gegen ihn auf die Ebene eines Hintergrunds für die verwickelten Beziehungen, die zwischen Familienmitgliedern und Liebespaaren entstehen, zu reduzieren.“ (Rote Fahne) –,

auch schleunigst zurück –

„Der Artikel war ohne Kenntnis des Films aus eigener Anschauung (?) geschrieben.“ (Rote Fahne) –,

als sich herausstellte, welch großen Widerhall er bei der deutschen Bevölkerung fand.

So bedauernswert es alle finden, daß nicht ihre Aktionen diesen Erfolg beim Volk verbuchen können und erst Hollywood daherkommen mußte (wo es doch laut DKP schon

„in der DDR interessante und wahrheitsgemäße Filme über den Faschismus mit weltweit anerkannter, mehr als 30jähriger Tradition“

gibt), so fix sind sie dabei, die neue „erheblich größer gewordene Verantwortung aller Antifaschisten und Demokraten“ (DKP) auf sich zu nehmen und sich tonangebend an die Spitze der „neuen antifaschistischen Bewegung“ zu setzen.


Faschismusanalyse aus Hollywood ...

Den Verantwortlichen für Produktion und Ausstrahlung von Holocaust halten sie nicht nur zugute, „moralische Verabscheuung des Faschismus hervorgerufen (zu) haben“, sie halten Holocaust auch für den Auftakt einer längst überfälligen und lange genug unterdrückten Faschismusanalyse:

„Holocaust wirft bei Millionen Menschen die Fragen nach den Ursachen der faschistischen Vergangenheit auf.“ (UZ)

Und daß jetzt endlich sie an der Reihe sind, diese Fragen zu beantworten, belegen sie mit der Lüge, daß der Staat bis Januar 79 alles unternommen habe, damit die jungen Deutschen nichts über das Dritte Reich erfahren:

„ ... vor allem die junge Generation (und die Alten?) bislang über die Ereignisse von 1933 bis 1945 bewußt und geplant in Unkenntnis gelassen wurde.“ (DKP/ MSB)

So betrachtet finden sie es prima, daß deutsche Augen und Ohren nicht nur in den Genuß kamen, die Metzeleien der Faschisten im Fernsehen zu verfolgen, sondern darüberhinaus per Wissenschafts- und Betroffenen-Runde die rechte Stellung zum gerade Gesehenen nachgeliefert bekamen. In der Tat

„eine prächtige demokratische Übung: Der Zuschauer kann noch während der Sendung Fragen stellen oder seine Meinung sagen“ (DKP/MSB) –

allerdings „nur auf den ersten Blick“. Denn diese prächtige Übung wurde doch tatsächlich von staatlicher Seite mißbraucht:

„Und je länger da debattiert, geredet, »geantwortet« wurde, desto mehr mußte sich dem Zuschauer der Eindruck aufdrängen, daß diese Rundtischveranstaltung dem Zweck diente , konkrete Fragen nach Ursachen und Urhebern des Faschismus, nach den Schlußfolgerungen für unsere Tage, abzublocken, zu zerreden, zu verschleiern und zu desorientieren.“ (UZ)

Manipuliert haben die Experten. Kurzum, die richtige, sprich ihre Faschismusanalyse wurde unterdrückt. Stattdessen haben sie das in tiefster Seele antifaschistische Volk für den dunklen Punkt in der Geschichte verantwortlich gemacht – ein Vorwurf, den man auf dem unschuldigen deutschen Volk nicht sitzen lassen kann:

„Niemals dürfen wir zulassen, daß hinter der These von der »Kollektivschuld« des deutschen Volkes die Verantwortlichkeit der wahren Schuldigen ... verwischt und verborgen wird.“ (UZ)


... oder von berufener Seite?

Die Politiker, die den wahren Antifaschismus auf ihre Fahnen geschrieben haben, nehmen den Inhalt der gelaufenen closed-end-Diskussionen erst gar nicht zur Kenntnis, in denen es darum ging, eine Frage zu verunklären: daß ein ganzes Volk den faschistischen Terror mitmacht, weil alles, was passiert, von Staats wegen unternommen wird. An der Diskussion, die sie gerne zu der ihren gemacht hätten, bemerken sie, daß sie mit ihren Beiträgen über die Hintermänner des Faschismus beim „Finanzkapital“ (Rote Fahne) oder den „Konzernen, Banken, dem Großkapital“ (UZ) nicht durchgedrungen sind. Sie holen deshalb die Diskussion fürs Volk, die an sich völlig überflüssig wäre, wenn es sich dort um lauter Antifaschisten handeln würde, in ihren eigenen Zeitungen nach. „Genosse Sch. B. vom Arbeiterbund“ hat sich einen intelligenten Beitrag ausgedacht, mit dem er sich zu Wort gemeldet hat. Aber er ist auf den Schreibtischen des Fernsehens untergebuttert worden.

Die Revis ergreifen die glänzende Gelegenheit der Antifaschismusdiskussion des Staates, um sich selbst als den besten Beweis hinzustellen, daß Antifaschismus heute noch nötig ist und man selbst eigentlich das Opfer einer Politik von vor dreißig Jahren ist:

„Wem das Schicksal der Familie Weis nahegegangen ist, kann nicht gleichgültig sein, wenn die Lehrerin Silvia Gingold heute vom Berufsverbot bedroht wird, nachdem schon ihre Eltern und Großeltern aus politischen und rassischen Gründen verfolgt wurden.“ (UZ)

Daß der Staat auf dem rechten Auge blind ist und sich nicht an die Verfassung hält – unbeschadet der Tatsache, daß alle Linken mit dem Staat als Verfassungsfeinde aneinandergeraten –, läßt sich einmal mehr beweisen. So liebäugeln sie mit einer staatlichen Beförderung ihrer Politik und geben dabei gleich noch zu erkennen, daß sie sich mit dem Faschismus nicht politisch auseinandersetzen wollen. Der Staat soll

„ ... die Aufhebung der Verjährungsfrist, das Verbot faschistischer Organisationen und Aktivitäten, die Bestrafung der Naziverbrecher durchsetzen.“ (UZ)


Die nationale Gretchenfrage

Neonazis sind nämlich „nachweislich verfassungswidrig aktiv“ (MSB); und die Aufhebung der Verjährung für Naziverbrechen gebietet schon die Historie. Ein Arbeiterbund in München will sich den antifaschistischen Bonus gutschreiben lassen, indem er dem Proletariat die Gretchenfrage stellt.

„Goethe hat in seinem Faust der Kindsmörderin Gretchen verziehen. Soll Gretchen einem Eichmann gleichgesetzt werden?“

Die vorgetragene moralische Integrität, die das Problem hat, im Gesetzbuch Mord von Mord nicht unterscheiden zu können, hat die Sorge, daß der Antifaschismus nicht als gelebte Tradition unter uns weilt (öfter mal nach Dachau). Dem Volk zumindest müßte der letzte Ansporn, es als Antifaschist an die Seite der Revis zu bringen, das internationale Ansehen sein, das man mit solch öffentlich zur Schau gestellten Reue einheimst.

„Wir werden Deutschland wieder ein Ansehen in der Welt verschaffen, wenn wir die Losung unseres Programms verwirklichen: »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, sondern Frieden und Freiheit durch die Revolution!«“ (Arbeiterbund)

Als ob unser Kniefallwilly das weiland nicht ganz ohne Revolution geschafft hätte.

 

aus: MSZ 28 – April 1979

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