Frankfurt am Main:

Haus geräumt, fortgeträumt


Mitten in den Semesterferien, am frühen Morgen des 22. August 1978, wurde in dem letzten besetzten Haus in Frankfurt, Bockenheimer Landstraße 93, der richterliche Räumungsbefehl unter Assistenz mehrerer Hundertschaften Polizei vollstreckt. Der FR-Berichterstatter (ein Herr Biedermann!) konnte freilich beruhigt feststellen, daß „das Polizeiaufgebot diesmal in krassem Mißverhältnis zu den Widerstandshandlungen stand“, „unterschied die Szene sich doch kraß“ von ähnlichen Auftritten der Gerichtsvollzieher 1973 und 1974, als „die Zwangsräumungen tagelange Straßenkämpfe auslösten“. Die Häuserkämpfer von anno 78 verschafften dem FR-Schreiberling die Genugtuung, sich über einen „unverhältnismäßigen“ Einsatz der staatlichen Gewaltmittel mokieren zu können, indem sie auf die Zwangsräumung ihres Hauses (das dem berüchtigten persischen Bankier Selmi gehört) nicht mit Straßenkämpfen, sondern mit dem „symbolischen Akt“ einer 2 1/2-stündigen Stippvisite in einem leerstehenden städtischen Anwesen in Niederrad reagierten.


Übergang zum Lokalkolorit ...

Weil die Hoffnung, daß alle, die von Sorgen mit ihrer Wohnung „betroffen“ sind, ihren bislang verschütteten Spontaneismus entdecken würden, sich als trügerisch erwies, und die Sponti- Bewegung parallel zur Entstehung des Modells Deutschland überhaupt in die Defensive gerät und als Sympathisanten-Nährboden bekämpft wurde, beweist sie sich nun als anpassungsfähig.
Da die Realität der staatlichen Gewalt sich im Kampf mit der „alternativen Gegen-Gewalt“ als überlegen herausgestellt hatte, nimmt der Sponti sie heutzutage wahr als (schlechte) „objektive Bedingung“, was heißt, daß Widerstand sich nicht mehr lohnt, weil man eh nichts mehr machen kann. Deshalb setzt er seine Fähigkeiten in puncto Selbstveränderung so ein, daß er den Habitus vom Bürgerschreck fahren läßt und sich bloß privat noch ein Gefühl von Dagegensein leistet – sich also so einrichtet, daß es sich trotz allem aushalten läßt.


... Spontitum ’78

Dies also das Muster dafür, wie künftighin der „Häuserkampf“ auf dem Programm der Spontis ’78 steht. Daß er nicht den ganzen Tatendrang der Szene absorbiert, macht nichts aus, denn zu tun gibt's genug. Und alle Aktivitäten sind genauso modernisiert wie der Häuserkampf:

–     Man macht antifaschistische Demonstrationen nach dem Motto „NPD raus aus Frankfurt“, um die „liberalen Traditionen“ der Mainmetropole nicht in den Schmutz ziehen zu lassen.

–     Man macht mit beim Landtagswahlkampf der „Grünen Liste Hessen“. Und der „unvermeidliche“ rote Dany tritt von seinem Listenplatz zurück, nachdem an seiner Kandidatur zuvor schon das Bündnis mit der GLU gescheitert war, und betont, er betrachte diesen Schritt als Selbstkritik, da mit der Diskussion über seine Kandidatur die Auseinandersetzung um die Inhalte des Wahlprogramms der GLH überlagert worden sei.

–     Man begrüßt Anlässe wie Bahro oder den Jahrestag des sowjetischen Einmarsches in die CSSR begeistert als Gelegenheit, um endlich mit dem alten Mißverständnis aufzuräumen, die Linken hierzulande hätten etwas gegen die Zustände hierzulande. So mache der AStA zusammen mit der Listy-Zeitung eine Demo zur sowjetischen Militärmission mit der Begründung, daß die „offensive Verteidigung(!) der Menschenrechte (!) in Ost und West mehr(!) als eine moralische Pflichtübung“ sei.

–     Und im übrigen richtet man sich an der Uni ein, und mit Abhandlungen über den „neuen Sozialcharakter“ der Studenten, die mit monströsen Psychologismen vom „Narzißmus“ bis zur „Mutter-Kind-Dyade“ die Unmöglichkeit von Angriffen auf die Gesellschaft rechtfertigen sollen, läßt sich durchaus heutzutage eine akademische Karriere ansteuern.

 

aus: MSZ 25 – Oktober 1978

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