Anmerkungen zu Haffner Ein faschistisches Bad für wackere Demokraten
Der Antifaschismus, geb. am 2.2. 1943 in Stalingrad, ist in die Jahre gekommen. Herumdruckserei aus kindlicher Scham – heute bekennt man sich zu seiner Vergangenheit – hat sich ebenso gelegt wie verordneter jugendlicher Abscheu, aus dem heraus ganze Schulklassen nach Dachau verschleppt worden waren. Die Moral der Massengräber und Weltkriegstoten zu grausigen Dias in dunkle Klassenzimmer geraunt „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ hat ihre Schuldigkeit getan. Die „schuldhafte Verstrickung eines ganzen Volkes“ hat ihren Teil dazu beigetragen, daß aus dem bodenlosen Nichts ein Modell für die Welt wurde. So geht man denn heute weise und gereift an das ehemals heikle Thema heran: „Hitler ist kein Tabu-Thema mehr. Die Distanz der Zeit wirkt segensreich. Nach dem Krieg hatte man Hitler in zu naher und deshalb verzerrter Erinnerung. Man muß sehr genau wissen, was geschah, um zu verstehen, warum es passieren konnte. Vergessen jedenfalls hilft nichts. Deshalb der Hitler-Boom.“ (ebenda) Und so sorgen die Medienfritzen mit vereinten Kräften dafür, daß auf der von ihnen veranstalteten Welle einer „nüchternen (= wieder nationalbewußten) Vergangenheitsbewältigung“ keiner gegen den Strom schwimmt und vor allem die Jugend vor gefährlichen Verzerrungen bewahrt wird. Nach der kritischen Begeisterung für Irving, Diwald, Fest und andere hat endlich einer für einhellige Zustimmung im Blätterwald gesorgt. „Dem Autor Sebastian Haffner (ist) etwas Ausgezeichnetes gelungen!“ jubelt die Süddeutsche Zeitung und verordnet die „Anmerkungen zu Hitler“ der unerfahrenen Jugend als Pflichtlektüre: „Zur Aufklärung der nachgewachsenen, ziemlich lesefaulen Generation, aber auch zur Reflektion derjenigen, die »dabeigewesen« sind, gibt es in dieser Kürze, dieser Dichte nichts Besseres, Haffner ist kein Simplificateur.“ Ob dieser Einsicht bezüglich der Art und Weise, was man zu Hitler anzumerken hat, geraten unbesonnene Leute, deren politisches Hobby das Aufspüren „Ewiggestriger“ und das moralische Insistieren auf den Opfern des Nationalsozialismus ist, in Gefahr, selbst als Ewiggestrige in die Ecke gestellt zu werden, aus der man sich auch mit „Jugendsünden“ nicht mehr ohne weiteres herausreden kann. Wie verbindlich die „Anmerkungen zu Hitler“ – ein „bescheidener“ Titel (SZ) – sind, macht die Tatsache deutlich, daß die einmütige Anerkennung einem Autor gilt, der vorher in den Augen vieler gerade noch knapp vor dem Eisernen Vorhang stand.
Die Skatbrüder, die immer noch über die Frage streiten, ob Hitler nun trotz oder wegen seines Krieges gar nicht so schlecht gewesen sei, befinden sich nicht auf der Höhe der Zeit, weil beide verkennen, daß man wegen des Kriegs durchaus für Hitler sein kann, obwohl er ihn verloren hat. Mit Leuten, die immer noch meinen, sich um den Krieg drücken zu können in einer Welt, die die Notwendigkeit des Krieges allein schon durch seine ungebrochene und universale Existenz beweist, muß Klartext gesprochen werden: „Daß die Welt unvollkommen ist, voller Kampf, Not und Leid, auch (!) die Staatenwelt, die gesprenkelt ist von Argwohn, Feindschaft, Furcht und Krieg – wie wahr ist das, und wie recht haben die, die sich darüber nichts vormachen!“ (112) Recht haben also nur die, die zum Krieg realistisch ja sagen und sich ohne utopische Irrwege überlegen, wo (Europa ist an der Oder, nicht am Rhein zu verteidigen!), wofür (Wie wär's mit einem vereinten Europa?) und wann (Im Prinzip jeder Zeit!) ein Krieg sinnvoll ist. Selbstverständlich bekommt Adolf selig durch diese kritische Brille besehen harte Vorwürfe zu hören, derentwegen er sich allerdings nicht im Grabe umzudrehen braucht – schließlich konnte er lange genug über seine Fehler nachdenken –, hat er doch mit seiner Niederlage den schlagenden Beweis gegen sich geliefert, dem kaum ein deutscher Politiker, und war er vor Stalingrad noch so sehr mit Blindheit geschlagen, die Anerkennung verweigern konnte. In einem Buch, das im Klappentext stolz auf seine „weiterführenden Perspektiven“ verweist, wird mit Hitler gerade deshalb hart ins Gericht gegangen, weil er durch seinen Mangel an „konstruktiver Staatskunst – man könnte sagen: Staatsbaukunst – und an Geduld“ nicht nur leichtfertig „alle seine vorangehenden Leistungen aufs Spiel“ gesetzt hat, sondern es auch nicht verstand, die Gunst der Stunde für die schönsten Ideale demokratischer Siebziger schon in den vierziger Jahren zu nutzen: „eine Bereitschaft, der Gewalt zu weichen und aus der Unterordnung unter die Übermacht das Beste zu machen ... mindestens hier und dort (sogar) verbunden mit einer Ahnung, daß Europa ein höheres Maß an Einheit (!) möglicherweise ganz gut gebrauchen könnte, sei es auch um den Preis einer (vielleicht nur anfänglichen) deutschen Vorherrschaft.“ Mangel an Realismus und Geduld verbaute Hitler die in ihrer Einfachheit doch so berauschende Perspektive. „Hätte Deutschland damals einen Bismarck gehabt und nicht einen Hitler“ ... Haffners Vorstellung wäre wahr geworden: Westeuropa (Sebastian, griech.: der Erhabene, hätte in seiner Weitsicht vielleicht auf die Ostgebiete vorübergehend freiwillig verzichtet), konsolidiert durch eine „(vielleicht nur anfängliche) deutsche Vorherrschaft“, geeint und stark, vielleicht gar noch ein wenig demokratisch, und dann gegen die Russen! Ein Weltkrieg für die Einheit der Welt und ihren Frieden: „Welteinheit, Weltregierung, Weltherrschaft, das liegt alles nah beieinander!“
Doch der verhinderte Bismarck aus Braunau vermiest dem Historiker seine urdemokratischen Imperialistenträume („Aber geraten wir nicht ins Träumen!“) und verschafft ihm die Gelegenheit, neben seinen Leistungen (bis 1939/43 – je nachdem!) auch seine Fehler für eine realistische Politik mit Augenmaß auszuschlachten. Die Lehre für den demokratischen Staatsmann ist einfach und besteht aus drei Verboten: 1. Führe keinen sinnlosen, also keinen Krieg, nach dem Du nicht guten Gewissens Reichsfriedensführer werden kannst (vgl. Bismarck!): „Für Hitler war der Ausnahmezustand die Norm, der Staat für den Krieg da. Aber damit war er im Irrtum ... In der Staatenwelt, wie sie ist, werden Kriege immer für einen Frieden geführt; Verteidigungskriege sowieso, aber auch Angriffskriege, sofern sie überhaupt einen Sinn haben sollen.“ (Nicht auszudenken, wie blöd der Führer nach der Eroberung des Erdballs ohne Krieg dagestanden wäre. Vermutlich wäre er auf der Suche nach Feinden ziellos im Weltall herumgeirrt: Ein Fall für Herrn Wernher von Braun.) 2. Führe keinen überflüssigen Krieg, also keinen, wenn der Gegner sich ohnehin Deinem Staat zum Mittel machen muß: „völlig überflüssige militärische Besetzung und weitere Aufteilung der wehrlosen und windelweichen (und im übrigen praktisch schon besetzten) Rumpftschechoslowakei.“ 3. Führe keinen aussichtslosen Krieg, also keinen, in dem Du Dich nicht als der Stärkere erweist: „Heute (liegt) vor aller Augen, daß Hitlers unprovozierter Überfall auf Rußland ein Fehler – und zwar ein kriegsentscheidender Fehler – war.“ Und so muß der blöde Schickelgruber sich auch noch sagen lassen, daß er sich und der deutschen Historikerzunft – wastelseidank nur beinahe! – die Chance vermasselt habe, bei dem Vergleich mit einem großen Franzosen noch recht gut dazustehen: „Wenn Hitler Ende 1938 einem Attentat zum Opfer gefallen wäre, würden nur wenige zögern, ihn einen der größten deutschen Staatsmänner der Deutschen, vielleicht den Vollender ihrer Geschichte, zu nennen. Die aggressiven Reden und »Mein Kampf«, der Antisemitismus und das Weltherrschaftskonzept wären vermutlich als Phantasiewerk früher Jahre in die Vergessenheit geraten.“ (54) Hitlers späte Verstöße gegen jegliches Gesetz demokratischer Vernunft und späteren Ruhms werden von Haffner nachträglich als solche geahndet, indem er die großartige „Figur der Weltgeschichte“ kurzerhand in die „Kriminalchronik“ einliefert, um ihn für den Umweg Deutschlands zur europäischen Vormacht büssen zu lassen und so alles, was einem liberalen Bewunderer am Faschismus nicht gefällt, hinter Schwedischen Gardinen verschwinden zu lassen.
In seinem Plädoyer für die Aburteilung Adolfs kommt Haffner auch auf innenpolitische Taten der Faschisten zu sprechen, die keiner Erwähnung wert wären, ließen sie sich nicht als außenpolitische Handicaps besprechen: „Hitler hat zahllose harmlose Menschen umbringen lassen, zu keinem militärischen oder politischen Zweck, sondern zu seiner persönlichen Befriedigung.“ Das eigentlich Verbrecherische an der „Endlösung der Judenfrage“ liegt wie so oft im falschen Motiv. Daß Staatsmänner und Generale ihre Feinde oder Soldaten in den Tod schicken, macht sie nicht zu Verbrechern, denn durch ihre Funktion sind sie „zu allen Zeiten und in allen Ländern in die Lage gekommen, töten zu lassen – im Krieg, im Bürgerkrieg, in Staatskrisen und Revolutionszeiten“. Ihnen gegenüber hat der Vorwurf des Verbrecherischen lediglich einen „rhetorisch-polemischen Sinn“. „Das Besondere an Hitler ist, daß er auch dann morden ließ, und zwar in einem unvorstellbaren Ausmaß, wenn ihm die Staatsräson nicht den geringsten Grund oder auch nur einen Vorwand (!) dafür bot.“ Anstatt den Massenmord als „Mittel zum Sieg oder zur Abwendung der Niederlage“ einzusetzen, „was man den normalen Schmutz des Krieges nennen kann“, mißbrauchte Hitler den Krieg, um ungestört seiner perversen Lust am Judenmord zu frönen – „Die Vertilgung von Menschen, die für Hitler Ungeziefer waren, hatte mit dem Krieg nur insofern einen Zusammenhang, als der Krieg zu Hause die Aufmerksamkeit davon ablenkte.“– und um den Nachschub für die Gasöfen nicht, zu gefährden: „Militärische Kriegsführung brauchte er noch: um die Zeit zu gewinnen, seinen beabsichtigten Massenmord durchzuführen und den Raum zu halten, in dem er seine Opfer fand.“ So fällt die faschistische Kritik an den selbstsüchtigen demokratischen Politikern mit voller demokratischer Wucht auf sie selbst zurück! An Hitlers verschwenderischem Umgang mit Menschen und Material demonstriert Haffner, wie man mit so was umzugehen hat. Die jüdischen „Superpatrioten“, die „in ihrer großen Masse bis zu Hitler – rührenderweise zu einem kleinen Teil sogar über Hitler hinaus und trotz Hitler – geradezu in Deutschland vernarrt waren“, hätte Haffner als „politischer Leiter“ (Schmidt über Schmidt) unter Tränen väterlicher Rührung an die Brust gedrückt und zur besseren Verwendung mitsamt ihren Bewachern an der Front verheizt (an Gelbkreuz stirbt sich’s ehrenvoller als an Zyklon B!): „Sie (die Massenvernichtungen in den Konzentrationslagern) behinderte die Kriegsführung, denn die Tausende von kriegstüchtigen SS-Leuten, die jahrelang damit beschäftigt waren – alles in allem das Äquivalent mehrer Divisionen – fehlten an der Front, und die täglichen Massentransporte quer durch ganz Europa in die Vernichtungslager raubten der kämpfenden Truppe einen erheblichen Teil des knappen rollenden Materials, das sie dringend für den Nachschub brauchte.“
aus: MSZ 27 – Januar 1979 |