Die Bedeutung des Faktors für die Verrätselung des Faschismus


Der Gestus, den auch Prof. Weinzierl in ihrer Vorlesung pflegt, daß „die Forschung“ vor unendlichen Schwierigkeiten stünde, und (noch) nicht mit einer Klärung aufwarten. könne, ist eine kleine Unwahrheit über das Fach. Die „Unerklärbarkeit“ und Verrätselung des Faschismus ist vielmehr eine Leistung der Geschichtswissenschaft. Und die geht so:

,,Ich möchte nur... in Erinnerung rufen, daß sich nationalsozialistische Bewegungen im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit ausbreiten konnten, war natürlich eine Folge der Zeit: Die Mittelmächte mit einem verlorenen Krieg, mit einem harten Frieden, der allerdings nicht härter war als der Friede von Brest-Litowsk. Das deutsche Reich hat Gebiete verloren, ist aber auch als Reich nicht zerstört worden, aber es wurde von einem Kaiserreich zur Republik. Österreich, eine noch große Mittelmacht um 1918, mit rund 54 Millionen Einwohnern, wird tatsächlich gebietsmäßig isoliert. Es bleibt der Rest von 7 Millionen.“ (Vorlesung)

Und wieso war der Faschismus „natürlich“ eine Folge der „Zeit“ ? Bei diesem Erklärungsangebot soll man wohl daran denken, daß die Ereignisse vor dem Faschismus (der verlorene Krieg) einen Grund dafür abgeben, daß es ihn nachher gegeben hat. Beweis: Es hat ihn doch gegeben. Und warum haben sie zum Faschismus geführt? Weil es ihn nachher gegeben hat! Mit der so „natürlichen“ „Zeit“ wird also ein notwendiger Zusammenhang für das Eintreten von Ereignissen behauptet, über den man überhaupt nichts anderes erfährt, als das beide Momente von ihm (verlorener Krieg und Faschismus), auch gegeben hat – und daß er wirkt, weil er nämlich der Zusammenhang von verlorenem Kriege und Faschismus ist. Eine einfache Tautologie, mit der Weinzierl mit seiner Existenz den Faschismus zu einer Notwendigkeit erklärt. Mit der „Zeit“ verschafft Weinzierl dem Faschismus eine inhaltslose Notwendigkeit für sein Eintreten – er mußte sein, weil es ihn nach dem Krieg gab, der vor ihm gekommen ist. Diese Totalrechtfertigung hat sich der Faschismus aber historisch nicht verdient, weshalb Weinzierl anhebt, ihre gerade selbst hergestellte Legitimation zu relativieren: Nein, daß mußte nicht sein, weil es auch andere Zusammenhänge zwischen dem 1 .Weltkrieg und Verlieren von ihm gibt: Brest-Litowsk! Umgekehrt hat es auch Siegerstaaten des 1. Welt-Krieges gegeben, die faschistisch geworden sind. So setzt die Frau Professor, für die ein Grund offenbar dasselbe ist wie das Gutheißen und Billigen einer Sache, deren Grund man ermittelt hat, ihre Rechtfertigungskunst ein: Einerseits behauptet sie die Notwendigkeit des Faschismus, das andermal darf aber der Faschismus nicht mit „historischem Verständnis“ versehen werden. Für diesen Gewissenshader der Wissenschaft, die nichts erklären, sondern die Existenz ihrer Gegenstände legitimieren oder verurteilen will, ist die Kategorie des Faktors das geeignete Instrument. Mit jedem Faktor wird dem Faschismus eine Begründetheit bescheinigt, die mit dem Hinweis, daß der Faktor aber auch nur ein Faktor ist, wieder relativiert. Als Grund darf man ihn nicht nehmen, sondern lediglich als Hinweis darauf, daß es einen Grund gibt. Das eröffnet der Wissenschaft ein weites Feld:

– Die Wirtschaftskrise ist z.B. so ein Faktor. Daß es sie vor dem Faschismus, der akkurat nach der Wirtschaftskrise gekommen ist, gegeben hat, beweist, daß die beiden was miteinander zu tun haben. Daß man der „Wirtschaft“ helfen muß, wenn es ihr schlecht geht, steht ja als Notwendigkeit fest, bloß darf man sie selber nicht als Grund nehmen, sondern lediglich durch ihre Existenz einen inhaltslosen Grund vermuten, auf den sie nur hinweist.

– Auch erfährt man von Weinzierl z.B. daß es in Italien, von wo bekanntlich der Faschismus gekommen ist, vorher eine hohe Totschlagsrate gegeben hat. Klar, daß da irgendwas im Gange war, wo doch die Totschlagsrate, die vor dem Faschismus gekommen ist, genau die war, nach der der Faschismus gekommen ist. Nicht, daß etwa der Faschismus eine Form ist, Familienkrachs zu beenden! Bloß, daß die Totschlagsrate was mit dem Faschismus zu tun hat, darf man sich merken.

Ernst Bloch hat hingegen die interessante Ungleichzeitigkeit als Faktor gespendet. Ja, es hat im Dritten Reich gleichzeitig Atomtechnologie und „archaische Formen“ gegeben, was beweist, daß „wir“ uns ständig zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herumtreiben. Also verweist die „Ungleichzeitigkeit“ auf einen Grund, der aber nicht mit den ersten (alten, darf man hier nicht sagen!) AKWs zusammenfällt. Das Nebeneinander von Sachen, die es schon länger und welchen, die es noch nicht solange gibt, sind ein Faktor für den Faschismus - weil das beim Faschismus der Fall war. Daß die Welt nicht an einem Tag erschaffen wurde, womit ja dann wirklich die „Gleichzeitigkeit“ hergestellt wäre, ist kein Einwand. Mehr als ein Faktor für den Faschismus soll diese Spinnerei aber auch nicht sein.

Die Bedeutungslosigkeit des Inhalts dieser Theorie verleiht ihr sogar den Charter des „Interessanten“. So produziert die Geschichtsforscherin mit jedem Faktor ein Stück mehr von einem inhaltslos existierenden Grund des Faschismus, für dessen Existenz letztendlich alles, was es gibt, vorher und nachher gab, aufmarschiert. Dazu noch an die 50 verschiedenen Faschismustheorien, die diesen „Forschungsprozess“ auf den Gipfel treiben. Jede Theorie steht da nur für den Beweis, daß sie deswegen, weil sie erstens in einer anderen „Zeit“ als die anderen steht, und sie noch dazu allesamt nicht die gleiche, sondern verschiedene sind, nur ein Zipfelchen von jenem, mit keiner Theorie identischen Grund des Faschismus sind:

„Ich führe keineswegs alle an, weil das zu langweilig wäre, aber ich möchte doch zeigen, wie man in verschiedenen Perioden den Faschismus beurteilt hat und auch Ernst Nolte hat noch einen eigenen Band »Theorien über den Faschismus« herausgegeben.“

Der Führer im Faktorenbündel – nicht 100%ig „definierbar“.  

Frau Prof. Weinzierl anerkennt die Existenz der Theorien, wobei ihr der Inhalt völlig scheißegal ist. Daß ihr selbst ein bißchen dabei schwindlig wird, lauter einander widersprechende, Theorien von Humanismus, Kapitalismus, Totalitarismus, Gott und der Welt, von Bloch bis Zetkin aufzuzählen, macht sie zum Argument dafür, daß sie noch vielmehr Unklarheit stiften könnte, wenn sie nicht so studentenfreundlich wäre. Die Vollendung ihrer Faktorenlogik ist logischerweise die Unfaßbarkeit des Faschismus. Denn alles – von der Totschlagsrate in Italien über die Sprache bis zur Industrie und Papst Pius deutet auf einen Grund des Faschismus hin, der dann aber auch das totale Jenseits von allem ist, was es gibt und gab. Der Zweck der Veranstaltung scheint damit erreicht zu sein, weil Weinzierl nun noch einmal das Resultat ihrer Faktorenhuberei zusammenfaßt:

„Ich möchte sie aber gleich vor einem warnen. Eine hundertprozentige Definition des Nationalsozialismus kann und wird es nicht geben.“

Die 100-Prozentige Definition lautet nämlich, daß der Faschismus das nicht Begreifbare ist. Bloß sollte man das nicht der Sache anhängen, über die man die ganze Zeit lauter leere Notwendigkeiten behauptet hat – und nun stolz feststellt, daß man nichts weiß. Wer allerdings sich so selbstzufrieden dazu bekennt, der meint offenbar schon, etwas damit geleistet zu haben. Und das stimmt ja auch: So wird nämlich gerade „begründet“, daß ein anderes Verhältnis als das theoretische zum Nationalsozialismus angebracht ist: Abwesenheit von theoretischem Erfassen des Faschismus – das kann man natürlich auch gleich zur Eigenart des Faschismus erklären. Dann kommt der Umstand, daß der Geschichtwissenschaftler nicht weiß, was Faschismus ist, daher als moralisch so produktive Eigenart des „Unfaßbaren“, „Unbegreiflichen“, das sich breit gemacht hat in Europa. Der Faschismus als „Dämon“ etc., dem jeder Grund = gute Grund letztendlich fehlt ist also nicht zu Unrecht ein Spitzenprodukt bürgerlicher Wissenschaft, die mit ihren Fehlern inhaltslose Distanzierung vom Gegenstand der Wissenschaft „erforscht“ hat.

 

***


Die spannende Frage des Antifaschismus: Darf man keine Völker, keine Unschuldigen oder niemanden umbringen?


Vorbemerkung

Wenn ein normaler Mensch anderen etwas von seinen Erkundigungen in einer bestimmten Sache erzählt und dann einer von den anderen Einwände dagegen anzumelden hat, so erhebt sich normalerweise eine Auseinandersetzung. Es wird um Für und Wider gestritten. Es gibt allerdings Fälle, bei denen derjenige, der die ganze Zeit seine Erkenntnisse vorgetragen hat, von denen er auch noch behauptet, sie seien gar nicht so 100%ig sicher, nach einem vorgebrachten Einwand mit dem Hinweis, er sei eine integre Persönlichkeit, recht umstandslos fortfährt, seine „unsicheren“ Erkenntnisse vorzutragen. Diese zweite, nicht gerade feine Art des Diskurses gehört, wie jeder gleich bemerkt, zu den Sitten einer Universität. Es handelt sich ja auch nicht um einen normalen Menschen, sondern um einen Professor. Er hat ein Amt inne, welches offenbar ein Gütezeichen seiner Aussagen ist. Die Rede ist von Frau Professor Weinzierl und ihrer Reaktion auf kommunistische Kritik. Es liegt an ihr, die hier gemachten Aussagen über universitäre Sitten zu entkräften.


Der Streitgegenstand

ist schnell erzählt. Die MARXISTISCHE GRUPPE behauptet, daß die Kennzeichnung der Hitlerschen „Endlösung der Judenfrage“ als einer – wir zitieren nochmals – „bürokratischen Organisation der Massentötung von völlig unschuldigen Menschen, einfach aus subjektiven Kriterien heraus, die wir ja in der Rassentheorie in der Hand haben“ eine parteiliche Stellungnahme für die Sortierung von Leuten nach den Kriterien ihrer Tauglichkeit als „Menschenmaterial“ für den Staat ist. Und zwar deswegen, weil mit den Rechtskategorien „schuldig“ und „unschuldig“ ein Verhalten der Bürger angebrochen ist, welches Maßnahmen gegen sie rechtfertigt oder verbietet. (Mit den anderen Artikeln verhält es sich nicht anders: „willkürlich“ heißt wohl so viel wie „unbegründet“, Ohne guten Grund etc.) „Unschuldige“ sind also solche, die sich in ihrem Verhalten als durchaus verwendbar für die Zwecke erweisen, bzw., denen ihre Nicht-Verwendbarkeit nicht an gelastet werden kann. (z.B. Kinder). Erwachsene, die also brav arbeiten gehen und so den Reichtum von Staat und Kapital schaffen. Welche, die ihre Steuern brav zahlen und auch ihre Pflicht als Soldaten anstandslos erfüllen. Zusammengefaßt: „Unschuldige“ Menschen sind solche, die immer ihre Pflicht tun und auch zu ihr stehen – und deswegen das Recht darauf haben, als Mitbürger, Mitmensch und Mitarbeiter (dies die demokratische Formulierung von „Menschenmaterial“) anerkannt zu werden womit auch schon alles über die „Schuldigen“ gesagt ist.

Frau Prof. Weinzierl hat dieser Aussage ihr Bekenntnis entgegengesetzt, daß für sie jeder Tote einer zu viel ist.


Die Replik der MG

An dieser Aussage fällt auf, daß der von der Marxistischen Gruppe behauptete durchaus irdische Sortierungsinhalt des hochmoralischen Sortierungskriteriums gar nicht widerlegt ist. Und auch dann, wenn sie behaupten will, daß sie das gar nicht gesagt hatte – was ändert das eigentlich an unserer Schlußfolgerung über „Schuld“ und „Unschuld“? Nichts! Soll sie halt sagen, ob da was dran ist oder nicht. Frau Prof. Weinzierl faßt unsere Schlußfolgerung so auf, als wäre ihre Moral bezweifelt worden. So als ob die MG nach einem noch viel wuchtigeren, unschuldigeren Bekenntnis verlangt hätte, in dessen Zentrum das Leben überhaupt steht. Offenbar schätzt Weinzierl die Moral so sehr, daß sie die von der moralischen Betrachtungsweise in die Welt gesetzten Zynismen gar nicht als die Zynismen der Moral zur Kenntnis nehmen will. Und deswegen ist für sie die Analyse ihrer „Schuldkriterien“ so etwas wie eine Aufforderung zur Beichte, so etwas wie ein Nachfragen nach einem absolut integren, also unangreifbaren moralischen Titel. Wobei das Herausstreichen der eigenen Integrität gleich die Absage an Kritik ist.

Ärgerlich finden wir nicht die unzureichende Moral, sondern die moralische Betrachtung selber. Das Rechten und die Frage nach der Legitimität von allem Möglichen stört uns. Wer nämlich so argumentiert, der argumentiert immer mit einem eingebildeten oder wirklichen Gesetzgeber, der für die Geltung der moralischen Prinzipien bürgt – und dessen Normen man anzuerkennen hat, weil man ihnen selber unterliegt. Es ist auch noch ein schädlicher Nebeneffekt dieses botmäßigen Argumentierens zu erwähnen: Man ist und wird dabei so dumm wie ein Richter, der ja auch nichts erklärt, sondern bloß immerzu alles an Erlaubt und Verboten mißt. Moralische Urteile subsumieren die Realität unter ein geltendes Prinzip, sind also Vor- und damit gar keine Urteile, in denen ein Begriff einer Sache ermittelt wird. Klar, es ist ja auch nicht Wissen das Kriterium der Beurteilung, sondern eine eingebildete oder wirkliche höhere Instanz. Einreihen und Ausgliedern ist da gefragt. Insofern aber das einzige Argument des moralischen Urteils immer die Geltung der Instanz ist, in deren Namen man begutachtet, ist der materielle Inhalt der moralischen Titel immer der Zweck und das Anliegen einer wirklichen gesellschaftlichen Gewalt. Des Staates eben.

Der neue von Weinzierl hochgehaltene Wert des Lebens ist daher auch kein Widerspruch, sondern eine richtige Perfektionierung ihrer „Schuldlogik“. Das Leben ist nämlich ein Titel, der vom faschistischen ebenso wie vom demokratischen Staat aufs äußerste geschützt wurde und wird. Schließlich ist es jedem Bürger verboten, einen anderen aus eigenen, privaten Überlegungen umzubringen. Und zwar deswegen, weil die „Allgemeinheit“ ihn für Dienste aller Art vorgesehen hat. Und weil das Leben für Wirtschaft und Staat da zu sein hat, wird es eben auch für die höchsten Zwecke des Staates benutzt. Es wird ja bekanntermaßen in diesem Lande eine Vereinigung unterhalten, in der das Töten recht planmäßig und auch mit Büros dabei unter Zuhilfenahme moderner Technik trainiert und zur Perfektion getrieben wird. Jeder Jungmann ist zur Teilnahme daran verpflichtet und muß lernen, möglichst viele Leute mit einem fremden Paß auf Anordnung umbringen zu können. Das österreichische Bundesheer steht wegen seiner Nützlichkeit für den Staat denn auch nicht im moralisch verurteilenden Ruf, eine Einrichtung zur Abwicklung effektiver Massenmorde zu sein. Es handelt sich dabei um einen Beruf.

Die Weinzierl’sche Betonung des „Ich“, das sich dazu bekennt, „jeden Toten für zuviel“ zu benennen, ist also genauso absurd wie realitätstüchtig. Absurd, weil der Job eines Universitätsprofessors nun wirklich nichts mit der Ausübung staatlicher Gewalt zu tun hat. Weinzierl ist weder ein „Exekutivorgan“, noch ein Politiker, noch ein Richter. Realitätstüchtig ist dieses Bekenntnis aber darin, daß es sich mit dem Hochhalten der eigenen Güte für unzuständig erklärt, die wirklichen Zwecke der Nation zu benennen. „Ich“ doch nicht! „Ich“ bin doch gegen die Tötung überhaupt! „Ich“ bin doch ganz ganz gut! „Ich“ mache hier doch nichts anderes, als mit meiner Forschung der Nation, die praktisch auf Gewalt beruht, theoretisch durch rücksichtslose „Vergangenheitsbewältigung“ jenen Sinn zu stiften, mit dem besten Gewissen von der Welt von „uns“ Österreichern, die alle in einem süßen kleinen Boot sitzen, zu reden. „Ich“ mahne die Jugend doch nur zur Botmäßigkeit im Denken an, indem ich eine „Sensibilität“ gegen „radikale Worte“ predige. Eine saubere Arbeitsteilung!

 

***

Wie der Hitler mit seinen Spezis ein Drittes Reich aufgemacht hat

oder: Warum Prof. Weinzierl den Faschismus nicht kritisieren kann


Nach der letzten Vorlesung sind Studenten an uns herangetreten und haben unserer Kritik zwar eine gewisse Berechtigung bescheinigt, aber eingewendet, man könne Prof. Weinzierl doch keinen Vorwurf machen, weil sie doch lediglich Fakten liefere. Und da diese Fakten zwar nicht die Erklärung, aber für sie sehr wichtig seien, müsse man eben noch warten, bis man nun wisse, was eigentlich Faschismus ist. Ernst genommen wäre dieses Urteil, hier würden bloß Fakten berichtet ein vernichtendes Urteil über diese Vorlesung, zu der nicht einmal wir von der Marxistischen Gruppe uns versteigen würden. Denn das hieße ja, daß Prof. Weinzierl nicht denkt, wenn sie ihre „Anekdoten“ erzählt. Das hieße ja, daß sie gar nicht in einem erklärenden Zusammenhang stehen sollen, sondern ein begriffsloses Geplapper wären. Etwa wie das von Kindern, die Aussagen einfach rein zufällig aneinanderreihen, weil sie ihren Verstand noch nicht richtig entwickelt haben. Dagegen ist die Tatsache festzuhalten, daß es sich bei einer Vorlesung um eine wissenschaftliche Veranstaltung handelt, die schon den Anspruch hat, etwas herauszubringen und mitzuteilen. Sodaß nicht die Frage, ob es sich um Erklärungen oder „bloß“ Fakten handelt, angebracht ist, sondern vielmehr die Frage, welche Erklärungen denn geliefert werden sollen. Daß man die Erklärungen gar nicht so richtig merkt, wirft allerdings schon ein eigenartiges Licht auf die Wissenschaft, wenn man gar nicht so recht weiß, was sie eigentlich beweisen will. Wir haben uns den Kopf von Frau Prof. Weinzierl ein bißchen zerbrochen und wollen anhand der letzten Vorlesung zeigen, warum immer wieder Geschichten über Personen und Begebenheiten berichtet werden.


1. Das Programm der NSDAP

wurde letzte Stunde durchgenommen. Und Prof. Weinzierl hat besonders darauf Wert gelegt, daß jeder, der es ordentlich studiert hat, daran erkennen hätte können, was Hitler vorhatte. Das meinen wir auch – und man müßte dann halt eben anhand der einzelnen Punkte des NSDAP-Programms nachweisen, daß die Punkte tatsächlich etwas mit Krieg, Gleichschaltung und Judenvernichtung zu tun haben. Eigenartig ist aber, daß Prof. Weinzierl das gewußt hat, ohne daß sie auch nur einen einzigen Programmpunkt analysiert hat.

In dem Programm steht z.B. die Forderung nach der Gleichberechtigung des deutschen Volkes mit allen anderen Nationen und die Revision der Friedensverträge, sowie die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes – und wieso folgt daraus Krieg? Diese ehrenwerten Titel wie „Gleichberechtigung“ und „Selbstbestimmungsrecht“ stehen noch viel allgemeiner in der UNO-Charta und „Jalta“ gilt heute als eine überholte Sache! Weiters steht da drin, daß es ein Großdeutschland zwecks Ernährung des Bevölkerungsüberschusses braucht. Wieso ist denn diese erste deutsche Fassung der „Wiedervereinigung“ ein Kriegsprogramm? Außerdem haben die Nazis da festgehalten, daß Ausländer besonderen Gesetzen unterliegen sollten und nur nach Deutschen Beschäftigung kriegen sollen – etwa so wie das vom ÖGB erkämpfte Ausländerbeschäftigungsgesetz? Außerdem darf laut Nazi-Programm jedes öffentliche Amt nur durch eigene Staatsbürger besetzt werden – man vergleiche dazu die Bestimmungen für den öffentlichen Dienst in Österreich.

Erste Pflicht des Staatsbürgers sei es zu schaffen, heißt es weiter. Und seit wann ist denn der Arbeitsplatz in der Demokratie nicht ein hohes Gut und gibt dem Menschen den nötigen Sinn und Halt im Leben? Weiters haben die Nazis die Gewinnbeteiligung in Großbetrieben gefordert – oder ist das von der ÖVP? Sie haben auch etwas gegen Kriegsgewinnler gehabt, weil dadurch Volksvermögen verschwendet wird, haben die Förderung der Klein- und Mittelbetriebe und ein Gesetz zur Verwendung des Bodens für gemeinnützige Zwecke gefordert. Wie gesagt – es wäre hochinteressant nachzuweisen, daß hier eine totalitäre Politik am Werke ist, die die Bürger als „Menschenmaterial“ behandelt und nutzen will. Die Nazis haben in ihrem Programm auch die Forderung nach kostenloser Ausbildung, das Vorgehen gegen Korruption und Wucher, die Hebung der Volksgesundheit, Mutter- und Kinderschutz gefordert und Verbot der Jugendarbeit.

Lauter Sachen, die es hierzulande längst gibt – bloß wäre eben daran nachzuweisen, was das mit einem Kriegsprogramm zu tun hat und warum daraus Rassismus folgt – also wieso die von den Nazis behauptete Andersartigkeit der Juden gleich dasselbe wie der Beschluß zu ihrer Vernichtung ist.

Prof. Weinzierl hat in einem Nebensatz dazu lediglich angemerkt, daß das Programm teilweise nur zum Stimmenfang verwendet worden wäre, also gar nicht den wahren politischen Inhalt der Nationalsozialisten ausmacht, sondern viele attraktive Punkte bietet, um Stimmen einzusacken. Bei dem Punkt „Freiheit der Religion“ versteht sie sogar völlig, daß man für so etwas sein kann. Ihre Kritiklosigkeit gerade an der Stelle, wo die Faschisten ihr Staatsprogramm hingeschrieben haben, ist also dem Umstand geschuldet, daß sie das Programm gut findet. Und gäbe es nicht den speziellen Judenpunkt, könnte Weinzierl glatt nichts dagegen sagen, weil am Programm kaum ein Unterschied zu jeder bürgerlichen demokratischen Partei festzustellen ist. Wo sich das Faschistenprogramm so mit einem demokratischen deckt, fällt Prof. Weinzierl zu Hitler eben nichts ein. Woher weiß sie aber dann, daß so etwas zu Krieg und einem „unmenschlichen“ Staat führen mußte? Hinterher eben! Nachdem Hitler den Krieg geführt und verloren hat. Also liest sie das Programm mit dem Gestus der Verachtung und Abneigung vor und läßt es selbst ganz unkritisiert als Beleg dafür aufmarschieren, daß man das schon längst hätte wissen können! Weil sie den politischen Inhalt nicht kritisieren kann, spricht sie dem Faschismus ab, Politik zu sein. Wie gesagt, ist das keine Unfähigkeit, ein Mangel des Verstandes, sondern ihre eigene Parteilichkeit für bürgerliche Politik, die das Faschistenprogramm mit inhaltslosem „Das hätte man ja wissen müssen“ und „eh nur zum Stimmenfang da“ versieht. Als Antifaschistin nimmt sie dem Faschismus jeden politischen Inhalt, indem sie ihn auf einen obskuren Männerbund reduziert, der die Juden deswegen nicht mag, weil er antisemitische Schriften in die Hände bekommen hat. Die Männer um Hitler haben alle gute Verbindungen, treffen sich immer wieder und können gut reden, gewinnen und verlieren Wahlen, haben geheimnisvolle Techniken zur Beeinflussung von Menschen usw. Damit sollte auch schon klar sein, wieso die Vorlesung immerzu ins Anekdotische und Anbringen von Gehässigkeiten an den Faschisten „abgleitet“.

Das geht dann so:


2. Machtkampf im Führerhauptquartier

Prof. Weinzierl blamiert den Faschismus an seinen eigenen Ansprüchen. Wo der Führer immer auf das „ein“ Führer Wert legte, zeigt ihm Frau Prof. die rote Karte: Es war nicht einer, sondern mehrere, die sich gestritten haben. Mithin verfällt der Faschismus dem vernichtenden Urteil, gar kein ordentlicher Faschismus gewesen zu sein:

„Es gibt eine Reihe von Historikern, die sagt, daß letztendlich eine Politokratie entstanden ist, und daß eine Zentralgewalt nur in bestimmten Punkten erreicht wurde. Es gab also einen Machtkampf der einzelnen Gruppierungen und der Führer gegeneinander.“

Noch eine Unmenschlichkeit des Dritten Reiches, entdeckt durch die Geschichtswissenschaft: Ein Volk, ein Reich, drei Führer!

3. Faschismus, eine geheimnisvolle Ersatzreligion mit lauter Symbolen & geschickter Propaganda!

Wenn man an den Fahnen, Wimpeln, Hemden und Stutzen der Faschisten eliminiert, welche Politik sie repräsentiert haben, erscheinen die Runen und Farben als aufgrund ihres Aussehens besonders zugkräftige Gegenstände, denen ein geheimnisvoller Zauber anhaften muß. Alle Geschichten und Mutmaßungen über irgendwelche Fetzen sind also bedeutsam und interessant:

„Das Braunhemd kam erst 1924 über das Freikorps Rossbach in allgemeinen Gebrauch; vorher waren die Windjacke, die Skimütze und weiße Stutzen Kennzeichen für die Parteielite. Vor 14 Tagen habe ich vom Präsidenten der Sigmund Freud-Gesellschaft eine andere Erklärung für das Braunhemd gehört ... Für das Afrikakorps (im 1. Weltkrieg) hatte man also hunderte und tausende Ballen Stoff von diesem Stoff noch hergestellt und die hätten mit dem Zeppelin nach Afrika gebracht werden sollen und dann ist die Nachricht gekommen, es ist schon verloren. Und dann ist der Zeppelin umgekehrt und die Stoffballen sind einem geschäftlichen Zugang eröffnet, also verkauft worden ...“

Da kann man so richtig ins Kopfschütteln und Staunen geraten, welch tolle Volksbeeinflusser die Faschisten doch waren. Sie haben es geschafft, daß die Leute lauter eigenartigen Symbolen nachgelaufen sind. Lauter Symbole ohne politischen Inhalt bezaubern die Massen:

„Die Symbolik ist früh zum Kult erhoben worden und hier ist das Buch von Hans Gramm: »Das Frühe Reich und seine Ersatzreligion. Ein Beitrag zur politischen Bildung« noch immer nicht überholt.“

Bleibt nur noch zu erwähnen, daß das Urteil, Faschismus wäre so etwas wie Zauberei, sich notwendig einstellt, wenn man den Inhalt gerade weggedacht hat.

Prof. Weinzierl bewundert an der Nazi-Propaganda ihre Wirkung – jedoch nicht über ihre Inhalte, sondern anhand der verwendeten Techniken. Es werden lauter raffinierte, aber eben mißbrauchte Techniken der Manipulation besprochen, so als ob die damaligen deutschen Bürger so beeindruckt hätte, daß Hitler so viel gesprochen hat und immer mit dem Auto unterwegs war. Am NSDAP-Pogramm soll so anziehend gewesen sein, daß es nicht geändert worden ist und Hitler die besonders publikumswirksamen Punkte „Versailles“, „Juden“ und „Antimarxismus“ immer wieder hervorgehoben hat. Als Meister in Sachen Volkseinseifung kriegt der Führer ein bewunderndes und erschauerndes Plus ab – denn sowas ehrt einen Politiker wohl jenseits von Demokratie und Faschismus noch allemal, daß er es versteht, die Massen für sich als nützliche Idioten zu behandeln.


4. Verbindungen muß man eben haben!

Um so interessanter werden allerdings die Figuren. Prof. Weinzierl stellt sie alle vor, als ob es sich um private Bekanntschaften handeln würde:

„Röhm war der einzige, mit dem Hitler auf Du war, aber er war auch ein wirklicher Konkurrent, der 1934 erschossen wurde. Dieses Ende ist Dietrich Eckehardt, einem bayrischen Rechtsanwaltssohn, der eine Schriftstelle in Berlin versucht hat, nicht beschieden gewesen. Er war ein überzeugter Antisemit und ist über die Thule-Gesellschaft, die wir immer wieder finden, zur NSDAP gekommen. Das war ein grausliches Nest, wo dann von verschiedenen Seiten die Leute hinein- und herauskommen, die aber alle der selben Richtung zugehören. Er war tatsächlich vielseitig gebildet und gesellschaftlich versiert. Eckehardt war der Schöpfer des deutschen Kampfrufes »Deutschland erwache!«“

Der Faschismus kommt da als ein Ungeist vor, der in den Personen drinnen steckt, nach dem die Antifaschistin fahndet. Und jede Bekanntschaft zwischen Personen ist deswegen wichtig, weil sich da eben dieser Ungeist übertragen hat. Die Frage nach dem Grund wird beantwortet mit dem Ort, von dem „es“ herkommt. Die geschilderten guten Verbindungen zwischen Faschisten und damals herrschenden Demokraten lassen dabei natürlich nicht den Schluß zu, daß Demokraten Faschistereien durchaus einleuchten. Im Gegenteil: Es kann sich dann eben nur um ein „Fehlen von Loyalität“ von Beamten und anderen höheren Staatsdienern handeln, das sich aber unverständlicherweise immer breiter gemacht hat. Verbindungen muß man eben haben! Dann breitet sich der „Ungeist“ flugs aus und wird von Weinzierl penibel in Prozentzahlen der Bevölkerung – fein säuberlich nach Berufsgruppen sortiert – festgehalten.

Ungeist (Uriginalphoto)


5. Der Führer im Pyjama verhaftet!

Nach dem gescheiterten Marsch auf München hat sich folgendes zugetragen:

„Ein SA-Sanitätsauto hat Hitler die Flucht ermöglicht. Er ist in die Villa des sehr bekannten Kunstkritikers Ernst Hanfstengl gebracht worden. Am Abend vorher hat er noch gesagt, er sei entweder um 9 Uhr in der Regierung oder tot. Wie sich zeigen sollte, war er keines von beiden. Er fuhr also zum Starnberger See und dort ist er am 11. November 1923 am Nachmittag im Pyjama verhaftet worden.
Vor der Verhaftung – jetzt kann man wieder sagen, das sind Anekdoten, aber sie sind bezeichnend – hat er sich aber noch das WK1 anstecken lassen.“

Unglaublich – nicht wahr! Der Führer hat sich getäuscht, was einen Demokraten mit Häme erfüllt. Eine lächerliche Figur, die das Bedürfnis eines Demokraten nach einer starken Persönlichkeit an der Spitze des Staates einfach nicht erfüllen kann. Von wegen also, es handle sich um „Anekdoten“ – mehr hat eine österreichische Nationalistin am Faschismus eben nicht auszusetzen!

Argumente gegen die Geschichtswissenschaft, Wien 1987

zurück zur Startseite