KONDOLENZ DES IMPERIALISMUS ZUM TOD MAOS

Daß ein bedeutender bürgerlicher Staatsmann nach seinem Ableben auch von seinen politischen Gegnern im freiheitlichen Lager gewürdigt wird, indem man seine lauteren Absichten und sein ehrliches Bemühen um Demokratie, Freiheit und Vaterland herausstellt, ist keine Neuigkeit. Auch ist es im Westen normalerweise nicht üblich, einem kommunistischen Politiker solche Wertschätzung zuteil werden zu lassen. So wurde Stalin nach seinem Tod umstandslos als der „größte Verbrecher aller Zeiten“ verdammt. Der längst erwartete Tod Maos war allerdings Anlaß, eine Trauerfeier ohne Beispiel zu veranstalten. Obwohl kein westlicher Staatsmann auf die Idee kam, Mao von kommunistischen Neigungen freizusprechen, wurden ihm Attribute zugesprochen, die sonst nur den toten Kämpfern für die Ideale der Freiheit etc. vorbehalten sind: Mao sei „eine der großen Persönlichkeiten unserer Zeit“ gewesen, eine „Persönlichkeit von geschichtlichem Rang“. Und einige verliehen sogar ihrer persönlichen Erschütterung Ausdruck: Strauß fühlte sich „tief betroffen“ und US-Präsident Ford sprach gar von einem „tragischen Verlust“. Letzterer fügte gleich noch hinzu, was ihn am Tode Maos so traurig stimmte, und offenbarte so die rationelle Grundlage seines Mitgefühls: Immerhin sei Mao der Mann gewesen, der eine „neue Ära“ der amerikanisch-chinesischen Beziehungen eingeleitet habe.
Im einzelnen zeigen dann auch die längeren Nachrufe, die jede Zeitung wohl schon auf Lager hatte, daß diese Lobreden nicht etwa Mao gelten, sondern sein Tod vielmehr der Anlaß für die westlichen Beobachter ist, ihre Interessen an China zur Schau zu stellen – ein Geschäft, das nicht ohne eine gehörige Portion Unverschämtheit abgeht.

 

Die Indienstnahme des großen Steuermanns

Kein Kommentator versäumte den Hinweis darauf, was Mao alles aus China gemacht hat. Er hat die 800 Millionen Chinesen zu einer einheitlichen Nation zusammengeführt, China zu einem Faktor der Weltpolitik gemacht und den Hunger beseitigt. Bereits die Aufzählung all dessen, was man Mao als Erfolg anrechnet, ist verräterisch. Die Beseitigung des Hungers ist meist nur ein Glied in der Kette der Leistungen, die sich unter dem folgenden Titel zusammenfassen lassen:

„Niemals in der Geschichte hat irgendein Mensch eine derartige Macht über so viele Menschen besessen.“ (AZ)

Die ganze Bewunderung für Maos Werk zieht sich so auf die „Macht“ zusammen, über die Mao verfügte. Anscheinend denkt der demokratische Beobachter bei dieser Einzigartigkeit Maos an das zuweilen lästige Geschäft der „Willensbildung“ in demokratischen Ländern und kann sein Bedauern darüber nicht verhehlen, daß hierzulande die Macht auf das umständliche Geschäft angewiesen ist, sich alle vier Jahre bestätigen zu lassen. So wundert es nicht, daß man bei der Erklärung der Macht Maos diesen Neid offen herausläßt, wenn man auf die günstigen Bedingungen verweist, die Mao in China antraf. Indem der „Spiegel“ auf die glückliche Korrespondenz zwischen dem mächtigen Führer und dem willigen, untertänigen chinesischen Volk hinweist, gelingt es ihm, Maos Werk ins rechte Licht zu rücken und ganz nebenbei einige Merkmale des Kommunismus ins Bewußtsein zurückzurufen:

„Für seine pädagogischen Experimente (!) stand ihm ein Volk zur Verfügung (!), das in Jahrtausenden bereits (!) zum Dulden und zur Disziplin erzogen war, begabt mit außergewöhnlicher Schöpferkraft und Phantasie: der rechte Stoff, aus dem Mao den neuen Menschen nach seinem Bild gestalten wollte, ein leeres (?) Blatt, so sein eigener Vergleich, auf das er nur seine Zeichen zu tuschen brauchte.“

Während der „Spiegel“ so die besondere Eignung des chinesischen Volkes für Maos „Experimente“ hervorhebt und damit auch noch vor allen Konzepten warnt, die solches auf entwickelte Völker (die nicht alles mit sich machen lassen) übertragen wollen, schafft es der Kommentator der SZ mit dem entgegengesetzten Argument, aus Mao einen Agenten westlicher Entwicklungshilfepolitik zu machen:

„Der Schöpfer des kommunistischen China hatte unter den Revolutionären dieses Jahrhunderts die ungünstigsten Startbedingungen, und er hat dennoch am meisten bewegt. Mao hatte vor allem gegen die mehrtausendjährige Geschichte seines Landes anzukämpfen, gegen die Folgen der Abschließung (die älteren Studenten werden sich erinnern: Opiumkriege, Boxeraufstand und japanische Invasion) und Rückständigkeit – Computerzeitalter und Steinzeitalter hausen (!) in China oft Tür an Tür – gegen geistige Monokultur und soziale Erstarrung. Was der große Vorsitzende zuwege brachte – von den dabei angewendeten Methoden des Zwangs und der Gewalt sei nicht abgesehen ist grandios...“

Mao ist für diesen Menschen umstandslos ein Wegbereiter westlicher Zivilisation, deren Kennzeichen für ihn wohl geistige Beweglichkeit, soziale Mobilität und vor allem der Computer darstellen – alles Eigenschaften, ohne die die Anbahnung von Beziehungen des gegenseitigen Nutzens mit China sicherlich nicht möglich gewesen wären.
Solche Überlegungen stellen den Übergang zu einem weiteren Gegenstand der Bewunderung dar, nämlich die Übereinstimmung von Maos Idealen mit jenen Tugenden, die die Wahlkämpfer hier dem Wahlvolk, das zu viele Ansprüche stellt, predigen:

„Doch derselbe Mann hatte der überschäumenden Welt des Genusses eine Alternative (man denke nur an die ausweglosen Sektorgien der deutschen Arbeiter!) gewesen: Konsumverzicht, Bescheidenheit, arm, aber ehrlich zu leben und an Ideale zu glauben.“ (Spiegel)

Allerdings versäumt die bürgerliche Journaille nicht, auch dieser Preisung Maos eine Einschränkung hinzuzufügen. Wenn einerseits seinem Idealismus, im permanenten Kampf der Utopie des neuen Menschen nachzujagen, Anerkennung gezollt wird, wobei man seine Ideale für nützlich hält, so ist andererseits sein Scheitern, das genüßlich mit der Aufzählung diverser Phänomene registriert wird, der Beleg dafür, daß sich auch im fernen China letztendlich der ewig-gültige Charakter der Menschennatur durchsetzt und immer wieder zur Einführung kapitalistischer Prinzipien zwingt:
„Vielmehr haben letztlich sogar unter seinem totalitären Regime menschliche Ureigenschaften ein Gelingen verhindert.“ (MM)

„Das Ziel, China zur Industriemacht zu entwickeln, ließ sich nicht mit Maos Sozialträumen erreichen, sondern allenfalls über materielle Anreize, Privatisierung der Landwirtschaft ... „ (Spiegel)

Und wenn man dann Maos Politik in China glücklich auf ein anderes (utopisches) Modell der Industrialisierung heruntergebracht hat und so die Überlegenheit des Westens eindrucksvoll unterstrichen hat, eröffnet sich die Möglichkeit, die Konsumwünsche der chinesischen Bevölkerung zu erwähnen (selbst der Asket Mao konsumierte am Tag 80 amerikanische Zigaretten) und dabei 1. China im Vergleich zum Westen schlecht aussehen zu lassen und 2. wieder einmal den Gegensatz von Kommunismus und Genuß vor Augen zu führen.

„Der Kuli von einst beginnt heute, die »fünf großen Dinge« für sich zu realisieren – Radio, Armbanduhr, Fahrrad, Kugelschreiber, Nähmaschine. Aber: Für solche Genüsse hatte Mao gerade nicht sein Leben lang geschrieben und gekämpft ... Mao wollte etwas ganz anderes: den Kommunismus.“ (Spiegel)

So vollendet sich die Unverschämtheit, mit der es die bürgerlichen Schreiberlinge schaffen, einmal die Ideale Maos als erstrebenswerte Ziele für die hiesigen Massen zu loben und an anderer Stelle dieselben Ziele dazu herzunehmen, die chinesischen Verhältnisse mit dem Vergleich mit den westlichen Errungenschaften in die Pfanne zu hauen.

 

... für westlichen Geschäftsgeist und Antisowjetismus

Ihren Höhepunkt erfährt die Begeisterung für den toten Mao jedoch, wenn Presse und Politiker auf die Rolle zu sprechen kommen, die Mao im Rahmen des Weltkommunismus spielte. Eingeleitet wird diese Abteilung in der Regel mit dem Hinweis auf die ganz vom chinesischen Volksgeist geprägten menschlichen Qualitäten Maos. Man bekundet Sympathie für Mao, weil man an seinem widersprüchlichen Charakter seine durchaus menschlichen Schwächen so schön demonstrieren kann. Alle diesbezüglichen Huldigungen haben den Zweck, ihn als positive Gestalt gegenüber den ideologisch verhärteten und dogmatischen Sowjetführern aufzubauen. Geradezu gerührt werden die literarischen Bemühungen des „Poeten und Träumers Mao“ geschildert – bisweilen soll er sogar seine Befehle in Gedichtform gegeben haben. Wer hätte einem Kommunisten solches wohl zugetraut?
Aber schließlich handelt es sich bei Mao und seinem Werk ja um eine „chinesische Sonderform des Kommunismus“. Für diese selbst haben die westlichen Staaten nicht viel übrig, wie die zitierten Kommentare zeigen, ihre welthistorische Bedeutung aber ist keinem der weitblickenden Beobachter entgangen. Dieser Punkt wird besonders emphatisch hervorgehoben und der CSU-Vorsitzende bekennt ohne Scham den Grund seiner Betroffenheit:

„Die Entwicklung des modernen China, seine Einigung und Loslösung von fremden Interessen (Strauß als Antiimperialist!) und seine heute überragende Bedeutung als Gegenpol zum Sowjetimperialismus sind ohne Mao nicht denkbar.“

Und weil der Westen all das, was er an China schätzt, obwohl es ein kommunistisches Land ist, auf die Machtposition Maos zurückführt, findet die Anteilnahme an seinem Tode auch nicht mit der bloßen Würdigung seiner Person ihr recht weiß, wie sich die möglichen Nachfolger den weiteren außenpolitischen Kurs vorstellen, und daß sich der „Machtkampf“ in China jeder westlichen Beeinflussung entzieht (nicht mal zur Beerdigung war man eingeladen), zeigt man sich zunächst einmal an der Stabilität Chinas interessiert, wobei das Schicksal der 800 Millionen schnell in den Hintergrund tritt:

„Eine unruhige, wenn nicht gefährliche Zeit steht in China bevor. Wie sie enden wird, kann niemand voraussagen. Für das volkreichste Land wird dieser Zustand nicht von Vorteil sein. Aber auch aus weltpolitischer Sicht ist die Lage beunruhigend. Dem Westen kann nicht daran gelegen sein, daß in China Unsicherheit grassiert oder das Chaos ausbricht. Ein erstarkendes China hatte wesentlich zu einer globalen machtpolitischen Balance beigetragen.“ (FAZ)

Weil man bisher mit China ganz gut gefahren ist, ist man an der Erhaltung des bisherigen Zustands interessiert, Da es aber ungewiß ist, ob sich die Chinesen darum scheren werden, können nur Mutmaßungen über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Linien angestellt werden, die sich in China durchsetzen könnten. Während das „Handelsblatt“ dabei mehr auf die „Pragmatiker“ setzt, denen es mehr Geschäftssinn zutraut und so hofft, daß diese noch bestehende Schranken für den Handel mit China in Zukunft beseitigen, warnt der „Münchner Merkur“ vor eben dieser Richtung und findet ausgerechnet an der „radikalen Linken“ Gefallen, weil er auf deren Prinzipientreue baut:

„Nur soviel läßt sich voraussagen: siegen in der unvermeidlichen Auseinandersetzung die radikalen Linken, dann bleibt das Zerwürfnis mit der Sowjetunion bestehen. Gelingt es jedoch den Pragmatikern die Oberhand zu gewinnen, dann erscheint die Annäherung der beiden kommunistischen Großreiche denkbar. Moskaus Politik hat seit langem auf die Zeit nach Maos Tod spekuliert.“

Am besten wäre natürlich, wenn China gleich den großen Sprung nach vorne ins kapitalistische Lager machen würde – dann bräuchte man sich um den Antisowjetismus keine Sorgen mehr zu machen. Solange sich eine solche gerade Linie noch nicht abzeichnet, sind bürgerliche Kommentatoren und Politiker gerne bereit, von ihnen sonst als undemokratisch gegeißelte Zustände hinzunehmen, wenn ihr Nutzen dabei zumindest halbwegs gewahrt bleibt und die Chinesen an ihrem Hauptfeind festhalten. Wenn Kohl also im Wahlkampf davon spricht, es gelte, den Sozialismus „zu Wasser, zu Lande und in der Luft“ zu bekämpfen, so muß er angesichts der ungewissen Zukunft in China allerdings hinzufügen, daß jetzt nicht die Stunde sei, auf Prinzipien herumzureiten.
Der Imperialismus weiß, weshalb er seine Teilnahme an Maos Tod bekundet. Und angesichts der Offenheit, mit der er dabei seine Interessen diskutiert, nehmen sich diejenigen lächerlich aus, die aus der Tatsache des imperialistischen Lobs für Mao schliessen, selbst der Westen könne nicht umhin, Mao als „großen Führer des Weltkommunismus“ anzuerkennen. Was die Anerkennung Maos durch die bürgerliche Welt allerdings mit der Politik der chinesischen KP zu tun hat, ist in der nächsten MSZ nachzulesen, die Ende Oktober erscheint.

(aus „Hochschulpolitik der Roten Zellen und Marxistischen Gruppen 1976/77. Ein Auswahl“)

zurück zur Startseite