Goldpreis mit Preisfrage: Spielt der Goldmarkt verrückt?
Das „hätt ich, dann ...“ entspricht haargenau der Sichtweise, mit der von Geldhandelsprofis und medialen Kommentatoren die außergewöhnliche Goldhausse betrachtet wird. Mehr noch, es entspricht den Tatsachen, die sich da abspielen auf dem Goldmarkt, die, wenn man nicht mit dem gesunden Menschenverstand, sondern einfach rational urteilt, tatsächlich eine verrückte Angelegenheit sind. Nur heißt das nicht, daß deshalb der bürgerliche Sachverstand zu der tiefsinnigen Meinung „meschugge“ käme. Der wundert sich nämlich nicht darüber, daß so etwas passiert – dafür ist er zu sehr Realist –, sondern in welchem Maße und wie „haltlos“ der Goldpreis durch die Gegend saust. Sich sicher in der Annahme, daß es keine objektiven Gründe gäbe, weshalb das edle Metall ganz handfest an Ansehen gewinnt, spekuliert er über alle möglichen verantwortlichen Faktoren des Steigens seines Preises, so daß der praktische Spekulant sich voll und ganz bestätigt sieht. Und das kann der auch, denn was er tut und wovon er sich einen Gewinn verspricht, das gilt. Warum, das braucht eigentlich niemanden zu interessieren. Überhaupt zählt Gold ungeachtet seiner jeweiligen Notierung nicht zum Bildungsschatz des modernen Intellektuellen. Trotzdem – auch auf die Gefahr hin, daß deswegen eine Spekulation baden geht – behaupten wir, daß die sog. undurchsichtige Bewegung auf dem Goldmarkt durchaus nicht ohne Prinzip verläuft und deshalb diese Metallkunde ein fester Bestandteil der bürgerlichen Ökonomie ist. 1. Gold Sollte es etwa am Edeltum dieses glitzernden Metalles liegen, daran, daß Motten und Rost ihm nichts anhaben können, daß es nicht überall in der Landschaft rumliegt, weswegen alle Welt scharf auf es ist? Für alte Zeiten mag es ja angehen, daß die Seltenheit dieses Metalls es so wertvoll machte und sich Kaiser und Könige dieses Zeug umhingen, um ihre Sonderstellung zu dokumentieren. (Doch gab es auch Länder, die Kaffeebohnen höher schätzten). Aber heute, 1979, da das Kapital die Welt regiert und es auf die großen Scheine ankommt, die man so verwendet, daß noch größre draus werden, da die Geldmünzen aus Blech sind und man viel billiger mit Kredit reich wird (wenn man ihn hat), da muß doch etwas anderes dahinterstecken! – Schon mal gemerkt, daß goldener Schmuck am Hals einer schönen oder weniger schönen Frau deshalb so gut kleidet, weil jeder sieht, daß sich die Trägerin ihn leisten kann? – Schon aufgefallen, daß sich Leute Goldmünzen und -barren kaufen nicht deshalb, um darin herumzuwühlen oder sie sich umzuhängen? – Schon mal darüber nachgedacht, warum trotz des wiederholten Beweises moderner Ökonomen, die Deckung der staatlichen Geldmenge sei eine überholte Ansicht veralteter Monetaristen und ,,Demonetisierung“ der Fortschritt („Wo Bargeld lacht, da grinst der Scheck verstohlen.“), die Bundesbank annähernd 300 Tonnen Gold in ihrem Keller liegen hat und trotz des gestiegenen Preises nicht daran denken darf, sie zu verscheuern? – Schon mal überlegt, warum in Zeiten, da das Geld kaputt ist, man nichts mehr dafür bekommt, mit einem Trumm Gold noch Speck gekauft werden kann? Die Antwort, Mitte des 19. Jahrhunderts in die Welt gesetzt: „ ... Gold das materielle Dasein des abstrakten Reichtums. Nach der Seite des Gebrauchswerts drückt jede Ware nur ein Moment des stofflichen Reichtums aus durch ihre Beziehung auf ein besondres Bedürfnis, eine nur vereinzelte Seite des Reichtums. Das Geld aber befriedigt jedes Bedürfnis, sofern es in den Gegenstand jedes Bedürfnisses unmittelbar umsetzbar ist. Sein eigener Gebrauchswert ist realisiert in der unendlichen Reihe der Gebrauchswerte, die sein Äquivalent bilden. In seiner gediegenen Metallität enthält es allen stofflichen Reichtum unaufgeschlossen, der in der Welt der Waren entrollt ist. Wenn also die Waren in ihren Preisen das allgemeine Äquivalent oder den abstrakten Reichtum, Gold, repräsentieren, repräsentiert das Gold in seinem Gebrauchswert die Gebrauchswerte aller Waren. Gold ist daher der materielle Repräsentant des stofflichen Reichtums. Es ist der »precis de tout le choses« (Boiseguillebert), das Kompendium des gesellschaftlichen Reichtums.“ (Marx, MEW 13, S. 102 - 103)
Wieso aber hat der abstrakte Reichtum, mit dem man alles kaufen kann und an dem die Preise der Waren ihren Maßstab haben, selbst wieder einen Preis? Dieses Problem soll der Leser weitgehend selber knacken, geht es doch hier und aktuell vor allem um die Frage, warum der Goldpreis heute so hoch steht. Nur einige Hinweise: – Der Witz ist nicht die Tatsache, daß Gold produziert sein will und deshalb seinen Preis hat wie jede andre Ware. – Das Geheimnis liegt vielmehr darin, daß Geld selbst einen Preis hat, daß es gewisse Leute gibt, die mit Geld handeln, so daß Geld teurer oder billiger sein kann. – Vor allem auf den Weltmarkt aufmerken! Dort werden nicht nur in Krisenzeiten Goldbarren bewegt. Auch in normalen, da das internationale Kreditgeld funktioniert, werden Über- und Unterschüsse zwischen den Staaten mit Gold beglichen. Die Wechselkurse ändern sich ständig, es gibt weiche und harte Währungen – ein Feld, auf dem die Geldpreise notiert werden und wo sich eine Masse Leute, die nicht zu arbeiten brauchen, durch das Kaufen und Verkaufen von Geld, eigener und fremder Währung, bereichern. Wer die folgende Antwort aus dem 19. Jahrhundert kapiert, hat den Witz begriffen: „andrerseits wird das Geld, indem es nicht mehr als Eigenschaft der Waren, als ein Allgemeines derselben existiert, sondern neben ihnen individualisiert ist, selbst eine besondre Ware neben den andren Waren. (Durch Nachfrage und Zufuhr bestimmbar; zerfällt in besondre Geldsorten etc.) Es wird eine Ware wie die andren Waren. Trotz seiner allgemeinen Bestimmung ist es ein Austauschbares neben andren Austauschbaren. Es ist nicht nur der allgemeine Tauschwert; sondern zugleich ein besondrer Tauschwert neben andren besondren Tauschwerten. Hier neue Quelle von Widersprüchen, die sich in der Praxis geltend machen. (In der Trennung des Geldgeschäfts vom wirklichen Handel tritt die besondre Natur des Geldes wieder hervor.)“ (Marx, Grundrisse, S. 69)
Sollte jemand einwenden, im Verhältnis zur offenbar steigenden Nachfrage sei die Zufuhr sehr gering, kann man nur das Gesagte wiederholen. Festzuhalten bleibt das Besondere, daß die Ware Gold wegen der Seltenheit ihres Vorkommens und der Bedingungen ihrer Produktion nicht wie andre Waren vermehrt werden kann, und des weiteren, daß bei hoher Nachfrage die vorhandenen Bestände nicht einfach auf den Markt geworfen werden, sondern der Riesenanteil des Weltgoldes weiter in den Nationalbanken schlummert, wie das Gesetz es befiehlt. Im Unterschied zu sonstigen Waren zieht also erhöhte Nachfrage nach Gold nicht selbstverständlich Erhöhung der Zufuhr nach sich. Deshalb das emsige Suchen der Wirtschaftskommentatoren, die den Geldmarkt reichlich „nervös“ finden, nach Angebots- und Zufuhrreserven.
Warum steigt sie? Verrückt zu sagen, weil sich die Zufuhr so wenig erhöht. Daß sich mit dem Wachstum des Reichtums auch mehr Interesse (bei denen, die es sich leisten können) am Repräsentanten des allgemeinen Reichtums ergibt, eben um damit Reichtum zu repräsentieren, kann vernachlässigt werden. Warum steigt die Nachfrage gerade jetzt? – Etwa, weil diejenigen, die ihr Geld arbeiten lassen können, durch ihren »sicheren« Konjunkturinstinkt dazu getrieben werden, ängstlich vor neuer Inflation und Krise das seltene Edelmetall als „Wertaufbewahrungsmedium“ (,,Süddeutsche Zeitung“) zu benutzen und so der Analyse des ersten und sofort verhaßten Marxisten zu folgen? „In Zeiten der Erschütterung des gesellschaftlichen Stoffwechsels findet selbst in der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft das Vergraben des Geldes als Schatz statt. ... Der gesellschaftliche nervus rerum wird bestattet neben dem Körper, dessen Nerv er ist.“ (Marx, MEW 13, S. 108 - 109)
Der Witz der Geschichte liegt am Dollar und der Rolle, die ihm die Amis vor längerer Zeit zudachten. Noch während des Krieges, 1944, wurde nämlich in Bretton Woods das Goldfieber von 1979 von langer Hand vorbereitet (natürlich nicht beabsichtigt). ((Hier, aufgepaßt, beginnt die Preisfrage!)) Dort setzten die USA eine Weltwährungsordnung in Kraft, die den Dollar zur Leitwährung machte. Die Amis brauchten nur zu versprechen – was sie gern taten –, den Dollar jederzeit in Gold umzutauschen. Weitere Stationen: – 1971 Auflösung der Goldeinlösungsverpflichtung und Freigabe der Wechselkurse verschiedener Länder – seitdem beständiger Fall des Dollars – der Goldpreis, bis 1967 und seit 1934 stagnant bei 35 Dollar, gerät in Bewegung; erreicht 1975 seinen ersten Gipfel (zur selben Zeit beginnen die Goldverkäufe des IWF und des US-Schatzamtes), mäßigt sein Niveau bis 1976, um dann wie ein Wahnsinniger nach oben zu steigen. – Seit 1975 dürfen US-Bürger wieder Gold kaufen – 1979 landet der Goldpreis bei über 400 Dollar, während der Dollarkurs wieder seinem bisherigen Tiefststand zustrebt. Ein Salomon aus dem US-Ministerium hält die Spekulation beim Gold für „extrem ungesund“ und denkt an eventuelle Erhöhungen des Goldangebots. Die Spekulanten merken sich diesen lauten Gedanken genau. Die Lage sieht so aus, daß es von Dollars nur so wimmelt auf dem Weltmarkt. Nur das Vertrauen, das sich die Amis 1944 verschafften und lange Zeit besaßen, hat merklich abgenommen. Nicht nur Ölscheichs gehen ins Gold – „Eine kleine (?) Gruppe, nicht mehr als 2000 bis 3000 Privatpersonen, hat Gold wie verrückt gekauft.“ (Al-Sai, Generaldirektor der Arab Investment Co.) –, selbst Amerikaner versuchen der Inflationsrate ihrer Währung durch Goldkäufe zu entgehen. ,,Flucht aus dem Dollar treibt den Preis“, heißt es ganz richtig in den Zeitungen. Auf der Grundlage, daß das immer noch geltende Dollar-Weltgeld an Kredit verloren hat, versucht man es durch Goldkäufe loszuwerden, womit die Grundlage dafür geschaffen wäre, daß Spekulanten die Nachfrage nach dem harten Gold noch um einiges steigern und weniger versuchen, in „weichen“ Dollardevisen zu spekulieren.
Zuguterletzt soll noch die Frage behandelt werden, woher denn die ganzen Reichtümer kommen, mit denen gewisse Leute ins Gold einsteigen können. Oder einfacher: Wenn jährlich 1800 Tonnen Gold angeboten und verkauft werden, woher haben die Käufer eigentlich das Geld dafür? Dankenswerterweise gibt eine Karikatur in der „Süddeutschen Zeitung“, vom 4. Oktober dieses Jahres die Antwort. Freilich ohne es zu wollen, weshalb eine Interpretation unsererseits notwendig ist. Das Bild:
Erstgeborener Sohn ist schon weiter. Ihm paßt schon lange nicht, daß Papa immer nur arbeitet und dabei nie der große Schlag gelingt. Deshalb ist er voll und ganz für den Schritt seines Vaters ins Goldgeschäft, wirft ihm aber vor, sich nicht wie ein echter Spekulant verhalten zu haben. Einzig und allein die Nährmutter (Oma), nur darauf bedacht, wie sie ihre Mäuler füttern soll, macht dem Alten seine stolze Überraschung mies: „Für den ganzen Lohn??“ – Zwei Fragezeichen, ,,ganz“ unterstrichen und auf dem Tisch der winzige Barren, womit heraus ist, was uns die Zeichnerin damit sagen wollte: Das gegenwärtige Goldfieber ist angeblich verrückt, was man schon am einfachen Arbeiter sieht, der sich eine derartige Spekulation gar nicht leisten kann, weil er und seine Familie dann nichts mehr zu beißen haben. Marie hält dem abstrakten Reichtum, Gold, vor, daß man ihn nicht essen kann, hält also Bedürfnisbefriedigung und Sein-Auskommen-haben hoch gegen die Form, in der man allein an die Mittel der Bedürfnisbefriedigung herankommt. Auf die Idee, den Alten eine Lohntüte auf den Tisch hauen zu lassen, ist sie nämlich nicht gekommen. Stattdessen Brei für's Kleinkind contra Goldbarren. Marie weiß natürlich auch, daß Arbeiter nicht in Gold, sondern in Lotto spekulieren. Indem sie das karge Arbeiterdasein mit dem goldenen abstrakten Reichtum konfrontiert, um Auskommen gegen scheinbar nutzlosen Reichtum zu halten, bebildert sie gleichzeitig das wirkliche Geheimnis des abstrakten Reichtums: Die einen ham's, die anderen net. Und fürs Verfressen ist er nicht da, sondern (z.B.) fürs Spekulieren, wofür man es sich eben leisten können muß, bei Geld nicht gleich an Haferflocken zu denken. Weil der abstrakte Reichtum getrennt von denen, die ihn schaffen, und auf deren Kosten sich vermehrt, geht der Arbeiter weiter in die Arbeit, während andere ins Gold gehen. Ob der Geldmarkt verrückt spielt? Eigentlich schon, aber da »eigentlich« nicht gilt, ganz und gar nicht. Denn erstens ist das halt so in einer fortgeschrittenen Gesellschaft und zweitens haben doch gewisse Leute auch viel davon und drittens wird sich die Goldhausse auch wieder einebnen. Urteile, die alles besagen – pecunia donum divinum!
aus: MSZ 31 – Oktober 1979 |