SALT, MBFR, Eurostrategisches Gleichgewicht:

Militärische Frontenstabilisierung für den 3. Weltkrieg


Verantwortung vor Gott und Verbeugung vor dem Recht auf Leben, freundliches Händeschütteln zwischen dem amerikanischen und russischen Kriegsminister, Bruderkuß zwischen Carter und Breschnjew und schließlich Amy, die das Gähnen nicht lassen kann – das war der Staatsakt von Wien, mit dem die UdSSR und die USA ihre Unterschriften unter den gemeinsamen Beschluß setzten, die Ausrottung der Menschheit als legitimes Mittel ihres zwischenstaatlichen Verhältnisses zu erhalten. Wenig verwunderlich ist es daher, wenn die diversen Aufklärungsorgane unseres Volkes diesen „Sieg für uns alle“ (Jimmy Carter über SALT II) ein wenig anders als sonstige Erfolge staatlicher Umtriebe auf den Boden der Tatsachen zurückholen – es ist ja noch sehr zweifelhaft, ob Carter selbst an der demokratischen Heimatfront seinen Sieg in Wien überleben wird. Keinen Frieden, viel Aufrüstung, weiterhin große Hartnäckigkeit in der Weigerung der Russen, sich dem Westen wohl zu verhalten – so lautet das fachmännisch-realistische Fazit derer, die dem Volk nicht verschweigen wollen, was auf es zukommt. Mit staatstreuer Berechnung erlauben sie sich allerdings die entscheidende Lüge so zu tun, als ob sich die Politiker ständig um den Frieden bemühen, Sachzwängen aber nicht ausweichen können, als ob sie am Frieden scheitern, weil sie nicht Herrn ihres Willens sind. Wer dagegen die gegenwärtigen Händel von Amis, Russen, Deutschen und einigen anderen bezüglich der Kriegsmittel, die sie gegeneinander hergestellt haben, als den Willen der beteiligten Staaten zur Kenntnis nimmt, sich gerade das Kriegsführen als Mittel des Friedens offenzuhalten, kann keine Enttäuschungen mehr erleben. Denn solche Abrüstungsverhandlungen stehen für die Staaten immer dann an, wenn sie den Krieg planen, und den führen sie nicht, weil sie zuviel Soldaten oder Panzer haben, sondern weil sie feststellen, daß der Nutzen in ihrer wechselseitigen Benützung ausbleibt. Daß es zwischen Amis, Russen, uns Deutschen und dem Rest der Welt soweit ist, steht täglich in der Zeitung.


Der SALT-Schacher: Amerikanisch-russische Atomkriegsregelung

Die – trotz inzwischen entgegengesetzter ,,Aufklärungsbemühungen“ seitens der Öffentlichkeit – mancherorts noch immer verbreitete Auffassung, die Bedeutung der SALT-Vereinbarungen bestehe vor allem in der Sicherung des Friedens, liegt daneben. Zu diesem Zweck gibt es seit geraumer Zeit ein „Kriegsverhinderungsabkommen“ zwischen den Supermächten. Förmlich, abgefaßt als „Grundsätze der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“, versicherten sich 1972 die beiden Atommächte ihr Interesse, nicht jederzeit und bei jedem Anlaß auf Krieg aus zu sein:

„1. Sie werden von dem gemeinsamen Schluß ausgehen, daß es im Nuklearzeitalter keine andere Alternative gibt, als die gegenseitigen Beziehungen auf der Grundlage einer friedlichen Koexistenz (ein Kompliment an den nunmehr in die Atomwaffen-Staatengemeinschaft aufgenommenen Partner des Kalten Kriegs) zu gestalten. Unterschiede in der Ideologie und in den Gesellschaftssystemen der USA und der UdSSR sind keine Hindernisse für die bilaterale Entwicklung normaler Beziehungen, die auf den Grundsätzen der Souveränität, der Gleichberechtigung, der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und des beiderseitigen Vorteils beruhen.“


Gewaltverzicht von Gewalttätern

Wenn zwei souveräne Staaten sich wechselseitig die Souveränität zusprechen, dann hapert es in ihrem Verkehr an Achtung voreinander, ohne daß sich der eine ungehindert über die Interessen des anderen hinwegsetzen könnte. Sie vereinbaren daher miteinander, die Hindernisse, die sie füreinander darstellen, nicht ohne weiteres zum Anlaß zu nehmen, sich die Souveränität praktisch zu bestreiten. Daß beide dazu in der Lage sind, steht allerdings auch fest: die BRD käme wohl kaum auf den Gedanken, mit dem Sudan ein Gewaltverzichtsabkommen abzuschließen. Und daß beide der Souveränität des anderen gegenüber feindliche Absichten hegen, ist auch beschlossene Sache:

„Die Voraussetzungen für die Erhaltung und Stärkung friedlicher Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR sind die Anerkennung der Sicherheitsinteressen der Vertragspartner auf der Basis des Grundsatzes der Gleichberechtigung und der Verzicht auf Anwendung oder Androhung von Gewalt.“

Das ganze, unter dem Titel Kriegsverhinderungsabkommen abgeschlossene Vertragswerk ist also ein Produkt der Staatskunst von ganz besonderer Natur. Während bei einem Handelsvertrag zwischen Nationen das positive Interesse aneinander, den Reichtum der anderen Nation sich zugänglich zu machen, den Ausgangspunkt bildet, so daß gemeinschaftlich Leistungen und Gegenleistungen ausgehandelt und getauscht werden, wobei der Nutzen durchaus sehr unterschiedlich ausfallen kann, ist hier der schiere Gegensatz Inhalt der gemeinschaftlichen Einigung. Auch hier hat jede Partei ihren Vorteil im Auge, der – der Materie entsprechend – sehr eigentümlicher Art ist. Ein Gewaltverzichtsabkommen bedeutet nicht, daß beide Seiten auf ihr ,,Sicherheitsinteresse“ verzichten und sich der Möglichkeit begeben, den Krieg gegeneinander zu führen, bedeutet aber wohl, daß sich beide versichern, nicht jeden Anlaß dazu wahrnehmen zu wollen. Weshalb sie gleich noch zwei andere Abkommen abgeschlossen haben, eines zur „Vermeidung von Zwischenfällen auf hoher See“ und eines zur „Verminderung der Gefahr des unbeabsichtigten Ausbruchs eines Kernwaffenkrieges“. Es gibt also „im Nuklearzeitalter“ die „Alternative“ und der Rückgriff auf die Legende, Kriege seien das Produkt ärgerlicher, unbeabsichtigter Vorfälle und damit verknüpfter Mißverständnisse dient hier dazu, die Selbstverständlichkeit zu bekräftigen, daß beide Seiten mögliche Zwischenfälle nicht ohne weiteres als Kriegsanlaß betrachten, sondern nur dann, wenn sie es beabsichtigen. Die Gewißheit, die sich beide damit verschaffen – und darin besteht der verrückte Nutzen dieses Abkommens – ist die, daß jeweils der andere nicht jeden Anlaß aufgreifen will, daß man selbst also nicht jederzeit darauf gefaßt sein muß. Gewonnen haben damit beide Parteien über die Versicherung der anderen die Freiheit, sich den Anlaß zu wählen, wozu man dann wiederum die Zustimmung des anderen nicht mehr braucht.

In Gewärtigung dieses Schritts fixiert man im übrigen bereits im Vertrag die notwendigen Rücktrittsklauseln, die Feststellung, das „Recht auf kollektive Selbstverteidigung“ nicht beeinträchtigen zu wollen.


Beseitigung „destabilisierender“ Verteidigungssysteme

Was sich die USA und die UdSSR im Mai 72 mitzuteilen hatten, war die beiderseitige Auffassung, daß der Kriegs„ausbruch“ noch nicht auf der Tagesordnung stand, daß beide den Krieg führen wollten, aber aufgrund gewisser Hindernisse nicht konnten. Gemeinsam kümmerten sie sich daher um die Effektivierung des Kriegführens und vereinbarten einen „Vertrag über die Begrenzung von Systemen zur Abwehr ballistischer Raketen“, also über die einvernehmliche Schwächung der Verteidigungsfähigkeit. Die USA und die UdSSR,

„davon ausgehend, daß ein Atomkrieg verheerende Folgen für die ganze Menschheit haben würde“, leisten sich die Erwägung, „daß wirksame Maßnahmen zur Begrenzung der Systeme zur Abwehr ballistischer Flugkörper wesentlich zur Eindämmung des Wettrüstens mit strategischen Angriffswaffen beitragen und die Gefahr des Ausbruchs eines Krieges mit Kernwaffen verringern würde.“

Folgendermaßen ist also die Logik staatlicher Friedenssicherung beschaffen: Verteidigungssysteme sind eine gefährliche Bedrohung des Friedens, weil sie die Fähigkeit des Gegners untergraben, im feindlichen Land die gewünschten ,,verheerenden Folgen“ anzurichten – ein Vorwurf, den sich die Russen ebensogut anläßlich ihres relativ weit ausgebauten Zivilschutzsystems immer wieder machen lassen müssen. Die Friedenssicherung dagegen sieht so aus, daß die Kriegspartner den Angriffsraketen keine oder nur geringe Schranken entgegensetzen, um sich wechselseitig die Funktionalität der Bedrohung zu garantieren. Am Verstand der verhandelnden Staatsmänner braucht man nicht zu zweifeln, ist doch die Berechnung, die sie anstellen, allzu offensichtlich: Jeder der „Kriegsverhinderungsabkommen“-Abschließenden sorgt sich um seine Möglichkeiten als Angreifer, weshalb die Hindernisse, die der Gegner aufbaut, reduziert und Teile der eigenen Bevölkerung als Gegenleistung preisgegeben werden müssen. Anderslautende Erklärungen belegen dasselbe:

„Im ersten SALT-Vertrag haben Nixon und Breschnew auf ein weitgespanntes Anti-Raketen-Netz verzichtet (!), weil der rasante Vormarsch in der Angriffstechnologie die Überwältigung jeglicher Raketenabwehr mit geringerem Aufwand garantierte“ (ZEIT),

weil also beide Seiten mehr auf die Entwicklung der Angriffswaffen und nicht auf die zur Verteidigung setzen wollten. Die dafür erforderliche Technologie ist im übrigen die gleiche.

Das im Kriegsverhinderungsabkommen eingestandene Hindernis zur Kriegsführung ist also der jeweils andere Staat mit dem, was er – nicht nur als Abwehrsystem – den eigenen Kriegsabsichten entgegenzusetzen hat, und spätestens mit Kenntnisnahme des ABM-Vertrags erledigt sich jede Unklarheit über den Zweck, zu dem die USA und die UdSSR ins SALT- Geschäft eingestiegen sind.

Beide Staaten blockieren sich mit ihrem Atomwaffenpotential gegenseitig, ein Idealzustand internationaler Stabilität, sollte man meinen. Der Lehre von der Friedenssicherung durch Abschreckung und atomares Patt entsprechend ist für eine dauerhafte Garantie der Kriegsverhinderung alles vorhanden: Die Waffen haben beide, beide wissen um deren vernichtende Wirkung, wissen also, wie teuer sie ein Krieg zu stehen käme, werden sich also hüten, einen anzuzetteln, und der Friede ist da. Was will man mehr! Gerade dieser Zustand aber hat die beiden Staaten nicht ruhen lassen und an den Verhandlungstisch getrieben. „Die Ungeheuerlichkeit der gegenwärtigen Waffensysteme, die den Willen lahmzulegen drohen“ –

„Die psychologische Wirkung, die der plötzliche Untergang von auch nur (!) fünfundzwanzig Bevölkerungszentren auf das Land haben würde, ist überhaupt nicht vorauszusehen ... Ein Angriff mit thermonuklearen Waffen kann zu einem Symbol der Eitelkeit allen menschlichen Strebens werden und das Vertrauen des Volkes auf seine Wirtschaft, seine Regierung und seine nationale Sache (also das menschliche Streben, auf das es allein ankommt) bis auf den Grund erschüttern“ (Kissinger) –,

diese Ungeheuerlichkeit, die die USA solange nicht gekümmert hatte, wie sie allein in der Lage waren, das „Vertrauen auf die nationale Sache“ im feindlichen Lager zu zertrümmern, stellt sich nun als lästiger Zwang zum Frieden halten müssen der eigenen Kriegsfähigkeit in die Quere. Nicht die toten Russen, die der Abwurf von ein paar Minutemen zur Folge haben wird, genausowenig die Verluste der eigenen Bevölkerung oder die Verseuchung von New York, Ohio oder Kalifornien aufgrund eines russischen Gegenschlags beunruhigen die Verantwortlichen Führer der Nation. Der „schlimmste Fall“, daß „die USA und die SU als Supermächte ausgespielt hätten“ (so eine im Auftrag des US-Kongreß 79 angefertigte Studie über die „Schrecken des Atomkriegs“), verdeutlicht die Kriterien, die bei der Kalkulation der Rüstungsunterhändler ins Gewicht fallen. Um diesen schlimmsten Fall auszuschalten und sich die militärische Handlungsfreiheit wiederzuerobern, stehen Verhandlungen an. Aufgrund des „atomaren Gleichgewichts“ zum Frieden gezwungen zu sein, ist etwas, das sich eine Supermacht nicht leisten kann und will.

Der Wille zum Kriegführen hat die SALT-Gespräche in Gang gebracht; getrieben von der gemeinsamen Sorge, sich als das Hindernis für die eigenen Kriegsabsichten aus der Welt zu schaffen, haben sich die Repräsentanten der beiden Nationen an den grünen Tisch begeben, um sich gegenseitig Zugeständnisse abzugewinnen, die die Überlegenheit der eigenen Position für den nächsten Krieg garantieren.


Einvernehmliche Aufrüstung

Nach dem ersten Erfolg dieser sogenannten Abrüstungsverhandlungen, den sich die SU die Demontage einiger Verteidigungssysteme kosten lassen mußte, weil sie nicht ganz so ausschließlich auf Angriff gesetzt hatte, beschlossen beide Seiten im „Interimsabkommen hinsichtlich der Begrenzung von strategischen Angriffswaffen“, daß ihnen rein quantitativ ihre bislang aufgestellten Raketen genügten. In der Gewißheit, daß ab einer bestimmten Anzahl die weitere Aufstockung keinen besonderen strategischen Vorteil mehr bringt – daß es vielmehr darauf ankommt, schneller, treffsicherer und möglichst ungehindert durch Abwehrmaßnahmen die eigenen Sprengköpfe im Territorium des anderen zu deponieren –, faßten beide den Beschluß „nicht mehr mit dem Bau zusätzlicher landgestützter Abschußvorrichtungen zu beginnen“. Was den Verfechtern der friedlichen Koexistenz recht war, die Anerkennung ihrer dank unermüdlicher Rüstungsanstrengungen zwischenzeitlich erreichten numerischen Überlegenheit, war dem Verhandlungspartner nur billig: die im Austausch gestattete Erlaubnis, per Modernisierung und Ersetzung die Vernichtungsmittel immer wieder auf den neuesten Stand zu bringen. Dank der Ausstattung der amerikanischen Raketen mit mehreren Sprengköpfen, die unabhängig voneinander verschiedene Ziele ansteuern (MIRV), war die strategische Überlegenheit der freien Welt auf sehr rationelle Weise gesichert. Neben taktischem Geschrei über die furchterregende Übermacht der Russen wußte auch damals schon der Chefunterhändler der USA sehr cool die überlegene Qualität der amerikanischen Produkte zu kommentieren: „Man wird nicht von Trägersystemen, sondern von Sprengköpfen getroffen“ (Kissinger): Während die Sowjetunion drei Raketen abfeuern muß, erledigt eine Minuteman Kiew, Minsk und Moskau in einem Schlag.

Auf Grundlage dieses angemessen verteilten „beiderseitigen Vorteils“, die gemeinsame „Erklärung von Wladiwostok“ im Rücken, in der man sich schon präventiv für die Frist nach Erlöschen des Interimsabkommens die „Berechtigung, eine bestimmte vereinbarte Gesamtzahl zu besitzen“, also die Erlaubnis zum Aufrüsten auf 2400 Trägersysteme und 1320 Raketen mit MIRV zugesprochen hatte, gingen beide Supermächte in die neue SALT-Runde voll Vertrauen ineinander und mit dem festen Vorsatz, wie es sich für umsichtige Sicherheitspolitiker gehört, vom eigenen Vernichtungspotential möglichst nichts zu streichen, dem Gegner hingegen Zugeständnisse abzuhandeln. Daß solche Verhandlungen ,,schwierig“ sind, daß dort „zäh gerungen“ wird, stimmt – aber eben nicht weil das Geschäft gemeinsamer Friedenssicherung bei ebenso gemeinsamem, begründetem Mißtrauen eine so komplizierte Angelegenheit wäre, sondern weil der gemeinsame Zweck beider Kontrahenten darin besteht, die eigene militärische Schlagkraft durch Beschränkung des Gegners und Abbau von Hindernissen auf dessen Seite effektiver zu machen. „Schwierig“ sind die Verhandlungen aufgrund dessen, was zur Verhandlung ansteht: die Vernichtungsmaschinerie, über die beide verfügen, als Verhandlungsobjekt anzubieten, um dadurch deren Gebrauch sicherer zu machen.

Was dort stattfindet, ist Staatskunst auf höchster Ebene, eine zivilisatorische Errungenschaft des Kriegführens, die sich sehen lassen kann. 1. sitzt dort der Feind gegenüber, 2. bespricht man mit ihm gemeinsam die Methoden, sich wechselseitig von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen. Die Chefunterhändler, zum Teil schon aufgrund langjährigen gemeinsamen „zähen Ringens“ in vertrautem Umgangston, die soliden älteren Herren, die noch nicht einmal im Traum jemand mit einem Mörder oder Totschläger vergleichen würde, machen sich in korrekter, sachlicher, höflicher Weise das Interesse vorstellig, relevante Teile der repräsentierten Nationen auf möglichst effektive Weise umbringen zu können. „Ihr müßt doch verstehen, daß wir die Garantie brauchen, mit unserer Zweitschlagskapazität bei euch zuhause so und soviel weiche (Städte !) oder harte (Raketensilos !) Ziele treffen zu können ...“ „Wenn ihr das baut, müssen wir doch auch ...“ Daß jede Seite den Krieg gewinnen will und eine möglichst umfassende Zerstörung plant, ist anerkannte Selbstverständlichkeit und Geschäftsgrundlage, auf der der Handel um die verschieden Weisen des Sterbenlassens losgeht, die man sich vorbehalten bzw. der anderen Seite verbieten will. Und weil Staatsmänner eben qualifizierte Persönlichkeiten sind, die aufgrund der Verantwortung, die sie tragen, vor nichts zurückschrecken dürfen, hindert sie der Geschäftsgegenstand – die Absicht und die Mittel, Bevölkerung und Territorium des Verhandlungspartners zu vernichten – nicht im geringsten, die Regeln des Geschäftemachens auch bei dieser nicht gerade geschäftsüblichen Materie anzuwenden. Ganz im Gegenteil: Verhandlungstaktik, das Instrumentarium von Fordern, Nachgeben, Sturheit, Drohung und Erpressung bewährt sich auch bei den Verhandlungen über das Kriegführen bestens; so gut, daß bei der Begutachtung des Verhandlungserfolgs fast in Vergessenheit geraten könnte, auf welchem Gebiet dort Erfolge errungen werden.


Der Handel

Ausgehend von der gerechten Forderung, Landraketen auf die bei den Amerikanern vorhandene Zahl zu begrenzen, um die Russen zum Verschrotten ihrer überzähligen Exemplare zu zwingen, ließen sich die Amerikaner das Zugeständnis höherer Obergrenzen der einzelnen Waffensysteme abhandeln. Für diesen »Vorteil«, gegenüber allen anderen Vorzügen der amerikanischen Nuklearmacht zumindest der Quantität nach noch vorne liegen zu können, bezahlten die Russen mit der Zustimmung zu einem Berechnungsmodus, nach dem sie über wesentlich mehr MIRV-Raketen verfügen, als reell vorhanden sind. Mit der Begrenzung der Gesamtzahl von interkontinentalen Atomwaffen haben die amerikanischen Unterhändler erfolgreich die numerische Überlegenheit der Sowjetunion zu deren Lasten ausgenutzt: Die östliche Friedensmacht muß ein bestimmtes Quantum ersatzlos verschrotten und ein wesentlich größeres Quantum, um innerhalb der Gesamtzahl die erlaubte Menge von MIRV-Raketen besitzen zu dürfen. Die Amerikaner ihrerseits haben gegenüber der russischen Forderung, die Ausstattung der B-52-Bomber mit Cruise Missiles (niedrig fliegende, daher für Abwehrsysteme schwer auszumachende Lenkraketen) ganz zu verbieten, durch deren Anrechnung auf die Gesamtzahl der MIRV-Systeme Entgegenkommen beweisen und somit die Erlaubnis für ein effektvolles neues, auf der anderen Seite noch nicht vorhandenes Waffensystem erhalten. Die russische Forderung wiederum, die vielversprechende, neue amerikanische MX-Rakete durch ein generelles Verbot neuer Interkontinentalraketen auszuschalten, ist zur Erlaubnis für jede Seite, einen neuen Typus zu entwickeln, hochgehandelt worden. Dafür, daß nur auf amerikanischer Seite eine strategisch relevante Neuentwicklung vorhanden ist, haben sich die Russen mit dem Zugeständnis entschädigen lassen, daß die MX erst 81 aufgestellt wird, eine Frist, die die USA selbst noch benötigt, um alle notwendigen Vorkehrungen abzuschließen. Die Beschränkung der Anzahl der Sprengköpfe auf die mit dem jeweiligen Raketentypus bislang erprobten legt die Sowjetunion auf den momentanen Stand fest und kostet die USA die Option, die Minuteman statt der jetzigen 3 mit 7 auszurüsten – eine Option, die das Pentagon nie ernstlich verfolgte, weil die jetzige Minuteman zu einem großen Teil durch die MX mit jeweils 10 (erlaubten) Sprengköpfen ersetzt wird. Eine letzte Forderung, das Verbot, die Signale bei Raketentests zu verschlüsseln, um die Anzahl der Sprengköpfe kontrollieren zu können, haben die Amerikaner auf klassische Weise durchgesetzt: Brieflich teilte Carter Breshnev mit, daß man derlei Verschlüsselungen nicht länger als Verhandlungsgegenstand, sondern gleich als Verletzung des gesamten Vertragswerks von SALT II definieren werde.

Damit vervollständigt man die Zuverlässigkeit der minutiös geregelten wechselseitigen Überwachungs- und Aufklärungsmaßnahmen, die von mit Feldstechern bewaffneten Manöverbeobachtern bei konventionellem Material über die elektronischen Horchposten rings um die Sowjetunion und die USA bis zu den Aufklärungsflugzeugen und -Satelliten reichen, die jeden Russen- oder Ami-Quadratmeter täglich 5 mal ablichten und abhorchen. Dieser ganze Aufwand samt seinen nicht vertraglich geregelten Spionageablegern dient ja entgegen  landläufiger Meinung hart- oder weniger hartgesottener Vertragsbegutachter, man könne den Roten prinzipiell nicht trauen, weniger der Sorge, die Russen oder Amis würden heimlich die erlaubten Kontingente verdoppeln (das wäre ein sicherer Kriegsgrund!), sondern der Vergewisserung über den . genauen zahlenmäßigen und örtlichen Stand des erlaubten gegnerischen Potentials, bzw. der Erkundung noch nicht verhandlungswürdiger Waffenentwicklungen, also dem Verlangen, jederzeit im vollen Bewußtsein gegnerischer Macht gezielt zuschlagen zu können.

SALT II hat also für die Menschheit einiges gebracht. Mit Vertragsabschluß haben beide Seiten ihre Überzeugung zu Protokoll gegeben, daß sie auf dieser Grundlage den nächsten Krieg führen können, was allerdings je nach Partei unterschiedlich aussieht.

Weil das Verhandlungsinteresse das gleiche war, dem Gegner zugunsten der eigenen Handlungsfähigkeit Beschränkungen aufzuerlegen, wozu man ihm allerdings Angebote machen muß, weil er freiwillig von seinem Waffenarsenal nichts streicht, Angebote, die einen selber möglichst nichts kosten dürfen, was wiederum die andere Seite zwar zur Kenntnis nimmt, aber gezwungenermaßen, weil nicht mehr drin ist, als Angebot akzeptieren muß, ist der Ertrag für beide Seiten sehr unterschiedlich ausgefallen. Aufgrund der Stärke ihrer Verhandlungsposition, der reellen technologischen und ökonomischen Überlegenheit, haben die USA alle Forderungen ihrerseits durchgesetzt, ohne selbst auf irgendeinen wesentlichen Bestandteil ihrer Kriegsmacht verzichten zu müssen.


Der beiderseitige Vorteil

Sie haben sich die Zustimmung zu all den Waffensystemen, die sie haben bzw. demnächst aufstellen, erteilen lassen, damit die Zustimmung zu den schon erreichten strategischen Vorteilen: größere Ausstattung mit Mehrfachsprengköpfen, größere Treffsicherheit, die Dreiteilung in landgestützte, U-Boot-Raketen und Bomber mit Cruise Missiles, deren Schlagkraft aufgrund der Beweglichkeit der Untersee- und Luftstreitkräfte gewährleistet ist. Während die Sowjetunion noch damit beschäftigt ist, in den letzten beiden Kategorien aufzuholen und auf MIRV umzurüsten, erobern sich die USA den Vorteil größerer Unverwundbarkeit der landgestützten Raketen mit der Umstellung auf die mobil stationierte MX.

Auch die angebliche „qualitative Begrenztheit des Rüstungswettlaufs“ hat SALT II nicht festgelegt: Alle strategisch relevanten Neuentwicklungen, auf die es den USA momentan ankommt, haben sie sich ausdrücklich im Vertrag zubilligen lassen.

Die Sowjetunion, zur Verhandlung angetreten ausschließlich mit dem Druckmittel, die USA empfindlich treffen zu können, aber ohne sonstige Verhandlungsobjekte, deren Reduktion die andere Seite hätte dazu bewegen können, ihrerseits auf etwas zu verzichten, mußte all ihre Forderungen, den technologischen Fortschritt doch etwas zu bremsen, abweisen lassen. Ihr angebliches und vermeintliches Faustpfand, die Anzahl der Landraketen und die größere Wurflast und Schwere der Sprengköpfe war keines: weil es auf die Menge der Raketen kaum mehr ankommt und weil das Gewicht der Sprengköpfe nur bei der Zerstörung der Raketensilos von Belang ist, nur 25 % der Atommacht der USA aber in Silos stationiert sind, bzw. die MX zwischen mehreren Silos hin und her transportiert wird. Immerhin aber hat die Sowjetunion den enormen Nutzen davongetragen, die Anerkennung als 2. Weltmacht seitens der USA zu genießen: Gemeinsam mit den Repräsentanten der unbestrittenen 1. an einem Tisch sitzen und die Weltgeschäfte regeln dürfen, ist schon für sich  

eine Errungenschaft für Politiker des östlichen Schlags, die ihren Anspruch auf Führung in der Staatenwelt mit Völkerfreundschaft gleichsetzen: Welt-Friedens-Macht.

Gerecht wie der beiderseitige Vorteil fallen auch die beiderseitigen Kommentare zu SALT II aus:

 

At the end of the meeting, which both sides considered a major breakthrough, Carter showed Gromyko a plastic scale model of U.S. and Soviet ICBMs. The Russian behemoths, painted black, both outnumbered and dwarfed the graceful white Minutemen. »Now you see why it's so important to limit these things«, said the President. (Time)

 

Während die „Iswestija“ „einen Triumph der Vernunft“ sehen will und der oberste Parteisekretär der KPdSU SALT II die Hoffnungauf eine „friedliche helle Zukunft“ wecken läßt, die östlichen Friedensfreunde also über allem Staatenegoismus die Macht des Fortschritts am Werk sehen, kommentiert der Verhandlungspartner selbst noch auf der Ebene der Friedensideale die Resultate in seiner geschäftsmännisch-realistischen Weise:

,,Der SALT-Vertrag wird die Gefahr atomarer Zerstörung eindämmen, während (! )er unsere eigene militärische Sicherheit absichert in einer Welt, die stabiler, besser vorauszuberechnen und friedlicher werden wird.“ (Carter)


Der objektiv unaufhaltsame Sieg des Sozialismus

Daß die amerikanische Erpressung auf ganzer Linie gelungen ist, daß mit SALT II die amerikanische Überlegenheit auf neuer Stufe festgeschrieben worden ist, dürfte auch für die Militärstrategen der Sowjetunion kein Rätsel sein. Aber wie schon die russische Bettelei zeigt, man möge sich doch auf amerikanischer Seite bitte etwas mehr Zurückhaltung beim Rüstungsfortschritt auferlegen, bereitet der 2. Supermacht das Mithalten Schwierigkeiten besonderer Art. In einer Ökonomie, in der das Proletariat ungehindert durch eine private Zweckentfremdung des Profits sich ausschließlich für die Vermehrung des nationalen Reichtums einsetzen darf, die also nur aufgrund staatlichen Befehls und dementsprechend knapp bemessen die Profite fließen läßt, fallen die Kosten der Kriegsvorbereitung eben ganz anders ins Gewicht: Klagen folgender Art sind im freien Westen nicht üblich:

„Wir brauchen Frieden und Abrüstung für den Aufbau einer leistungsfähigen Volkswirtschaft. Solange die Hindernisse nicht überwunden sind, die einer spürbaren Einschränkung des Wettrüstens im Wege stehen, sind wir allerdings gezwungen, Teile unseres Nationaleinkommens zur Sicherung unserer Verteidigung (?) aufzuwenden, für die wir uns jedoch wahrlich eine bessere Verwendung vorstellen könnten.“

Unter dem Zwang des selbstgewählten Mitrüstens hat sich der reale Sozialismus zu einer Kriegswirtschaft in Friedenszeiten hergerichtet, die Weizen aus den USA einführen muß, um die Versorgung mit Brot sicherzustellen, und die den technologischen Rückstand gegenüber den USA nicht bewältigt. Die mangelnde Tauglichkeit der eigenen Ökonomie für die Supermachtsambitionen läßt die Staatsführung der Sowjetunion zwar nicht an ihrer politischen Linie zweifeln, verstärkt aber das Interesse, mit dem Kriegsgegner ins Geschäft zu kommen, verstärkt also auch die – notgedrungene – Konzilianz der sowjetischen Unterhändler. Die selbstgewählte Verpflichtung darauf, am Wettrüsten teilzunehmen – eine Notwendigkeit, die sich nur aus der Politik der KPdSU ergibt, die sie als Supermacht neben der anderen auch auf dem Erdball machen möchte, und nicht aus der Bedrohung durch die USA; dagegen ließe sich mit gezieltem Ausbau der Abwehrsysteme zur Verteidigung des eigenen Territoriums durchaus einiges ausrichten – samt den Kosten, die für die Warschauer-Pakt-Staaten immer untragbarer werden, komplettiert die Niederlagen im Ost-West-Handel und auf dem Weltmarkt, um die im Rüstungsgeschäft. Mit ihrer Sorte Friedenpolitik bewerkstelligt die Weltfriedensmacht zielstrebig den eigenen Niedergang – was allerdings nicht heißt, daß sie als Militärmacht im strategischen Kalkül zu übergehen wäre. Ganz im Gegenteil: Der Beschluß mitzurüsten steht und bedeutet den Entschluß, sich von der eigenen ökonomischen Schwäche nicht irritieren zu lassen und auch die wachsende Bereitschaft, gerade wegen dieser Schwäche bestimmte Reibungen auf anderen Gebieten als Kriegsgrund zu betrachten.


SALT-Debatte in den USA: Moscow was tough, but the Senate won’t be easy

Die Sorge, wie die Kosten für die beschlossene Aufrüstung bestritten werden sollen, kennt der Vertragspartner so nicht.

„Einen solchen Rüstungswettlauf können sich die Vereinigten Staaten mit ihrem dreimal größeren Bruttosozialprodukt allemal besser leisten.“ (ZEIT – so kommentiert man vom Standpunkt der Macht, die kräftig an der Dezimierung des amerikanischen Bruttosozialprodukts beteiligt ist und die Geschichte vom unerschöpflichen amerikanischen Reichtum ebenso schadenfroh erzählt wie im sicheren Bewußtsein, daß dieser Reichtum, wenngleich gar reicht unerschöpflich, noch allemal reicht, um die Russen unterzubuttern.)

Die USA können sich auch die Überlegung leisten, SALT scheitern zu lassen. Das „Argument“, das die SALT-Unterhändler an allen kritischen Punkten schon könnerhaft in die Debatte gebracht hatten und das ohne jedes materielle Zugeständnis russische Konzessionen erreicht hat, der Verweis auf das komplizierte Procedere der Ratifikation, die bedauerliche Einschränkung der Macht des Präsidenten, der erst noch seinen Senat für die Zustimmung gewinnen muß, dieses Verfahren kommt jetzt erst recht zur Geltung. Die Niederlage, die sich die Sowjetunion damit bereitet hat, ihr Placet zum Vertragsabschluß bereits zu geben, während der Senat den Vertrag erst noch passieren lassen muß, will erst richtig ausgeschlachtet werden. Lebhaft und in aller Öffentlichkeit wird die Debatte darüber geführt, ob das Geschäft auch wirklich vorteilhaft genug für die USA ausgefallen ist, ob sich aus den Russen nicht noch mehr herausholen ließe. Politische Vereine zur Verhinderung der Ratifizierung, eine „Coalition for Peace Through Strength“, die die russische Vertragstreue aus Prinzip anzweifelt („Muß eine Bank erst zusammenbrechen, ehe der Betrug eines Schalterbeamten auffällt?“) und allein zur Verbreitung dieses Arguments über einen Etat von 10 Millionen Dollar verfügt, eine „Amerikanische Konservative Union“, ein „Comittee of the Present Danger (!)“, angeführt von Paul Nitze, dem ehemaligen SALT-Händler Nixons, unterstützt durch die Volksrepublik China mit dem starken Argument, „den Russen kann man nicht trauen“, sie alle führen einen Feldzug gegen den Vertragsabschluß: Um sich die Überlegenheit zu sichern, brauchten die USA sich die Aufrüstung doch nicht vertraglich bestätigen zu lassen und die Hindernisse bei den Russen könne man auch ohne Verhandlungen beseitigen. Vorgebracht das Ganze natürlich als Sorge um die ungeheuerliche Schwächung der USA und den Ausverkauf lebenswichtiger Interessen durch SALT.

Fürs erste ist der Streit selbst für SALT nur förderlich: Angesichts dieser imposanten Darbietung eines lebendigen demokratischen Staatslebens wird die östliche Diktatur nicht umhinkönnen, durch das eine oder andere Zusatzprotokoll einige günstige Spezifikationen und Begriffsdeutungen das ihre für die Beendigung der Debatte zu leisten. Was aber die grundsätzliche Ablehnung auch eines in diesem Sinne erweiterten Vertrags betrifft, verfügen die Befürworter über ein paar zusätzliche Argumente. Zum einen sind die Beschränkungen, die der Sowjetunion aufgehalst werden, nicht zu verachten, und das Ideal der Gegner, die Atomwaffen der anderen Macht einseitig abzurüsten, ist nun einmal ein Ideal. Zum anderen gilt es, SALT in größeren Zusammenhängen zu sehen. Als erstes steht, Gipfelpunkt demokratischer Heuchelei, die amerikanische Reputation in der Weltöffentlichkeit auf dem Spiel:

„Wir würden von vielen anderen Völkern als Kriegstreiber angesehen“ (Carter).

Zweitens hat man gewisse Verantwortlichkeiten für den Rest der freien Welt:

„Die NATO-Verbündeten würden ihren Glauben erschüttert sehen (was sie aus gutem Grund schon tun), daß die USA nicht einen Atomkonflikt auslösen werden, der zunächst Europa und erst in zweiter Linie den Vereinigten Staaten Tod und Vernichtung bringen würde (so sieht also unsere Sicherheit aus!). Länder wie Pakistan, Indien, Taiwan, Südkorea, Südafrika und andere würden dann das Gefühl haben, daß sie sich keine Zurückhaltung mehr aufzuerlegen brauchen beim Bau eigener Atomwaffen.“ (Carter)

Allein wegen der Russen könnte man also schon ohne Vertrag auskommen – schließlich gilt ja immer noch der Vertrag über die direkte Telefonverbindung, die für das Vertrauen in Krisenzeiten da ist und über die man sich vor dem Krieg noch einmal versichert, daß man eigentlich gar nicht und nur höchst ungerne anfängt. („Memorandum über die Verständigung zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Errichtung einer unmittelbaren Nachrichtenverbindung“ vom 20.6.1973, die seitdem gemeinschaftlich unterhalten wird.)

Als NATO-Führungsmacht aber – die aufgezählten Reststaaten werden doch wohl auch auf andere Art und Weise zu bändigen sein – ist es nicht unbedingt empfehlenswert, die Repräsentanz der militärischen Vorherrschaft auf der Welt und das Druckmittel, das diese Position auch gegenüber den eigenen Freunden darstellt, aufzugeben. Solange man die Schlüssel für die amerikanischen, auf deutschem Boden stationierten Raketen in der Hand hat, läßt sich damit auch bei anderen Geschäften argumentieren. Die Zuständigkeit als „Schutzmacht“ für Europa mit dem SALT-Vertrag aufzugeben, hieße dann auch die europäischen Staaten in eine Selbständigkeit entlassen, deren Ausgestaltung – durch Bonn, particularly – amerikanischen Interessen ernstlich in die Quere kommen kann:

„Europeans, who are watching the Senate with anxious eyes, would interpret a rejection of the treaty as a failure of U.S. responsibility. In Bonn, particularly, it would stimulate a new and dangerous (!) resurgence of Ostpolitik, a bifurcation of Western diplomacy with the West Germans pursuing their own unilateral yearnings for detente. Such a fracturing of Western unity world would, in my view, be a far greater hazard to our security than the theoretical chance that we might encourage a nuclear attack if we let the Kremlin speculate that our nuclear second strike would kill no more than a few (!) million Russians.“ (George W. Ball)

Setzen sich die Befürworter durch, steht schließlich mit SALT III ein letztes Geschäft an, mit dem die Kriegsvorbereitung komplett wäre. Die bislang entgegen russischen Forderungen säuberlich von der amerikanischen Atommacht unterschiedenen und damit aus SALT herausgehaltenen, in Europa stationierten Raketen lassen sich jetzt zum Verhandlungsgegenstand erklären, um das dort durch die Stationierung der SS 20 gegebene „Ungleichgewicht“ aus der Welt zu schaffen, und damit auf dieser Ebene die Erfolge von SALT II fortzusetzen. Um der Sowjetunion erst gar nicht die Gelegenheit zu bieten, etwa in getrennten Verhandlungen den Europäern aufgrund der dort gegebenen unterschiedlich starken Verhandlungspositionen Zugeständnisse abzugewinnen, verhandelt man am besten als die Macht, die zwar von der SS 20 gar nicht bedroht wird, aber nun ihre Zuständigkeit für Europa offensiv ins Spiel bringt, weiter. Auf dieser Ebene sind allerdings noch Unstimmigkeiten mit den Bündnispartnern zu klären.


„Eurostrategisches Gleichgewicht“ (SALT III) und MBFR: Für die Bundeswehr eine sichere Ostfront

So wie die BRD ist keine kapitalistische Nation am SALT-Schacher interessiert. Extra eine Goodwill-Tour in die USA hat sich Kanzler Schmidt genehmigt, eine nach den Regeln der Diplomatie „halboffizielle Reise“ im militärischen Freizeitanzug, einmal nicht, um die Amis zu kritisieren, sondern ihnen Honig ums Maul zu schmieren. Daß Carter die Gelegenheit wahrnahm zu der Klarstellung, das amerikanische Volk lasse sich nicht alles bieten, was die Deutschen ihm an ökonomischen Schaden zufügen, weswegen jetzt in der leidigen Ölfrage mit einiger Härte zurückgeschlagen werde, machte Schmidt in seinem Bestreben nicht irre, die USA als einen uneigennützigen „Bündnispartner“ zu preisen (das konnte er umso mehr in der Gewißheit, daß vor allem die lieben EG-Partner an den Folgen der subventionierten amerikanischen Öleinkäufe zu knapsen haben). Auf diese Tour führt wiederum Schmidt der amerikanischen Opposition gegen das SALT-Geschäft vor Augen, daß deren „engsten“ Verbündeten ein Scheitern der ausgehandelten Kriegsregelung mit den Russen nicht in den Kram paßt:

„Dieser Vertrag ist ein Stück Weltgeschichte“ (wie witzig, gerade angesichts dieses Vertrages!). „Er ist auch (!) ein Stück Weltsicherheit und Sicherheit meines eigenen Landes.“

Große Stücke auf seine Sicherheit braucht sich ein Bürger dieses Landes nicht einzubilden. Freimütig plaudert der Oberstratege Schmidt nämlich aus, daß die „Sicherheit“, der sich das deutsche Volk gewiß sein kann und muß, wenn es unter SALT II lebt, von nichts mehr abhängt als von der vertrauensvollen Pflege der wechselseitig geregelten Androhung eines atomaren Krieges zwischen Russen und Amerikanern. Nicht mehr an Sicherheit, aber auch nicht weniger an Krieg steht auf dem Spiel:

„Ich denke, SALT II muß zum Erfolg kommen, weil sonst für die ganze Welt eine schwerstwiegende Vertrauenskrise die Folge sein könnte.“

Sollten die Amis zu dem Entschluß gelangen, daß auch ohne SALT II ihre „nationale Sicherheit“ gegenüber der UdSSR hinreichend gewährleistet ist – was eben nicht auszuschließen ist, wenn das Kriterium der Debatte um SALT in der Frage nach der geeigneten diplomatischen Methode besteht, wie den Russen das Vertrauen darauf zu nehmen ist, die Amis würden es nicht zu einem Krieg kommen lassen –, so sind allerdings die Geschäfte der BRD, die sie im Interesse ihrer „äußeren Sicherheit“ mit dem Osten tätigen will, erst einmal in Frage gestellt. Denn bei dem, was die BRD unternimmt, um in der „Weltgeschichte“ herumzuspazieren, ohne daß dabei der Frieden gefährdet wird – also in Sachen „militärischer Handlungsfähigkeit“ –, haben die Amis über das Bündnis der NATO und vor allem über die „nationale Verfügungsgewalt“ ihrer Atomwaffen, die sie in Europa zu ihrem Schutz aufgestellt haben, um Staaten wie die BRD daran teilhaben zu lassen, bekanntlich einiges mitzureden. Das Lob, durch SALT II sei die „Sicherheit der BRD“ gefestigt, weswegen allein schon die Amis allen Grund hätten, die diplomatische Erpressung der Russen durch die Drohung mit Nichtratifizierung zu einem guten Ende zu führen, ansonsten stünde ein „Überdenken“ des „Vertrauensverhältnisses“ zu den USA an, geht dem Helmut Schmidt also nur mit einer Berechnung über die Lippen. Eingedenk des Umstandes, daß in amerikanisch-russischen Kriegskalkulationen für die Sicherheit der BRD gerade nicht Sorge getragen wird, ja schlimmer noch, daß sich über die ausgehandelten Regelungen von SALT II die militärische Lage in Europa verschlechtert

„Bei SALT wird bisher nur über eine Komponente der NATO-Triade rüstungskontrollpolitisch verhandelt. Dadurch erhalten die regionalen Disparitäten im Kräfteverhältnis ein unerwünschtes Eigengewicht“ (Apel),

die Amis also durchaus auf unsere Kosten verhandelt haben, präsentiert deutsche Politik Amerikanern (wie Russen) das bedrohliche Resultat ihrer Beurteilung der Lage an der Ostfront für die Bundeswehr und das Bündnis:

„Die sowjetischen Mittelstreckenpotentiale und insbesondere die neu entwickelten Mittelstreckenraketen SS-20 sind durch SALT-Absprachen nicht betroffen. Die Mittelstreckenpotentiale der Sowjetunion haben für Europa strategische Bedeutung. Es besteht die Gefahr, daß die im interkontinentalstrategischen Bereich erzielte Stabilisierung durch destabilisierende Entwicklungen im Mittelstreckenbereich beeinträchtigt wird. Die Bundesregierung hat seit langem auf dieses Grauzonenproblem hingewiesen ... Es müssen Wege gefunden werden, um die Gefahren, die sich aus dem wachsenden Übergewicht des sowjetischen Mittelstreckenpotentials ergeben, abzubauen.“ (Apel)

Angesichts dieser „Sachlage“ versteht es sich von selbst, wenn „die Haltung der Bundesrepublik Deutschland in der Abrüstungsdiskussion“ so konsequent wie einseitig von dem Bestreben geleitet ist, auf die „Fortsetzung des SALT-Prozesses zu SALT III“ zu drängen und sich in ihn derart einzuschalten, daß bei den Russen eine Abrüstungsdiskussion über ihre „Mittelstreckenpotentiale“ in Gang kommt. Wie bei der Frontstabilisierung zwischen Amis und Russen geht es bei den Bemühungen um die „militärische Entspannung“ in Europa um die Beseitigung von Hindernissen, die einer erfolgversprechenden Durchführung eines Krieges in Europa mit allen konventionellen wie atomaren Schikanen im Wege stehen – und diese Hindernisse sind die „militärischen Mittel und Möglichkeiten“ beim „potentiellen Kriegsgegner“. Angesichts bestimmter Atomraketen der Russen stellte die deutsche Kriegsplanung nüchtern fest, daß der Bundeswehr für die Bewältigung des Ernstfalls die Verfügung über derartige Mittel abgeht, wobei Kanzler Schmidt vor dem Bundestag dem deutschen Volk nicht verschwiegen hat, daß der Grund für diesen Mangel nicht in einer Verantwortungslosigkeit im Generalstab der Bundeswehr, sondern im Interesse der Amerikaner zu suchen ist, im und mit dem NATO-Bündnis ihre eigene Strategie zu verfolgen.

„Im Jahre 1963 sind die letzten amerikanischen Mittelstreckenraketen hier in Europa abgebaut worden. Bis dahin waren amerikanische Mittelstreckenraketen in Europa. Dann sind sie abgebaut worden ... Sie konnten infolgedessen in der Zwischenzeit auch nicht modernisiert werden, sondern sie sind abgebaut worden.“ (Wirklich?) „Seitdem war das Problem erkennbar, das eines Tages entstehen würde. Die sowjetischen Raketen sind nicht abgebaut worden. Sie konnten infolgedessen auch modernisiert werden. Sie werden jetzt in tiefgreifender Weise modernisiert. Dadurch ist das Problem zunächst entstanden.“

So klar, knapp und unwiderleglich Hauptmann und Verteidigungsminister der Reserve Schmidt die Lage darlegt, so entschlossen tritt er im Bündnis auf, um durch eine „Verteidigungs- und Rüstungskontrollpolitik der Nato aus einem Guß“ die entstandenen „Disparitäten“ beim atomaren Schlagabtausch mehr als wettzumachen. Im festen Vorsatz, „kein Nuklearstaat zu werden“, ist dem lieben Bündnispartner seine „Verantwortlichkeit innerhalb des atlantischen Bündnisses deutlich“ (Apel) gemacht worden. Diesen Trick, das eigene Interesse der ,,Schutzmacht“ anzuhängen und beim eigenen Vormarsch gegenüber den Nachbarn in Ost und West so zu tun, als ob man an der kurzen Leine der Amis läge, hat die BRD seit dem verlorenen Krieg zur Meisterschaft entwickelt.

Der Erfolg von SALT III ist für die BRD auf diese Weise schon gesichert, bevor die ministeriellen Atomwaffenschieber wieder zu ihren Sprudel-, Wodka- und Whiskyverhandlungsrunden in Genf eintreffen. Die USA liefern ihre neuesten Pershings, gefälligen Cruise Missiles und was amerikanischer Pioniergeist sonst noch an technischen Wunderwerken auf dem Atomwaffenmarkt zu bieten hat, damit die durch die SS 20 und den Backfire-Bomber geschaffene „Grauzone“ auf dem atomaren Gefechtsfeld Europa (Diese „Perversität des Denkens“ braucht es zur Einstimmung der Bevölkerung auf den Krieg: Als ob durch die SS 20 die NATO-Kräfte gleich im Hemd und mit Flitzebogen dastehen würden.) wieder in sauberem Weiß (atom)blitzt. Ordentlich aufgerüstet für das freundliche Angebot an die Russen, mit ihnen über ihre Abrüstung zu verhandeln (Merke: Wenn der Westen aufrüstet, dann dient das dem Frieden und der Entspannung; tut es der Osten, so droht Krieg!), kann man ihnen gleich drohen, daß außer einer Verbesserung der Chancen für einen Sieg des Westens nichts in Frage kommt, weil sie sich ja schließlich die Störung des Gleichgewichts haben zuschulden kommen lassen:

„Die Sowjetunion muß begreifen, daß sie mit dem Ausbau ihres auch Europa bedrohenden nuklearen Mittelstreckenpotentials eine Stabilisierung der Sicherheit in Europa erschwert.“ (Apel)

Die klare Sprache, mit der die demokratischen Staaten ihren Friedenswillen bekräftigen, dürften die Russen ohne weiteres verstehen. Ob sie allerdings die ,,machtvolle Stärke“ besitzen, „die Pläne zur Entfesselung eines dritten Weltkrieges über den Haufen zu werfen und dann den Übergang zur Entspannung zu erzwingen“ (Ponomarjow, 70jähriger Nachwuchschefideologe), wie sie der Menschheit versprechen, ist schon deswegen zweifelhaft, weil das Einverständnis der UdSSR zur Beseitigung ihrer offensiven Schutzmaßnahmen gegen den „aggressiven NATO-Block“ im Westen bereits mit der Genugtuung des seiner Stärke bewußten Erpressers zur Kenntnis genommen wird:

„Wir haben mit Befriedigung die wiederholten(!) Erklärungen der sowjetischen Führung zur Kenntnis genommen, daß die Sowjetunion bereit sei, auch über die Waffen zu verhandeln, die weder bei SALT noch bei MBFR auf der Tagesordnung stehen.“ (Staatsminister Wischnewski)

So steht es eben mit dem realen Kräfteverhältnis auf dem Höhepunkt der Entspannungspolitik: Die Russen sehen sich gezwungen (geben jedenfalls zu erkennen, daß sie nicht anders können), bei der Regelung der Kriegsfrage in Europa schon wieder mit den Yankees verhandeln zu müssen, wenn sie sich gegenüber der sattsam bekannten Bundes-Wehrmacht mit ihren zur Zeit verbündeten Engländern und den restlichen NATO-Hilfs-Truppen (Die force de frappe wird im Ernstfall nicht abseits stehen!) absichern wollen. Was dem Osten gegenüber in jedem Fall also sehr zweckmäßig ist – die Verhandlungsführung dem Interkontinentalpartner zu überlassen – wird im Bündnis ein paar klärende Aussprachen erfordern. Schließlich will man ja von Seiten der BRD nicht einfach als Schlachtfeld für die Amerikaner effektiviert werden!


Truppenabbau in Mitteleuropa (MBRF) oder: Vorneverteidigung vorwärts gebracht

Fast schon überflüssig zu widerlegen, daß die seit einiger Zeit Panzer für Panzer und Mann für Mann vor sich hinwurschtelnde „Wiener Konferenz über einen Truppenabbau in Mitteleuropa“ nicht zu dem Zweck veranstaltet wird, dem kommenden Waffengang in Europa Hindernisse in den Weg zu legen. Schließlich und endlich beginnt gerade ein atomar geführter Krieg sehr konventionell. (Merke: Die staatlich geförderte Verrohung des Volksbewußtseins in den westlichen Demokratien ist inzwischen soweit fortgeschritten, daß Panzerschlachten a la 2. Weltkrieg und Sinai als eine Form staatlicher Auseinandersetzung betrachtet werden, die ehrlich, praktikabel und moralisch einwandfrei wäre oder ist, bestünde nicht das Risiko einer Eskalation mit den blöden Atomwaffen. Heutzutage fängt der Krieg erst beim Atomkrieg an! Die „gegenseitige ausgewogene Truppenverminderung“, um die in Schönwien gerungen wird, besteht daher darin gegenseitig auszukundschaften, inwieweit die Kriegsgegner bereit sind, die Ost-Front des 3. Weltkriegs dadurch zu stabilisieren, daß man im Frieden ein paar Truppenkontingente ins jeweilige Hinterland abzieht, um im Krieg umso schneller die Grenze/Front durchbrechen zu können. Die Position der NATO ist eindeutig: Wenn die Russen eine Panzerarmee weniger nahe, an der Front haben, d. h. nach Estland zurückmüssen, steigen unbedingt die Chancen der NATO-Streitkräfte, am ersten Tag nicht 20 sondern 40 km nach vorne zu kommen. Und dies ist vor allem nicht schlecht für unsere Jungs in den Leoparden und Geparden, denn die haben ja den schwierigen Auftrag, das schmale Handtuch BRD bitteschön möglichst nicht in Oberfranken sondern in Thüringen zu verteidigen. Wenn es in diesen Verhandlungen wiederum um die Herstellung von „Gleichheit“, um „gleichgewichtige“, „ungefähr gleich ausgewogene“, kurz um „Truppenverminderungen“ von „beiderseitigen Vorteil“ geht, so hat das schlicht und offensiv den Grund, den man den Schaubildern über das „Kräfteverhältnis von NATO und Warschauer Pakt“ entnehmen kann, die jeden zweiten Tag zur psychologischen Aufrüstung des Volkes im Fernsehen gezeigt werden: die NATO will „Parität“, weil die „Überlegenheit“ der anderen Seite verschwinden soll:

„Die NATO will beim Personalbestand der Landstreitkräfte im Raum der Reduzierungen einen Gleichstand herbeiführen, um damit eine stabilere Lage in Mitteleuropa zu schaffen. Da der Warschauer Pakt in Mitteleuropa eindeutig (!) überlegen ist, sieht die NATO hier (also beim Gegner!) den Ansatzpunkt für Reduzierungen. Luftstreitkräfte – auch hier ist der Warschauer Pakt überlegen – sind in diesem Zusammenhang von geringerer Bedeutung, da sie aufgrund ihrer hohen Beweglichkeit (!) auch nach Reduzierungen schnell zurückgeführt werden können .“ (Weißbuch 1975/76)

Was hier für den Krieg in Europa auf dem Spiel steht, läßt sich daher nur mit der Logik des Krieges fassen:

„Die NATO muß bei den MBFR-Gesprächen in erster Linie das Ziel verfolgen, die Vorwarnzeit vor einem Angriff zu verlängern.“ (US-Senator Nunn)

Ohne Zweifel werden die MBFR-Verhandlungen zu dem, wozu sie von der NATO, den Russen und ihren Verbündeten angetragen worden sind, angetrieben von der BRD, der man abnehmen muß, daß sie in Wien „eines ihrer vorrangigen außenpolitischen und sicherheitspolitischen Projekte“ (Ben Wisch) verfolgt: Hier wird das nur Mögliche herausgeholt, was sich an militärischer Frontstabilisierung in Europa noch im Frieden dem Osten eben abringen läßt. Die Bereitschaft der Gegenseite liegt vor, auf dieser Grundlage mit sich reden zu lassen, um Verbesserungen in der „täglichen Angriffsleistung“ der „Roten Armee“ (welche von der staatlich gelenkten Kriegshetze gegen die Russen, gemäß den Erfordernissen einer gescheiten Vorbereitung des Volkes auf den Ernstfall, einmal mit „120 km/pro Tag“ beziffert wird, das andere Mal mit Null, von wegen der „niedrigen Moral“ der Roten, die ja bekanntlich zum Krieg gezwungen werden müssen!) zu erzielen. Denn wenn die Russen als Begleitmusik zu dem MBFR-Schacher beteuern, zum Verhandeln gäbe es eigentlich keinen Anlaß, weil hinsichtlich der ungeheuren Soldatenmassen in Europa bereits „ungefähre Parität“ herrsche, so demonstrieren sie, daß ihnen das Entspannungsangebot des Westens so recht nicht schmeckt, sie aber nicht in der Lage sind, es ausschlagen zu können. So fällt eine Übersicht über den gegenwärtigen Verhandlungsstand recht eindeutig aus:

„Das Problem besteht darin, daß die Verhandlungspartner keine Einigkeit darüber erzielen, wieviel Soldaten zur Zeit im östlichen (!) Reduzierungsraum stationiert sind. Der Osten hat eine Zahl genannt, und ich glaube kein Verhandlungsgeheimnis zu verraten, wenn ich sage, daß diese Zahl bei rund 800.000 Mann liegt. Der Westen ist davon überzeugt, daß diese Zahl bei Anlegung des für die Zählung im Westen benutzten Maßstabes um rund 150 000 Mann höher liegt.“ (Staatsminister Wischnewski)

Ebenso, wie es den tüchtigen Militärexperten auf beiden Seiten gelingen wird, sich im Gebrauch der neuerdings auch im Osten aufgetauchten Taschenrechner zu üben, ebenso steht heute schon fest, wie die neben der „Parität“ gleichgewichtige westliche Forderung ,,Kollektivität“ im Verhandlungsergebnis ihren Niederschlag finden wird. Mit dem von der NATO aufgestellten Prinzip der „Kollektivität“

„Der Westen hat von vornherein darauf bestanden, daß es für jede Seite nur eine gemeinsame Gesamthöchststärke von 700 000 Mann gibt und keine besonderen nationalen Höchststärken für die einzelnen Teilnehmer“ (ders.),

sind die Verhandlungspartner aus dem kollektivistischen Osten widerstrebend, letztlich aber doch ,,verständnisvoll“ fertig geworden. Die NATO übt sich in dieser Frage in Kommunismus gegenüber dem Osten, weil es innerhalb des westlichen Militärbündnisses auf die Bewahrung gewisser Eigentümlichkeiten im Verhältnis der demokratischen Staaten zueinander ankommt:

„Der Westen braucht diese interne Bewegungsfreiheit, um seine Sicherheit auch weiterhin autonom, das heißt ohne Einmischung von außen (!) organisieren zu können.“ (ders.)

Mit der Realisierung des Wunsches der Russen (und nicht zu vergessen der „Nationalen Volksarmee“ unserer Schwestern und Brüder!), sich an der mitteleuropäischen Front ein wenig Entlastung von der Bundeswehr zu verschaffen, wird es also nichts werden. Mit der Durchsetzung des Prinzips der „Kollektivität“ ist vielmehr sichergestellt, daß die Reduzierungsanstrengungen der NATO-Partner an der Stärke der Bundeswehr außer einiger Kosmetik im wesentlichen vorübergehen werden:

„Die Bundesrepublik hat innerhalb des westlichen Reduzierungsgebietes die größten konventionellen Streitkräfte. Jede zusätzliche (!) Beeinträchtigung der westlichen Entscheidungsfreiheit im Verteidigungsbereich trifft deshalb im besonderen Maße die Bundesrepublik; dadurch könnte de facto (!) eine Art politischer Aussonderung der Bundesrepublik entstehen, die weder mit unserem Selbstverständnis noch mit dem für das Bündnis entscheidenden Prinzip der Solidarität zu vereinbaren wäre. Deshalb ist für Bundesregierung und (!) für die NATO echte, uneingeschränkte (!) Kollektivität so wichtig!“ (ders.)

Am Ende der gegenwärtigen Bemühungen, der Entspannungspolitik durch Stärke auch an den militärischen Gegebenheiten zum Sieg zu verhelfen – die Russen ziehen sich etwas zurück, die Bundeswehr bleibt so, wie sie ist, weil sich die NATO-Bündnispartner gemeinsam zurückziehen, die Amis müssen ihre „Fähigkeit“ gehörig ausbauen, so schnell Truppen nach Europa werfen zu können, wie die Russen aus Estland zurück sein können – stellt sich in aller Deutlichkeit heraus, was ohnehin nur unsere linken Stammtischnationalisten nicht wahrhaben wollen, wenn sie von der zunehmenden „Klemme der BRD im Ost-West-Konflikt“ palavern. So sehr geschwächt geht nämlich die BRD aus den gesammelten Frontstabilisierungsversuchen von SALT bis MBFR heraus, daß unsere Verantwortlichen an den Verhandlungstischen sich längst nicht mehr gegenüber den Russen, wohl aber gegenüber den solidarischen Luxemburgern, Dänen und Belgiern zu einer bestimmten Klarstellung genötigt sehen:

„Angesichts der allgemeinen Situation innerhalb der NATO (Wie sich Chefunterhändler Wischnewski stets auszudrücken weiß!) sehen wir überhaupt keine Gefahr, daß sich die militärischen Gewichte im Bündnis wesentlich verschieben.“

Dem Vorwurf neudeutscher Kriegshetze treten wir im übrigen mit Entschiedenheit entgegen!


Deutscher Imperialismus heute

Mit der NATO gerüstet

Den Attacken aus Ost und – zunehmend – West, daß die BRD durchaus aggressive Ziele verfolgt und einen ständigen ,,Unruheherd“ bildet, hat die Republik seit ihrer Existenz ausgerechnet ein Argument entgegenzusetzen: Wir verzichten ja auf Atomwaffen und unsere Armee ist fast vollständig Armee für das Bündnis, gar nicht national:

„Die Bundesrepublik Deutschland kann sich bei ihrer Mittellage in Europa, der Grenzlage zu den Staaten des Warschauer Paktes, ihrer begrenzten militärischen Leistungsfähigkeit und ihrer weltweit (!) zu sichernden Handelsinteressen nicht allein vor Androhung und Anwendung militärischer Gewalt schützen. Die NATO muß daher Grundlage für die Sicherheit unseres Landes bleiben.“ (Weißbuch)

Eine geniale Agitation, mit der der ökonomische Riese aus seiner eigenartigen Not „weltweit zu sichernder Handelsinteressen“ die Tugend eines militärischen Zwergs macht, der seine früheren untauglichen und zurecht gescheiterten Versuche, die Welt zu erobern, aufgegeben hat und sich nunmehr friedlich ins Bündnis einreiht. Handel und Gewalt gehören zusammen, weshalb man als „weltweit“ interessierter Staat einen dem imperialistischen Gebaren angemessenen Gewaltapparat benötigt – eine offene, selbstbewußte Widerlegung der Ideologie, der friedliche Handelsverkehr werde immer von den anderen gestört. Ob „geschützt“ oder „angegriffen“ wird, ist ziemlich dasselbe. Man dokumentiert allerdings eminent friedliche Absichten, wenn das heutige weltweite Handeln unter Verzicht auf eine ausschließlich eigenen Generälen unterstelle Truppe stattfindet. „Die NATO muß also Grundlage bleiben ...“, womit das Gegenteil von Verzicht gemeint ist, was ja den lieben Verbündeten seit der Geschichte mit der Adenauerschen ,,Europäischen Atommacht“ nur zu bekannt ist.

Die Anstrengungen der BRD, im Kriegsfall erfolgreich bestehen zu können, und dies streng national, gehen eben darauf, die NATO sehr viel dringender zu brauchen als etwa Belgien oder die Engländer – die NATO ist für die BRD nationale Verteidigung, was bedeutet, daß die geschätzten Partner über die NATO der BRD zur Verfügung zu stehen haben. Deshalb ist die BRD der treueste Partner für die USA – beide treffen sich im Interesse an der NATO aus unterschiedlichen Gründen. Den USA kommt es auf die Sicherung ihres Vorposten Westeuropa an, der BRD auf den militärischen Nachdruck hinter der brisanten „Mittellage“ samt ihrer weltweiten Interessen. Deshalb ist die Macht in der NATO die perfekt ausgebaute Bundeswehr – was nicht heißt, das die anderen das Töten nicht auch gelernt hätten. Deshalb zahlen wir mehr als die anderen und setzen die andern ständig unter Druck, mehr zu zahlen als sie zunächst einmal für ihre Verteidigung auszugeben eingeplant haben. Deshalb gibt es die ständige Sorge um den Ausbildungsstand bei den anderen – und der fällt traditionell so aus, daß die Dänen, Briten etc. nichts Gescheites auf die Beine bringen, was Ausrüstung, Bereitschaft und Stärke betrifft. Und deshalb – schließlich – muß Verteidigungsminister Apel (treffend charakterisiert von Parteifreund Ahlers als „überzeugter Antimilitarist und Pazifist“) die „Eurogroup“ in der NATO (innerhalb des Bündnisses ist der Streit um seine Benutzung sogar schon institutionalisiert!) „auf eine gemeinsame Linie bringen“. „Politisch und militärisch entscheidende Führungsfragen“ müssen endlich „in den Gremien des Bündnisses mit offenem Wort besser ausdiskutiert werden“, damit die BRD als Wortführer einer linientreuen „Eurogroup“ angemessen gegenüber dem überseeischen Partner auftreten kann.

Militärisch ist der Europagedanke schon längst Wirklichkeit. Die Vorstellung, daß auf dem Territorium der BRD amerikanische, englische, belgische und französische Truppen stehen, ist den heutigen Wehrmachtsgenerälen durchaus nicht zuwider, kämpfen sie doch für uns, womit sich alle Souveränitätsprobleme (zunächst) erledigen, selbst wenn sich die Bündnistruppen bei uns immer noch ein wenig als „Besatzungstruppen“ verstehen. Allerdings muß das Bündnis gemäß der Apelschen Devise, „das Militär wieder mehr der (!) Politik unterzuordnen“, noch etwas enger geschlossen, auf die selbstverständlich gemeinsame Linie gebracht werden. Auf dieser Grundlage läßt sich dann auch der Antrag der USA behandeln, die „Kompetenzen“ der NATO betreffs der Sicherung einiger weiterer Handels- und Seewege zu erweitern – allerdings nicht nur, was die Lasten betrifft. Womit auch für Gelegenheiten gesorgt wäre, den einzigen entscheidenden Mangel unserer heimischen Friedenstruppe abzustellen und ihr die ,,Erfahrung“ des Ernsteinsatzes zukommen zu lassen: UNO-Kommandos sind schon ausgemacht, die entsprechenden Länder werden sich finden lassen, wenn nicht vorher bereits der Einsatz im Persischen Golf fällig wird.


Deutschland vor der Bewährung

„Die Welt ist unteilbar.“ (Apel)

„Ich muß sagen, Herr Dregger, weil Sie so besonders um unsere Sicherheit besorgt sind: Die Bundeswehr ist in den letzten Jahren sehr stark modernisiert worden. Sie ist im bezug auf ihre Ausrüstung ganz hervorragend ausgestattet; sie ist im Vergleich zu anderen Armeen ausgezeichnet ausgebildet; sie kann sich im Vergleich mit westlichen Partnerarmeen und östlichen Armeen sehr gut sehen lassen.“ (Der Kanzler)

Ob mit oder ohne NATO, gut gerüstet ist die BRD, und das hat sie auch nötig. 30 Jahre nach Hitler und dem unrühmlichen, doch bei besserer Kriegsplanung sehr wohl vermeidbaren Ende der großdeutschen Wehrmacht ist es wieder so weit. Wenn der Welt oberster Krisenmanager „mit einem gewissen Stolz“ die Leistung seiner Truppe betrachtet und den kleinmütigen Strauß der CDU zurechtweist, dann nicht aus persönlicher Eitelkeit, sondern weil er weiß, daß sich ein Staat auf seine Armee verlassen können muß in einer Welt, in der man Konflikten mit anderen Staaten nicht ausweichen kann.

„Heute leben wir in einer Welt mit vielfältig konkurrierenden Ansprüchen und Konflikten. Neue Interessengegensätze (wo sind bloß die alten geblieben?) treten scharf hervor. Es ist eine Welt der gegenseitigen Abhängigkeiten, die aus allen Staaten einen globalen Schicksalsverband macht.“ (Unser Verteidigungsminister, die alte Rührei-Theorie (1) von Gerald Ford, weiland Ami-Präsident, aufwärmend)

So wird ein Volk auf die Unausweichlichkeit des Kriegs eingestimmt: Keine Heuchelei scheuend, verkündet der Staatsmann, daß auf die friedlich vor sich dahinlebende, arbeitende und ökonomisierende, keinem Nachbarn je ein Härchen krümmende BRD (immer waren es die anderen!) plötzlich unabwendbare Gefahren durch die Heimtücke anderer Mächte einstürmen, und vergißt dabei ganz zufällig dem deutschen Volk mitzuteilen, daß noch im hinterletzten Hinterindien irgendein Nickel für Siemens aus der Erde geholt wird und die Geberländer mit Fabrikanlagen made in Germany belohnt werden, deren Benützung auf seltsame Weise nur uns bereichert. Aber was solls. So erhält das Volk ein „Schicksal“, seine Führer aber bekommen eine Herausforderung, der sie sich guten Mutes stellen wollen und können, weil sie ihr Volk hinter sich wissen.

Was die BRD angeht, so bewältigt sie ihr Schicksal, indem sie zwei Herausforderungen nicht auf sich sitzen lassen wird:

Erstens müssen die westlichen Länder auch künftighin das Gleichgewicht mit dem Osten halten …“

Das leuchtet jedem Bürger ein: die Ostfront wird sich nie ganz befrieden lassen, es sei denn man bekommt die Gelegenheit und stellt sich ihr dann auch, das Übel an der Wurzel zu packen. Zunächst aber muß man mit Geduld und Zähigkeit dafür sorgen, daß sie uns nicht gefährlich werden können, was auch in Zukunft Verhandlungsgegenstand bleibt. (SALT III) In Europa befriedet, stellt der Kommunismus nur noch, dafür aber um so gefährlicher mit seinen Machenschaften in der „3. Welt“ ein Problem für die „freie Welt“ dar. Zwar ist er dort kein ernstzunehmender ökonomischer Konkurrent, der den Weltmarkt enorm behindert, was man schon an der Kärglichkeit seiner Gaben für die „armen“ Länder sehen kann (ausschließlich Geheimdienste, MIGs und Kalaschnikoffs):

„Die Verantwortung für die notwendige Anpassung der Weltwirtschaft an die neuen Herausforderungen liegt heute noch vor allem bei den westlichen Industrienationen. (eine schwere Last!) Trotz ständig wachsender Sozialprodukte (gemein!) haben die Staatshandelsländer bisher keine adäquate Rolle in den Weltwirtschaftsbeziehungen übernehmen können oder übernehmen wollen.“ (Unser Verteidigungsminister)

Aber lästig ist es doch, daß die Russen sich nicht davon abhalten lassen, ihre „Eindämmung“ durch die Amis und Europa durch Kontaktnahme mit geneigten Staatswesen bzw. deren Fraktionen zu durchbrechen. Solch „illegalem sowjetischen Abenteurertum“ (NATO- Oberbefehlshaber Haig) muß man natürlich entgegentreten, denn die Welt gehört schließlich uns. Die Welt gehört tatsächlich uns, das heißt aber auch, daß man all den Ländern, die nicht zu uns gehören, unsere Zuständigkeit für sie beibringen muß:

Zweitens müssen die westlichen Länder mit den neuen Aufgaben einer globalen Interdependenz fertig werden. Das heißt Aufbau einer globalen Ordnung der Zusammenarbeit zwischen Industrienationen und Dritter Welt, damit Hunger und Armut gemeinsam bekämpft und unser aller Zukunft gesichert werden kann.“ (Unser Verteidigungsminister)

Diese Herausforderung hat das deutsche Volk begriffen. An den Stammtischen der Nation wird gegenwärtig von groß und klein heiß diskutiert, was im Kampf gegen Hunger und Armut bei Gelben, Schwarzen und sonstigen Steinzeitvölkern unternommen werden muß, wobei die Nation wie ein Mann nur hinter einer Lösung dieser Frage steht: Das Seltsame ist ja, daß die ganze Entwicklungshilfe nichts getaugt hat, daß sich die Lage auf dem Globus gehörig auf den Punkt zuspitzt, wie „wir“ uns der Bedrohung durch die nicht zur Entwicklung kommen wollenden Völker „erwehren“ müssen, uns arm zu machen! Die Almosen kann man sich schenken, wenn die Perser, Scheichs und andere uns nur erpressen wollen mit dem Öl, das uns zusteht, nur ihr Geschäft machen wollen (sie selbst brauchen es doch gar nicht so dringend, sonst würden sie es ja nicht abgeben!), dann ist für den deutschen Bürger, der sich vor lauter Wohlstand nicht retten kann, keine Frage, daß hier nur eine sauber angelegte, blitzmäßig durchgeführte Aktion der Bundeswehr helfen kann, um die „Zusammenarbeit“ mit den Hängern dort drunten wieder in „Ordnung“ zu bringen. Die Gerechtigkeit ist auf unserer Seite:

„Es ist ein Irrtum, zu meinen, es läge nur im Interesse der westlichen Industriestaaten, daß das Öl wieder fließt (zu uns!). Es liegt im dringenden wirtschaftlichen und sozialen Interesse der Perser selbst, daß sie ihre Wirtschaft so schnell wie möglich wieder funktionstüchtig machen.“ (Der Kanzler)

Klar ist jedoch auch, daß die wilde Entschlossenheit des stärksten deutschen Staates, den es je gab, auf die nicht abnehmende Bedrohung einer „immer enger werdenden Welt“ (der Frieden schrumpft und die Kriege werden größer!) mit einer Kriegserklärung an alle Staaten zu antworten, denen nicht paßt, was unser Ausweg ist.

„Unser Verhältnis zur Dritten Welt ist damit ein wichtiger Teil unserer Sicherheitspolitik geworden“ (Der Außenminister),

was der Herausforderung, der sich Deutschland heute zu stellen hat, noch sehr viel weitergehende Herausforderungen beschert.

Das Dumme und zugleich nicht aus der Welt zu schaffende Faktum (jedenfalls im Frieden!) ist nämlich, daß außer uns, der kleinen süßen friedliebenden Bundesrepublik, noch andere gestern, heute und morgen auf den Einfall kommen, das, was man so die ,,Dritte Welt“ nennt, als Bestandteil der Sicherheit ihres Staatsgebietes zu erklären und dementsprechend zu behandeln, wodurch sich der heikle Umstand ergibt, daß für die nicht wenigen „Krisengebiete“ auf der Welt einige Friedensgarantien zuviel abgegeben werden und sich die Sicherheitsstifter dort auf die Füße treten. Wer für Unruhe sorgt bei dem ernstgemeinten Bemühen der BRD, für Entspannung nicht nur im Osten zu sorgen, ist dem Kanzleramt in Bonn nicht weiter rätselhaft, sondern Routine des Tages: Unsere „festen Verbündeten“ und unter diesen vor allem die Amis sind es, die laufend ihren Willen bekunden, die Frage des „Zutritts zu den Bodenschätzen der Dritten Welt“ zum Anlaß zu nehmen, ,,einer weltweiten Auseinandersetzung“ nicht auszuweichen, wobei sie die Konsequenzen für „das Gleichgewicht in Europa“ selbstverständlich eingeschlossen wissen wollen. Der Grund dafür, warum heutzutage, nach dem Ende der Entspannungspolitik, mit fast schon peinlicher Penetranz die Russen immer noch als der Hauptfeind der Menschheit hingestellt werden – bei all den bösen Absichten und der entsprechenden Stärke, die den Russen angehängt werden, wäre selbst ein nicht vor sich hin faulender Kapitalismus schon arg in Mitleidenschaft gezogen worden! –, ist nicht weiter schwer zu erraten. Die Allianz gegen die rote Gefahr bildet den Kitt in einer Koalition, deren Mitglieder längst – das heißt in endgültiger Erholung von den Resultaten des letzten Krieges – eine flotte ökonomische Konkurrenz über die Welt installiert haben, also es geschafft haben, sich gegenseitig die Vermehrung ihres nationalen Reichtums streitig zu machen. Als Aufkäufer, Verkäufer und Kapitalexporteur hat die gewaltig große Sowjetunion gerade nicht viel zu bieten, wobei natürlich auf der anderen Seite stimmt, daß ihre weltweiten Völkerfreundschaften und Bündnisse hinsichtlich ihrer ökonomischen Resultate eine lästige Erschwerung der imperialistischen Geschäftsbedingungen mit sich bringen, und sei es auch nur, daß die Erpreßbarkeit der Bananenrepubliken durch „uns“ manchmal um ein Weniges vermindert wird.

Ebenso wie die Amis hat die BRD also verstärkte Anstrengungen diplomatischer Natur nötig, die Einheit des Imperialismus zu beschwören, wo sich die Feindseligkeiten häufen. Daß der Westen auseinanderfällt, heißt eben deswegen noch lange nicht, daß die Bündnisse des Kalten Krieges nichts mehr wert sind – man muß sich nur darüber „einig“ werden, für wen und für was sie in der Zukunft gut sind. Darüberhinaus hat es unser Helmut für nötig befunden, die veränderten ökonomischen Kräfteverhältnisse zum Anlaß zu nehmen, sich gleich als Nachlaßverwalter der pax americana der ganzen Welt zu präsentieren. Deutschland, Deutschland über alles 1979:

„Wir bieten eine Einstellung, eine innere(?) Haltung der Sicherheitspartnerschaft an, die global, weltweit werden soll und in der alle Staaten der Welt zusammenarbeiten können.“ (Schmidt, „Für eine Sicherheitspartnerschaft für die Konflikte der Welt“)

Wobei es gleichgültig ist, ob die Staaten wollen oder nicht: Des Kanzlers Größenwahn ist leider nicht dessen persönliches Syndrom, sondern hat eine sehr reelle Grundlage, für die er voll einsteht:

„Wir können Freiheit und soziale Gerechtigkeit und deren ökonomische Voraussetzungen für uns nur sichern, wenn wir dazu beitragen, daß sie auch weltweit verwirklicht werden.“

Es ist also Zeit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Politiker keine Märchen erzählen, wenn sie nachdrücklich versichern, daß die Kriege zwischen Negerfürsten uns unmittelbar tangieren. Und zweitens verkünden die Politiker mit solchen Sprüchen, daß sie nicht nur Afrika oder Australien im Sinn haben, wo wir uns „verwirklichen“ müssen, sondern dabei vor allem daran denken, wie man die „Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ des deutschen Volkes in Europa, also vor den Franzosen, Engländern und den anderen Nachbarn schützen kann. „Entspannung in Europa, aber Krisen, Kriege und Konfrontationen in der Dritten Welt – das paßt nicht zueinander!“, spricht unser Außenminister. Er hat recht, beides paßt tatsächlich nicht zusammen. Wenn Deutsche, Engländer, Franzosen, Amis überall in der Welt Krisen, Konfrontationen und Kriege anzetteln, werden sie es kaum vermeiden können, die Konsequenzen auch in Europa zu ziehen. Gründe und Material dazu sind vorhanden, Anlässe werden sich kaum vermeiden lassen.

Es stimmt also nicht, daß ein Krieg in Europa undenkbar geworden ist. Schon gar nicht deswegen, wie manche meinen, weil die Kriegsmittel so fürchterlich sind, daß der Krieg für die Staaten seinen Sinn(!) verloren habe, so daß allenfalls in der 3. Welt Kriege noch ein effektives Mittel seien. Solche Ideologien mißverstehen kaum unabsichtlich den Grund, warum Staaten die Gewohnheit besitzen, sich zu bewaffnen und dafür Reichtum nicht Reichtum sein lassen, was dieselben Ideologien als Verschwendung zu kritisieren pflegen. Die Staaten nehmen sich eben das Recht heraus, den Reichtum, dessen Mehrung sie mit allem Nachdruck gegen ihresgleichen betreiben, für sich zu beanspruchen, wenn es darum geht, ihre Völker füreinander in den Tod zu schicken. Weil Kriege nichts Irrationales sind, sondern der Rationalität des modernen Staates entsprechen, kalkulieren sie nicht nur den „Ausbruch“ und die Durchführung des Krieges sehr scharf. Sie haben auch den Widerspruch zwischen Atomwaffen = totale Vernichtung und dem Zweck des Staates, in einem Krieg Sieger zu bleiben, längst in den Griff bekommen. Heute stehen Atomwaffen für jedes Erfordernis auf dem Schlachtfeld zur Verfügung – die Neutronenbombe ist ja keine „Perversion des Denkens“ –, woraus manche Leute schon den Schluß gezogen haben sollen, es wären dem atomaren Krieg Grenzen gesetzt!

 

aus: MSZ 30 – Juli 1979

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