Gewaltsamer Friede in Nahost Flurbereinigung einer Region
Das ist ein beschönigender Ausdruck. Für die, denen bislang das Sternenbanner „gezeigt“ wurde, war das immer noch ein ziemlich erschlagender Anblick. Im Moment erlaubt es die besondere Situation der Vertragspartner dem US-Präsidenten, die Marines in der Hinterhand zu halten und mit Milliarden zuzuschlagen: sowohl Israel wie auch Ägypten sind ohne Dollars hilflos und verzweifelt auf sie angewiesen. Für die Israeli gilt das schon immer, da sich ihre Existenz in der Funktion als Nah-Ost-Rammbock erschöpft, was bedeutet, daß sie auf andere Weise nicht zu ihrem Unterhalt kommen können. Die Ägypter schlagen sich mit dem Resultat der israelischen Existenz, nämlich in etlichen Kriegen sich ausgeblutet zu haben, dergestalt herum, daß sie auf die Friedenskarte setzen. D.h., daß sie zum einen an die größeren Tröge wollen, also den knausrigen Russen den Rücken zuwenden, zum anderen auf arabische Unterstützung verzichten und sich vollständigst yon den USA abhängig machen. Die USA hingegen wollen die Region befriedet sehen. Haben sie bislang zugeschaut, wie die Parteien sich gegenseitig fertigmachten und dadurch das US-Interesse durchsetzten, haben sie den Israeli den Krieg finanziert, dann sie aber bei weiterem Vormarsch gestoppt, hätte dies doch zu eindeutige Machtverteilung und damit nämlich den geschlossenen Widerstand der arabischen Staaten hervorgerufen, so ist nun die Zeit reif, die Waffen schweigen zu lassen. Da unklar ist, was aus dem Iran wird, zugleich aber klar, daß sich so etwas nicht wiederholen darf, da die Amis jetzt erst recht die Ölquellen abgesichert sehen wollen, da weiterhin die Grenze zur Sowjetunion eines neuen Arrangements bedarf, ist den zentralen Konfliktparteien ein Friede aufzuzwingen. Die Ägypter, wie gesagt, haben dagegen eh nichts und bieten sich gleich als neuer Polizist dieser Weltgegend offen an, erhoffen sie sich doch dadurch – auf Israel und den früheren Iran schielend – ein lukrativeres Kriegführen. Carter blockt freundlich dankend ab und die Israeli wissen, daß sie als effektivster Vasall weiterhin unverzichtbar sind. Allerdings: sie haben Einschränkungen hinzunehmen, denn zwar soll auch in Zukunft ihr Waffendienst jederzeit abrufbar sein, aber die gegenwärtige Planung sieht für sie Rücknahme ihres aggressiven Strebens vor. Dies wird ihnen nachdrücklich klar gemacht dadurch, daß Ägypten nicht nur zum „gleichwertigen Partner“ ernannt wird, sondern auch die dafür notwendigen Gelder und Waffen bekommt.
Der Friede ist also ein Ergebnis reinster Erpressung, die darum so besonders eindrucksvoll ist, weil Carter seine ganze Persönlichkeit hineinhängt. Wie es sich für einen erpressbaren Staatsmann gehört, versucht Begin, das Maximum herauszuholen. Dabei weiß er zum einen, daß mit dem vorläufigen Verlust des Iran die Schacherposition des Heiligen Landes sich verbessert hat, zum anderen nennt er ein paar Gebiete sein eigen, die er sich mühsam abhandeln lassen kann. So weicht das anfängliche menschliche Rühren, das Begin und Sadat zuerst füreinander spüren mußten, damit das Friedenswerk in Gang gesetzt werden konnte, dem sachlichen Umgang zweier Vize-Präsidenten miteinander, sobald das Friedenswerk durchgesetzt ist – doch geliebt werden sie beide von ihrem Präsidenten. Denn das ihnen zum Wohle der Firma aufgezwungene Stillhalten, ihr gleichzeitiges Sich-Belauern, ist natürlich genau das, was ein Firmenchef an seinen Untergebenen so schätzt. In der von den USA so generös gestalteten weiteren Aufrüstung sind sie zusammen ein wirksamer Friedensfaktor für die gesamte Gegend und sich gegenseitig wirksame Kontrolle. Israel ist als Fluchtpunkt arabischer Feindschaft zumindest teilweise aus dem Verkehr gezogen, ohne deswegen an Nützlichkeit ein Quentchen zu verlieren. Ägypten hat sich auf Gedeih und Verderb überantwortet und ist ein wirksamer Keil im arabischen Lager. Dieses kann nicht länger mit den Finanzen drohen – der ägyptische Staat hat sich anderweitig saniert. Sanierung bedeutet freilich nicht, daß es den Ägyptern besser gehen wird; sie können als Ausbeutungsmaterial für einige, sich nun anbietende Zusatzgeschäfte dienen, und sich ansonsten darüber freuen, daß ihr Staat, verkörpert im großen Sadat, in der Welt endlich was gilt. Das tun sie denn auch ausgiebig, scheint ihnen doch ihr eigenes Elend eine Winzigkeit angesichts der vielen Flugzeuge und Kanonen, die die ägyptische Armee nun geschenkt bekommt. Abgesehen davon sind in den letzten Jahren die Volksreihen von Friedensfeinden gründlich gesäubert worden. Die früher so unverbrüchliche Freundschaft mit den verfolgten Palästinensern zählt da nicht mehr viel, erscheinen sie doch mittlerweile als Störfaktor für den Frieden und damit für den Aufschwung des ägyptischen Staates. Offen macht Sadat mittlerweile gegen die „Saboteure“ von der PLO Front – und denen fällt auch nichts Besseres ein, als noch vermehrteren Opfersinn anzukündigen und „Ich überlasse Sadat dem ägyptischen Volk“ (Arafat).
Die übrige arabische Welt flankiert die Neuordnung der Region mit den bekannten panarabischen-antiimperialistischen Pflichtübungen. Man bekundet der PLO unverbrüchliche Solidarität beim Kampf um die Heimaterde, liefert ein paar Waffen und die wiederversöhnten Palästinensergruppen lassen auf Kommando ein paar Kommandos ausrücken, die unter dem Beifall der um Saudi-Arabien und Kuweit erweiterten Ablehnungsfront noch an der Grenze krepieren. Die USA beobachtet die neu proklamierten Bündnisse mit interessiertem Desinteresse, weil Carter sich sicher sein kann, daß die Querelen von heute morgen schon verläßliche Stützpunkte abgeben können. Syrien und der Irak wollen fusionieren (wofür die „Links“-Baath in Bagdad das halbe Politbüro der KP aufknüpft und die Rechts-Baath in Damaskus die KP in die Nationale Front aufnimmt), der „kommunistische“ Südjemen proklamiert die Wiedervereinigung mit dem bislang „faschistischen“ Norden und die Saudi-Prinzen betonen ihre eigenständige Politik, weil dies nach den iranischen Ereignissen günstiger erscheint als die zu offene Befehlsempfängerei. Die Arabische Liga rafft sich zur Verlegung ihres Hauptquartiers aus Kairo auf und verpflichtet ihre Mitglieder, die Geschäfte mit Ägypten künftig über Dritte abzuwickeln. Nach dem iranischen Schlamassel muß allerdings vorübergehend verlorenes Terrain wieder gutgemacht werden. Scharf warnt Washington die SU, von der Unterstützung des afghanischen Regimes Abstand zu nehmen und dementiert zugleich Gerüchte, die CIA finanziere die Moslemrebellen gegen Kabul. Die Türkei ist wieder ins Zentrum des imperialistischen Interesses gerückt und deswegen werden dem „kranken Mann am Bosporus“ noch einmal nachdrücklich die Bedingungen diktiert, unter denen er ins westliche Lager heimkehren darf. Bevor die Kredite wieder fließen, muß Ecevit das Land so herrichten, wie es passend ist. Zur Überwachung hat die BRD den Unionsschatzmeister Leisler Kiep zum Sonderbeauftragten ernannt.
Die Erfolge Jimmy Carters liegen auf dem Felde der Außenpolitik, liest man in der Journaille. Daß da was dran ist, zeigt der Blick in den Nahen Osten: ohne einen einzigen US-Soldaten übers Mittelmeer zu verschiffen, bei relativ geringen Ausgaben (verglichen mit den Unsummen, die die USA in drei Nahostkriege investiert haben!) und bei wachsendem internationalen Prestige („President Carter is the unknown soldier of peace!“, Anwar), arrangieren sich die Hauptfiguren der imperialistischen Strategie in der Region; die Nebenfiguren bündeln und streiten und lauern auf den günstigsten Moment, ihrerseits ins Geschäft des Imperialismus aufgenommen zu werden (selbst die PLO hat ständig einen Emissär unterwegs nach USA). Aufs Schönste wird die häßliche Anschuldigung widerlegt, der Imperialismus sei ein Kriegstreiber. Alles wird getan bzw. unterlassen, um die Neuordnung der Region durch Krieg zu betreiben. So lange die lokalen Kräfte die Sache unter sich ausmachen, bieten die westlichen Staaten sich als ehrliche Makler an und appellieren regelmäßig, unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Bei alledem hat die Carter-Administration den lokalen Potentaten und Volksführern das schöne Gefühl zukommen lassen, sie hätten was zu sagen und der „Weiße Vater“ lausche ihren immer „berechtigten“ Anliegen. Das stärkt ihr Selbstbewußtsein, kräftigt ihr Prestige beim eigenen Volk, das dann im Gefühl nationaler Würde gefaßt und in Ruhe einsteckt, was ihm zusteht: nicht viel und eine ganze Menge, je nachdem, ob man es vom persönlichen oder vom weltpolitischen Standpunkt aus betrachtet. Die Ägypter jedenfalls haben fast einstimmig für den Imperialismus votiert.
aus: MSZ 28 – April 1979 |