Sigmund Freud Ein Verriß der Psychoanalyse
Als er bei seiner Praxiseröffnung in Wien hysterischen Damen lediglich mit Elektroschock und Hypnose dienen konnte, regte sich sein Widerwillen nicht etwa gegen die Brutalität solcher Behandlungsweisen, sondern gegen deren Ineffizienz: „Verläßlich war das Verfahren nach keiner Richtung.“ (I, 432) Mit diesem die herkömmliche Therapie lediglich im Resultat kritisierenden Urteil bezieht der Revolutionär in Sachen Psychologie positiv Stellung zu einer Behandlung der Seele, deren Brutalität sich als Elektrisieren, Einrenken oder Abhacken zur Wiederherstellung des kranken Körpers durchaus als zweckmäßig erwiesen hat. Er spricht nicht nur klipp und klar aus, daß er im Umgang mit Verrückten Gewalt für angebracht hält, sondern auch, wie er die Psychologie zu revolutionieren gedenkt, um mit den sich gegen solche Behandlung sträubenden Patienten erfolgreich fertig zu werden: „Es fehlt die philosophische Hilfswissenschaft, welche für ihre ärztlichen Absichten dienstbar gemacht werden könnte.“ (I, 46) Anstatt wie bisher mit dem psychisch Erkrankten medizinisch zu verfahren und seinen Körper zu malträtieren, um die Seele zur Räson zu bringen, verzichtet Freud auf körperliche Gewaltanwendung und nimmt die Philosophie zur Hilfe, um die ganze Wucht seiner Therapie gegen die Seele zur richten.
Die ärztlichen Absichten nutzbar gemachte Philosophie betrachtet die Verrücktheit vom Standpunkt der Medizin und erklärt sie zur „Störung der seelischen Funktionen“ (I, 46), von der die Psyche ebenso befallen wird wie der Körper von einer Krankheit. Mit dieser Verwandlung der Verrücktheit in eine Funktionsstörung abstrahiert Freud von dem Umstand, daß das Verrücken der objektiven Gegebenheiten in eine Welt der subjektiven Wünsche und Ängste, Einbildungen und Vorstellungen, mit dem der Verrückte sich von sich selbst abhängig erklärt und in sich selbst einspinnt, dem Willen des Neurotikers entspringt, nicht mehr funktionieren zu wollen. Weil Freud auf den Willen wie auf einen kranken Körper einwirken möchte, gelingt seinem philosophisch angehauchten Geist das Kunststück, „die Psychologie zu einer Naturwissenschaft wie jede andere auszugestalten“ (VI, 19), womit er seinen Gegenstand bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet. Dort, wo die Freiheit des Willens herrscht – und davon legt auch der Entschluß Zeugnis ab, sich unter dem freien Willen feindlichen Bedingungen nicht länger von den Kriterien der Vernunft, unter der heutzutage gemeinhin die Anpassung an diese Bedingungen verstanden wird, bestimmen zu lassen, sondern die Welt in der subjektiven, allerwillkürlichsten Vorstellung aufgehen zu lassen und so an sich anzupassen – „stellt“ Freud „Gesetze fest“ (I, 19), denen die Psyche gehorcht: das Bestreben, den Willen zu negieren, treibt ihn bereits 1895, die Dinglichkeit der Seele als Apparat zu veranschaulichen, wobei er seinem Konstrukt, das er im menschlichen Organismus zu lokalisieren versteht (wenngleich die „moderne Hirnforschung Freuds Modell nicht bestätigen konnte“ (VII, 41) ), nicht nur zwei „fundamentale Elemente“ – Neuronen (Verwandte des späteren ebenso energiegeladenen Orgon) – und „ein Operationsprinzip“, die „Abfuhr von Quantität“, zur Verfügung stellt, sondern auch die Schwierigkeit, „das Bewußtsein irgendwo unterzubringen“, behebt, indem er „eine dritte Klasse von Neuronen postuliert“ (VII, 47), so daß sich die Verrücktheit einwandfrei als Störung der „Ökonomie“ des Seelenenergiehaushalts ergibt. So ist die „philosophische Hilfswissenschaft“ von vornherein darauf aus, eine Neurose wie ein Magengeschwür zu bekämpfen, weshalb die Anhänger Freuds, die darin eine Hilfe für den Patienten erblicken, sich und anderen das geheuchelte Erschrecken vor dem an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglassenden Ideal der naturwissenschaftlichen Beeinflussung des Willens ersparen sollten, da sie die Therapie, die diesem Ideal verpflichtet ist, nicht verachten: „Die Zukunft mag uns lehren, mit besonderen chemischen Stoffen die Energiemengen und deren Verteilungen im seelischen Apparat direkt zu beeinflussen. Vielleicht ergeben sich noch ungeahnte andere Möglichkeiten der Therapie; vorläufig steht uns nichts Besseres zu Gebote als die psychoanalytische Technik, und darum sollte man, sie trotz ihrer Beschränkungen nicht verachten.“ (VI, 40) Indem Freud beim Hinüberlenken zur Psychologie den ärztlichen Standpunkt nicht verläßt, sondern die Psychoanalyse unter der Fragestellung betreibt: Wie stelle ich die Funktionstüchtigkeit des Neurotikers wieder her? – abstrahiert er nicht nur davon, daß dieser sich verrückt gemacht hat und die Rückkehr zur Vernunft nur die Leistung seines Willens sein kann, sondern stellt von vornherein klar, daß seine Patienten das Gegenteil von ärztlicher Hilfe von ihm zu erwarten haben. Während nämlich eine organische Erkrankung vom Arzt behoben werden kann, weil er aufgrund der Kenntnis der Gründe der Funktionsstörung über Mittel verfügt, auf die organische Natur des Menschen heilend einzuwirken, muß die Beseitigung der Verrücktheit stets das willentliche Werk desjenigen sein, der sie sich zugelegt hat. Durch die Unterschlagung dieses gewaltigen Unterschieds räumt Freud – der seinen Patienten hilfreich erspart, gegen sich mit Hilfe der Vernunft aktiv werden zu müssen, um ihnen die Gewalt seines Willens aufzuzwingen – sich die Macht ein, gegen den Willen des Neurotikers mit der psychoanalytischen Abhacktechnik loszugehen, die den Willen zum Verrücktsein für nicht existent erklärt und ihm so den Willen zum Funktionieren aufoktroyiert. Radikaler noch als die Justiz, die den Mißbrauch der Freiheit mit deren Entzug bestraft, ohne dabei die „Würde des Menschen anzutasten“, ahndet Freud die Verfehlung, nicht mehr funktionieren zu wollen, indem er den Verrückten den Willen aberkennt, weil für den Philosophen der Menschennatur Willen und Funktionieren identische Begriffe sind.
Wenn Freud eine Neurose wie eine organische Störung behandeln will, so tut er dies im vollen Bewußtsein des Unterschieds. Um „etwas beim Kranken zustandezubringen“ (I, 289), d.h. das Ideal eines funktionstüchtigen Menschen an ihm zu verwirklichen, ist er auf dessen Willen verwiesen, den er ihm abgesprochen hat, weil er sich mit „Leidenssymptomen“ für untauglich erklärt hat. Um dem „Patienten“ den Willen einflößen zu können, den Willen wiederherzustellen, muß dieser aus freien Stücken mit Beginn der „Kur“ sich in ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Therapeuten begeben. Er muß mit dem Analytiker einen „Vertrag“ schließen, der ihm die „Verpflichtung“ (I, 289) auferlegt, sich allen Maßnahmen „zu fügen“ (I, 420). Um Hilfe zu erhalten, muß er einsehen, daß ihm – weil (!) fix und fertig – die „Selbständigkeit“ (I, 418) abgeht, weshalb er diese nur erlangen kann, wenn er sich per „Suggestion“ vom Analytiker „beeinflussen“ läßt. Eine seltsame Kur also, in der der Erfolg davon abhängt, daß der Patient seinen verrückten Willen praktisch verleugnet, indem er sich die Selbständigkeit abspricht und für die Dauer der Behandlung an den Therapeuten abtritt. Wenn die Bedingung für den Heilungserfolg darin besteht, daß der Patient seinen Willen aufgibt und mit dem des Therapeuten ineinssetzt, so erschöpft sich der Grund für seine „Krankheit“ in der gemeinen Tautologie, nicht gesund werden zu wollen. Während in der Medizin eine organische Störung beseitigt wird, weil man aufgrund des Wissens, wodurch sie verursacht wird, ihren Grund bekämpft, so erinnert die Psychoanalyse an mittelalterliche Praktiken, in denen die Heilung nicht vom Wissen des Arztes diktiert wurde, sondern vom Willen des Patienten zur Gesundung und seinem Vertrauen in die Fähigkeiten des Arztes. Mit der Forderung der Abhängigkeit zum Zwecke der Heilung wird daher in der Kur selbst nicht der Grund des Verrücktseins beseitigt – von ihm wird abgesehen.
Weil die medizinische Steuerung eines psychisch gestörten Menschen „derzeit“ noch nicht möglich ist, erschüttert Freud „der Jammer eines langes Lebens“, den der Patient in der ersten Viertelstunde vor ihm „ausbreitet“ (I, 248); so sehr, daß er ihm seine Ohnmacht eingesteht: „Der Einfluß der frühen Kindheitserlebnisse ... sie gehören der Vergangenheit an, wir können sie nicht ungeschehen machen. Dann all das, was wir als die »reale Versagung« zusammengefaßt haben, als das Unglück des Lebens, aus dem die Entbehrung an Liebe hervorgeht, die Armut, der Familienzwist, das Ungeschick in der Ehewahl, die Ungunst der sozialen Verhältnisse und die Strenge der sittlichen Anforderungen, unter deren Druck eine Person steht. Da wären freilich Handhaben genug für eine wirksame Therapie, aber es müßte eine Therapie sein, wie sie nach der Wiener Volkssage Kaiser Josef geübt hat, das wohltätige Eingreifen eines Mächtigen, vor dessen Willen Menschen sich beugen (!) und Schwierigkeiten verschwinden (!). Aber wer sind wir, daß wir solches Wohltun in unsere Therapie aufnehmen könnten? Selbst arm und gesellschaftlich ohnmächtig ...“ (I, 416) Der Patient, der den Analytiker aufgesucht hat, weil es ihm – und nicht der Gesellschaft – jetzt dreckig geht, muß sich die verrückten Omnipotenzwünsche des Kaiser Sigmund anhören, die allerdings verraten, wie und „wo da ein Raum für eine therapeutische Einwirkung“ (I, 415) bleibt. Wenn der „Leidenskonflikt“ nicht beseitigt werden kann, so gibt es doch einen „Ausweg“ (I, 423): es steht noch in der Macht des Schwächsten, sich dem Therapeuten zu „beugen“ und so seine „Schwierigkeiten verschwinden“ zu lassen. Er muß nur gegen sich aktiv werden und sich zu seiner Neurose verhalten, als gäbe es keinen Grund für ihre Existenz. Der Patient muß seinem Willen unter der Fuchtel des wohltätigen Therapeuten eine zweite Natur zulegen und so mit Hilfe des Heilenden den verrückten Willen in Schach halten. Auch bei noch so gesalzenen Preisen ist also vom Analytiker keine Hilfe zu erwarten – er ermöglicht dem Patienten lediglich, indem er ihm seine Selbständigkeit abnimmt, sich durch seine Verdopplung den Genuß der Selbstheilung bei fortexistierender Störung zukommen zu lassen. Die Heilung hängt also ausschließlich vom Willen des Patienten ab, seiner Störung die Anerkennung zu versagen und sich den Willen zum Funktionieren zuzulegen. Freud läßt seine Patienten nicht darüber im unklaren, welche Brutalität sie sich im Verlauf der Analyse antun – lassen – müssen: „Wenn wir einen Neurotiker in psychoanalytische Behandlung nehmen, so ... halten wir ihm die Schwierigkeit der Methode vor, ihre Zeitdauer, die Anstrengungen und Opfer, die sie kostet, und was den Erfolg anbelangt, so sagen wir, wir können ihn nicht sicher versprechen, er hänge von seinem Benehmen ab, von seinem Verständnis, seiner Gefügigkeit, seiner Ausdauer.“ (I, 41) Ihnen werden nicht nur die Opfer vorgehalten, die zu ihrer Gesundung erforderlich seien, vielmehr wird schon vor Beginn der Analyse klargestellt, daß der Analytiker den Tick für unbegründet hält und das, was dem Neurotiker zu schaffen macht –
Vom Sinn der „Symptome“ (I, 258) Freud-Fans sind nicht sehr einfallsreich, wenn es darum geht, den Meister für sich zu retten. So werden Praxis und Theorie der Psychoanalyse voneinander getrennt und als „Emanzipation“ oder „Repression“ wahlweise gegeneinander ausgespielt. Während die einen trotz einer „längst brüchig gewordenen“ Theorie auf den hochherzigen Zweck seiner Therapie: „er erzieht den Patienten zum mündigen Bürger“ nichts kommen lassen: „Daß sie einzelnen Menschen hilft, sei unbestritten und legitimiert solche Praxis mehr, als deren theoretische Rechtfertigung es vermag.“ – meinen die anderen, die Praxis – zumal die seit Freud immer mehr auf den Hund gekommene: „Das Ritual: Schweigen und »Hm«.“ (IX, 50) – blamiere sich vor den in der Theorie angelegten menschenfreundlichen Möglichkeiten. Die von beiden Seiten zur Rettung der fortschrittlichen Seiten Freuds aufgestellte Behauptung: „Theorie und Praxis der Psychoanalyse haben wenig miteinander zu tun.“ (IX, 50) tut der konsequent an der Praxis ausgerichteten Philosophie der Menschennatur, die ebenso konsequent in die Praxis umgesetzt wurde, Unrecht. Weil die psychoanalytische Behandlung in ihrem praktischen Drang nach der Verwirklichung des Ideals allzeit bereiter Tüchtigkeit keine Gründe für die Neurose gelten läßt, sondern dem Neurotiker die Bereitschaft abverlangt, von seiner Neurose abzusehen, stellt die psychoanalytische Theorie das Mittel zu dieser Brachialkur bereit, indem sie dem Patienten zwar keine Erklärung seiner Neurose, dafür aber eine philosophischen Ansprüchen gerecht werdende Deutung ihrer Symptome liefert, die einen hinter ihnen verborgenen Sinn aufspürt. Mit der Deutung der verrückten Gedanken und Handlungen eines Neurotikers als Ausdruck durchaus verständigen, nämlich sinnvollen Treibens nimmt Freud Abstand von einer Erklärung des gestörten Willens, die dessen Verrücktheit als sein eigenes Werk kritisiert. Wenn ein Mensch sich das Leben zusätzlich dadurch schwer macht, daß er sich einbildet, über keine Brücke gehen zu können, so hat er – weil es keinen rationellen Grund für diese Angst gibt andere Probleme. Sei es, daß er sich schwer tut oder trotz Anstrengung leer ausgeht, praktisch wird er dauernd darauf gestoßen, daß es auf seine Kosten geht, wenn er sich den Anforderungen der bürgerlichen Gesellschaft unterwirft, die seinen Willen nur bedingt respektiert. Weit entfernt davon, gegen die ihm auferlegte Beschränkung anzukämpfen oder sich wenigstens vor Politikern zu ängstigen, obgleich er ihnen schon vom Gesicht ablesen könnte, welche Gefahr für Leib und Leben die ihnen zugestandene Macht bedeutet, vollstreckt er unterwürfig das von der Gesellschaft über ihn gefällte Urteil an sich selbst noch einmal. Mit der in die Tat gegen sich umgesetzte Theorie über seine Schwierigkeiten abstrahiert er von seinen ursprünglichen Problemen, davon also, daß er sich tagtäglich Brutalitäten gefallen läßt und antut – und schafft sich mit seinem Tick den Grund für das vorher schon akzeptierte Urteil, eine Flasche zu sein.
Freud will seine Patienten nicht zur Vernunft bringen, sondern wieder funktionstüchtig machen. Deshalb verfährt er nicht nach der „altertümlichen“ Methode Pinels, „die den in Narren und Wahnsinnigen vorhandenen Rest von Vernunft als die Grundlage der Heilung auffaßt“ (Hegel, Enzyklopädie III, § 408, Zusatz). Seine Weigerung, Kritik an einem Menschen zu üben, der sein Scheitern gegenüber den an ihn gestellten Ansprüchen dadurch meistert, daß er gegen sich aktiv wird und sich mit seinem Tick die in seiner Verrücktheit liegende Berechtigung seines Scheiterns beweist, begründet Freud, indem er ihnen das Bewußtsein bestreitet, wodurch er die Gründe für ihre Verrücktheit aus der Welt schafft. Um das Bewußtsein der Verrückten zu einer neuen Stellung gegenüber ihren Wünschen oder auch Ängsten zu bewegen, läßt er sich eine Ersatzerklärung einfallen, die dem Bewußtsein allerhand seltsame Qualitäten zuschreibt. Die anvisierte Zerfällung des Denkens und Wollens in das verrückte Symptom und den verständigen Sinn, in dem allein die Ursache für die „Störung“ zu sehen sei, eröffnet er mit der Lüge, das Bewußtsein eines Menschen lasse sich nicht für sich erklären, die er mit der Behauptung „rechtfertigt“, das Denken sei „zusammenhangslos“, weil „die Daten des Bewußtseins in hohem Grade lückenhaft sind“ (III, 125). Es ist schon eine wissenschaftliche Glanzleistung, dem Denken den inneren Zusammenhang mit dem Verweis auf die Tatsache abzustreiten, daß der Mensch auch mal schlafen muß. Da ein Gedanke nur dann Gedanke ist, wenn er morgens, mittags und abends lückenlos gedacht wird – sein Inhalt also laut Freud mit seiner Voraussetzung zusammenfällt, von einem menschlichen Verstand angestellt zu werden –, ergibt sich aufgrund der Lücken der Zusammenhang des Denkens logischerweise dadurch, daß beizeiten nicht gedacht wird: „Alle diese bewußten Akte blieben zusammenhangslos und unverständlich, wenn wir den Anspruch festhalten wollen, daß wir auch alles durchs Bewußtsein erfahren müssen, was an seelischen Akten in uns vorgeht, und ordnen sich in einen aufzeigbaren Zusammenhang ein, wenn wir die erschlossenen unbewußten Akte interpolieren. Gewinn an Sinn und Zusammenhang ist aber ein vollberechtigtes Motiv, das uns über die unmittelbare Erfahrung hinausführen darf.“ (III, 126) Da die Idiotie des Konstrukts, das Wesen des Bewußtseins liege in seinem Nichtvorhandensein, immerhin die Frage offenläßt, was man dem eingefleischten vorwissenschaftlichen Vorurteil: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ zu entgegnen habe, sprengt der um Aufklärung bestrebte und aller Religion abholde Sigmund die Grenzen der Erfahrung noch weiter und tritt gegen den altmodischen Gottesbeweis, der Nichtseiendes als existent zu beweisen trachtete, den Beweis für die Existenz des Unbewußten an: „Die Berechtigung, ein unbewußtes Seelisches anzunehmen und mit dieser Annahme wissenschaftlich zu arbeiten, wird uns von vielen Seiten bestritten. Wir können dagegen anführen, daß die Annahme des Unbewußten notwendig und legitim ist und daß wir für die Existenz des Unbewußten mehrfache Beweise besitzen.“ (III, 125) Freud baut sich diese Vogelscheuche von Gegnern auf, die „unbewußtem Seelischen“ wie z.B. dem Traum die Existenz bestreiten, um nicht weniger realitätsfeindlich die Existenz des Unbewußten zu „beweisen“. Mit der unwissenschaftlichen Anstrengung, den Beweis für eine Tatsache zu führen, verfolgt er den Zweck, die „psychologische Denkweise“ zu installieren, die dem Bewußtsein die „Notwendigkeit des Unbewußten“ als seine Erklärung unterjubelt. Weil er dem Denken mit seiner Annahme, ohne das Unbewußte nicht erklärbar zu sein, die Selbständigkeit bestreitet und es als Wirkung des Unbewußten faßt: „Es ist in der Tat der auffälligste Charakterzug der hysterischen Geistesverfassung, daß sie von unbewußten Vorstellungen beherrscht wird.“ (VII, 141), er also auf den „dynamischen Begriff“ des Unbewußten hinauswill, muß er sich noch ein paar weitere logische Schnitzer leisten. Unbewußte seelische Vorgänge zeichnen sich nicht etwa dadurch aus, daß sie nicht unter der Herrschaft der Vernunft stehen. Sie lassen sich also – aufgrund der hier geleisteten „schwierigen intellektuellen Arbeit“ (III, 295) – in keinster Weise vom Bewußtsein unterscheiden: „Sie können (!) mit all den Kategorien beschrieben werden, die wir auf die bewußten Seelenakte anwenden, als Vorstellungen, Strebungen, Entschließungen u. dgl. Ja, von manchen dieser latenten Zustände müssen wir aussagen, sie unterscheiden sich von den bewußten eben nur (!) durch den Wegfall des Bewußtseins.“ (III, 127) Man denkt also auch dann, wenn man nicht denkt – weil die Psychoanalyse sich zu ihren Widersprüchen bekennt, um mit dem Vorurteil aufzuräumen, Denken sei eine Tätigkeit des Bewußtseins: „Sie muß vertreten, daß es unbewußtes Denken und ungewußtes Wollen gibt.“ (I, 47) Mit dieser Verdoppelung des Bewußtseins in bewußte und unbewußte Akte, die erfunden wurde, um die lebenslange Abhängigkeit des Willens vom ungewußten Wollen zu behaupten, sind weitere Ungereimtheiten unvermeidlich. Die Frage, warum die Menschen überhaupt sich der Anstrengung des Denkens unterziehen, wenn es – kaum sind sie geboren – unablässig in ihnen denkt und der ungewußte Wille ihnen die Qual der Entscheidung abnimmt: „Seelische Vorgänge sind an und für sich unbewußt“ (I, 47), ist natürlich unzulässig, weil Freud mit seinem Konstrukt ja nicht an der Existenz des Bewußtseins, wohl aber an seiner Sinnhaftigkeit rütteln wollte. Ergiebiger ist da die Frage, warum die einen Gedanken bewußt und die anderen unbewußt sind, die Menschen sich also, obwohl sie denken können, von ihrem Unbewußtsein terrorisieren lassen.
Diese Frage beantwortet Freud, der an so manchem Erwachsenen „das Thema der Beschäftigung mit dem Wiwimacher hervorgeholt“ (IV, 103) hat, mit ausgesprochener Begeisterung – schließlich tut sich bei dem Beweis der Existenz der „Frühblüte des kindlichen Sexuallebens“ (III, 230) das schwindelerregende Böse auf, dem nur ein Psychologe unerschrocken ins Auge zu blicken wagt: „Das Unbewußte des Seelenlebens ist das Infantile. Der befremdende Eindruck, daß soviel Böses im Menschen steckt, beginnt nachzulassen. Dieses entsetzlich Böse ist einfach das Anfängliche, Primitive, Infantile des Seelenlebens, das wir beim Kinde in Wirksamkeit finden können, das wir aber bei ihm zum Teil wegen seiner kleinen Dimensionen übersehen (?), zum Teil nicht schwernehmen, weil wir vom Kinde keine ethische Höhe fordern.“ (I, 214) Wenn ein Kind schon denkt, bevor es denkt, dann weckt die Mutterbrust im neugeborenen Knäblein schreckliche Gelüste. Das Saugen vermittelt nicht einfach wohlige Empfindung, sondern entfacht in ihm die teuflische Neigung (das Sau-Gen), die Mutter zu vergewaltigen, den Vater zu kastrieren und Brüder und Schwestern, die ihm das begehrte „Objekt“ streitig machen, um die Ecke zu bringen. Die jedermann zugängliche Beobachtung, daß das Fummeln schon einem Kleinkind angenehme Sensationen verschafft, hat nichts Umwerfendes an sich. Als Entdeckung „frühkindlicher Sexualität“ läßt sie sich nur dann feiern, wenn man von der Tatsache absieht, daß ein Kind sich beim Fummeln noch nicht den dazugehörigen Partner vorstellen kann und deshalb auch keine sexuellen Empfindungen dabei hat, sondern kurzerhand die Behauptung aufstellt, das Kind sei an sich – aufgrund des „System des Unbewußten“ – schon ein fertiger Mensch, um mit der – so zur Existenz gebrachten – kindlichen „Sexualität“ die dem Menschen angeborenen „niederen Leidenschaften“ (III, 295) zu beweisen. Um seiner These, „die bewußten Akte“ bildeten „bloß einzelne ... Anteile des ganzen“ – an sich unbewußten – „Seelenlebens“ (I, 47), den Anschein von Plausibilität zu verleihen, um also das Dogma des Unbewußten und seiner verhängnisvollen Dynamik zu erhärten, schlachtet Freud weiter Beobachtungen aus. Es läßt sich nämlich schlecht leugnen, daß die niederen Leidenschaften des Kindes sich nicht ungehemmt austoben können, weil auch bei perversester Verworfenheit die „kleinen Dimensionen“ nicht zu „übersehen“ sind und so an eine Vergewaltigung der Eltern nicht zu denken ist – obgleich Freud zu Beginn seiner Karriere durchaus verrückt genug war, genau daran zu denken, wenn er auch hier die Dimensionen vertauscht: „Die gutbürgerlichen Wiener Damen, die in Freuds Ordination die Behebung ihrer nervösen Störungen suchten, waren sämtlich zwischen dem sechsten und achten Lebensjahr von ihren Vätern sexuell mißbraucht worden.“ (VII, 9) Darüber hinaus erwies das Faktum, daß Eltern ihren Kindern bisweilen die Fummelei verbieten, der Theoriebildung einen vorzüglichen Dienst, wenngleich zu seiner Tauglichkeit die Lüge in die Welt gesetzt werden mußte, daß das Fummeln sich durch Verbot unterdrücken liesse – und der Schneider mit der Schere Tag und Nacht neben der Wiege gestanden habe. Diese zurechtgestutzten Fakten geben den Grund für Freuds Neurosentheorie ab, da das Kind, wenn es denken lernt, seine bösen Wünsche nicht ans Licht des Bewußtseins läßt, sondern ,,verdrängt“, wofür die Macht des Unbewußten jedes Kind mit einer Neurose – vorzugsweise Kastrationskomplex – bestraft. Wie das Bewußtsein von etwas angekränkelt werden kann, von dem es keine Ahnung hat, wie also genau die ,,Verdrängung“ funktioniert, kann man sich so: „Der unbewußte Gedanke wird vom Bewußtsein ausgeschlossen“ (III, 33) oder so: „Bei der Verdrängung operiert das Ich unbewußt.“ (VII, 12) erklären; wenn man Schwierigkeiten hat, diesen jeweils durch sein Gegenteil begründeten Gedanken zu denken, so kann man sich ihn auch so vorstellen: „Die roheste Vorstellung von diesen Systemen ist die für uns bequemste; es ist die räumliche Vorstellung. Wir setzen also das System des Unbewußten einem großen Vorraum gleich, in dem sich die seelischen Regungen wie Einzelwesen tummeln. An diesen Vorraum schließt sich ein zweiter, engerer, eine Art Salon, in welchem auch das Bewußtsein verweilt. Aber an der Schwelle zwischen beiden Räumlichkeiten waltet ein (bewußt-unbewußter) Wächter seines Amtes der die einzelnen Seelenregungen mustert, zensuriert und sie nicht in den Salon einläßt, wenn sie sein Mißfallen erregen ... Wenn sich die Regungen im Vorraum bereits zur Schwelle vorgedrängt haben und vom Wächter zurückgedrängt worden sind, dann sind sie bewußtseinsunfähig; wir heißen sie verdrängt.“ (I, 293) Mit dieser anschaulichen Erklärung hat Freud den Vorgang, dem man in der Kindheit unterzogen wird, die Erziehung zum moralischen Menschen, als Verdrängung vergeheimnist, die nur deshalb heutzutage jedermann als das unausweichliche Resultat jeglicher Erziehung erscheint, weil er die unangenehmen Folgen der moralischen Verbote am eigenen Leib verspürt hat; die Begeisterung aber, mit der die Phrase von der Verdrängung aufgegriffen wird, verdankt sich dem Willen, die Verhältnisse, die einen jetzt fertigmachen, zu ertragen, da man sich mit der Stilisierung zum lebenslangen Opfer seiner durch die Erziehung verkorksten Triebe dem sich selbst bemitleidenden Beweis der eigenen Unfähigkeit liefert, sei es die Schicksalsschläge gleichmütig hinzunehmen oder gegen das anzugehen, was einem stinkt. Daß es nicht die Verdrängung ist, was einem zu schaffen macht, sondern die Tatsache, daß man sich als moralischer Mensch den Anforderungen der bürgerlichen Gesellschaft unterwirft, kann man sich daran klarmachen, was wirklich in der Kindheit mit einem angestellt wurde, Von der elterlichen Gewalt wird der Umstand, daß ein Kind auf Wissen angewiesen ist, um seine Phantasien durch die Vernunft zügeln zu lernen und sich so in der Welt zurechtzufinden, weidlich ausgenutzt, indem sie dem Kind die Erklärung nur in der Form der Moral offeriert, mit der jeder Gegenstand für gut oder schlecht befunden wird. Die Brutalität dieser Erklärungsweise erfährt ein Kind an sich selbst, da es die eigenen Wünsche der moralischen Verurteilung unterziehen soll – weshalb keinem eine „Trotzphase“ erspart bleibt. Den Zwiespalt zwischen dem, was das Kind will, und dem, was man nicht haben kann, tun darf oder denken soll, entscheidet nicht der kleine Mann im Ohr, der den Vorraum bewacht, sondern das Kind selbst, wenn es die moralischen Forderungen als berechtigte anerkennt und sein Sträuben gegen sie aufgibt, indem es sich seine Wünsche mit der ihm angebotenen Erklärung verbietet, und wenn es das Verbotene, das bekanntlich das Schönste am Leben ist, heimlich und noch nicht unbedingt mit schlechtem Gewissen tut. Psychologen, die auf der methodologischen Höhe der Zeit stehen, finden an der Theorie der Verdrängung des Unbewußten keinen Fehler: „Der Begriff des Unbewußten gibt dem Analytiker genügend Raum, um jedes beliebige menschliche Verhalten, ganz gleich, wie abnorm es ist, einzuordnen ... Unter diesen Umständen sind die »Aussagen« des Psychoanalytikers zwangsläufig unwiderlegbar.“ (IX, 61) – bestreiten Freud jedoch die Wissenschaftlichkeit aufgrund der subjektiven Darstellungsweise seiner Theorie. Ihnen sind die vielen Vergleiche, etymologischen Ableitungen und Bilder ein Dom im intersubjektiv getrübten Auge. Da sie den gedanklichen Gehalt der Analogien bestreiten, entgeht ihnen, wie korrekt diese die falschen Gedanken darstellen. Daß Freud jedoch dauernd an die Vorstellungskraft seiner Leser appelliert, die sich an seine dem Alltagsverstand unmittelbar widersprechenden Gedanken als Selbstverständlichkeiten gewöhnen sollen, führt zu dem Schluß, daß er als Wissenschaftler durch den Vergleich mit dem gesunden Menschenverstand um diesen wirbt. Wenn der Vorarbeiter der Urschreitheorie nach seiner falschen Erklärung der Angst als Wiederholung der immergleichen Situation, die das bestimmte Objekt der Angst als irrelevant bezeichnet und stattdessen eines erfindet, vor dem auch kein Neugeborenes Angst haben kann, weil ihm dazu noch die Empfindung fehlt: „beim Angsteffekt glauben wir zu wissen, welchen frühzeitigen Eindruck er als Wiederholung wiederbringt. Wir sagen uns, es ist der Geburtsakt, bei welchem jene Gruppierung von Unlustempfindungen, Abfuhrerregungen und Körpersensationen zustande kommt, die das Vorbild für die Wirkung einer Lebensgefahr geworden ist und seither als Angstzustand von uns wiederholt wird“, die richtige Etymologie des Wortes Angst herbeizitiert: „Der Name Angst – angustiae, Enge –“, so betont sie seine Wiederholungsthese zweifellos, ohne sie dadurch richtiger zu machen: „betont den Charakter der Beengung im Atmen, die damals als Folge der realen Situation vorhanden war und heute im Affekt fast regelmäßig wiederhergestellt wird.“ (I, 383) Dem voreingenommenen Leser hat er mit dieser Krücke jedenfalls eine Eselsbrücke gebaut. Freud, der sich in seinem wissenschaftlichen Vorgehen der Devise verschrieben hat: „Was man nicht erfliegen kann, muß man erhinken“ (III, 272), hinkt mit seinen erschlichenen Übergängen nicht nur auf dem Vergleichsbein. Die Eigenart seines Stils, die ihm bei den Traumdeutungen und Krankengeschichte – gar nicht selbstkritisch – bewußt war: „Es berührt mich selbst noch eigentümlich, daß die Krankengeschichten, die ich schreibe, wie Novellen zu lesen sind, und daß sie sozusagen des ernsten Gepräges der Wissenschaftlichkeit entbehren. Ich muß mich damit trösten, daß für dieses Ergebnis die Natur des Gegenstandes offenbar eher verantwortlich zu machen ist als meine Vorliebe“ (VIII, 40), verdankt sich keineswegs der „Natur seines Gegenstandes“ sondern seiner Technik der Assoziation, mit der er ihm zu Leibe rückt. Wenngleich die von ihm produzierten phantasievollen Einfälle nicht selten der Komik entbehren, ist es für einen Neurotiker keineswegs spaßig, einem Analytiker ausgeliefert zu sein, dessen wissenschaftliches Ausbildungsprogramm zu einem wesentlichen Teil im Studium der Literatur besteht (vgl. VIII, 25).
Mit der Erfindung frühkindlich verdrängter Sexualität hat Freud den Schlag gegen die Neurotiker gelandet. Ein Melancholiker z.B. hat die analerotische (!) Phase nicht anständig ,,verarbeitet“, weshalb er sich seine melancholischen Gedanken als Äußerungen der ,,Lumpfsymbolik“ (IV, 108) interpretieren lassen muß. Freud, der vorgibt, die psychische Störung mit der Krankheitsgenese zu erklären: „Die Erklärungsaufgabe in der Psychoanalyse ist überhaupt enge begrenzt. Zu erklären sind die auffälligen Symptombildungen durch die Aufdeckung ihrer Genese“ (IV, 217), macht nicht einfach den Fehler, so vom Willen des Neurotikers zu abstrahieren, daß er die Bedingung für die Entstehung einer Neurose für deren Grund ausgibt, also behauptet, der Neurotiker sei Fetischist, weil er von der Mutter geprügelt worden sei. Indem er mit dem Konstrukt des mit Willen und Bewußtsein begabten Unbewußten argumentiert, ist eine irreale Bedingung der Grund der Neurose. Das Kind ist schon als fertiger Mensch unterstellt: „Der kleine Mensch ist oft mit dem vierten oder fünften Jahr schon fertig und bringt nur allmählich zum Vorschein, was bereits in ihm steckt“ (I, 348), so daß bereits zu diesem Zeitpunkt mit seiner ,,Disposition zur Neurose“ (III, 204) über sein späteres Schicksal entschieden ist: „Ich behaupte, daß der Kindheitseinfluß sich bereits in der Anfangssituation der Neurosenbildung fühlbar macht, indem er in entscheidender Weise mitbestimmt, ob und an welcher Stelle das Individuum in der Bewältigung der realen Probleme des Lebens versagt.“ (IV, 171) Diese kühne Prophezeiung verdankt sich der Dynamik des Unbewußten, das – in der Kindheit zwangsläufig verdrängt – die Gedanken bis ins hohe Alter an sich fesselt: „Man erfährt regelmäßig, daß seine Neurose an jene Kinderangst anknüpft die Fortsetzung derselben darstellt, und daß also eine unausgesetzte, aber auch (vom Bewußtsein) ungestörte psychische Arbeit sich von jenen Kinderkonflikten an durchs Leben gesponnen hat.“ (IV, 119) – und mit den Problemen eines Dreijährigen knechtet, der die schmutzige Phantasie eines Psychologen besitzt. Den Quatsch, daß die ,,Urszene“, die allemal eine Kindheitsneurose heraufbeschwört, dafür verantwortlich sei, daß ein Mensch mit 25 oder erst mit 38 manisch depressiv oder aber hysterisch wird, widerlegt Freud mit seinen „Zwei Kinderneurosen“ selber. Der Wolfsmann war mit 23 Jahren soweit, daß er den Schock seines Lebens nicht mehr verkraftete: Der Anblick des „coitus a tergo“, den die Eltern – wie Freud aus den Träumen des Patienten außerordentlich zwingend zu „erschließen“ verstand – dem 1 1/2- jährigen vorexerzierten, regte seine unbewußte Phantasie: „Wenn man nur an die einfachen Reaktionen des 1 1/2jährigen Kindes beim Erleben dieser Szene denkt, kann man die Auffassung schwer von sich weisen, daß eine Art von schwer bestimmbarem Wissen, etwas wie eine Vorbereitung zum Verständnis, beim Kinde dabei mitwirkt. Worin dies bestehen mag, entzieht sich jeder (?) Vorstellung; wir haben nur (!) die eine ausgezeichnete Analogie mit dem weitgehenden instinktiven Wissen der Tiere zur Verfügung.“ (IV, 230) – so stark an, daß er – sobald er nicht mehr tierisch, sondern menschlich zu denken und somit „ethische Höhe“ zu erklimmen begann – sich mit der Verdrängung bestrafen mußte. Der „kleine Hans“ hingegen, der schon mit 3 Jahren Opfer einer psychoanalytischen Behandlung wurde – die Freud „zweckmäßigerweise“ allen Kindern angedeihen zu lassen beabsichtigte: „als eine Maßregel der Fürsorge für ihre Gesundheit, so wie man heute gesunde Kinder gegen Diphtherie impft, ohne abzuwarten, ob sie an Diphtherie erkranken“ (I, 547) –, befand sich im Alter von 22 Jahren „durchaus wohl“, „litt unter keinerlei Beschwerden oder Hemmungen“ (IV, 123) und hatte zur Verwunderung Freuds nicht einmal mehr eine Erinnerung an die Gemeinheiten, die sein psychoanalytischer Vater mit Freuds Unterstützung an ihm beging: „Am Montag, 30. März, früh, kommt Hans zu mir und sagft: »Ich bin mit dir in Schönbrunn gewesen bei den Schafen, und dann sind wir unter den Stricken durchgekrochen, und das haben wir dann dem Wachmann beim Eingang gesagt, und der hat uns zusammengepackt.« Freud bemerkt dazu begeistert: „Die richtige (die Logik des Unbewußten!) Fortsetzung der Giraffenphantasie. Er ahnt, daß es verboten ist, sich in den Besitz der Mutter zu setzen; er ist auf die Inzestschranke gestoßen. Aber er hält es für verboten an sich (so dreht man Leuten das Wort im Mund um). Bei den verbotenen Streichen, die er in der Phantasie ausführt, ist jedesmal der Vater dabei und wird mit ihm eingesperrt. Der Vater, meint er (!), tut doch auch jenes rätselhafte (?) Verbotene mit der Mutter, das er (!) sich durch etwas Gewalttätiges (!) wie das Zerschlagen einer Fensterscheibe, durch das Eindringen in einen abgeschlossenen Raum ersetzt.“ (IV, 40) Der kleine Hans, an dem sich Freud als Beweis für die Existenz von Kinderneurosen aufgeilt, ist der einzige, der in diesem verrückten Beweis argumentiert, weshalb er auch für verrückt erklärt wird. Weil er sich von seinem anständigen Vater die Moral nicht einfach mit einem „Man tut das nicht“ aufherrschen läßt, wird ,,kannibales Material“ (IV, 128) aus seiner Weigerung hervorgeholt, um seinen Willen durch das Erschrecken über die Unanständigkeit seines des Gehorsams ermangelnden Fürwitzes zu brechen. Der kleine Hans ist also weder ein Beleg für die Aufgeklärtheit einer Kindererziehung mittels Psychoanalyse, die den Kindern die Moral einimpft, indem sie ihre Phantasien bestärkt, ihnen ausredet, wie sich was wirklich verhält und sie so verrückt macht. Noch beweist er mit seiner Kinderneurose – ganz abgesehen davon, daß sie systematisch von dem Vater produziert wurde – die infame Behauptung Freuds, die Neurosen überhaupt hätten nichts mit „Lebensbewältigung“, sondern mit frühkindlich verdrängten Triebregungen zu tun: „Eine neurotische Erkrankung im vierten oder fünften Jahr der Kindheit beweist vor allem, daß die infantilen Erlebnisse für sich allein imstande sind, eine Neurose zu produzieren, ohne daß es dazu der Flucht vor einer im Leben gestellten Aufgabe bedürfte ... Man kann ja untersuchen, ob sich eine die Neurose bestimmende »Aufgabe« im Leben eines Kindes findet. Man entdeckt aber nichts anderes als Triebregungen, deren Befriedigung dem Kind unmöglich, deren Bewältigung es nicht gewachsen ist.“ (IV, 172)
Gemäß seinem Bemühen, die Funkfionstüchtigkeit des Willens wiederherzustellen, ignoriert Freud den Willen des Neurotikers, der die ihm abverlangten Belastungen nicht mehr aushalten will. Mit der Erfindung des Konstrukts des Unbewußten, die dem Willen theoretisch die Selbständigkeit bestreitet, indem sie dessen Abhängigkeit von irrationellen Quellen aufdeckt, hat er sich das Mittel zur „Beeinflussung“ des Willens geschaffen. Durch die „Ersetzung des Unbewußten durch Bewußtes, die Übersetzung des Unbewußten in Bewußtes“ (I, 418) „nutzt“ die Theorie: nachdem sie den Grund für die Störung ins Unbewußte verlegt hat, um dem Neurotiker seine angebliche Unselbständigkeit, sein unwillentliches Getriebensein von Absichten, die dem „Primat der Genitalität“ (IX, 161) gehorchen, zu demonstrieren, verschwindet mit der „Bewußtmachung“ der dunklen Mächte, die nur unbewußt ihre Dynamik entfalten, zwar nicht der Grund für seine Störung. Aber dem Neurotiker wird eine falsche Erklärung seiner Lage angeboten, eine bewußte Stellung zu sich selbst abverlangt, die auf den Selbstvorwurf hinausläuft, keine vernünftigen Gründe, sondern nur uneigentliche, unlautere Absichten zu haben. Da die Psychoanalyse den Willen dafür vereinnahmen will, sich die Grundlosigkeit seiner Verrücktheit mit dem ihn aus der Tiefe belästigenden Unbewußten zu begründen, sie also den Willen zur „Störung“ brechen muß, wird der Neurotiker die in ihm verborgene Irrationalität nicht als Grund für seine Störung akzeptieren, wenn der Therapeut ihm seine erratene Deutung einfach verrät: „Was müssen wir also tun, um das Unbewußte bei unseren Patienten durch Bewußtes zu ersetzen? Wir haben einmal gemeint, das ginge ganz einfach, wir brauchten nur dies Unbewußte erraten und es ihm vorsagen.“ (I, 420) Weil die Psychoanalyse die Störung nicht erklärt, sondern mit ihrer Deutung den störrischen Willen gefügig machen will, ist es mit dem Vorsagen nicht getan. Die Übernahme der Deutung, die zur Bedingung der Heilung macht, daß der gestörte Wille von sich abstrahiert, ist keine Frage des Wissens, sondern der Einstellung: „Wenn der Arzt sein Wissen durch die Mitteilung auf den Kranken überträgt, so hat dies keinen Erfolg ... Das Wissen muß auf einer inneren Veränderung im Kranken beruhen, wie sie nur durch eine psychische Arbeit mit bestimmtem Ziel hervorgerufen werden kann.“ (I, 280) Um die erwünschte Änderung zu bewirken, attackiert der Psychoanalytiker daher den Patienten permanent, sich das von ihm bestimmte Ziel anzueignen und den Widerstand gegen seine Deutung aufzugeben. Damit das Unbewußte bewußt gemacht werden kann, läßt sich der Neurotiker zu Beginn seiner Behandlung auf einen Vertrag ein, womit er dem Analytiker bereits das Recht einräumt, jederzeit die Behandlung abzubrechen, falls er sich nicht an die Regeln hält. Mit dem im Kontrakt vereinbarten Behandlungsmodus wird dem Analytiker vom Neurotiker zugestanden, ihn wie ein unmündiges Kind zu behandeln, damit er lernt, sich zusammenzureißen. So wird ihm mit der „heiligen Regel“ der therapeutischen „Technik“ Denkverbot verordnet: „Wir legen es dem Kranken auf, sich in einen Zustand von ruhiger Selbstbeobachtung ohne Nachdenken zu versetzen. Wir schärfen ihm ein, immer nur der Oberfläche seines Bewußtseins zu folgen, jede wie immer geartete Kritik gegen das, was er findet, zu unterlassen.“ (I, 286) In der psychoanalytischen Besprechung des gestörten Willens hat der Patient also seine Intelligenz dazu zu gebrauchen, sie dem Therapeuten zu überlassen. Was und wie er denken soll, wird ihm diktiert – ist doch „seine intellektuelle Einsicht weder stark noch frei genug“ (I, 428). So erzählt er dem Psychiater nicht nur, welchen Unsinn er letzte Nacht geträumt hat. Auch mit dem Auskramen der frühen Kindheitserlebnisse hat es nicht sein Bewenden, Denn da Unbewußtes in Bewußtes ,,übersetzt“ werden, in Traum und Erinnerung der „Sinn“ seines Leidens stecken soll, stellt er mit seinen Assoziationen der Deutung das Material zur Verfügung, die Sinn in den Unsinn zwingt. Indem er rumphantasiert, hat er nicht nur akzeptiert, daß in den willkürlich verknüpfen Vorstellungen die Logik der Phantasie waltet, daß darüberhinaus die Deutung seiner Träume die „via regia“ zu seiner Heilung ist weil seine Vernunft und sein Wille gerade dort am Werk sein sollen, wo sie nicht reagieren Sondern er hat mit seinen Assoziationen dem Analytiker die Waffe gegen ihn in die Hand gegeben, mit der dieser ihn „zur Bestätigung der Konstruktion“ (III, 228) der Dynamik dei Unbewußten „nötigt“: er hat jetzt das Unbewußte „als ein Stück der Vergangenheit“ zu erinnern – schließlich wurde die Konstruktion ja auch aus seinen frei schweifenden Gedanken „erraten“. Das ,,mächtigste Hilfsmittel der Analyse“ (VII, 135) jedoch, mit dem der Analytiker den Widerstand des Patienten bricht, sich mit der Übernahme der Deutung eine seiner Verrücktheit feindlich gesonnene Einstellung zuzulegen, besteht in der radikalen Anwendung dieser Theorie auf alle Gefühle und Gedanken des Patienten, die dieser in der Behandlung äußert. Nichts wird als das genommen, was es ist – sondern als Ausdruck des Unbewußten interpretiert und so zum Hebel dafür gemacht, den Widerstand gegen die Deutung seiner Symptome aus dem Unbewußten aufzugeben. Leistet der Neurotiker „intellektuellen Widerstand“, so „bleibt man“ dem „immer überlegen“ (I, 288): „Der Patient kann in seinem Bestreben nach Opposition um jeden Preis völlig das Bild eines affektiv Schwachsinnigen ergeben. Seine Kritik ist also keine selbständige, als solche zu respektierende Funktion, sie ist Handlanger seiner affektiven Einstellungen und wird von seinem Widerstand dirigiert.“ (I, 291) – weil man den psychologischen Dreh beherrscht, Denken, Wollen und Handeln des Menschen nicht für sich, sondern als „Oberfläche“ zu betrachten, d.h. ihnen die Selbständigkeit zu bestreiten und sie aus ihrem aus der Tiefe operierenden Gegenstück, dem „eigentlich realen Psychischen“ (II, 580), tautologisch zu erklären, wodurch ihr wirklicher Grund zur Einbildung des Verrückten wird. Denn wenn er meint, die Deutung des Therapeuten, die dieser als „Wissen“ ausgibt, kritisieren zu müssen, so bestätigt er damit nur dessen Diagnose, immer noch zu spinnen. Der Widerstand gegen die Deutung ist Zeichen von Verrücktheit, weil nicht der Neurotiker, sondern das „verdrängte“ Unbewußte sich „so energisch gegen die Abstellung seiner Symptome und die Herstellung eines normalen Ablaufes in seinen seelischen Vorgängen wehrt“ (I, 291). Wenn er schweigt, so sträubt sich sein Unbewußtes, schmutzige Gedanken preiszugeben, wenn er verneint, so liegt sein Motiv ebenso klar auf der Hand: „Geht der Patient in die Falle und nennt das, woran er am wenigsten glauben kann, so hat er damit fast immer das Richtige zugestanden (!). Die Verneinung ist eine Art, das Verdrängte zur Kenntnis zu nehmen.“ (III, 373) – das sich genauso hinter der Bejahung verbirgt, mit der die Peinlichkeiten seines Unbewußten dem Therapeuten ein Schnippchen zu schlagen versuchen. Zur Brechung des Widerstandes gegen die Übernahme der Deutung wird nicht nur dieser psychologisch als „Funktion der Verdrängung“ gedeutet. Sondern der Psychoanalytiker macht sich die Gefühlsbindung seines Patienten zu Nutze, indem er auch an ihr sein vernichtendes Urteil über den Kranken, von seinen Trieben getrieben zu werden, wiederholt und sie als „Übertragung“ deutet. Gefühle kommen nicht etwa auf, weil der Neurotiker seinen Intellekt in der Weise des Überlassens gebraucht und sich vom Therapeuten, dem er sich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert hat, abhängig gemacht hat – er ihn liebt, weil er von ihm Hilfe erwartet, oder ihn haßt, weil er keine bekommt –, sondern weil er folgende psychoanalytische Grundweisheit noch nicht geschluckt hat: „Wir überwinden die Übertragung, indem wir dem Kranken nachweisen, daß seine Gefühle nicht aus der gegenwärtigen Situation stammen und nicht der Person des Arztes gelten, sondern daß sie wiederholen, was bei ihm bereits früher einmal vorgefallen ist.“ (I, 427) Egal, ob Liebe oder Haß: „Der Trotz bedeutet dieselbe Abhängigkeit wie Gehorsam.“ (I, 420); „Zur Entstehung feindlicher Gefühle gibt die Situation der Kur gewiß keinen zureichenden Anlaß“ (I, 426), sondern von sich abhängig zu sein, daß er mit seiner mangelnden Verständnisbereitschaft für die Deutung des Psychoanalytikers seinem Unbewußten die Macht verleiht, ihn mit der unbewältigten Vergangenheit zu drangsalieren. Im Interesse der „gemeinschaftlichen Arbeit“, „den Widerstand wegzuschaffen“ (I, 420), verfährt schließlich der Therapeut mit dem Patienten noch härter als Petruchio, der den Willen der widerspenstigen Katharina zähmte, indem er sie dahin brachte, sich seinem Willen zu fügen, die liebe Sonne für ein Nachtlicht anzusehen, worauf er ihr den Widerspruch ein für allemal so austrieb: Petruchio: „Ei, wie du lügst! ’S ist ja die liebe Sonne!“ Katharina: ,,Ja, lieber Gott! Es ist die liebe Sonne!“ Ein Verrückter muß dort etwas sehen lernen, wo es absolut nichts zu sehen gibt – und damit er sich den Grund für seine Verrücktheit einbilden kann, hilft der Therapeut seiner Phantasie auf die Sprünge: „Es ist kein Zweifel, daß die Intelligenz des Kranken es leichter hat, den Widerstand zu erkennen und die dem Verdrängten entsprechende Übersetzung zu finden, wenn wir ihr die dazu passenden Erwartungsvorstellungen gegeben haben. Wenn ich Ihnen sage: schauen Sie auf den Himmel, da ist ein Luftballon zu sehen, so werden Sie ihn auch viel leichter finden, als wenn ich Sie bloß auffordere hinaufzuschauen, ob Sie irgendetwas entdecken. Auch der Student, der die ersten Male ins Mikroskop guckt, wird vom Lehrer unterrichtet, was er sehen soll, sonst sieht er es überhaupt nicht, obwohl es da und sichtbar ist.“ (I, 421) Der „Kampf“ (I, 288), der sich in der Analyse auf so friedliche Weise zwischen Analytiker und Patient abspielt: „Worte rufen Affekte hervor und sind das allgemeine Mittel der Beeinflussung der Menschen untereinander.“ (I, 43), ist dann im Sinne des Erfinders entschieden, wenn sich der Patient dazu bereitfindet, sich an seinen Träumen und sonstigen unbewußten Phänomenen als sein eigener Psychoanalytiker zu betätigen und nach den Erwartungsvorstellungen des Therapeuten aus ihnen deren Sinn zu „erschließen“. Und weil im Dunkel der Seele allemal die Logik des Bösen herrscht, darf man eine bewußt gemachte Verdrängung auch nicht etwa ausleben, sondern muß sie verurteilen: „Die Analyse macht den Erfolg der Verdrängung nicht rückgängig; die Triebe, die damals unterdrückt wurden, bleiben die unterdrückten, aber sie erreicht diesen Erfolg auf anderem Wege, ersetzt den Prozeß der Verdrängung, der ein automatischer und exzessiver ist, durch maß- und zielvolle Bewältigung mit Hilfe der höchsten seelischen Instanzen, mit einem Worte: sie ersetzt die Verdrängung durch die Verurteilung.“ (IV, 120) Wenn ein Neurotiker sich mit dem „System des Unbewußten“ einen irrealen Grund für seine Verrücktheit einbilden muß, der nun als unbewußter für seine Verrücktheit zur Verantwortung gezogen werden darf, so hat mit der Bewußtmachung jede Verrücktheit zu unterbleiben, sie ist abzustellen und Normalität hat sich einzustellen. Weil in der Analyse der wirkliche Grund der psychischen Störung nicht beseitigt wurde, und ein Agoraphobiker nach wie vor Angst vor großen Plätzen hat, so besteht der Erfolg der Psychoanalyse darin, daß er sie nun aushält, indem er sich die Grundlosigkeit seiner Angst einredet; er verurteilt jetzt sein kindliches Gelüst, in die Mami (= abgeschlossener Raum) einzudringen, weshalb er sich auch nicht mehr mit dem Kastrationskomplex (= Vermeiden des Eindringens in abgeschlossene Räume) zu bestrafen braucht. Die gängige Vorstellung, daß ein Mensch, der die Analyse erfolgreich absolviert habe, nun wieder „funktioniere“: „Die Psychoanalyse hat das ihrige getan, wenn sie den Patienten möglichst gesund und leistungsfähig entläßt“ (I, 579), ist daher eine Verharmlosung der Leistung der Psychoanalyse. Der gestörte Wille besteht fort, indem er sich mit psychoanalytischen Deutungen im Zaum hält und so seine Tauglichkeit aufzwingt – weshalb es auch nur moralisch einsichtige Menschen zu dieser Funktionsweise bringen: „Man weise Patienten zurück, welche nicht einen gewissen Bildungsgrad und einen einigermaßen verläßlichen Charakter besitzen.“ (IX, 25) Nur wer die Willenstärke aufbringt, sich beständig als sein eigener Psychoanalytiker in die Mangel zu nehmen, kann als Wolfsmann tadelloses Benehmen bringen: „Seither hat der Patient, dem der Krieg Heimat, Vermögen und alle Familienbeziehungen geraubt hatte, sich normal gefühlt und tadellos benommen. Vielleicht hat gerade sein Elends durch die Befriedigung seines Schuldgefühls zur Befestigung seiner Herstellung beigetragen.“ (IV, 231)
Die Psychoanalyse trägt sich mit dem Gestus der Aufgeklärtheit vor, der nichts Menschliches fremd ist. Keine Leidenschaft ist ihr niedrig genug, um sie nicht mit ihrem Scharfsinn zu erhellen, der aus Assoziationen die Logik des Unbewußten bastelt. Deshalb muß sich auch jeder, der nicht in seinen Träumen bohren will, sagen lassen, ihm fehle die Selbstkritik, sich die Abhängigkeit von den tieferen Schichten seines Willens einzugestehen und beweise gerade durch seine Weigerung die Richtigkeit der Theorie der Verdrängung. So besiegte Freud, dem in einer klaren Minute nichts zu dem Unsinn, den er über Onkel Otto zusammengeträumt hatte, einfallen wollte, vorbildlich seinen Widerstand, indem er ihn – sich zur Ehrlichkeit mahnend und den Forderungen der Wissenschaft beugend – als „inneren“ analysierte: „Wenn einer deiner Patienten zur Traumdeutung nichts zu sagen wüßte als: Das ist ein Unsinn, so würdest du es ihm verweisen und vermuten, daß sich hinter dem Traum eine unangenehme Geschichte versteckt, welche zur Kenntnis zu nehmen er sich ersparen will. Verfahr mit dir ebenso; deine Meinung, der Traum sei ein Unsinn, bedeutet nur einen inneren Widerstand gegen die Traumdeutung.“ (VIII, 63) Wenn Freud über das Resultat seiner im Auftrag der Wissenschaft verbrochenen Deutereien das vernichtende Urteil fällt: „Der Verfasser der »Traumdeutung« hat es gewagt, gegen den Einspruch der gestrengen Wissenschaft Partei für die Alten und für den Aberglauben zu nehmen“ (VIII, 7f), so ist dies wörtlich zu nehmen. Wer meint, Freud habe sich ein paar Entgleisungen geleistet – als er bekannte, von Hebammen und sonstigen Laien seine Einfälle bezogen zu haben, und die Analyse dazu mißbrauchte, die „Deutung“ von Prophezeiungen und Telepathien zu „ermöglichen“ und andere „okkulte Tatbestände aufzudecken“ (I, 482) –, die im Widerspruch zu seinen restlichen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen stünden, täuscht sich über die Leistung der psychoanalytischen Betrachtung des Menschen.
Die psychoanalytische vereinheitlichte Weltanschauung Es macht also gar nichts, wenn an dem funktionierenden Teil der Menschheit nicht „ähnlich günstige Bedingungen für die Beobachtung (!)“ des Trieblebens vorhanden sind wie bei den Neurotikern: „Da das Studium des Trieblebens vom Bewußtsein her kaum übersteigbare Schwierigkeiten bietet, bleibt die psychische Erforschung der Seelenstörungen die Hauptquelle unserer Kenntnis.“ (III, 89) Man muß nur das an den Neurotikern herausgefundene Prinzip, daß sie von etwas anderem getrieben sein müssen, weil sie ja sonst normal wären, auf den Rest der Menschheit an wenden, so daß deren hintergründige Motive ebenso erfolgreich aufgespürt werden können. So wie vom Willen des Neurotikers abgesehen und seine Verrücktheit mit ihm unterschobenen, ihm unbewußten niederen Leidenschaften erklärt wird, kann man jeden „Charakter“ auf seine „Analerotik “ zurückführen und frei weg behaupten: „Ordnungsliebe, Geiz und Hartnäckigkeit seien als Produkt dauernder Reaktionsbüdungen gegen anale Lüste anzusehen, gegen die bei der Zurückhaltung oder Ausscheidung der Faeces, wie auch beim Spiel mit ihnen, gewinnbare Befriedigung.“ (VII, 176) Weil mit der Entdeckung analer und anderer Gelüste als dem „eigentlich realen Psychischen“ alle menschlichen Aktivitäten von diesen unterjocht werden – gerade dann, wenn sie überhaupt nichts mit ihnen zu tun zu haben scheinen, erweisen sie als „Sublimierungen“ mit der Verwandlung der „Triebenergie“ die Abhängigkeit von ihr –, so daß sie allesamt als aus dem Unbewußten gespeistes „Seelenleben“ anzusehen sind, hat Freud mit der Psychoanalyse eine Weltanschauung entwickelt: „Als eine Spezialwissenschaft – Tiefenpsychologie oder Psychologie des Unbewußten – ist sie ganz ungeeignet, eine eigene Weltanschauung zu bilden, sie muß die der Wissenschaft anmehmen.“ (I, 586) Deshalb braucht sich die „Einheitlichkeit“ seiner „Welterklärung“ (I, 586): „Die Psychoanalyse wird als Wissenschaft nicht durch den Stoff, den sie behandelt, sondern durch die Technik, mit der sie arbeitet, charakterisiert. Man kann sie auf Kulturgeschichte, Religionswissenschaft und Mythologie ebensowohl anwenden wie auf die Neurosenlehre, ohne ihrem Wesen Gewalt anzutun. Sie beabsichtigt und leistet nichts anderes als die Aufdeckung des Unbewußten im Seelenleben“ (I, 377), die mit dem Prinzip des Unbewußten keinen Gegenstand ungeschoren davon kommen läßt, auch nicht „die mangelnde Berücksichtigung der gesellschaftlichen Bedingungen“ vorwerfen zu lassen, die für Freud keineswegs tabu waren: „Ein drittes, höchst ernsthaftes Stück der menschlichen Geistestätigkeit, jenes, das die großen Institutionen der Religion, des Rechts, der Ethik und all die Formen der Staatlichkeit geschaffen hat, zielt im Grunde darauf ab, dem Einzelnen die Bewältigung seines Ödipuskomplexes zu ermöglichen und seine Libido aus ihren infantilen Bindungen in die endgültig erwünschten sozialen überzuleiten.“ (IX, 160) In seinem Eifer, die ganze Welt aus der schweinischen Beschaffenheit der Menschen zu deduzieren, tut Freud nicht nur den von ihm als gegensätzlich behaupteten Gegenständen die Gewalt an, sie aus der nämlichen Ursache zu begründen: „Triebregungen spielen eine ungemein große und bisher nie genug gewürdigte Rolle in der Verursachung der Nerven- und Geisteskrankheiten. Dieselben sexuellen Regungen sind auch mit nicht zu unterschätzenden Beiträgen an den höchsten kulturellen, künstlerischen und sozialen Schöpfungen des Menschengeistes beteiligt.“ (I, 48) Allen Phänomenen der „Steinzeitgesellschaft“ ebenso wie des bürgerlichen Lebens wird bestritten, etwas anderes darzustellen als die – verdrängte oder sublimierte – Verwandlung sexueller Regungen. So wird nichts als das erklärt, was es ist, sondern was mit ihm unterlassen wurde, so daß sich das Unbewußte als treibendes Motiv geltend macht – am Geld:,.Ebenso, daß eine der wichtigsten Äußerungen der umgebildeten Erotik aus dieser Quelle (= Analerotik) in der Behandlung des Geldes vorliegt, welcher wertvolle Stoff im Laufe des Lebens das psychische Interesse an sich gezogen hat, das ursprünglich dem Kot, dem Produkt der Analzone, gebührte.“ (IV, 188), – am Denken:„Die Fähigkeit, eine Aussage für wahr oder falsch zu erklären, läßt sich auf sehr primitive Regungen zurückführen. Man verspürt in sich einen Gedanken und fällt ein Urteil, das soviel bedeutet wie »es soll in mir oder außer mir sein«. Das Urteil »wahr« entspricht dem Verschlucken oder Behalten des Gedankens, das Urteil »falsch« dem Ausspucken oder Ausscheiden desselben.“ (VI, 166) – am Antisemitismus:„Der Kastrationskomplex ist die tiefste Wurzel des Antisemitismus, denn schon in der Kinderstube hört der Knabe, daß dem Juden etwas am Penis – er meint ein Stück des Penis – abgeschnitten wird, und dies gibt ihm das Recht, den Juden zu verachten.“ (IV, 36) – am Flechten und Weben: „Der Scham schreiben wir die ursprüngliche Absicht zu, den Defekt des Genitales zu entdecken. Man meint, daß die Frauen zu den Entdeckungen oder Erfindungen der Kulturgeschichte wenig Beiträge geleistet haben, aber vielleicht haben sie doch eine Technik erfunden, die des Flechtens und Webens. Wenn dem so ist, so wäre man versucht, das unbewußte Motiv dieser Leistung zu erraten. Die Natur selbst hätte das Vorbild für diese Nachahmung gegeben, indem sie mit der Geschlechtsreife die Genitalbehaarung wachsen ließ, die das Genitale verhüllt. Der Schritt, der noch zu tun war, bestand darin, die Fasern aneinander haften zu machen, die am Körper in der Haut staken und nur miteinander verfilzt waren. Wenn Sie diesen Einfluß des Penismangels auf die Gestaltung der Weiblichkeit als eine fixe Idee anrechnen, bin ich natürlich wehrlos.“ (I, 562 f)
Bleibt zum Schluß nur noch die Frage, warum Freud so darauf versessen ist, der ganzen Welt ihre Objektivität zu bestreiten und die von den Verrückten praktizierte Steilung zur Welt – „geheimnisvolle Einheit von Welt und Ich, das Geheimnis der Wirklichkeit also als eines Werkes der Seele“ (Th. Mann / VI, 134) – der ganzen Menschheit als „Einsicht“ zu verschreiben, an der sie ihr Handeln auszurichten hat. Offensichtlich hält er nicht den Schluß seiner Patienten für kritikabel, die von den Anforderungen des „Lebens“, das ihnen Verzicht und Gehorsam abverlangt, fertiggemacht wurden und sich dafür an der Wirklichkeit rächen, indem sie sie durch das alleinige Geltenlassen ihrer subjektiven Vorstellung – zumindest in der Vorstellung – um die Existenz bringen. Vielmehr stört ihn der Effekt solch verrückten Treibens, da sich die Subjekte so ihrem Auftrag zu funktionieren entziehen. Was Freud zu tun hatte, war daher eins: die Kritik der Verrückten mit dem Gebot der Tauglichkeit zu vereinbaren.
So propagiert er offensiv die Unzulänglichkeit der Welt und nimmt der Kritik der Unzufriedenen den Wind dadurch aus den Segeln, daß er sie gegen sie wendet: denn die Wirklichkeit ist nicht deshalb kritikabel, weil sie den Menschen, die – um zurandezukommen – sich beschränken und allerhand verkneifen müssen, allen Anlaß zur Unzufriedenheit bietet, sondern vom Standpunkt der Ideale aus betrachtet, die den Leuten Verzicht und Opfer für das Funktionieren des Ganzen abfordern, hat sich Unzufriedenheit über die mangelnde Verwirklichung derselben einzustellen. Bedauernswert ist daher der schlechte Stand der Ideale in dieser Welt, so daß sich die Kritik nicht gegen die im Namen der Ideale zugemuteten Opfer empört, sondern der Menschheit, die sich nichts verkneifen kann, ihr wenig würdevolles Verhalten vorhält und so mit ihrer eigenen Unzufriedenheit für die Schlechtigkeit der Welt zur Verantwortung zu ziehen. Als „rechtschaffener Naturforscher“ (I, 493) weiß Freud sein Urteil, daß alle Menschen „wertlos“ (VII, 14) sind, zu belegen: um das Höhere ist es schlecht bestellt, weil ihm das Tier im Menschen entgegensteht:. „Der Mensch ist ein Wesen von schwacher Intelligenz, das von seinen Triebwünschen beherrscht wird.“ (V, 128) „Die bisherige Entwicklung des Menschen scheint mir keiner anderen Erklärung zu bedürfen als die der Tiere.“ (III, 251) Wenn Freud mit der „inhärenten Unzulänglichkeit des Primärprozesses“ (VII, 58) den Menschen auf seinen Konstruktionsfehler aufmerksam macht, immerzu Energie ab führen zu müssen und so nach Lust statt nach dem Ernst des Lebens zu streben, so hat er damit nicht nur die Einheit von Welt und Ich bewerkstelligt, die alle objektiven Gründe für Unzufriedenheit verschwinden läßt, „das »Zustoßen« als ein »Machen« entlarvt“ (VI, 141). Zugleich beugt er der Konsequenz der Verrückten vor, die ihre subjektive Vorstellung von der Wirklichkeit gegen sie halten und sich so vor dem Getriebe der bürgerlichen Welt abschirmen: er liefert den Individuen eine subjektive Erklärung ihres Scheiterns und ihrer Unzufriedenheit, die auf den Zweck ihrer Funktionstüchtigkeit bezogen ist, indem sie die objektiven Ansprüche an die Individuen anerkennt und gegen sie als dessen subjektive Unzulänglichkeit geltend macht. Es besteht also kein Grund zum Verzweifeln, denn wenn sich auch an der Objektivität nichts drehen läßt, so hat man doch an der eigenen Subjektivität, die der Zufriedenheit im Wege steht, ein reiches Betätigungsfeld. Nach der Devise: „Bescheidenheit – vergessen wir nicht, daß sie von Bescheidwissen kommt, daß ursprünglich das Wort diesen Sinn führte und erst über ihn den zweiten von modestia, moderatio angenommen hat“ (VI, 150f), stellt Freud eine Erklärung bereit, mit der die Menschen die Schwierigkeiten, die ihnen das Funktionieren in der bürgerlichen Gesellschaft bereitet, als Schwierigkeiten, die sie sich selbst bereiten, behaupten lernen. Da es nicht darum geht, die Gründe dafür herauszufinden, warum es den Menschen dreckig geht – die Grenzen, die ihnen in der bürgerlichen Gesellschaft gesetzt sind, sind ebensowenig Gegenstand der Kritik wie der Umstand, daß sie sie sich gefallen lassen –, sondern darum imaginäre Gründe anzubieten, mit denen sich die Menschen für die Unzufriedenheit selber zur Verantwortung ziehen, wird von allem, was die Menschen tun und lassen, abstrahiert und das Getriebensein des Menschen durch ihre Triebe erfunden, wodurch allen menschlichen Tätigkeiten die Selbständigkeit bestritten ist. Egal, was die Menschen anstellen, ob sie Klavierspielen oder Autofahren oder Revolution machen – es sind nicht verschiedene Tätigkeiten, die die Individuen verfolgen, weil sie sich einen bestimmten Zweck gesetzt haben –, sondern sie dokumentieren alle dasselbe: jedesmals stellen die Triebe etwas mit den Menschen an, die gar nicht Herr ihrer selbst sind. Wenn also die Menschen mit Schwierigkeiten nicht zurandekommen, so liegt es einzig und allein an der Schwierigkeit, die sich in ihnen abspielt, weil sie davon keine Kenntnis haben: in ihrem Inneren liegen die Instanzen miteinander im Kampf, mit denen der Anspruch der bürgerlichen Gesellschaft an die Individuen frech als deren Natur ausgegeben wird. Wenn Freud. ,,die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit“ (I, 496) vomimmt, so macht das Funktionieren die Persönlichkeit aus, wobei die Zerlegung den Nachweis bezweckt, daß die drei Funktionen, in die die Person „aufzuspalten“ ist, ihr das Funktionieren schwer machen. Weil nicht das Ich Subjekt seiner verschiedenen Tätigkeiten ist, sondern sein Wollen die Resultate des Kampfes darstellt, die drei mehr oder minder energiestarke Subjekte in ihm ausfechten – denn die Instanzen werden von Freud ausdrücklich als Handelnde eingeführt: „Ein Sprichwort warnt davor, gleichzeitig zwei Herren zu dienen. Das arme Ich hat es noch schwerer, es dient drei gestrengen Herren, ist bemüht, deren Ansprüche und Forderungen in Einklang zu bringen. Diese Ansprüche gehen immer auseinander, scheinen oft unvereinbar zu sein; kein Wunder, wenn das Ich so oft an seiner Aufgabe scheitert. Die drei Zwingherren sind die Außenwelt, das Über-Ich und das ES. ... So vom ES getrieben, vom Über-Ich eingeengt, von der Realität zurückgestoßen, ringt das Ich um die Bewältigung seiner ökonomischen Aufgabe, die Harmonie unter den Kräften und Einflüssen herzustellen, die in ihm und auf es wirken, und wir verstehen, warum wir so oft den Ausruf nicht unterdrücken können: Das Leben ist nicht leicht! Wenn das Ich seine Schwäche einbekennen muß, bricht es in Angst aus, Realangst vor der Außenwelt, Gewissensangst vor dem Über-Ich, neurotische Angst vor der Stärke der Leidenschaften im ES.“ (I, 514 f) –, sind die drei Instanzen auch nicht mit jenen Begriffen zu verwechseln, aus deren Existenz er die Plausibilität seines Konstrukts bezieht. Das Über-Ich ist alles andere als das Gewissen, da die moralische Beurteilung der Welt eine Leistung des wachen falschen Bewußtseins ist, mit der das Individuum die von ihm geforderte Beschränkung sich als seinen Vorteil zurechtlegt, um durch diesen Trost seinem Willen die eigene Einengung zu befehlen –
Weil die bürgerliche Gesellschaft von ihren Mitgliedern Verzicht verlangt, entschädigen sich diese mit Wünschen und Vorstellungen. Doch wenn auch mal der Wunsch aufkommt, den tyrannischen Vater um die Ecke zu bringen, so gehört schon eine ganze Portion Unverschämtheit dazu, dem unterdrückten Sohn diesen Wunsch als dessen Gelüst, als ursprüngliche Neigung und ihm von Natur zukommenden Trieb anzuhängen. Wenn so mit ES der Hauptschuldige dingfest gemacht wäre, der verderblich auf die anderen das Individuum lenkenden Kräfte einwirkt, so ist es nicht etwa ein Gebot der bürgerlichen Gesellschaft, sondern der Kultur, neben dem Über-Ich die Person mit einer weiteren Instanz auszurüsten, die die vorgebliche Naturinstanz in Schach hält. Das Ich, von Freud großspurig als das vorgestellt, „was man Vernunft und Besonnenheit nennen kann“ (III, 293 f), hat allerdings mit dem, was es „repräsentiert“, wenig Ähnlichkeiten auf zu weisen. Denn während Vernunft und Besonnenheit Tätigkeiten des selbstbewußten Individuums sind, mit denen es sich dirigiert, „sitzt das Ich dem ES, unerkannt und unbewußt, oberflächlich auf“ (III, 292) und hat so die schwierige Aufgabe, Kräfte, die von ihm nichts wissen wollen und von denen es nichts weiß, zu bekämpfen. Das Ich ist eine abhängige Größe, das selbst über keine Energie verfügt, sondern sich aus dem Reservoir des ihm feindlich gesonnenen ES speist, so daß das Scheitern dieser Instanz vorprogrammiert ist. Mit den drei Instanzen hat Freud nicht nur demonstriert, warum die Menschen „schwer zusammenhalten und darum kaum zu regieren sind“ (I, 598), sondern auch den Weg gewiesen, wie diese Funktionsbündel zum Funktionieren gebracht werden können: „Die Vernunft gehört zu den Mächten, von denen man am ehesten einen einigenden Einfluß auf den Menschen erwarten darf.“ (I, 598) Die Vernunft übt dann einen mächtig einigenden Einfluß aus, wenn sie sich als Instanz begreift und die dem „Ich“innewohnende Fähigkeit . zur Selbstbeherrschung in der Erkenntnis äußert, warum ihm die so schwerfällt. Nicht etwa, weil das Individuum mit der Selbstbeherrschung – als Konsequenz der Beherrschung – gegen seine eigenen Bedürfnisse vorgeht, sondern weil die beiden anderen menschlichen Instanzen dem Ich seine Aufgabe so schwer machen. Mit der Verwandlung der Gemeinheiten, die in der bürgerlichen Gesellschaft das Individuum mit der Selbstbeherrschung sich selbst abverlangt, in Schwierigkeiten, die ihm seine ,,Zwingherren“ bereiten, ist ein Mensch hübsch bescheiden geworden und legt es nicht mehr der Welt zur Last, wenn er nicht in ihr zurechtkommt. Stattdessen bemüht er sich, mit sich klarzukommen, sachgerecht mit seinen Störfunktionen umzugehen, indem er sich diese Undinger bewußt macht, wodurch sie bekanntlich ihre Macht über ihn verlieren – so daß für einen, der Bescheid weiß, aller Grund zur Klage entfällt. Und da das Funktionierenmüssen gerade dazu immer erneuten Anlaß liefert, hält man es aus, wenn man sich mit der ewigen Suche nach unbewußten Trieben die eigene Natur – die stets das Wohlbefinden in der Bescheidenheit stört, weil dieser Zustand nicht umsonst, sondern nur unter Aufbietung aller Willenskräfte zu haben ist – als Grund der Unzufriedenheit einredet. Wer auf diese Weise immerzu beschäftigt ist, sich selbst zu negieren, weiß nicht nur, daß er an das Leben keine Ansprüche stellen darf, solange er die Ansprüche, die er an sich selbst stellt, nicht verwirklichen kann, sondern hat seine Wünsche schon längst heruntergeschraubt, weil er nun mal ein Mensch ist: „Die Absicht, daß der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten. Was man im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der eher plötzlichen Befriedigung hoch aufgestauter Bedürfnisse und ist seiner Natur nach nur als episodisches Phänomen möglich. Jede Fortdauer einer vom Lustprinzip ersehnten Situation ergibt nur ein Gefühl von lauem Behagen. Wir sind so eingerichtet (!), daß wir nur den Kontrast intensiv genießen können, den Zustand nur sehr wenig. Damit sind unsere Glücksmöglichkeiten schon durch unsere Konstitution beschränkt.“ So besehen hat man Gott nicht nur für die Einrichtung der Arbeit zu danken, die dem lauen Behagen, das der Urlaub als Zustand an sich hat, ein durch den Kontrast lustvolles Ende bereitet, sondern macht auch die Arbeit als Zustand beinah Spaß, weil sie nur wenig Zeit für anderes läßt und so Gelegenheit bietet, Bedürfnisse hoch aufzustauen, so daß die Plötzlichkeit der Abreaktion zweifellos glücklich zu nennen ist. So besehen ist daher die Kultur eine gottvolle Angelegenheit, die den Menschen vor seiner Natur in Schutz nimmt: „Es ist ja die Hauptaufgabe der Kultur, ihr eigentlicher Daseinsgrund, uns gegen die Natur zu verteidigen“ (V, 95) – und ihn für das ihm eh nicht vergönnte Glück entschädigt, indem sie ihm „Triebopfer“ auferlegt, die „Leid ausschalten“ (VII, 197), das er sich und anderen mit dem Austoben seines hemmungslos auf Bedürfnisbefriedigung versessenen ES zufügen würde. Das einzige, was dem Individuum – wegen der „Schwierigkeiten, welche die Unbändigkeit der menschlichen Natur jeder Art von sozialer Gemeinschaft bereitet“ (VII, 198) – zu wünschen übrig bleibt, ist ein Heilmittel zur „Regulierung der individuellen Aggression“ (VII, 204), mit der er immer wieder die Kultur versaut, der er doch so viele schöne Triebopfer gebracht hat. Doch solange der chemische Stoff noch nicht gefunden ist, der „die Diktatur der Vernunft im menschlichen Seelenleben“ (I, 598) installiert, wodurch der Seelenhaushalt von vornherein so eingerichtet ist, daß die Instanz der Selbstbeherrschung in jedem Fall die Oberhand behält, muß man selber dafür sorgen, daß einem „das psychologische Ideal“ (V, 127) in Fleisch und Blut übergeht.
aus: MSZ 28 – April 1979 |