4. Sommeruniversität der Frauen in Berlin und »Homolulu« in Frankfurt

Ganz Frau/schwul und deshalb frei zu sein


Frauen-Sommeruni – Autonomie und Institution

Mit der Sommeruniversität hat sich die Frauenbewegung eine autonome Institution geschaffen, in der sie, einfach indem frau hier unter sich ist, »Frauenmacht« genießen kann. Männer, wo sie überhaupt auftauchen, haben mit umgehängten Schildern („Ich bin ein Hausmeister“) kenntlich zu machen, daß sie hier nicht als Mann, sondern nur in technisch unumgänglicher Funktion etwas zu suchen haben. Eigentlich müßten sie alle zur Kennzeichnung ihrer wahren Rolle auf diesem Fest die Parole „Wir Männer sind Schweine“ – so ein Titel aus der Münchner Zeitschrift „Der Feminist“ – auf ihrem Bauch herumtragen. Doch frau läßt Tafelputzen vor Schwanz ergehen.


Frauen als frau unter sich

Die Autonomie der Veranstaltung ist aber auch gegenüber einigen Geschlechtsgenossinnen erst durchzusetzen, wie das lesbische Vorbereitungskomitee im Vorwort des Vorlesungsverzeichnisses kundtut:

„Jede Frau (ist) willkommen, woher sie auch immer kommen mag, ausgenommen die, die uns unter dem Mantel des Engagements an (!) Frauen, eine Ideologie verkaufen wollen, die die Unterdrückung der Frauen auf den zweiten oder nachrangigen Platz verweist oder unter soziale Probleme subsumiert.“

Ganz klar, ein heimlicher Patriarch ist, wer die Frauenunterdrückung nicht nachhaltig würdigt! Der Siegeslorbeer unter den Unterdrückten gehört der Frau (ob Kindermädchen, Fließbandarbeiterin, Hausfrau oder Professorin), und den Stolz auf die erwiesene Andersartigkeit läßt frau sich von niemandem madig machen. Mit bewußtem Absehen von allen Gründen ihrer gesellschaftlichen Stellung, damit auch von den gewissen Unterschieden in den eigenen Geschlechtsreihen, dreht sie die gesellschaftlichen Vorurteile, die sie selber übernommen hat, einfach um – aus »schwach« wird »stark«, aus »Unterdrückung« »Macht«, aus »fehlendem Schwanz« »vorhandenes Loch« usw. usw. Sonstiges außer der schlichten Negation der gängigen Einbildung von »dem Gegensatz der Geschlechter«, also außer ihrem eigenen Ideal von sich mag frau ohnehin nicht wahrnehmen und bedenken. Diese Abstraktion an die Welt anzulegen und an sich selbst auch gewaltsam durchzusetzen, hat sie ja genug zu tun, weil sie nicht nur Frau, sondern auch noch frau sein will. Denn: Frau sein heißt alternativ sein, ist das Motto des Frauen- und Lesbentreffs – und der Genuß weiblicher Selbstbespiegelung läßt von der Stadtrundfahrt bis zur Musik keine Gelegenheit zur Betätigung dieses Frauenstandpunkts aus. Dessen Eigenart, so einfach und absolut, also universell anwendbar, wie leer zu sein, eröffnet den Akademikerinnen und Künstlerinnen die Chance, ihren Beitrag zur Frauenbewegung zu leisten – einfach dadurch, sich als und überhaupt die Frau zum Gegenstand ihres Spezialgebiets zu machen.


Frau und

heißt diese erste Abteilung der Sommeruni,

– die lässig den Verkehr als einen einzigen Anschlag auf die Frauenautonomie entlarvt: „Welche Rolle weist uns das von Männern gemachte Verkehrssystem zu?“

– die die Architektur zum „versteinerten Ausdruck ... der patriarchalen Macht“ erklärt – dies übrigens ganz ohne Hintergedanken der dies Thema beackernden Architektinnen: „Warum beauftragen Frauen, wenn sie Geld haben, besonders in den sogenannten Männerberufen, nicht gezielt Frauen?“ Warum nicht endlich weibliche Formen!

– die mit Gedanken wie

„Ist jeder Ton, den Frauen produzieren, gleich Frauenmusik und deshalb gut, oder sollen wir nach Perfektion streben?“

spielen, um – logisch – immer zu dem Ergebnis zu kommen, daß die Welt

1. Weil von Männern gemanagt, gegen die Frauen ist, welcher Nachweis
2. dem weiblichen Gerechtigkeitsgefühl immer neuen Stoff zur Aufregung darüber gibt, daß die Frauen in den vielen schönen Dingen auf dieser Welt wie Kirche, Schule, Justiz, Kultur und Militär viel zu wenig vorkommen, welche
3. als Frauenveranstaltungen durchgeführt, das Stärkste überhaupt wären.

„Lebensmittelvergiftung – unsere Alternativen“ (Arsen im Tee?) macht eine Ch. Haße zum Thema, ein Kollektiv von Pfarrerinnen bosselt an einer „feministischen Theologie“ rum (Gottmutter, Gotttochter und heilige Geistin; Maria – ein Leben ohne Mann!) und die Lesben entdecken die Schönheit des Berliner Stadtteils Schöneberg auf ihrer Stadtrundfahrt darin, daß

„Schöneberg (z. B.) ein wahres Lesben-Frauennest war (und ja zum Teil auch noch ist).“

Erbauliches zum Thema Frau und Welt liefert die Vorgeschichte des Patriarchats, wo frau noch Frau sein konnte: Vor der „patriarchalen weltlichen Gerechtigkeit (Orestgericht) „bildeten die Erynnien (nicht umsonst auch Furien genannt) „das matriarchale Blutgericht“, welches die Frau entzückt, zeigt es doch, daß selbst die männerbeherrschte Justiz einst und ureigentlich Frauensache war und noch ganz ursprünglich blutig.

Dasselbe Ergebnis aus der Humanbiologie: Wußten Sie noch nicht, daß der spätere Mann die ersten beiden Monate seines Embryonalstadiums ein Mädchen ist – und sich erst dann (in mißverstandenem Autonomiestreben) von seinem Ursprung trennt, eindeutig also etwas Sekundäres ist? Eine Tatsache, welche die Rettung des Odysseus vor den Sirenen illustriert: nur durch einen miesen Trick (Ohren verstopfen), der seine patriarchale Rationalität entlarvt, konnte er sich aus seiner Verfallenheit lösen.

Natur und Mythologie, Kunst, Religion, Militär (Pallas Athene!!) und Wissenschaft (erst Piaton, dieser Wüstling, soll mit seiner infamen Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit in der Wissenschaft der weiblichen Wissenschaft ein Ende gemacht haben – jedoch: warum sich sowas gefallen lassen?) – der feministische Spürsinn entlarvt noch jede Stütze patriarchaler Macht als pervertiertes Produkt echter Weiblichkeit.


Die Frau als frau I

Die eigene Verdopplung in ein Wesen, das sich mit der Welt gemäß seinen Absichten und Bedürfnissen rumschlägt, und ein eigentliches Wesen, das alles das nur aus dem Bedürfnis macht, es als Frau zu tun (und deswegen auch trotz Bedürfnis alles Mögliche nicht machen darf, sondern es vom Standpunkt seines selbsternannten Wesens zu reglementieren hat), treibt also muntere und brutale Blüten. Eine Selbstvergewaltigung jagt die andere, wie es sich gehört, wenn man an sich selbst den psychologischen Maßstab rein anlegt, daß man neben dem und gegen das, was man ist, noch sein Ich zu suchen, zu finden und zu leben hat. Da plagt man sich ohne Männer um die „Konkretisierung unserer Identität – Wie sehen wir uns als Frauen?“, mit dem Ergebnis, daß Frau natürlich ganz das Gegenteil von Mann ist und sich deshalb auch so aufzuführen hat, als sei sie es. Was das im Einzelnen heißt, darüber läßt sich allerdings streiten. Frau spaltet sich daher in viele frauen, die ihre Vorstellungen über sich (als Frau) und sich (als frau) »einbringen«.

Ob man sich

„zu den Werten (bekennt), die als die Stärken weiblicher Schwäche bezeichnet werden: Kreativität, Spontaneität, Emotionalität und menschliches Miteinander-Umgehen“;

ob man diese Ideale häuslichen Dienstes am Ehemann als ein den Frauen von „patriarchalen Mythenfabrikanten“ aufgeschwätztes Frauenbild ablehnt;

ob man beobachtet, wie zwei Frauen auf einem

„phantastischen Ritt durch die Geschichte des Bildes der Weiblichkeit in uns“ aus sich „herspiegeln, wie wir – von solchen Bildern bewegt – diese und uns in Bewegung setzen“;

oder ob Frau Helga Götze durch spontanen Striptease und lautes Gekreisch als Action-Künstlerin ihre Weiblichkeit aus sich herauszulassen versteht –

immer ist man zufrieden, weil man als Frauen sein frausein präsentiert. Und das ist auch schon die halbe Miete fürs frausein.


Die Frau als frau II oder Darf frau Frau sein?

Deswegen ist man auch in Fragen praktischen frauseins nicht dogmatisch, denn der Glaube allein macht selig und wie er zu leben sei, darf die Gemeinde sich in gläubiger Eintracht streiten. Nach der stoßseufzenden Bitte:

„Bloß keine Parolen“,

die den rein fraulichen Umgang mit den Erwägungen von Kirchen- und anderen Politikern zum § 218 einleitet, heißt es in fraulicher Übersetzung des aktuellen Moralstandes:

„Die Frauen der ersten § 218-Kampagne konnten noch ungebrochen für das Recht auf Abtreibung kämpfen. Heute stellen sich uns die Fragen anders. Was ist das für eine Sexualität, die uns zu ungewollten Schwangerschaften führt?...Zugleich die Frage nach dem Verhältnis zu der Widersprüchlichkeit unserer Wünsche, zu unserem Körper, unserer Erotik... Suchen wir nach Lösungen, wie wir unsere Erfahrungen in Stärke für uns umsetzen können und nicht in die Schwäche einer Abtreibung.“

Mutterfreuden (die »eigene Leibesfrucht« möglichst ♀) sind also wieder gefragt, allerdings wie alle bornierten Frauenwünsche nur, wenn man sie um des frauseins willen erfüllt. Denn

„Ich lasse schon lange keinen Schwanz mehr in mein Innerstes“,

ist immer noch der zu lebende weltanschauliche Ausgangspunkt. Mann ist von daher nur dann und soweit gefragt, wie er unumgänglich ist, damit frau auch in der Mutterschaft frausein leben darf. Ansonsten hat man sein Programm gegen sich und seinesgleichen zu lieben und zu leben:

„Die Liebe, das lesbisch-Sein ist im wesentlichen Politik und revolutionär.“


Mann und Frau

Dagegen ist es ganz unwesentlich, daß man in dieser verrückten Welt dann, ganz wie ansonsten Frau mit Mann, sein Liebesleben danach abklappern kann, was es, außer daß man es dabei nicht gerade einfach hat, noch für die Zufriedenheit mit sich selbst bringt. Wie jeder Mensch, der beschlossen hat, daß alles übel der Welt daran liegt, daß er nicht mit sich zurechtkommt, klagt auch frau, daß „wir Lesben an unserer Leidenschaft leiden“:

„Alle Lesben machen früher oder später einmal die Erfahrung, daß sie sich besonders stark und kompromißlos auf eine Frau einlassen, die ihrerseits eine intensive Beziehung flieht, sie noch nicht leben kann oder will. Durch eine solche Leidenschaft setzen sich Lesben zum Teil katastrophalen emotionellen Verletzungen aus, die zu selbstzerstörerischen Identitätskrisen führen und für spätere Beziehungen nicht ohne Folgen bleiben.“

Das Besondere an frau ist eben nur, daß sie sich vorgenommen hat, die Verwandlung aller Schwierigkeiten mit der Welt in solche mit sich gegen die ganze Welt und damit auch gegen sich zu wenden und sich dabei die gesellschaftlichen Ideale von Frau zum Ausgangspunkt ihrer Weltanschauung zu nehmen. Insofern ist sie eigentlich gar nicht so verschieden von den Männern, die lebenslang um ihre »Identität« ringen, was frau dennoch nicht davon abbringt, ihren Beitrag an der Front psychologischer Spinnerei auch gegen diese Seelenverwandten zu verteidigen. Die haben Verständnis dafür. Schließlich hat ihre weltanschauliche Außenabteilung zur gleichen Zeit auf der „zärtlichen, warmen Insel Homolulu“, sprich in Frankfurt, ihren eigenen Kongreß abgehalten: „Schwule Geschichte“, „Schwule Kunst“, „Schwule und das Alter“, usw. usw. Das man/frau gemeinsame, getrennt gelebte Ideal bringt es auf den Begriff:

„We are a family!“

 

aus: MSZ 31 – Oktober 1979

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