Entführungen: Staat, Geld oder auch Leben
Bei der Entführung des Oberhaupts der Unterwäschefamilie Palmers, die jüngst unseren kleinen südöstlichen Nachbarn getroffen hat, war Bundeskanzler Kreisky mit dem Verhalten der Erpreßten wenig zufrieden. Um das Leben ihres alternden Familienmitglieds nicht zu gefährden, hatten sie kurzerhand die Polizei durch einen Trick ausgeschaltet und so eine Abwägung des Staates, ob dem Schutz der Geisel oder der Erfassung der Gangster der Vorrang zu geben sei, ohne weitere Umstände für sich entschieden. Wenn Kreisky für das Vorgehen des Familienclans auch Verständnis aufbrachte und sich später daran erinnerte, „Palmers seit vielen Jahren als einen der angesehensten und seriösesten Kaufleute Österreichs zu kennen“ – wozu dessen im Laufe der Zeit erworbenes Vermögen in nicht unerheblichem Maße beigetragen haben mag – , so war seiner Meinung nach das Abhängen der observierenden Beamten bei der Lösegeldübergabe „gesetzlich nicht gedeckt“, „Es geht nicht an, daß gesetzliche Bestimmungen nicht beachtet werden, weil jemand viel Geld hinlegt.“ (Kreisky) Nach erfolgreich durchgeführter Lösegeldübergabe sucht die geldige Familie ihrerseits den Unmut des sozialistischen Kanzlers zu besänftigen und mit dem spärlichen Erinnerungen des gekidnappten alten Herrn ihre Kooperationsbereitschaft unter Beweis zu stellen. Ihr Rechtsanwalt verkündet dazu selbstbewußt: „Die Behörde ist nur über die Übergabemodalitäten des Lösegeldes nicht informiert worden, denn man kann der Familie nicht zumuten, zur höheren Ehre der Polizei die Geisel zum Tode zu verurteilen.“ Wenn Kreisky auch nicht behaupten will, daß die Polizei bei dieser Lösegeldübergabe habe zugreifen wollen und deshalb hätte informiert werden müssen, so hat er immerhin etwas dagegen, daß die Familie sich nicht vertrauensvoll den Entscheidungen der Polizei überlassen hat. Dazu ist ihm eingefallen, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in Zukunft nötigenfalls gesetzlich zu erzwingen, falls der erpreßten Familie keine gesetzwidrige Handlung nachzuweisen ist – und bis jetzt ist sie durch den Notstand, in dem sie sich befand, gesetzlich gedeckt. Kreiskys geäußerter Unmut macht klar, welche Entscheidung, der sich die Palmers entzogen haben, jedesmal ansteht, wenn der Staat Geiselgangster fassen will und daß der Staat sich aus dieser Entscheidung nicht drängen läßt. Er selbst will sich die Überlegung vorbehalten, von der Verfolgung des Verbrechens und der Wiederherstellung des Rechts abzusehen, um das Leben der Geisel zu retten. Der österreichische Bundeskanzler sieht sich dabei genötigt, gegen eine bedenkliche Auffassung von Recht gerade bei Leuten mit Geld zu Felde zu ziehen, in der Polizei nur den Freund und Helfer zu sehen und ihre Arbeit nur danach zu beurteilen, was sie einem selbst einbringt. In einer strafbaren Tat ist eben nicht nur der einzelne angegriffen, sondern die Rechtsordnung ist bedroht. Und gerade einem Menschen mit Eigentum sollte bewußt sein, was er dem allgemeinen Sicherheitszustand verdankt. Wem der Staat im einzelnen Fall dabei was zuzumuten gedenkt und wann die Polizei glaubt, es mit den Entführern aufnehmen zu können, wird dann zwar nicht Ehre genannt werden, sich aber immerhin auf die objektiven Zahlen der Polizeistatistik gründen, an denen man die Sicherheit eines Landes ablesen kann und ob sich Verbrechen lohnt oder nicht. Daß sich Kreisky jedoch nach seinem Unmutsanfall mit der Erklärung des Familienanwalts zufrieden gibt, zeigt umgekehrt, daß er als Staat nicht ohne Weiteres gegen den Willen seiner Bürger vorgehen will, denn schließlich handelt es sich hier nicht nur um Bürger, die an ihren Verwandten hängen, sondern um solche, die für ihr Leben auch einiges anzulegen in der Lage sind. Kreisky war verärgert, weil die Familie meinte, ihren Senior gegen des Staat freikaufen zu müssen, und diesen damit um die Demonstration dessen brachte, daß er allein es ist, der für den Schutz seiner Bürger sorgt.
Momentan verzichtet bei uns die Polizei meist auf die sofortige Durchsetzung des Rechts gegen die Entführer, um das Leben der Geisel zu schonen. Sie trifft ihre Abwägung zugunsten des Schutz des Lebens, denn die Demonstration, daß dem Staat der Schutz des Lebens die zeitweilige Aussetzung der Fahndung wert ist, wiegt wieder einiges auf. Er legt selbst schon einmal, wenn sich die Forderungen in Grenzen halten, ein paar Tausender auf den Tisch – „Das Leben eines Menschen muß uns 200.000 Mark wert sein“ (NRW Ministerpräsident Kühn) – oder stockt eine Lösegeldsumme auf. Den Bürger macht er so praktischerweise zu seinem Schuldner, dem er für den Vorschuß, den er ihm gewährt hat, auch einmal etwas abverlangen kann. Daß es nicht seine ständige Praxis sein kann, für seine Bürger zu zahlen, sieht man schon daran, daß er keinen extra Budgetposten für Entführungen eingerichtet hat. Er leistet sich diese Milde, solange er glaubhaft nachweisen kann, daß diese Art von Verbrechen eine Ausnahme darstellt, und so sie zur „Gewohnheit“ werden, kann er sieh auf das Anwachsen der Kritik verlassen, die ihn auffordert, sein lasches Vorgehen, das nur allzuoft von späteren Fahndungsmißerfolgen begleitet ist, aufzugeben. So hat der Staat selbst erst einmal alle Begünstigungen des Verbrechens abzubauen, die den geschädigten wie in Österreich z.B. erlauben, die gezahlte Summe von der Steuer abzusetzen, so daß diese ja geradezu auf die Idee kommen müssen, ihren Handel ohne den Staat abzuwickeln, da sie der Schaden nur zur Hälfte trifft; wenn sie nicht auf schlimmere Gedanken gebracht werden. Weiter soll er sich überlegen, ob nicht das rücksichtslose Vorgehen gegen die Täter diesen klarmacht, daß räuberischen Erpressungen keine Chance gelassen wird. Und um Geiselnehmern von vorneherein zu verdeutlichen, daß es für sie nichts zu holen gibt, soll er einfach die Zahlung von Lösegeld unter Strafe stellen, womit er sich die Möglichkeit eröffnet auch gegen die Verwandten vorzugehen, die bereit sind, für ein Leben zu zahlen. „Höhere Strafen helfen nicht ... Will die Gesellschaft die mit Sicherheit zu erwartenden Taten nicht hinnehmen, so bleibt ihr nur ein Mittel: die Entführung unrentabel zu machen, die Zahlung von Lösegeld zu verbieten. Wenn schon die liberalen Fanatiker des Grundrechts auf Leben, Freiheit und Eigentum solchen Sprüche machen, dann kann der Staat dem Willen seiner Bürger gesetzlichen Lauf lassen.
aus: MSZ 20 – Dezember 1977 |