Neues von der Energiekrise Das Geschäft läuft wie geölt
Man sollte also BP, ARAL, ESSO, SHELL usw. richtig dankbar sein, daß sie rechtzeitig die Preise erhöht haben, um eine „drohende zusätzliche Knappheit abzuwenden“ (FAZ). Denn daß aktuell keine Knappheit besteht, vielmehr im Gegenteil ausgerechnet in den USA die ,,Raffinerien unterbeschäftigt sind“ (Spiegel) wird von niemandem bestritten. Was passiert sein soll „so heißt es im Gewerbe kühl, bedeute noch nicht einmal echte Knappheit, es ist nur ein absence of surplus, ein Fehlen des Überschusses. Schon das aber ist fatal genug.“ (Spiegel) Fragt sich nur für wen? Zunächst einmal und ganz banal für die sogenannten Freien Tankstellen, die die absence of surplus zügig trockenlegt. Jene Fördermengen, die außerhalb der Verträge zwischen Multis und Förderländern als Spot-Mengen in Rotterdam angelandet wurden, sind weitgehend entfallen. Nicht, weil aus Arabien und Südamerika weniger Öl angeliefert würde, sondern weil der letzte Tropfen von den „Sieben Schwestern“ unter Vertrag genommen worden ist. Großzügig springen hier die Multis ein: „Außerdem fallen die Importe durch die freien Tankstellenhändler in größerem Umfange aus und müßten durch die Markengesellschaften ersetzt werden, was die Nachfrage an den Markentankstellen zusätzlich anheizen werde.“ (Esso-Chef Oehme in der SZ vom 12.6.79) Das erste Geschäft der Islamischen Republik Iran machten Khomeinis Ölmanager mit BP: 22,4 Millionen Tonnen Rohöl im Jahr zu einem Preis, der erheblich über dem alten Satz liegt, den dieser Konzern für die Kontingente aus seinen alten – bislang nicht aufgekündigten – Abmachungen mit der iranischen Ölgesellschaft bezieht. Da der Iran bislang nur gut die Hälfte der Fördermenge aus der Zeit des Schahregimes in die Tanker pumpt und sich bei der Erfüllung alter Verpflichtungen Zeit läßt, hat sich der erhöhte Preis für BP längst bezahlt gemacht. Und für den Fall einer Produktionssteigerung der Perser wird es keine Spot-Mengen aus dem Persischen Golf mehr geben, weil auch das noch nicht geförderte Öl längst verkauft ist. Von denen, die es am meisten, materiell und zahlenmäßig trifft, die berühmten ,,kleinen Leute“, die auf den Wagen angewiesen sind, um zur Arbeit zu fahren und die Öl brauchen – koste es, was es wolle – wenn sie im Winter nicht frieren wollen, spricht kaum jemand. Ihnen wird der Trost zuteil, daß die höheren Preise dafür sorgen werden, daß es weiterhin genügend Öl gibt, damit sie überhaupt noch an ihren Arbeitsplatz fahren können, es ihn also noch gibt. Denn – so lautet das bekannte Argument: Wenn zuwenig Öl da ist, dann hat die Industrie keine Energie, dann muß die Produktion gedrosselt werden, und wenn dies passiert, dann werden viele Arbeitnehmer auf die Straße gesetzt.
Alle „wenns“ und „danns“ in dieser Agitation für vernünftigen Energieverbrauch durch hohe Preise sind natürlich Lügen, die aber deswegen auf langen Beinen vorwärtskommen, weil es einerseits genug Öl und Benzin gibt, andererseits die Lasten der gestiegenen Preise so oder so von denen getragen werden, die mit diesen Lügen agitiert werden. Auch der FAZ-Schreiberling geht von der Sicherheit kontinuierlicher öl- und Benzinversorgung aus. Er spekuliert mit der Möglichkeit von ,,knapperem „ Angebot angesichts einer eindeutigen Wirklichkeit: „Aber den Ernstfall (der Ölkrise) haben wir nicht und er ist im Augenblick auch nicht zu befürchten.“ (FAZ) Ein ,,Ernstfall“ wird von ihm überhaupt nur vorgestellt, um angesichts der Preiserhöhungen bei steigenden Öllagerbeständen den Lesern mitzuteilen, daß es gerade damit seine Ordnung hat und keinen „ein Unbehagen über den Stil der Preispolitik mancher Unternehmen beschleichen“ braucht. Denn noch jeder, der sich an dem Ölkrisen-Gerede beteiligt, geht davon aus, daß „unsere Wirtschaft“ an das Öl, auch wo es nicht in der Lüneburger Heide oder im Bayerischen Wald gefördert wird, lässig herankommt. Und dieser Sicherheit, daß die „Abhängigkeit“ der gegenwärtig auf den Straßen der BRD laufenden Automobile von Benzin keine Abhängigkeit der potenten Abnehmerländer von den Ölförderländern, sondern das Gegenteil einschließt, wird ja auch laufend neues Material gegeben. Es waren z. B. „unsere Verbündeten“ jenseits des Atlantik, die angesichts der noch ungeklärten Lage im Iran eindeutig klarstellten, daß die Perser um ,,freundschaftliche Beziehungen“ zu der westlichen Welt nicht herumkommen, und der Preis, den sie zu zahlen haben, durchaus einen Waffengang mit dem entsprechenden Gemetzel einschließen könne. Und daran ändern auch die Zusammenschlüsse der Ölförderländer in der OPEC nichts. Die Zwecklüge vom „Preisdiktat“, dem die Multis sich alljährlich zu beugen hätten, widerlegt sich bereits durch die jetzige Benzinpreiserhöhung, die nicht einmal mehr mit einem Seitenhieb auf die OPEC begründet wird. Ganz abgesehen davon, daß bei den meisten Verträgen zwischen den Ölgesellschaften und Förderstaaten jene an beiden Enden des Tisches verhandeln: Wenn z.B. Kuwait mit 50 % am verkauften Barrel beteiligt ist, dann kassiert sein Vertragspartner von jeder Preiserhöhung die andere Hälfte. Solange es also in diesen Ländern noch Öl gibt, und solange es billig zu fördern ist, lassen die Multis dort das Zeug aus der Erde holen und machen unter dem Schutz der imperialistischen Staaten, denen dazu sehr verschiedene Mittel recht sind, ihre Geschäfte.
Nun fällt in der Verhandlung der gegenwärtigen Benzinpreiserhöhungen noch jedesmal das Stichwort „Kalifornien“: Ausgerechnet in dem Land, wo Milch und Honig und auf jeden Fall reichlich Benzin fließen soll, gibt's Benzinkontingentierungen und Käuferschlachten vor den Zapfsäulen. Die Ursache für diesen „Versorgungsengpaß“ liegt natürlich auch hier nicht in einem Mangel an Öl – von dem die Amis im übrigen selbst genug haben. Was die gegenwärtige Benzinverknappung für den kalifornischen Autofahrer ausgelöst hat, ist eine Kalkulation der Ölkonzerne in den USA: Die US-Gesetzgebung über den zu senkenden Bleigehalt im Benzin ist für sie der Anlaß, sich Extraprofite dadurch unter den Nagel zu reißen, daß sie mit den alten Raffinierungsanlagen, mit denen in der gleichen Zeit nur geringere Mengen des den neuen Normen entsprechenden Benzins produziert werden können, weiterproduzieren. So stellen sie eine Knappheit her, setzen die Preise herauf, sahnen ab, was das Zeug hält – selbst die amerikanische Kartellbehörde sprach bereits von „unanständiger Ausnutzung der Marktsituation“ – und schaffen sich auf diese Weise auch zugleich die Mittel, um mit Investitionen den Raffinierungsprozeß umzustellen. Die Chance für die Ölmultis, Superprofit zu machen, ist die Ursache der kalifornischen Benzin-,,Krise“. Der US-Administration lieferte sie das Argument für Carters Subventionierung der Heizölimporte. Seit jedes importierte Barrel (= 159 1) mit 5 Dollar bezuschußt wird, stiegen die Einfuhren um bis zu 150 000 Barrel pro Tag und dies bei voller Beibehaltung aller Restriktionen für den Kauf durch Einzelabnehmer. Die Säuernis, mit der Helmut Schmidt und andere europäische Regierungen diesen „Rückfall in den Staatsinterventionismus“ kommentierten, erklärt sich nicht aus der Angst, die Amis „würden Europa das letzte Faß Öl wegkaufen“: „Dank Geld und hoher Preise können die Deutschen in dieser Saison darauf hoffen, ausreichend mit Benzin und Heizöl versorgt zu sein.“ (Spiegel) Vielmehr ist Schmidt verärgert darüber, daß der amerikanische Staat über die Ölimportsubventionierung indirekt seine Industrie subventioniert und dadurch das BRD-Kapital in seiner Konkurrenzfähigkeit getroffen werden könnte, und zugleich nicht ganz so unglücklich darüber, daß sich mit dem Öl die Konkurrenzposition gegenüber Frankreich verbessert. Folglich nennt Schmidt Carters Erlaß „unfair“, läßt sich von den Franzosen beauftragen, im Namen Europas Carter auf die Füße zu treten, und demonstriert ihm dann durch vornehme Zurückhaltung mit Kritik, daß seine europäische Politik sich mit Verständnis für amerikanische Sorgen nicht nur verträgt, sondern gegenwärtig mit ihm gemacht wird. Andererseits ergeht er sich in finsteren Andeutungen gegen die ölproduzierenden Länder, denen er droht, sie mit Krieg zu überziehen, wenn sie nicht durch erhöhte und billige Produktion das alte Gleichgewicht zwischen Angebot und deutsch-amerikanischer Nachfrage wieder herstellen.
Das Timing der aktuellen „Ölkrise“ ist natürlich ebensowenig zufällig wie sonst irgendwas in der großen Politik: „Deshalb will der Kanzler gemeinsam mit der US-Administration eine weltweite Kampagne zugunsten der Kernenergie entfachen.“ (Spiegel) Nach Harrisburg und unter dem Eindruck von Gorleben gönnen Schmidt und Carter den Multis ihren Reibach und benutzen die hohen Preise, sowie die Angst ihrer Bürger, daß der Ofen einmal ausgehen könnte, um ihre Atomprogramme als Antwort auf die OPEC- Länder und das Energiemonopol der Multis durchzusetzen. Was nicht ausschließt, daß die Konkurrenz der imperialistischen Staaten um den optimalen Nachfluß des ,,Schwarzen Goldes“ als Frage auf Leben und Tod weiterhin ausgetragen wird: „Ich gehe soweit zu behaupten, daß eine ausreichende Energieversorgung ein essentielles Element geworden ist in der Bewahrung von Frieden und Sicherheit in der Welt.“ (Helmut Schmidt in Harvard)
aus: MSZ 30 – Juli 1979 |