Hörerecho zum Teach-in der MG über das Christentum: Ideologische Probleme bei der Nachfolge Christi
Wie gesagt, mit einer öffentlichen Diskussion über Wechselkurse, die Aufrüstung oder das neueste Blutbad irgendwo in einer „Einflußsphäre“ kriegt man nie und nimmer so viel Leute auf die Beine wie mit einem Gegenstand, den es (vielleicht) überhaupt nicht gibt. Der Herrgott erwies sich aber noch in anderer Hinsicht als Knüller: während die Parteigänger des Dollars, die Militärs aus West und Ost und die Befehlshaber eines freiheitlichen Einsatzkommandos sich vor einer Auseinandersetzung mit der MG bei gegebenem Anlaß regelrecht zu drücken wußten, sind die Mannen um Jesus Christus leibhaftig erschienen, um mit uns zu rechten. Diesem Umstand ist es zu verdanken, daß wir jetzt ganz schön blöd dastehen. Irgendwie müssen allerdings die Christenmenschen den Zweck unserer Unternehmung gründlich mißverstanden haben. Wir hatten uns nämlich vorgenommen, einmal nicht das Für und Wider in Sachen Gott breit zutreten, sondern uns dasselbe zum Gegenstand einiger Überlegungen zu machen.
Auch die widerwärtigen, weniger spaßigen Seiten gläubigen Eiferns kamen voll zum Zug. Das Selbstgefühl eines ordentlichen Christen, zum richtigen Haufen dazuzugehören durch die Bescheidenheit der eigenen Schafsnatur – „Auch für Dich ist Christus gestorben!“ „Auch Du bist ein Sünder!“ „Wehe denen, die..!“ – fand ausgerechnet auf einer Veranstaltung der MG, jenes dogmatischen und intoleranten Clubs, Gelegenheit, sich auszutoben. Man wagt kaum daran zu denken, was passieren würde, wenn unsere Redner einmal vor die Studenten hintreten würden mit den Worten: „Ich glaub’ an Marx, hier stehe ich, ich kann nicht anders und wenn ihr nicht bald überlauft, dann werdet ihr schon sehen!“ Dieses Muster im Zusammenhang mit Jesus scheint aber ganz gut ins Atomzeitalter zu passen, auf jeden Fall wird es von erwachsenen Menschen mit Abitur ganz locker gehandhabt.
erschien natürlich auch gedruckt. Als wäre eine Veranstaltung, die sich der Analyse gläubigen Gebarens widmet, der ideale Ort für die Verkündigung des Evangeliums, haben sich engagierte Christen ans Flugblattschreiben gemacht. Dabei haben sie von den Prinzipien einer anständigen Agitation überhaupt keine Ahnung. Als würden sie mit dem Herrn leibhaftig am See Genezareth entlangtummeln, leiern sie einfach die Bekenntnisse aus ihrer Schreibmaschine, von denen ohnehin jeder weiß, wie sie lauten. Man muß schon seine Adressaten auch ein bißchen zu überzeugen versuchen, Kameraden von der C-Front! Dazu darf man eben auch nicht fürchten, in Widerspruch zu ihnen zu geraten – sonst schreibt man ja nur sein eigenes Zeug auf mit dem Gestus, es wäre das Selbstverständlichste von der Welt und hätte schon ohne seine Verteilung seine Wirkung getan. Natürlich habt ihr bei dieser Annahme auch irgendwie recht, wie man sieht; dennoch möchten wir zu bedenken geben, daß die folgende These außer eurer Idiotie auch die ganze Unverfrorenheit zum Ausdruck bringt, nach der ihr die Welt zurechtstutzt:
Nur zu! Das Seltsame an euren guten Absichten ist nur, daß ihr sie der Welt bloß hinreibt, um euch hinterher gleich für nicht zuständig zu erklären: „Wir glauben, daß der Mensch unfähig ist, sich selbst von seinem selbstsüchtigen Wesen zu befreien.“ Natürlich braucht er den Lattensepp dazu, deswegen glaubt er auch an ihn, und der besorgt ihm dann seine innwendige Kur! Freilich merkt keiner, daß der kleine Umweg über J.C. die Leistung des Christen ist und bleibt! Da lobt man sich doch die Christenboys aus dem Fränkischen, die gekommen sind, um das Evangelium gleich von seinen Wirkungen aufs Gemüt her aufzurollen, statt es als Forderung vorzutragen und jeden Satz mit „Wir glauben,“ zu beginnen. Es war auch Zeit, daß Christen selbst mit gewissen Irrtümern aufräumten: „Gottes Liebe schützt mich nicht vor dem Leid, sondern sie bewahrt mich in allem Leid. Vom Kreuz her ist mir die Bewältigung des Negativen möglich ...“ Das ist zwar schon allerhand, was Gottes Liebe so vermag – aber die modernen Christen können einfach nicht Schluß machen, wenn sie das Geheimnis ihres Glaubens offenbart haben. Deshalb erklären sie der Welt auch noch ihr Engagement aus den Taten des Herrn: „Jesus ist zeichenhaft gegen Krankheit, Leid und den Tod in der Welt angegangen ... “ – und dies nimmt ein Christ als Auftrag: Traurig zu sehen, daß nicht einmal studierte Menschen merken, was sie da hinschreiben: „Daher ist der Christ herausgefordert, an der vielschichtigen Bekämpfung des Leids, der Armut, der sozialen Mißstände, des Hungers der Krankheit engagiert mitzuarbeiten. In der Situation eines Arbeiters, der durch die Lebensbedingungen geistig und körperlich ruiniert wird, muß sich der Christ bemühen, die ruinierenden Lebensbedingungen zu verändern: z.B. durch Solidarisierung mit dem Arbeiter, eventuellen gewaltlosen Widerstand, phantasievolle Vorschläge zur Veränderung der Situation, durch das Angebot von menschlichen Beziehungen, durch Spenden von Trost, Verarbeitung des Leids in der Gemeinschaft.“ Das Schöne an einem Christenmenschen ist halt immer noch, daß ihm die Heuchelei so in Fleisch und Blut übergegangen ist, daß er sie nicht einmal mehr bemerkt, wenn er sie in Worte faßt. Tief davon überzeugt, mit den trostreichen Taten ihrer solidarischen Phantasie einen Stich zu machen – selbst ein Christ beteuert heutzutage, daß er kritisch ist –, schreibt er hin, wie er an der psychologischen Verwaltung allen Elends und an sonst nichts interessiert ist! Er traut noch nicht einmal den eindeutigen Darlegungen, die er gerade hinter sich gebracht hat, holt tief Luft und wird prinzipiell. Hier eine Auswahl; „Dadurch kann das Leid nicht nur (!) bekämpft, sondern auch verarbeitet werden.“ „Man ist weiterhin eingeladen, die innere Freiheit vom Besitz zu üben, d.h. Freiheit vom Konsumdruck...
Daß Christen heute mit dem Meinungsknopf „Gott, wie bin ich kritisch“ daherkommen, verpflichtet sie auch, das Handwerkszeug der kritischen Wissenschaft par excellence, der Soziologie, nicht rechts liegen zu lassen. Ein paar Theologiestudenten in Marburg haben in dieser Hinsicht schon viel gelernt und den zwar nicht mehr ganz neuen, aber doch interessanten Schlager aufgelegt: ,,Die MG – eine Jugendsekte.“ „Unsere zentrale These ist: Aufbau, Form und Inhalt der politischen Aktivitäten der MG zeigen deutliche Analogien zur Struktur von religiösen Jugendsekten.“ Die „5 Kriterien“, die sie da entdeckt haben, könnten zwar auch in bezug auf die USA zu dem Ergebnis führen, daß die Weltmacht Nr. l eine Jugendsekte ist, aber das macht nichts – die entsprechenden Stichwörter sind, zumal von Theologen ausgesprochen, schon sehr bezeichnend für unseren Verein; „Führerprinzip“ (in der Regel eine starke, das Gute, die Erkenntnis verkörpernde Figur mit charismatischem Führungsanspruch; demgegenüber inferiore Haltung der Anhänger...) – ob da nicht eine Verwechslung mit dem Herrn Jesus vorliegt und denen, die ihm nachfolgen? „Vereinfachte Weltanschauung“ (Reduktion komplexer Sachverhalte auf einige wenige Grundaxiome, die scheinbar alles erklären) – als ob einer der charismatischen Wahnsinnsknaben aus unseren Reihen je einen so komplexen Sachverhalt entdeckt hätte wie: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Was erzählen die gewitzten Theosoziologen bloß zu Struktur, Form und Inhalt der christlichen Gemeinde? Von den nächsten Kriterien ganz zu schweigen – „Erwählungsbewußtsein“, „Ritualisierte Erfahrung der Gruppennorm“, „Missionsanspruch“ (Ziel jeder Sekte ist es, sich zu vergrößern ...)! Irgendwie haben uns die kritischen Pfaffen in spe schon durchschaut, obgleich sie gerade in Marburg hätten Beispiele dafür finden können, daß wir uns auch bisweilen verkleinern!
eigentlich dasselbe wie immer: man muß das – in diesem Falle eben das Christentum – psychologisch sehen. Die Mädchen von der MRI haben wieder einmal an das Eine gedacht und uns einen Denkanstoß gegeben: „Auffallen muß die sexuelle Färbung vieler religiöser Vorstellungen und Kulthandlungen, die Häufung verzückter Bräute Christi ...“ „Das soll mal einer ökonomisch oder sonstwie erklären.“ Recht so! Wie schreibt ihr so schön in eurem Flugblatt? „Die Erklärung der Religion ist kompliziert, und es kostet einige geistige Anstrengung, sie nachzuvollziehen – aber das ist nunmal mit der Wissenschaft so. Deshalb kann sie hier auch nicht in Kurzform geliefert werden.“ Wieso denn so bescheiden? Ihr habt die Kurzform doch lässig hingeschrieben, oder?
Die Veranstaltungen über das Christentum waren gut und nicht schlecht. Alle Beteiligten haben ihren Beitrag geleistet, und wir haben gut daran getan, die Existenz Gottes nicht zu bestreiten: „Wenn wir von Gott sprechen, dann von dem, der außerhalb unserer Dimensionen von Raum und Zeit steht. Er ist für uns nicht verfügbar. Er ist weder durch unsere Beweismethoden erfaßbar, noch durch sie widerlegbar.“ Na, wer sagt’s denn!
aus: MSZ 33 – Januar 1980 |