China und die westliche Welt

This could be the beginning of a wonderful friendship!

Es gibt eine Menge saublöder Sprüche bezüglich der schlichten Tatsache, daß China zum Zwecke der Stärkung der Nation und zur Schaffung eines ordentlichen Reichtums der Nation mit den imperialistischen Staaten ins günstige Geschäft kommt. Da lassen die China-Experten (das sind die, die schon vor 20 Jahren in die Landkarten die Rohstoffvorkommen eingezeichnet haben) aus der Einfachheit dieser Tatsache ein schwieriges Kartenspiel entstehen, wo der Deng sein amerikanisches Kärtla ruhig spielen darf, weil ja Carters chinesisches Kärtla in der weltweiten Dreierpartie den Ton angibt, weswegen auch der Aberwitz, daß Peking die „amerikanische Karte“ spielt, um in Zukunft die „sowjetische Karte gegen die USA“ zu spielen, noch lange kein Aberwitz ist, weil derlei Skepsis daraufhin dosiert ist, ob nicht die Willigkeit der Chinesen umfassender strapaziert werden könnte.

Was der Ami- und BRD-Ideologie ihr Kartenspiel, das ist den Chinesen die „Lehre von den Widersprüchen“. Und das geht so: „die gegenwärtigen Anstrengungen“ der Pekinger Regierung, alles zu tun, um sich einen Vorteil vom Verschachern seiner Ökonomie an den Meistbietenden zu ergattern, ist demgemäß eine Spielart der „reinen Lehre“, nämlich „die Länder der Zweiten und Dritten Welt zum Zusammenschluß gegen den Hauptwiderspruch, die sowjetische Hegemonialmacht“ zu bewegen. Wiewohl sie hier immerhin billige Rohstoffe, ein weiter Markt und eine Unmenge von Arbeitskraft in Form eines „Widerspruchs“ ganz unideologisch bewegen, kommt auch derlei Staatsideologie den Kollegen von der westlichen PR-Front gerade recht, um zum x-ten Male die besorgte Frage zu stellen, ob hier nicht die Nutznießer „mißbraucht“ werden sollen, und beginnen auf diese Weise, den materialistischen Kern „of the beginning wonderful friendship“ bloßzulegen. Wie stets bei der Staaten-friendship kommt es auch hier darauf an, inwieweit sich das befreundete Land als Grundlage eigener Bereicherung bewährt. Und weil die Chinesen noch keine Zeit hatten zu tiefer Bewährung und zudem in der Vergangenheit in Gestalt der „gelben Gefahr“ viel gesündigt hatten, lautet die Frage ja auch immer: „Ist China eine berechenbare Größe“. In diesem Sinne durfte sogar der Sowjetkorrespondent Nikolai Portugalow mitreden:

„Mein Kredo: Die Chinesen sind im Moment alles andere als berechenbar. Die Berechenbarkeit der Voraussicht in dem Sinne, wie das auch Herr Bundeskanzler Schmidt jüngst als eine Voraussetzung für die Friedenssicherung formuliert hat, fehlt der chinesischen Politik“.


„Peking weiß gar nicht, was das alles kostet“ (Otto Wolff)

Aus welchen Gründen heraus die imperialistischen Staaten China „berechnen“ wollen, liegt auf der Hand. Welch anderer Staat bietet derzeit so aufdringlich und umfassend alle Vorteile, die ein Auslandsgeschäftchen mit einem Land, für das die Eintrittskarte für den Weltmarkt als „Partner“, der wirklich was putzt, aufgrund seiner beschränkten ökonomischen Potenz zu teuer ist, so mit sich bringt.

„Ich kann mir keinen besseren Partner, für die EG und die anderen Industrieländer vorstellen als China, das dem Rest der Welt so viel zu geben hat“ (Roy Jenkins).

Erstens sind die Chinesen scharf drauf, „ein Industriestaat von Weltrang“ zu werden. Und dieses Ziel beinhaltet die bittere Wahrheit, daß es nicht um eine planmäßige Entwicklung der chinesischen Ökonomie für die Bedürfnisse der dort ansässigen Menschheit geht, sondern um die Schaffung einer Volkswirtschaft, die dem Prinzip der staatlichen Bereicherung dient. Und daß China dieses ambitiöse Staatsprojekt nicht mehr mit der unbedingten Unabhängigkeit seiner Wirtschaft, sondern mit deren bedingten Zurichtung für die Bedürfnisse des Rests der Staatenwelt, der sich so hervorragend in jenem Metier auskennt, bewerkstelligt, macht China dort so beliebt. Will es doch bis 1985 für 665 Milliarden Mark (die Schätzungen variieren um ein paar Märker rauf und runter) investieren, sprich einen Betrag in gleicher Höhe den Metropolen aufs Nummernkonto überweisen. Dies – und das wird als volkswirtschaftliche Vernunft sehr geschätzt – nur das Programm dafür, die Voraussetzungen für eine gewinnträchtige Produktion zu schaffen – und damit ein Bomben-Geschäft bei Lieferung von Braunkohleförderungs-Fabriken, Off-shore-Anlagen für Erdölförderung, Stahlkombinate für die Schwerindustrie, bei denen jener 28-Mrd-Auftrag für das bundesdeutsche Kapital zustande kam; der deutsche Herzen bis zum Kinn schlagen ließ; von dem hinterher ganz zu schweigen. Nur eine Sorge bleibt: China dürfe „nicht in einseitige Abhängigkeit zu irgendeinem westlichen Industrieland geraten“ (SZ), allseitige Abhängigkeit ist gefragt, die die Exporte von den bisher dominierenden Japsen auf die Bundesrepublik hin verschiebt.

So zeigt sich ganz nebenbei auch noch, daß die westlichen Aussichten, einen neuen Markt für sich zu erschließen, natürlich nicht bedeuten, daß dies einer für Konsumgüter ist, eine Illusion, die die Rede von einem „Land von dieser Größe mit so vielen Leuten“ suggeriert. Es werden ja nun wirklich keine Reisfabriken exportiert, und die vielen Leute sind der Zielpunkt von angetaner Betrachtung ganz besonderer Natur:


Ein „Pekinger Frühling“ macht noch keinen Sommer

Kann die VR China sich doch zweitens auf eine Arbeiterarmee stützen, deren Billigkeit und Willigkeit in solcher Anzahl noch nicht gesehen ward. Die heimliche Zuneigung für die straffe Führung der „blauen Ameisen“ kann man ja hierzulande immer seltener verbergen. Sei es, daß man sie sich ganz unmittelbar zunutze machen will – die britische Exxon spielt hierin bei den Verhandlungen über ihre Ansiedlung im südchinesischen Meer als „Joint venture“ eine Vorreiterrolle –, sei es, daß man sie als die Bedingung für den reibungslosen Ablauf der Handelsgeschäfte zu würdigen weiß. Und von diesem Standpunkt aus kann man selbst der chinesischen Politik der Vergangenheit, sich der Zustimmung des Volkes durch Verbesserung seiner elenden Lage zu versichern, noch etwas abgewinnen, obwohl man von derlei „Schwärmereien“ sonst überhaupt nichts hält: erstens ist sie vergangen und zweitens hat sie ein nützliches Resultat gezeitigt:

„Aber im Gegensatz zu vielen anderen Entwicklungsländern hat China soziale Veränderungen und eine Sicherung der Grundbedürfnisse an Verpflegung, medizinischer Versorgung und Erziehung auf egalitärer Basis durchgesetzt. Diese Grundlage dürfte sich bei der zukünftigen Entwicklung als eine Stärke herausstellen.“ (SZ)

Sodaß man im Gegensatz zu einem anderen Frühling, der das entsprechende Land so richtig sturmreif hätte machen können, für die Bremsung jenes „Pekinger Frühlings“ durchaus Verständnis aufbringt: „Die Lockerung von Disziplin und Ordnung“ könnte ja sonst „dem straffen Sozialgefüge Chinas schaden“ (PNP), wo doch China schon so gut wie sturmreif ist.

Drittens ist die Schuldenpolitik der Volksrepublik in mehrfacher Hinsicht vorbildlich (und das ist ja nach dem „Entwicklungskredite“-Preis, den „unsere“ Bundesregierung bei Nigeria, Algerien und ähnlichem unzuverlässigem Gesockse, das seine Schulden nie ordentlich zurückzahlt, zahlen mußte, erst recht nicht mehr zu verachten), beruht sie doch auf dem Prinzip, daß noch jede Investition in China neben dem ökonomischen Fußfassen auch noch eine Grundlage für die Bezahlung seiner Schulden abgibt: Außenhandelsminister Li Qiang:

„Ihr helft uns Kohle fördern, und wir werden euch Kohle geben. Ihr helft uns bei Ölbohrungen, und wir werden euch Öl geben. Ihr liefert uns Installationen, und wir werden euch mit Fertigprodukten bezahlen.“

Die Zuversicht eines Otto Wolff von Amerongen, daß die Chinesen „zuverlässige Leute“ sind, beruht auf diese Weise auf der Sicherheit, daß die Rückzahlungsfähigkeit der VR in der Zurichtung ihrer Wirtschaft für die Bedürfnisse ihrer Auftraggeber gewahrt bleibt. Was zu jener sich stets verschärfenden „Spirale“ der Abhängigkeit führt – ein Stahlwerk auf Kredit, Bezahlung durch Verkauf von Rohstoffen, die die imperialistischen Staaten bei einem entsprechenden Preis brauchen, eine diesbezügliche Rohstoffabrik auf Kredit ... –, die selbigen Otto Wolff zu jener Bemerkung mit einem Augenzwinkern im Knopfloch veranlaßte:

„Ich will nicht an der Weisheit der chinesischen Führung zweifeln, aber ich zweifle, ob sie sich völlig im Klaren ist, was ihr gewaltiges Vorhaben kostet.“ (ZEIT)

Darüber hinaus verkündete er lässig – ganz in der Manier dessen, der weiß, was ihm und den Seinen guttut –, daß sich China ganz unbesorgt für 30 Mrd. verschulden können dürfen sollte. Das alles erfährt noch eine willkommene Zugabe durch den von der VR erzwungenen Verzicht auf die leidigen Kompensationsgeschäfte, die der letzte Strohhalm der Ostblockstaaten sind, wenigstens einen kleinen Ausgleich in einem einseitigen Geschäft zu erwirken.

Viertens schickt sich China an, all die Voraussetzungen zu erfüllen, die ein funktionales Mitglied der internationalen Waren- und Geldzirkulation so braucht (und nicht zuletzt dieser Punkt zeigt, zu welchen Konsequenzen revisionistische Wirtschaftspolitik fähig ist). Dies bis hin zum Einkauf der DIN-Normung von der BRD, damit ja das letzte Fitzelchen Unklarheit für die Verschacherung westlicher Maschinerie beseitigt ist. Der Deng-Besuch in den USA – mit allen Peinlichkeiten der Anbiederung, deren ein Staatsmann fähig ist, mit einem Cowboy-Hut in einer Texas-Kutsche etc. – wurde ja gerade deswegen zu einem Meilenstein in der Geschichte der „Freundschaft zwischen dem chinesischen und dem amerikanischen Volke“, weil es bei ihm um den geplanten Beitritt der VR zur Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds ging.

Letzteres gerade deswegen nicht zu verachten, weil China damit noch eine Quelle hat, sich für seine „Vier Modernisierungen“ zu verschulden. Ebenso steht die Eingliederung Chinas in das GATT-Abkommen und das EG-System der „allgemeinen Handelspräferenzen für Entwicklungsländer“ bevor, das endgültig klarstellt, was aus der unabhängigen Entwicklung der nationalen Ökonomie geworden ist – ein „Entwicklungsland“, das wie jedes andere im Bereich der vom Imperialismus diktierten internationalen Arbeitsteilung den Part des billigen Rohstofflieferanten und des willigen Kapitalimporteurs zu übernehmen hat.


Unabhängige Gutachter für schwierige Entscheidungen

Und das Tempo, mit dem sich der chinesische Staat selbst in den Status einer „berechenbaren Größe“ versetzt, ist wirklich atemberaubend. So haben sie etwa endlich einen geeigneten Mitarbeiter für ihre Planwirtschaft gefunden – den Unternehmensberater Nicholas Hayek von der „Hayek Engineering“ aus Zürich. Die Unabhängigkeit dieses Gutachters aus der Metropole macht sich dahingehend geltend, daß er auf alle Fälle deren Interesse bei der „schwierigen Entscheidung bei der Bestellung von Hochöfen“ (SPIEGEL) vertritt. Voller Häme wird daselbst berichtet:

„Ein paar schwere Stunden verbrachten die Industrieberater schließlich damit, ihren Partnern die Bedeutung von Kostenrechnung und Kostenanalyse zu erklären: Die Rotchinesen kennen weder ein Rechnungswesen noch Kosten“.

Nun weiß jeder, daß das leicht geschwindelt ist, aber zur Illustration dessen, wie da die „gelbe Gefahr“ missioniert, also ausgenommen wird, taugt es allemal.

Während dieser Herr Hayek für den Import „fortgeschrittener ausländischer Technologie“ sorgt, sorgen die Japsen für die Wirklichkeit der Idee, daß das „Management sowohl eine Wissenschaft als auch eine Quelle der Wirtschaft darstellt“ (Minister Song Jiwen). Derselbige:

„Wenn Chinas bestehende Einrichtungen gut geleitet werden, wird die Produktion um 5 % steigen.“

Solche Ankündigung gibt eine klare Auskunft darüber, was Management hierzulande und in Zukunft auch da drüben bewirkt: unabhängig von der Entwicklung der Produktivkräfte kann die Ausbeutung der Arbeitskraft auch allein durch Verbesserung der Antreiberfunktionen forciert werden. Und nicht zuletzt deswegen setzte die chinesische KP gleich noch japanische Wirtschaftsexperten an die Ausarbeitung ihrer Fünf- etc. -Jahrespläne, was ganz pragmatisch gleich zur Demontage des früheren Muster-Industriemodells Daqing und des landwirtschaftlichen Modells Dazhai als nun obsolet gewordenen Vorbildern einer unabhängigen Entwicklung führte.

Einhergehend mit dieser radikalen „Modernisierung“ chinesischer Ökonomie vollzieht sich eine Intensivierung des Systems der „ideologischen Anreize“: „Bereitet euch geistig auf eine allumfassende, ausgeglichene Entwicklung der Wirtschaft vor“, heißt der Titel einer entsprechenden Staatsenzyklika. Dies „geistig“ bedeutet für die Chinesen den Zwang zur Abkehr von ihrer gesellschaftlichen Praxis, sich materielle Vorteile von der Politik der KP zu erwarten. Stattdessen steht Schufterei für das „moderne China“ an, ohne sich von der dazugehörigen Moral des „Neuen langen Marsches“ etwa Verbesserungen dergestalt zu versprechen, wie sie auf Grundlage des „Langen Marsches“ der kommunistischen Partei in den Dreißiger Jahren eintraten. Dazu gehört die Liquidierung der Gallionsfigur jener Zeit, Mao Zedong (die neuesten Stilblüten der Entmaoisierung: er sei ein „feudaler Kaiser“ gewesen und habe in den Fünfziger Jahren das „sowjetische Modell“ eingeführt), ebenso wie die Rehabilitierung all jener, die schon vor 10, 15, 20 Jahren gemeint hatten, Chinas Zukunft liege im Westen.

Zum polit-ökonomischen Aufbruch der chinesischen Nation gehört aber auch die politische Servilität der VR China bei der anti-sozialimperialistischen Völkerfreundschaft mit den USA. Mit dem jüngsten Angebot, an der chinesischsowjetischen Grenze für die (und mit den) USA die „Einhaltung des SALT II-Abkommens“ zu überwachen, versetzt sich der chinesische Staat freiwillig in den Status einer militärstrategischen Dependence der USA und dokumentiert mit dieser Geste des guten Willens, daß wegen des Fortschritts der chinesischen Nation deren Vorkämpfer ihre Grenzen für die Friedens- und Kriegsgeschäfte des Westens zur Verfügung zu stellen bereit sind. Im Ernstfall, für den sie sich damit entschieden haben, werden es deshalb auch die „friedliebenden chinesischen Volksmassen“ sein.


We advocate learning from the strong points of all nations

Das Lob des Deng als „asiatischen Macchiavelli“ und „chinesischen Metternich“ läßt als das Lob eines skrupellosen staatlichen Theoretikers und Praktikers (bis hin zum Euphemismus amerikanischer Senatoren, sie könnten sich Deng sehr wohl als Amerikas Präsidenten vorstellen! – Und im Austausch die grinsende Reispflanze Carter?) durchaus erkennen, wie sehr die Bestrebungen der chinesischen Staatspartei, ihr Volk als Manövriermasse für den eigenen staatlichen Aufstieg, und damit für den ökonomischen Zugriff des entscheidenden Rests der Welt, bereitzuhalten, auf liebevolle Anteilnahme stößt. Wie freundschaftlich es bei der Realisierung des Vorhabens zugeht, neben Taiwan noch ein zweites Bein in die Gegend zu stellen, macht nicht zuletzt jener programmatische Satz des Großen Vorsitzenden Deng kenntlich:

„Let's put it off for ten or 20 years. After that who knows what kind of system we'll have here.“

Klar, daß hier nicht zur Disposition gestellt wird, daß der chinesische Staat es sein wird, der die Leute ausbeutet, aber eben unter tatkräftiger Seniorpartnerschaft des ausländischen Kapitals – was für ein Unterschied!

Hinweis:

über die Voraussetzungen  der Modernisierung Chinas vergl. MSZ Nr. 25/1978: „Maos Erben, Zeitgemäße Korrektur einer Parteilinie.

 

aus: MSZ 28 – April 1979

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