Skandale an der Bundeswehrhochschule: Soldat & Demokrat
Wenn das Soldatsein so schön wäre, wie ein bekanntes deutsches Landserlied behauptet, dann brauchte es solche Lieder nicht. Schließlich wird der Befehl zum Singen – „zwei, drei, vier: ein Lied!“ – meist gerade dann erteilt, wenn dem gemeinen Soldaten partout nicht zum Singen zumute ist, weil er bei einem Gewaltmarsch eh schon auf dem Zahnfleisch daherkommt. Und daß der Militärdienst nicht erfunden wurde, um das Feld der Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung zu erweitern, zeigt sich nicht nur daran, daß diejenigen, die am stärksten von ihm betroffen sind, dem Wehrdienst und der Bundeswehr überhaupt ablehnender gegenüberstehen als der ältere Teil der Bevölkerung, sondern auch daran, daß die Neigung junger Menschen, sich den Militärdienst zum Beruf zu machen, nur dann sprunghaft zunimmt, wenn die freie Berufswahl stärker als sonst beschränkt ist. Wo die Freiheit der Berufswahl so deutlich zeigt, daß sie einen zwingt, zu nehmen, was angeboten und wofür man ausgebildet ist, hat dann auch der Berufssoldat allen Grund zum Saufen – „Ich hab gehört, daß zuviel gesoffen wird“ (Hans Apel) –, weil er nicht erst im Ernstfall sein Leben dem Staat zu opfern hat, sondern Opferbereitschaft auch schon vorher vonnöten ist, um im Dienst seinen Mann zu stehen. Und darum ist es kein Zufall, daß in der Bundeswehr das erzdemokratische Verlangen, der Staat solle die Opfer, die man selber bringen muß, von allen gleichermaßen verlangen, auch in besonderem Maße verbreitet ist. Noch haben Offiziere meist nur im Suff den Mut, ihrer Unzufriedenheit damit, daß Politiker nicht von allen verlangen, was für den Soldaten das Selbstverständlichste von der Welt zu sein hat und meist ist, auch gröhlend Ausdruck zu verleihen. Nun kann wohl niemand behaupten, der Krisenstab wäre bei seinem Einsatz für das Leben von H.-M. Schleyer allzu zimperlich gewesen. Doch obwohl Mitleid, Staatsbegräbnis und Gedenkminute dem toten Schleyer nichts, der Bewährung des Rechtsstaats aber sehr viel nützen, meinen Offiziere offensichtlich, all die Umstände seien um eines Menschen willen gemacht worden, und weigern sich, für den toten Schleyer Mitleid zu zeigen. Sie verachten eben nicht nur den „schlappen“ Umgang der Demokratie mit den Terroristen, auch die wirkungsvollen Skrupel beim Opfern von Geiseln sind ihnen ein Dorn im Auge, zumal wenn diesem Opfer seine Dienste für den Staat zeitlebens recht lukrativ honoriert wurden („Wo der überall seine Finger drin gehabt hat!“). Daß dem einen durch das taktische Zögern noch Gelegenheit gegeben wird, um sein Leben zu bitten, während der Soldat gehorsam zu fallen hat, lastet er dem demokratischen Staat als Ungerechtigkeit an – und das natürlich nicht nur im Fall Schleyer. Denn ein Staat, der „sich mit Terroristen im Bürgerkrieg befindet“ (Golo Mann) und dabei soldatische Tugenden nicht von allen Staatsdienern verlangt, ist ihm suspekt. Und neben symbolischen Judenverbrennungen, Hakenkreuzschmierereien oder dem Absingen des Horst-Wessel-Lieds bietet die deutsche Vergangenheit noch viele Formen und die deutsche Gegenwart den dauernden Grund, daß Berufssoldaten ihren Protest äußern, indem sie Sympathie äußern mit einem Staat, der die gleiche Unterwerfung von (fast) allen verlangte. Wenn nun der neue Verteidigungsminister aus dem neuesten „Suff-Skandal“ Konsequenzen ziehen will, dann sicher nicht mit der Absicht, die faschistische Haltung, die man als Soldat braucht, zu beseitigen. Denn wenn der „Spiegel“ zur Propagierung der Opferbereitschaft in modernem Gewand aufruft, indem er lobend erwähnt, daß das Audi-Max einer neuen Offiziersschule „nach dem jungen (!) Oberleutnant Ludger Hölker“ benannt wurde: „Der 30-jährige Pilot war 1964 ums Leben gekommen, weil er in seiner trudelnden Maschine blieb, um sie nicht auf eine Ortschaft stürzen zu lassen, Hölkers letzte Worte: »Erst weg von den Häusern«“, dann ist das sicher im Sinne von Hans Apel; an den Vorfällen stößt ihm nämlich auf, daß nicht nur die inkriminierten Studenten „meist unfähig (sind), gegenüber den oft widerwillig diensttuenden Wehrpflichtigen den rechten Ton zu finden und sie davon zu überzeugen, daß die Bundesrepublik ein verteidigungswerter Staat ist“. Was die Äußerung faschistischen Soldatenbewußtseins in der Bundeswehr zum Skandal macht, ist nicht das faschistische Bewußtsein, sondern seine Äußerung in der Bundeswehr. Erstens nämlich hat ein Offizier auch im Suff Haltung zu bewahren, das heißt, seine Unzufriedenheit nicht als Meinung gegen den obersten Dienstherrn zu äußern, sondern sich allenfalls den Vorgesetzten in der Unterhose vorzustellen und bei Beschwerden den Dienstweg einzuhalten; weshalb auf jeden Fall ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird, wenn einer zwischen Dienst und Schnaps nicht trennt und beim Schnaps den radikalen Dienst ohne die demokratischen Zutaten fordert. Schließlich legt der Staat, für den er kämpfen soll, größten Wert darauf, daß die Bundeswehr vorbildlich den Ehrendienst des Bürgers an der Demokratie vorexerziert. Da die Forderung nach einem demokratischen Bewußtsein der „Bürger in Uniform“ notwendigerweise an der Einstellung scheitert, die der Soldat zum Töten und Getötetwerden fürs Vaterland braucht, hat er die Schnauze zu halten. Zweitens aber bringen solche Skandale die Bundeswehr im In- und Ausland in Mißkredit, untergraben das Vertrauen in die Verteidigungsbereitschaft und den Verteidigungswillen bei den Wehrpflichtigen, wofür man die Soldaten wegen „Schädigung des Ansehens der Bundeswehr“ zur Verantwortung zieht, damit sie ihre Sprüche weiterhin da klopfen, wo sie nicht gleich zum Skandal führen.
aus: MSZ 24 – Juli 1978 |