Wie ein Westberliner Bischof die Auflösung der BRD betreibt
,,Die Klassenstruktur der Bundesrepublik Deutschland – ein Handbuch zum sozialen System der BRD“, Hrsg. J. Bischoff, Westberlin 1976 seinem Zweck treu geblieben, für die Arbeiterbewegung unbrauchbare Studien zu betreiben. Dieses Handbuch ist allein deswegen bemerkenswert, weil es das politische Resultat jener umfangreichen Forschungen darstellt, denen sich das ,,Projekt Klassenanalyse“, wie sich der Verlag auch nennt, seit geraumer Zeit hingegeben hat.
Worin besteht nun das Rezept der jungen Mannen und Frauen um den Bischoff, jene starken Männer wie den ,,Papst oder die kläglichen Überbleibsel alter königlicher Herrschaftshäuser, Kissinger oder Giscard d'Estaing, Pinochet oder Schah Pahlewi“ (7-8) usw. usf. beschleunigt aus der Weltgeschichte zu schießen? Was schlägt Westberlin zur reibungslosen Übergabe der BRD an die DDR vor? Man schlage das Handbuch auf und nehme zur Kenntnis: „Der Kommunismus als gesellschaftliche Bewegung betrachtet, ist in großen Teilen der Welt zu einem die Gesamtheit der sozialen Verhältnisse bestimmenden Faktor geworden.“ (7) Betrachten wir den anderen Bestandteil des Kommunismus, hier als Betrachtungsweise, so ergibt sich dasselbe Resultat. Kommunistische Gedanken sind zu beliebtesten geistigen Nahrungsmittel von Journalisten geworden: „Auch der Kommunismus, soweit er theoretisch ist und den ideellen Ausdruck dieser weltweiten sozialen Bewegung darstellt, ist zu einem jede nationale Grenze überspringenden Faktor der geistigen Produktion geworden. Die jährlich produzierten Bücher und Zeitungsartikel, Rundfunk- und Fernsehsendungen, in denen entweder die kommunistischen Anschauungen dargelegt werden oder (!) mit denen gerade (!) diese Auffassungen und die ihnen unterliegende soziale Bewegung bekämpft werden sollen, sind quantitativ nicht zu erfassen.“ (Nanu, Bischoff?) (8) Das bedeutet also: der Kommunismus ist in der Offensive, die alten Mächte sind in der Defensive. Der Kommunismus in seiner ideellen Gestalt ist eine solch auflösende Kraft, die sogar wirkt, wenn sie selbst aufgelöst wird. Noch besser: der Kommunismus ist selbst dann unangreifbar, wenn er gar nicht vorhanden ist. Dies ist in jenem Teil der großen sozialen Weltbewegung der Fall, der sich BRD nennt. Bei uns beschäftigt sich die Bourgeoisie gerade mit der Erprobung von einigen Weichmachern, die den bei uns existierenden „kümmerlichen“ kommunistischen „Ansätzen“ gelten. Das bischöffliche Kollektiv beklagt die „gegenwärtige Politik der Diskriminierung von sozialistischen und selbst sozialdemokratischen Anschauungsweisen (das „selbst“ hat einige Bedeutung für den Bischoff, siehe den Schluß des Artikels)“ (10) wie dies mit den Berufsverboten und anderen „Repressionsmaßregelungen“ gegeben ist, um der bourgeoisen Gewalt zu bescheinigen, daß sie zwecklos und nicht notwendig ist. Diese Gewalt, so verkünden die Projektleiter zur Abschaffung der BRD Studenten und Gewerkschaftlern, hat noch niemals gegenüber dem kommunistischen Auflösungsprozeß genützt, denn: ein kommunistischer Revolutionär ist friedlich und hat seinen Willen den Umständen abgetreten für die Dauer seiner Tätigkeit, hat friedliche Absichten: „Der historischen Entwicklung einer sozialen Bewegung werden seitens der augenblicklichen Machtinhaber gewaltsame Hindernisse in den Weg gelegt. Es ist für jedermann offenkundig, daß Revolutionen nicht absichtlich und willkürlich gemacht werden, sondern daß sie überall und zu jeder Zeit die notwendige Folge von Umständen waren, welche von dem Willen und der Leitung einzelner Parteien und ganzer Klassen durchaus unabhängig sind ... Mit dem Hinweis auf spätere (!) gewaltsame Konflikte predigen die am alten gesellschaftlichen Zustand Interessierten heute die gewaltsame Reaktion gegen die friedliche Entwicklung. Mit dem Feldgeschrei der gewaltsamen Konterrevolution (!) gegen die faktisch (noch Irrläufer dabei?) friedliche Entwicklung bemühen sich die Regierungen zu kaschieren, daß sie versuchen, eine ihr mißliche, aber gesetzlich unangreifbare Entwicklung gewaltsam zu unterdrücken.“ (11) Es ist demgemäß völlig falsch, wenn die Bourgeoisieideologen behaupten, daß Kommunisten über Leichen gehen. Das Gegenteil ist der Fall: der Kommunist ist nichts anderes als eine friedliche Leiche und besitzt als dieser Leichnam die wundersame Eigenschaft, durchaus lebendige Gesetze, die zur Bekämpfung dieser Eigenschaft erfunden werden, zur „Unangreifbarkeit“ zu verurteilen.
Wenn also der Kommunismus eine solch unbesiegbare Kraft ist – ist damit der Kommunismus auch schon jene Macht, die der Bischoff als Waffe gegenüber den Verhältnissen in der BRD einzusetzen gedenkt? Mitnichten. Denn nicht nur die bisherigen Zitate, die der Feier des Kommunismus gegolten haben, sondern vor allem die Tatsache, daß sie sich allesamt in der Einleitung des Handbuches befinden, widersprechen dieser Vermutung. Die Einleitung hat nämlich die Überschrift: ,,Die BRD – eine pluralistische Gesellschaft FRAGEZEICHEN“, was bedeutet, daß der Bischoff sich auf eine Auseinandersetzung mit bürgerlicher Ideologie eingelassen hat und des weiteren bedeutet, daß er darin eine empfindliche Niederlage einstecken muß. So findet sich gegen Ende dieser Einleitung nicht etwa die Auflösung des Fragezeichens dergestalt, daß der Bischoff kräftig Politiker, Soziologen und Schulbuchautoren dafür maßregelt, daß sie angesichts des „faktisch vor unseren Augen vor sich gehenden Auflösungsprozesses der BRD-Klassengesellschaft“ immer noch das Märchen von der BRD als einer „pluralistischen Gesellschaft“ (Das wäre ja klassenlose Gesellschaft, sagt der Bischoff) verbreiten würden. Vielmehr heißt es am Schluß der Einleitung, habe die Bourgeoisie „vordergründig“ ganz recht, wenn sie leugnet, daß sie eine Klasse ist, die allein über den Reichtum der BRD verfügt: „Gegen die These von der Klassengesellschaft spricht die Beteiligung der Lohnabhängigen am gesellschaftlichen Reichtum sowie deren Selbsteinschätzung: deren Mehrheit fühlt sich nicht als Proletarier oder gar einer (!) Arbeiterklasse zugehörig.“ (12) Der Kommunismus ist also nicht nur eine Leiche, sondern auch eine nackte. Der Bischoff hat mit dieser These auch noch die bürgerliche Meinung widerlegt, derzufolge Kommunisten Arbeiter verführen müssen, um ihre „friedlichen Absichten“ ausführen zu können. Denn der Kommunist ist nicht nur die Kraft, welche die Bourgeoisie in einen Schein verwandeln kann, sondern die Kraft, welche die BRD auflöst, ohne daß die arbeitende Klasse davon etwas merken würde.
Jedoch selbst dieses Wunder bringt das bischöffliche Kollektiv nicht dazu, seine Verfügung über die Auflösung der BRD zurückzunehmen. Es nimmt mit der Übernahme der bürgerlichen Ideologie nur Abschied vom Kampf gegen dieselbe, um sich verstärkt dem Problem der Beschleunigung des Verwesungsprozesses der BRD zu widmen. Was dieser Beschleunigung vor allem entgegensteht, hat der Bischoff soeben der interessierten These der „augenblicklichen Machtinhaber“ entnommen: Die Gefühlslosigkeit der Massen. Und so steht unter dem Titel: „Die Verarbeitung der gesellschaftlichen Verhältnisse der BRD in der Klassentheorie“ keineswegs eine „Verarbeitung“ der gesellschaftlichen Verhältnisse an (denn diese lösen sich ja auf), sondern eine Diskussion zum Thema: „Was ist das Wesen des Marxismus?“, um mit Hilfe der Klärung dieser Frage der Gefühllosigkeit der Arbeiter Herr zu werden. Da bekanntlich zur Frage des Wesens des Marxismus ein heilloses Durcheinander bei den Marxisten besteht, sieht sich der Bischoff genötigt, seine Position eindeutig festzulegen: die Auflösung der BRD nicht nur friedlich, sondern vor allem einheitlich, nicht sektiererisch, beschleunigen! Und er fordert alle Marxisten auf, an der Erarbeitung der Voraussetzung für die Herstellung der einheitlichen Auflösungsfront mitzuwirken, zumindest aber anzuerkennen, daß die Eruierung folgenden Übergangs ,,von bewußtloser Verfangenheit in das System der bürgerlichen Produktionsverhältnisse zu einem auf grundlegende Veränderung dieser Verhältnisse bedachtem Handeln.“ (20) das Wesen des Marxismus ausmache. Weil nun nicht nur die Massen der BRD keine Köpfe haben, wie sie keine Gefühle habe, sondern auch die Marxisten heute es schwer haben, der Verfangenheit der Verhältnisse zu entrinnen, beruft sich der Bischoff auf Marx, bei dem zu studieren ist, wie man als Theoretiker dem Kapitalismus unbefangen gegenübertritt (im Gegensatz zur bürgerlichen Ökonomie, die ihrem Gegenstand bewußtlos gegenübertritt): ,,Marx kann daher auch als ein grundlegend neues Moment seiner Auffassung verbuchen, daß er den Hintergrund der Form des Arbeitslohnes aufgehellt hat.“ (30) Nach Bischoff hat Marx also zwar nicht den Arbeitslohn erklärt, aber hinter diesem einen tiefen Blick in die sozialen Verhältnisse des Kapitalismus getan und den Wert entdeckt. Und der Bischoff nebst seinem Kollektiv ist von der marx'schen Hintergrundanalyse dermaßen begeistert und geblendet, daß er der Meinung ist, ein solcher Blick sei einzig Marx vorbehalten. Schaut sich nämlich der Bischoff selbst in dem BRD-Schuttberg um, so sieht er nichts von dem, was der Marx gesehen hat. Und dies muß als Abschluß der Marxismus-Diskussion feierlich festgehalten werden: „Die Bewußtlosigkeit über den Klassenantagonismus in der bürgerlichen Gesellschaft ... hat also ihren Grund darin, daß die grundsätzlich einander entgegengesetzten Interessen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse nicht oder (!) nur undeutlich in Erscheinung treten.“ (45)
Da kann man nur sagen: wo nichts ist, wird auch nichts und selbst die Verschreibung einer Brille für den Bischoff nützt da wenig, Er hätte auch wenig Zeit, seine Augen untersuchen zu lassen, weil aus dieser Klarstellung der Klassenverhältnisse, über die die Bourgeoisie sich nur freuen kann, dem Bischoff ein weiterer schöner Übergang ins Auge springt: ,,Wenn also die Arbeiterklasse dieses revolutionäre Subjekt ist, dann ist es wichtig zu wissen, wer von der Bevölkerung dazu zu rechnen ist. Aus dem jeweiligen Bewußtseinsstand ist dies, wie wir gesehen haben, grundsätzlich nicht festzumachen.“ (45) Damit keine Mißverständnisse entstehen: um die BRD-Auflösung zu beschleunigen, schlägt der Bischoff keineswegs vor, den Klassenfeind genau im Visier £u haben und ihn gut auszurechnen – der eigentliche Hebel, mit dem er die BRD zu ihrem vorzeitigen Ende bringen will, ist die Aufstellung einer Liste (Statistik), in der aufgeführt steht, wieviel Gleichgültige und Bewußtlose es in der BRD gibt. Daß dies keine geringe Arbeit ist, sieht man daran, wieviel Zeit das Projekt für diesen Zweck schon aufgebracht hat. Daß die Zählung des Proletariats, der Kapitalisten und der Mittelklassen und die sorgfältige Analyse der Unterschiede der Bewußtlosigkeit sämtlicher Individuen in der BRD (Unterschied der existierenden Bewußtseinsformen = größere oder kleinere Verfangenheit im Kapitalismus) nun allein die Einheit der Friedensbewegung garantiert und die Unterschiede in der Verfangenheit des Proleten, Kapitalisten und Staatsbeschäftigten gegenüber eben dieser Bischoffschen Sekte auflöst, daran glaubt der Bischoff selbst nicht. Die Zählung und das Scheiden von Differenzen machen zwar den Hauptteil des Handbuches aus, aber schon auf Seite 77 steht geschrieben, welchen Verbündeten der Bischoff für die Auflösung der BRD gewonnen hat: die eigene Bourgeoisie (wenn man, was man nicht tun sollte, Westberlin dazurechnet): „Diese Bewußtseinsformen können nur infolge der zunehmend krisenhaften wirtschaftlichen Entwicklung und der Zuspitzung der sozialen Antagonismen der BRD selbst aufgelöst werden.“ Jetzt löst sich endlich das Geheimnis des Bischoffs auf das schönste auf. Er setzt auf das sicherste Pferd im morschen Stall. Die herrschende Klasse der BRD ist freilich der beste Garant dafür, daß sie ihre eigene Hinrichtung beschließt.
Doch muß der Bischoff aufpassen, daß er sein heißestes Eisen in bezug auf das Runterwirtschaften der BRD nicht verprellt. Schließlich kommt nach Meinung des Bischoffs die Bourgeoisie nicht umhin, sich auf eine gewisse Umstellung ihres Lebenswandels nach der Auflösung der BRD einzustellen. Daher kritisiert der Bischoff eine gewisse Partei, die für die Enteignung zwar nicht aller, aber doch der größten Kapitalisten eintritt. Diese Forderung sei zu hart, meint der Bischoff, sie verärgert nämlich die Kapitalisten: ,,Zwar ist es richtig, daß die Enteignung des Großkapitals ein Meilenstein sein wird bei der schrittweisen gemeinschaftlichen Neuorganisation der gesellschaftlichen Produktion, aber die Einfügung der drei Millionen Bourgeois ... in die neuen Verhältnisse bleibt auch dann noch ein schweres ökonomisches und politisches Problem. MAN STELLE SICH VOR, MAN WOLLE EINE GRUNDLEGENDE GESELLSCHAFTLICHE ERNEUERUNG GEGEN DEN EINHEITLICHEN (Einheit ist nicht immer gut!) WILLEN ALLER EINWOHNER VON HAMBURG UND MÜNCHEN DURCHSETZEN! Zwar wohnen die Bourgeois nicht derart zusammen und sind für den gesellschaftlichen Produktions- und Lebensprozeß durchaus überflüssige Personen (im Gegensatz zu den meisten Hamburgern und Münchnern), aber mit ihrem ganzen (!) Einfluß, ihrem Geld (!) und ihren Verbündeten in den Mittelklassen verfügen sie über genügend Hebel, um den PROZESS DER SOZIALEN EMANZIPATION EMPFINDLICH ZU STÖREN. Es mag in bestimmten Phasen des Klassenkampfes (??) möglich sein, Teile von ihnen zu neutralisieren, zu kaufen, in einen „Waffenstillstand“ zu zwingen. Dies gelingt umso eher, je besser deutlich gemacht werden kann, daß das Ziel der proletarischen Revolution nicht in der Vernichtung von Personen, sondern in der Abschaffung ihrer sozialen Funktion besteht ... (kurz): daß es nicht um die Bürokratisierung oder Verstaatlichung von Produktionsmitteln geht, sondern um die Etablierung einer neuen Organisation gesellschaftlicher Arbeit, die auf dem selbstbewußten Einsatz der Arbeitsmittel der Gesellschaft basiert.“ (90-91)
Und auf diese Weise kommen wir zur Schlußfrage: welcher Teil der Bourgeoisie ist für den Bischoff am besten geeignet, um doch noch das Unmögliche möglich zu machen, daß in der BRD jemals nicht Produktionsmittel verstaatlicht werden und die Arbeiterklasse die Kapitalisten in einem schmerzvollen „Säurebad“ auflöst? Dies sind die demokratischen Sozialisten. Mit diesen Freunden der Arbeiterklasse will sich der Bischoff zusammentun: ,,Die vorwärtstreibenden Kräfte in der sozialen Bewegung (haben sich) in Bezug auf das gewerkschaftliche und politische Handeln der Bewegung mit den Sozialdemokraten zu verständigen und möglichst gemeinsame Politik mit ihnen zu befolgen.“ (173) Aber da der Bischoff sich nicht verkneifen kann, der von ihm entdeckten Einheit eine höhere Weihe zu geben ,,Aber es gilt, im Interesse einer möglichst rationellen und humanen Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse weder die demokratischen Sozialisten noch andere noch unbewußte Teile der sozialen Bewegung im Unklaren zu lassen, welchen unvermeidlichen Gang die soziale Revolution nehmen wird.“ (173) ist es unvermeidlich, daß sich die Sozialdemokraten eines Tages ganz bewußt und absichtlich mit dem Gedanken tragen werden, das bischöffliche Kollektiv zu Westberlin einer beschleunigten Auflösung zuzuführen. aus: MSZ 12 – Juli 1976 |