Anatomiereferendum in Spanien:

Ein bißchen Staat für die Basken


,,Se obedece, pero no se cumple!“ (Man gehorcht, aber man unterwirft sich nicht!) (Wahlspruch des baskischen Königreichs Navarra)

Wenn – ganz entgegen den Erwartungen der politischen Beobachter – der „Terror im Baskenland“ auch nach der 60 %-Annahme des Statuts weitergeht, bedeutet dies nicht nur die simple Tatsache, daß den Basken noch immer nicht „Ruhe und Frieden“ beschert ist. Die Aktionen der ETA-politico-militar (zuletzt: Entführung des UCD-Politikers Javier Ruperez) und der ETA-militar (zuletzt: Erschießung von 3 Angehörigen der Guardia Civil), die konsequent ihre »Linien« fortsetzen, kommen denjenigen nicht ganz ungelegen, die jetzt mit der Autonomie gegen die »autonomen« Gruppen vorgehen wollen, deren Militanz die Autonomieverhandlungen entscheidend befördert hatte. Die „harte Linie“, die die Regierung unterstützt von PSOE und PCE – einschlägt (Verhaftung von Sympathisanten, Aufhebung der Immunität baskischer Politiker, keine direkten Verhandlungen mit den Entführern), hat die Gewißheit hinter sich, daß die Neuregelung der innerspanischen Machtverhältnisse mittels des Statuts auch eine Verschiebung in der Gunst der Massen eingeleitet hat. Man schlägt noch härter gegen die ETAs zu, weil man davon ausgeht, daß die Mehrheit der Basken mit ihren Stimmen „den jahrhundertelangen Kampf gegen die Madrider Regierung beendet“ (FR) hat.


Dein Staat, mein Staat

Abstriche bei dem politischen Kompromiß, den das Statut darstellt, mußten scheinbar alle machen:

„Für die Politiker in der Hauptstadt ist die Autonomie nicht ein Geschenk gewesen, sondern eine Maßnahme zur Festigung der Demokratie und zu ihrem eigenen Überleben.“ (FR)

Die Basken, die „wichtige Konzessionen gemacht“ haben (SZ) (Das historische baskische Navarra wurde aus den Verhandlungen ausgenommen), haben allerdings ihr Statut und dürfen in Zukunft wieder das, was ihnen Franco wegen ihres Engagements für die Republik 1937 genommen hatte:

– Sie dürfen sich wieder von ihrer eigenen Polizei und nicht von den aus Südspanien in den Norden verlegten Ordnungskräften verhaften lassen (wenn man von den höheren Offizieren absieht, die aus der ,,jetzigen spanischen Truppe stammen“ müssen),

– sie werden vor einem baskisch organisierten Justizwesen stehen und in rein baskische Gefängnisse eingeliefert werden (eine Militärgerichtsbarkeit sowie Eingriffe der „Schutzpolizei bei besonderer Dringlichkeil unter ausschließlicher Verantwortung der Zentralregierung“ existieren weiter),

– an den Schulen und Universitäten dürfen sie ihre alte Sprache wieder neu lernen – unter der ,,Oberaufsicht Madrids“ und „im Einklang mit den spanischen Verfassungsbestimmungen“,

– vor dem Fernseher dürfen sie von einem baskischen Sender auf baskisch verbreitete Nachrichten und ihre eigenen Volkstänze genießen (nur die PCE war gegen die Auflockerung des staatlichen Fernsehmonopols),

– und schließlich dürfen sie ihre Steuern wieder selbständig erheben und an die Regierung in Madrid überweisen (wobei eine (Madrider!) Parlamentsabstimmung darüber entscheiden wird, „welche Verteilungsquote zwischen Zentralregierung und der baskischen Exekutive zugrunde gelegt wird“).


Ein Volk, ein Staat

Mit dem Statut delegiert der spanische Zentralstaat ein (wohlüberlegtes) Stückchen staatlicher Gewalt, weil er es leid ist, seine demokratische Gewaltausübung als schlichte Fortsetzung der Francodiktatur angegriffen zu sehen, und genug von der permanenten Störung des öffentlichen Lebens durch seine Minoritäten hat. Damit ist der alte Streit zwischen Basken und spanischer Regierung nicht aus der Welt, hat allerdings eine neue Form erhalten. Dem Kampf um Autonomie ist mit der Mitbeteiligung am Staat ein Argument aus der Hand geschlagen worden. Der Abzug spanischer Polizei, vor allem der verhaßten Guardia Civil und ihr Ersatz durch eine baskische Ordnungsmacht, beseitigt den wesentlichen Stein des Anstoßes, auf dem die nationalistische Polemik gründet, bei den Organen der Staatsgewalt handle es sich um eine Besatzungsmacht.

„Historisches“ Baskenland, mit den 3 französischen Arrondissements ... im spanischen Staat

Dies bekommt in erster Linie die ETA zu spüren. Bei ihren Aktionen für das baskische Ideal der nationalen Unabhängigkeit hat sie einen neuen Feind bekommen, der ihr mit demselben Ideal begegnet: Basken, die trotz/mit ihren Unabhängigkeitsidealen mit dem Autonomiestatut, so wie es ist, zu arbeiten bereit sind, baskische Polizisten, Gefängnisbeamte usw. Was mit dem Statut also erreicht ist, ist die Etablierung einer Staatsgewalt, an der der baskische Nationalist nichts mehr auszusetzen hat, weil und soweit sie von seinen Landsleuten vertreten und exekutiert wird. Die Erschießung von baskischen Polizeioffizieren als Repräsentanten des repressiven Gesamtstaats wird der ETA einige Legitimationskunststückchen mehr abverlangen. Wo sie bisher Erfolg bei den Massen hatte, weil ihre Gewalttaten als Schritt auf dem Weg zum endgültigen Sieg begrüßt wurden, trifft sie jetzt einen Gegner, der eigenständige baskische Politik zu machen versuchen wird – und dies wird er für sich und gegen die (jetzt nur noch) „Terroristen“ zu reklamieren versuchen. Damit bekommt die ETA ganz praktisch vorgeführt, daß sie mit der Annahme des Statuts durch eine Mehrheit der Basken ihre Rolle als nützlicher Idiot der Autonomiekampagne und ihren Nimbus als Vorkämpfer gegen die franquistische Unterdrückung verloren hat. Die innerbaskische Polarisierung hat mit dem Wegfall der gemeinsamen Klammer, der Gegnerschaft zu der spanischen Zentralgewalt, bereits begonnen – zumal die baskische Bourgeoisie sich hier einer unbequemen und zudem starken Opposition konfrontiert sieht (die beiden ETA-Wahlbündnisse Euzkadiko Ezkerra und Herri Batasuna liegen mit zusammen 27 % vor der PNV).

Der jetzt noch bestehende Streit zwischen PNV und Zentralregierung beruht auf der Grundlage des gemeinsamen Interesses an der effektiven Durchführung des Statuts (was sich auch in ihrem parlamentarischen Bündnis mit der Regierungspartei UCD in Madrid ausdrückt.) Der Wunsch nach Selbstbestimmung, Selbstverwaltung, Unabhängigkeit für Euzkadi war nur solange ein alle Basken einendes Band, als sich alle Basken, Arbeiter und Kapitalisten, die Zentralregierung als gemeinsamen Gegner vorstellten. Nun, da die Bourgeoisie Euzkadis ein Mittel zugestanden bekam, ihre Interessen mehr eigenverantwortlich in den spanischen Staat einzubringen, zeigt sich sehr schnell, wer aus dem Staat seinen Vorteil zieht und dementsprechend auch damit umzugehen gedenkt, und wer aus der öffentlichen Respektierung nationalistischer Gefühle eben nur das, also keine Verbesserung der eigenen Lage, gewinnt.

Es ist durchaus kein Zufall, wenn von den Basken ungeachtet des durchaus gegensätzlichen Interesses eines Stahlarbeiters oder eines Unternehmers, immer nur als den Basken die Rede ist, wenn die ETA 1962 „erklärt, daß das baskische Volk die gleichen Rechte wie irgendein anderes Volk auf Selbstregierung hat“, – und wenn von der nun rechtmäßig installierten Regionalregierung nur eine Klasse profitiert: die ,,Familienpartei“ PNV, die „die Partei des maßvollen Bürgertums geblieben ist“ und sich durch „einen verträglichen Lebensstil“ (ZDF) auszeichnet, steht einem Landesteil vor, der auf der Basis von Stahl- und Eisenindustrie sowie Schiffsbau sich in der Franco-Ära zu der nach Madrid wichtigsten Industrieregion Spaniens mauserte. Daß die Leute, denen dieser Krempel gehört, selber mitreden und entscheiden wollen, wenn es um die Anlage der Steuern für Autobahnen und AKWs – also um das „Recht auf eigene Finanz- und Wirtschaftsplanung“ – geht, liegt auf der Hand: Stellen sie doch ständig fest, daß andere Landesteile bei solchen Sachen bevorzugt werden, obwohl sie weniger in die Staatskasse einzahlen. Und eine Polizei, Justiz und staatliche Verwaltung, die sich immer nur mit der ETA auseinandersetzt, ist auch keine Gewähr in dem doch viel notwendigeren Einsatz gegen die Arbeitermassen, die das „sozialpolitische Pulverfaß des hochindustrialisierten Baskenland“ ständig zum Explodieren zu bringen drohen.

Die ganz unterschiedlichen Gründe, aus der baskischen Klassengesellschaft ein Volk, eine Kultur, eine Nation zu machen, schlagen nach Reformierung der Geschäftsgrundlage dergestalt durch, daß die Bourgeoisie sich mit der Zentralgewalt nun um die für sie günstigste Ausgestaltung der administrativen Zugeständnisse streitet, also in die üblichen Verhandlungsrunden eintritt, die sie mit nationalistischen Reminiszenzen nur noch als wohlfeilen Druckmitteln schmückt. Diesen zweckmäßigen Umgang mit ihrem Nationalstolz wird sich die Arbeiterklasse nicht zu eigen machen, eben weil sie sich zunächst in ihrem Basken-sein unterdrückt fühlt bzw. ihr Nicht-Spanier-sein als wahre Grundlage ihres Nationalstolzes zum Grund für ihre Misere macht, dagegen Folklore, eigene Sprache schließlich ein „wirklich unabhängiges“ Euzkadi und die „Wiedervereinigung mit Navarra und den baskischen Provinzen in Frankreich“ als Allheilmittel setzt, sorgt sie für den gesicherten Bestand ihrer Unzufriedenheit. Als verrückter Nationalist im Staate hat man gerade in seinem Nationalgefühl das Mittel parat, seiner Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen.

Die ETA nach dem Statut

Deshalb werden die Etarra, organisiert in ihren beiden Flügeln militar und politico-militar unverdrossen weiterkämpfen:

ETA (m) wird darauf beharren, daß das Statut ein finsteres Betrugsmanöver ist, weswegen nun auch baskische Politiker, Journalisten und Polizisten als Verräter an der nationalen Sache mit dem Tode bestraft werden müssen.

ETA (p-m) wird beim Versuch, das von ihr unterstützte Statut als „trampolin hacia la independencia“ zu benutzen, jetzt von einer spanischen und baskischen Staatsgewalt belehrt werden, daß dafür das Statut bestenfalls ein Sprungbrett in die – nun baskischen – Gefängnisse ist.

 

aus: MSZ 32 – Dezember 1979

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