Was ist los mit dem Aufschwung?

 

Waren sich die Konjunkturwahrsager bis vor einem .Monat noch recht sicher, daß der Aufschwung nicht lange auf sich warten lassen könne, sind die Gesichter mittlerweile länger geworden und nur einige zeigen noch ein stilles Lächeln, das Lächeln dessen, der immer schon recht hatte mit seiner düsteren Weltschau. Was ist passiert? Das Investitionsprogramm der Bundesregierung hat nicht verfangen und schaut man in die Welt hinaus, dann muß es einen grausen angesichts der vielen Inflations-, Rezessions- und negativen Wachstumsraten.

Soll der Staat nun ein neues Konjunkturprogramm machen? Ja, sagen die einen, denn es kann nicht schaden und vielen helfen. Nein, sagen die anderen, denn es hat ja nichts geholfen (obwohl es natürlich auch schlecht ist, wenn die Investitionshilfen Ende Juni auslaufen), außerdem würde es wirksam werden, wenn den Aufschwung schon da ist, und überhaupt ist es wahrscheinlich, daß der Aufschwung erst in 3 bis 4 Jahren kommt, möglich ist natürlich auch, daß „wir“ uns in einem Null-Wachstum einrichten müssen.

Sollen dem Staat mehr planerische Eingriffe ermöglicht werden? Nein, um Gotteswillen nein, sagen fast alle. Hat er nicht überhaupt an der jetzigen Lage wesentlich Mitschuld, sind es nicht seine Fehler gewesen, die sich jetzt so verhängnisvoll auswirken? Andererseits muß der Staat natürlich was unternehmen, denn wie soll man sonst gegen die „strukturellen Verwerfungen“, die jetzt immer deutlicher hervortreten, etwas ausrichten können; der Staat muß also etwas für die „Struktur“ tun, dabei aber weder die Marktwirtschaft noch die unternehmerische Freiheit anrühren, denn dann reagiert die Struktur empfindlich, zahlt keine Steuern mehr und der Finanzminister (er nimmt eh den Mund zu voll) bleibt auf seinen Haushaltsdefiziten hocken. Und die sollte er schleunigst beseitigen, sind sie doch Zeichen eines schwachen Staates; andererseits könnte er sie natürlich noch ein bißchen vergrößern, Geld in die Wirtschaft pumpen – man wird es ihm doppelt und dreifach zurückzahlen. Es kann allerdings auch sein, daß das Geld wieder wirkungslos versickert: darum wäre vielleicht eine Einschränkung der Ausgaben besser, und zwar eine Einschränkung. die die zu erwartenden Einnahmenminderungen überkompensiert. Die Vermutung ist jedoch nicht unbegründet, daß eine solche Schrumpfung des Staatshaushaltes weitere Einnahmenverluste nach sich zieht, seine .Aufgeblähtheit ganz sinnvoll ist …

Wäre es günstig, den Export anzukurbeln? Nein, sagen einige: zwar ist diese Rezession ganz wesentlich vom Exportrückgang geprägt, aber kurzfristige Experimente verschärfen nur die Gefahren, die in allzu großem Exportüberschuß liegen, nämlich Abhängigkeit vom Weltmarkt, Verknappung des Inlandsangebotes usw. Die meisten denken jedoch mehr an ihr kurzfristiges Glück und wären für einen Exportaufschwung dankbar. Sie betonen ihr Glückstreben: es muß sogar der Export sein, der die Wiederbelebung bringt, denn die Inlandsnachfrage reicht — auch wenn sie noch weiter steigt — längst nicht mehr aus, hat zudem bald ihren Sättigungsgrad erreicht. Dummerweise hängt der Exportaufschwung von der Wirtschaftslage anderer Länder ab und denen geht es ja auch nicht gut. Drum horcht man hoffnungsfroh auf, wenn die US-Regierung eine optimistische Prognose für die Dollar- Wirtschaft wagt — und am nächsten Tag ernüchtert in der Zeitung zu lesen, daß sie — wie sich bei genaueren) Studium herausstellte — darauf basiert, daß in der BRD und der übrigen Welt die Wirtschaftslage sich bessere und die amerikanischen Exporteure ...

Zweifellos wäre ein weltweites Konjunkturprogramm das beste, aber wenn es funktioniert, dann reicht immer noch allen Ländern die Inlandsnachfrage nicht und sie müssen den eigentlichen Aufschwung durch Export ins Ausland zustande kriegen, Einer muß dabei verlieren, also muß man ein weltweites Konjunkturprogramm gegen die, die nicht im Programm eingeschlossen sind, machen. Jedoch — wieder neue Probleme: wer darf wie viel in diese Länder exportieren, wer steht zurück? Außerdem wollen diese Länder gar nicht so gerne importieren, sondern lieber selber exportieren (verfluchtes Erdöl). Wenn man aufgrund der widerstehenden Interessen kein weltweites Konjunkturprogramm machen kann, muß man eben ans eigene Hemd denken. Atomkraftwerke nach Brasilien ist da ein schöner Anfang und wenn die Amerikaner der Brotneid packt und sie verleumderisch behaupten, man würde damit eine neue Atommacht aufbauen und gegen die Interessen der „Industrienationen“ verstoßen, dann antwortet man darauf, daß ein gewisses Risiko zum Unternehmertum gehört und außerdem die USA Atomkraftwerke nach Argentinien geliefert haben. Überzeugen muß schließlich das Argument, daß man für die Kraftwerke Uran, welches die Amerikaner so hinterhältig rationieren wollen — eintauscht und man dies wiederum dafür braucht um eventuell mal auf Basis einer tieferliegenderen Interessenidentität gemeinsam gegen andere vorgehen zu können. Nicht auszuschließen ist allerdings, daß man das Uran braucht, um sich voreinander zu schützen. So schlimm wird's aber nicht gleich kommen: im Prinzip handelt es sich ja nur um eine Neuauflage des Hähnchenkrieges aus dem Jahre 69.

Soll man die Löhne senken? Natürlich, sagt der Chor, und auch die Gewerkschaften wehren sich nur matt. Sie haben eingesehen, daß der Verteilungskampf aufhören muß, sonst kommt es nämlich zum Null-Wachstum und wo nichts ist, kann man nichts verteilen; also: etwas zum Verteilen übrig lassen, damit was übrig bleibt. Die Arbeiter müssen vernünftiger werden, sind sie doch die eigentlich Schuldigen an der gegenwärtigen Lage: die deutschen Lohnstückkosten sind die höchsten der Welt und darum ging es mit dein Export abwärts, und da jeder 4. Arbeitsplatz vom Export abhängig ist, können sie es sich selbst zuschreiben, wenn sie arbeitslos sind. Also dürfen sie sich nicht. wundern, wenn man jetzt etwas Ballast abwirft und sich auf eine andauernd höhere Arbeitslosenquote einrichtet. Das ist ja auch für die Arbeiter nicht schlecht, bleiben so doch die Löhne niedriger und die Gewinne höher und dann kann endlich wieder investiert werden und dann sind die Gewinne höher und dann geht es allen wieder besser und dann hat die soziale Marktwirtschaft gezeigt, daß sie immer noch die beste . . Um ganz sicher zu gehen, sollten auch gleich die gewinnabhängigen Steuern gesenkt werden (die Steuerreform war ganz schlecht) das hilft beim Investieren, und wenn der Staat dann weniger Geld hat, dann macht das auch nichts, kann er doch ein bischen beim Sozialen einsparen.

Eine „soziale Entschlackungskur“ muß her, sagt Schleyer – aber natürlich zu sehr, denn dann könnten die Arbeiter unzufrieden werden, was schlecht ist für das Investitionsklima. Und wenn es jetzt trotzdem welche gibt, die von all dem nicht zu sehr begeistert sind, darin bleiben immer noch zwei todsichere Anti-Rezessionsmittel: man kann sich in Geduld üben und etwas warten, und wem es in dieser Wartepause schlecht geht, soll daran denken, daß man mit Geduld vieles leichter erträgt, insbesondere das Warten“ man kann weiterhin aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und in Zukunft keine Fehler mehr machen und der Staat muß dafür sorgen, daß keine Fehler mehr gemacht werden, wofür er sich bloß die jetzige Wirtschaftslage angucken muß — daraus kann er viel lernen: nämlich den Unternehmern das Wirtschaftswachstum anzuvertrauen und dafür zu sorgen, daß sie sich auch richtig darum kümmern können, sonst schaffen sie es nicht.

 

„Das Abgründige in dieser Krise“

Nachdem die Krisenauguren und Aufschwungbeschwörer mit großer Ausdauer ihre Kreise durch ökonomischen Verstand staatsbürgerliches Bewußtsein gezogen haben, enden sie mit einem „Vielleicht“. Aber sie haben trotz allem Hin und Her gezeigt, daß sie sich in den Grundzügen einig sind und schon wüßten, wie dem Übel (W. Slotosch in der „Süddeutschen Zeitung“) schnell und gründlich beizukommen wäre:

– Wenn ein koordiniertes Zusammengehen mit den anderen „Industrienationen“ aufgrund der konkurrierenden Interessen nicht möglich ist und immer neue Konflikte entstehen, dann muß eben eine ordentliche Anarchie auf dem Weltmarkt her; zudem sollte man zielstrebiger dorthin stoßen, wo weniger Widerstand vorhanden ist. Verführen die gewandelten Umstände aber die bislang so Willigen dazu, eine gewisse Widerspenstigkeit herauszukehren, dann bleibt einem immer noch das überlegene Machtpotential, über das eine „Industrienation“ verfügt. Der Staat hat hier eine seiner vornehmsten Aufgaben: er muß dieses Potential gebührend zur Geltung bringen.

– Wenn die sozialen Elemente der Sozialen Marktwirtschaft den Leistungswillen der Bürger lähmen und ihren Erwartungshorizont all zu weit sich ausdehnen lassen, dann muß ihnen mal wieder vor Augen geführt werden – wer nicht hören will, muß fühlen –, daß die Soziale Marktwirtschaft eine wohl selbstverständliche, jedoch keineswegs ohne die ständige Bereitschaft zum Verzicht zu erhaltende Angelegenheit ist; noch immer ist sie eine Marktwirtschaft und ohne den geht's nicht.

– Wenn einige Leute in den „guten Zeiten“ vergessen haben, daß es Unterschiede zwischen den Leuten gibt und geben muß, dann haben sie vergessen, daß es immer noch von den Unternehmern abhängt, ob diese all die wundertätigen Kräfte ihres Kapitals glauben, dem Wohlergehen der Nation eine Chance gehen und den Arbeitern ermöglichen, zu arbeiten; und erst wenn auch diese zu opfernder Leistung bereit sind, können die Unternehmer wieder Zutrauen zu sich als den Lenkern der Marktwirtschaft gewinnen. Damit dieses Zutrauen sich einstelle, muß man den Arbeitern notfalls Mäßigung und Bewußtsein ihrer minderen Stellung aufzwingen bzw. den Unternehmern die nötigen Hilfen geben. Auf daß sich das Wohl verwirkliche.


All dies zu wissen und zugleich dem sich gegenüberzusehen, daß die Leute diesen Einsichten nicht folgen und gegen die höhere Vernunft handeln, das verbittert die Wirtschafts-Buchelas.

Solange solche Rückständigkeit herrscht, wird der Berufene noch und noch seine Unzufriedenheit mit dieser unvollkommen vollkommenen Welt in eben diese hineinrufen können und müssen.

Allerdings hat er einen Trost: die Sicherheit nämlich, daß die heimlichen Gesetze auch ohne die Zustimmung der Leute sich durchsetzen werden — einmal lacht die Sonne wieder und wenn schon auf einen Aufschwung eine Krise folgen muß, dann gehört doch zur Krise auch der Aufschwung. So sicher wie das Amen in der Kirche sofern man sie nicht. abschafft.

aus: MSZ 6 – 1975

zurück zur Startseite