Die Zertrümmerung der Anti-AKW-Bewegung in bunte Teilchen Da die Genehmigungsreife eines AKW nur insofern etwas mit der Sicherheit vor etwaigen Schäden zu tun hat, als die Sicherheit, daß es birst oder unangenehme Strahlen aussendet, einen Grad an (Un-) Wahrscheinlichkeit aufweisen muß, der die Forschungs- und Investitionskosten der Atomkapitale möglichst niedrig hält – schließlich sollen sie ja mit ihrem profitablen Strom zum Wachstum der deutschen Wirtschaft beitragen – und die staatlichen Behörden für den Ernstfall daher auch schon über umfassende „Katastrophenschutzpläne“ verfügen, konnte die Erfolgsbilanz auch gleich mühelos in die Zukunft fortgeschrieben werden: „Natürlich ist eine Ausweitung der für notwendig erachteten (!) Kapazitäten leicht möglich“.
Daß die „Anti-AKW-Bewegung“ in der Rechnung des Ministers nicht vorkam, liegt sicher nicht daran, daß er über sie nicht Bescheid wüßte, sondern daran, daß er sie zu gut kennt und daher auch nicht dem weitverbreiteten Irrtum verfallen ist, sie sei eine Bewegung zur Verhinderung des Baus unsicherer Kernkraftwerke. Was die Anti-AKWler wirklich bewegt, hat erst vor kurzem wieder der Vorsitzende des Bundesverbandes Bürgerinitiative Umweltschutz, in dem sich die meisten AKW-Gegner bundeseinheitlich zusammengeschlossen haben, als Motto eines ihrer Kongresse formuliert „Laßt uns gemeinsam auf diesem Kongreß beraten, wie wir die Deformation überwinden helfen können, in die unser (!) politisches System geraten ist.“ Weil den Anti-AKWlern als Reaktion auf das erkannte Risiko, daß der Staat seinen Bürgern aufzuhalsen für notwendig erachtet, nichts besseres einfällt, als sich um die Risiken große Sorgen zu machen, die dem Staat daraus erwachsen könnten, ist es auch kein Wunder, daß die Erfolgsmeldungen in Sachen Megawatt von ebensolchen ihrer erklärten Gegner begleitet sind, ohne daß sich beide in die Quere kommen. Auch die Anti-AKW-Bewegung kann nämlich mit einem Fortschritt aufwarten, der es ihr erlaubt, sich aktiv und rein konstruktiv an der Überwindung der „Deformation“ zu beteiligen, die sie „unserem politischen System“ angedichtet hat. Mit der in Schleswig-Holstein und inzwischen auch anderswo erfolgten Bildung von „Grünen Umweltschutzlisten“ zum Zweck des Einzugs in die Parlamente (was in einigen Kommunen Schleswig-Holsteins auch schon geglückt ist) haben es die daran beteiligten AKW-Gegner endgültig geschafft, ihre Gegnerschaft zum staatlichen AKW-Programm in eine Initiative zur Stärkung des demokratischen Staatswesens aufgehen zu lassen –und sie gleichzeitig in „Die GLU versteht sich als eine Partei, die sich im Rahmen des Grundgesetzes für die wichtigste Aufgabe unserer Zeit, die Erhaltung und Verbesserung unserer Lebensbedingung einsetzt“ (Programm der GLU).
Um einigen idealistisch gesonnenen jüngeren Menschen den Werdegang eines unzufriedenen AKW-Gegners zum umweltschützerisch tätigen Gemeinderat in Zukunft zu ersparen, erscheint es uns an dieser Stelle notwendig, noch einmal die Leistungen aufzuzählen, die ein Anti-AKWler als Voraussetzung dafür erbringen muß: 1. Man darf an der Empörung über das weitere Lebensrisiko, das einem der Staat verpaßt, nicht festhalten, sondern xxmuß erschreckt feststellen, daß man dadurch zu einer Gefahr für den Staat wird – und das darf nicht sein. xx xx xx(Motto: „Der Staat braucht aber die Zustimmung seiner Bürger, denn wo kämen wir sonst hin“) 2. Die Empörung muß sich daher staatsbürgerlich betätigen, wenn man die Taten der Staatsmänner in einen Mangel xxihrer politischen Führungskunst zu verwandeln hat. Sie haben einen nicht gefragt, versäumt, die Zustimmung der xxBürger zu ihren Maßnahmen einzuholen {„Das Gefühl des Übergangenwerdens von staatlichen Behörden führte xxschließlich zu einer konzertierten Aktion unterschiedlicher Initiativgruppen“ (Wüstenhagen, ehemaliger BBU-xx xxVorsitzender)}. 3. Damit aus dem nachzuholenden „Gespräch“ mit Politikern auch „konstruktiver Dialog“ wird, hat man aus dem xxGegensatz des eigenen Anliegens zum staatlichen AKW-Programm eine „energiepolitische Alternative“ zu xx xx xxmachen. Dies geht nur dann, wenn man die Gefahr, die von der rentablen Anwendung der AKWs ausgeht, dem xxAtom anlastet (,,Atomkraft-Nein-Danke“) und dadurch das volkswirtschaftliche Kalkül der Staatsmänner xx xx xxentlastet. Wodurch man sich 4. als der bessere und weitsichtigere Politiker aufspielen kann, der nationalökonomisch sinnvolle Alternativen xx xx(„Sonne, Wasser, Luft, Kohle – weil's vernünftiger, billiger und die Abhängigkeit vom Ausland nicht so groß xx xxist“) anzubieten hat, deren Nutzen für die deutsche Wirtschaft gerade darin liegen soll, daß man 5. jetzt wieder ganz einfacher Bürger, auf den eigenen verzichtet („Irgendwer muß ja mal Schluß machen, immer xxmehr haben zu wollen“)
All diese Demonstrationen hehren staatsbürgerlichen Verantwortungsbewußtseins, samt der reaktionären Verzichtspropaganda, mit denen sich die „anti-AKW-Bewegung“ bislang auszeichnete, wiesen jedoch noch einen gravierenden Mangel auf: Die Anti-AKWler kritisierten eine bestimmte Staatsmaßnahme, und dies in organisierter Form neben den Parteien, die für den Staat das Geschäft der Verwandlung der Bürgerkritik in die Zustimmung zu seinen Handlungen vornehmen („politische Willensbildung“). Die staatsbeflissenen AKW-Gegner sahen sich noch immer mit dem Makel der Staatsgegnerschaft behaftet – nahmen wahr, daß sie so nicht die erheischte Respektierung ihres staatstreuen Anliegens von Seiten der Staatsmänner erhielten und beschlossen daher den Protest „runter von der Straße“ und „rein in die Parlamente“ zu holen: „Weil die »Schallmauer« außerparlamentarischer Aktionen endgültig erreicht ist, muß als Ersatz für außerparlamentarische Aktionen versucht werden, in den Parlamenten die Etablierten zur Vernunft zu bringen.“ (GLU) Weil nun die etablierten Parteien für die demokratische Betätigung der AKW-Gegnerschaft nur die Abteilung Umweltschutzpolitik vorgesehen haben, in der sie die „Aufgabe der Erhaltung unserer Lebensbedingungen“ an der Lebensbedingung des Staates, dem Wachstum des nationalen Kapitals ausrichten und ihr unterordnen, weist der Umweltschutz in den Parteien für den entschiedenen AKW-Gegner zu wenig Entfaltungsmöglichkeit auf. Er gründet daher seine eigene „Umweltschutzpartei“, um den „Umweltschutzgedanken zum Siegeszug zu verhelfen“ (GLU). Dazu erstellt er ein Programm, in dem er all die Probleme, die den Menschen in ihrer Arbeit und ihrer Freizeit aus dem kapitalistischen Produktionsverhältnis erwachsen, zum Resultat einer gestörten Mensch-Natur-Beziehung verwandelt, und mit Verbesserung der letzteren Abhilfe verspricht: „Die Ökologie muß die Entscheidungsgrundlage für alle gesellschaftlichen Aktivitäten werden. Die GLU zieht daher die Erhaltung und Wiederherstellung eines ausgeglichenen Ökosystems allen anderen Interessen vor.“ (GLU). Da aber die meisten Leute nicht in einem „Ökosystem“ leben, sondern im Kapitalismus, haben sie auch noch andere Sorgen, als ihr Verhältnis zur Natur zu verbessern, und sind daher auch nicht bereit, an diesem Ziel ihre Bedürfnisse auszurichten. Stattdessen wenden sie sich den etablierten Parteien zu, die sie wenigsten hoffen lassen, mit steigendem Wirtschaftswachstum ihre materiellen Interessen verfolgen zu können, natürlich nur, wenn sie bereit sind, auf kein Opfer für ersteres zu verzichten („Erhaltung von Arbeitsplätzen durch AKWs, wenn ihr beim Lohn zurücksteckt“). Für den Ökologen, dessen reaktionäre ,,Zurück zur Natur“-Politik dem umworbenen Wähler zu „einseitig“ ist (daß es so schlimm mit der Zerstörung der Natur nicht wird, werden die Parteien mit ihrer Abteilung Umweltschutz schon besorgen), bleibt daher höchstens eine Minderheitenrolle auf der untersten demokratischen Ebene, den Kommunen, übrig. Hier kann und darf er sich für den Staat nützlich machen, seinen Idealismus geschäftig pflegen. Indem er sich, mit den Resultaten kapitalistischer Umweltzerstörung praktisch beschäftigt (Stadtteilverschönerung durch Bäumepflanzen und Unratbeseitigung, Lärm- und Dreckmessen samt der Initiierung von Gegenmaßnahmen wie Schallzäune an verkehrsreichen Straßen usw. usw. – vorausgesetzt die Kommune verfügt über genügend Geld, wozu wiederum die Ansiedlung von Industrie notwendig ist, der man nicht zu hohe Umweltschutzauflagen machen darf...), trägt er erstens dazu bei, daß der gesundheitliche Zerstörungsprozeß der arbeitenden Bevölkerung nur ein stetiger ist, und sie dem Kapital so für längere Zeit als Arbeitsmaterial erhalten bleibt. Zweitens liefert er mit der selbstlosen Aufopferung seiner Freizeit für all die weniger uneingennützigen Mitmenschen den moralischen Appell, nicht nur zu meckern, sondern auch was dafür zu tun.
Die Auflösung der Anti-AKW-Bewegung in einen rein konstruktiv sich betätigenden Staatsidealismus wäre freilich unvollständig ohne die entsprechende Reaktion derer, die an dem reaktionären „Atomschiet“-Bewußtsein der AKW-Gegner eine antikapitalistische Qualität ausmachen. Das anbiedernde Schulterklopfen der KPD und vor allem des KB, das von der Pseudokritik ergänzt wurde, daß die AKW-Gegner neben ihrer praktischen Staatsbeflissenheit auch noch gegen den Staat vorzugehen hätten, was ihnen durch einige militärische Aktionen (Grohnde) demonstriert werden sollte, wiederholt sich nun beim Kampf um den Einzug in die Parlamente.
Denn der KB hat (zusammen mit der KPD) ein solches Bündnis anzubieten, die „Bunte Liste“, in der sich „verschiedene Initiativen mannigfacher Interessen“ zu einem „breiten Spektrum“ vereinigt haben, wobei „sich gegenseitig das Recht (!) zugesprochen wird, die Initiativen für ihre jeweiligen Bereiche selbst sprechen und handeln zu lassen“. Also könnte auch die GLU, von der man zwischendurch auch mal feststellt, daß sie statt die Verursacher und Verantwortlichen von Atomgefahr in Staat und Industrie anzuklagen, das Problem auf ein „umweltbewußtes“ Verhalten der Bevölkerung verlagert, an der Bunten Liste teilnehmen, wenn sie nur die kunterbunt aneinandergereihten Interessen von Umweltschutz, Mieter- und Mutterschutz, unterdrückter Frauen, Schwulen und Gewerkschaftlern, Arbeitslosen und repressiv erzogenen Kindern als gleichberechtigte anerkennen, und nicht alle der Ökologie unterordnen wollte. Daß mittlerweile – wie am 1. Mai in Hamburg – sich auch noch die KPD mit ihrer Forderung nach einem „unabhängigen, wiedervereinigten und sozialistischen Deutschland“ in die lange Parolenkette einreihen konnte (bislang immer vom KB als „chauvinistisch“ verurteilt) stellt das Prinzip dieses Bündnisses klar: Jedem zu kurz gekommenen Interesse wird das Recht auf seine Artikulation zugesprochen, soweit es sich in seiner Forderung an den Staat, die im Parlament als Rechtsanspruch vorgetragen werden soll, auch noch gegen den Staat wendet: „Das heißt, wir können nicht nur im Einzelfall zupacken, wir müssen auch noch gegen das System angehen.“
Die unzufriedenen Bürger in ihrer Unzufriedenheit bestärken, indem man ihnen in allem recht gibt, was sie sagen und tun, und sich dabei als der eigentlich demokratische Sachwalter ihrer berechtigten Interessen hinzustellen, von dem allerdings nichts zu erwarten ist, solange man sich in der bestehenden Demokratie bewegt. Es gilt daher den Kampf um eine bessere, die wahre Demokratie zu führen, und das ist ihnen einige Opfer wert (siehe Grohnde). Weil die Bürger aber über kurz oder lang merken, daß hier auf ihrer Unzufriedenheit ein revisionistisches Süppchen gekocht wird, kehren sie aus ihrem bestärkten Staatsbürgerbewußtsein den Antikommunisten hervor, fassen Unvereinbarkeitsbeschlüsse, treten (wie jetzt in Hamburg) mit „grünbraunen“ Listen gegen die „Bunten“ an und werden auch per Wahl dafür sorgen, daß die „Bunten“, „(k)eine ernsthafte Gefährdung für die Parteien“ werden. Worauf die Bunten eine neue Anwanzerei von erlesener Peinlichkeit parat haben: Wenn die Wahl auch nichts bringt, so „hat die Arbeit auf alle Fälle Spaß gemacht“, lustig ist es bei uns und wer's nicht glaubt, der kann's an den vielen bunten Luftballons sehen, die wir zu diesem Zweck unter's Volk blasen!
aus: MSZ 23 – Mai 1978 |