Vom faschistischen Sinn des demokratischen Seins
Der honorige Ernst Albrecht hat also ein Buch geschrieben; denn er „ist zutiefst davon überzeugt, daß Unheil droht“ (S. 10), wenn er seinen „bescheidenen Beitrag“ zur Staatserhaltung nicht geleistet hätte (ibid.). Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wie ernst er es mit seiner unverschämten Parteilichkeit meint, liefert er eine „Rechtfertigung des Staats“ (75), die diesen dafür lobt, daß es ihn so gibt, wie es ihn gibt: „Ein erprobter Weg zur Erschließung des Sinns eines Seienden ist ... die Frage nach dem, was wäre, wenn es dieses Seiende nicht gäbe ... Was würde geschehen, wenn es in der heutigen Welt keinen Staat gäbe?“ (64 f.) Der Staat muß also schon deshalb sein, damit alle Einrichtungen eines „zivilisierten Lebens“ (61) erhalten bleiben, die ohne Staat undenkbar wären? „Wer wäre noch bereit, bargeldlose Zahlungen entgegenzunehmen? ... Jeder könnte Papiergeld drucken. Niemand der Strassen und Brücken baute ... Die Menschen würden familienweise leben, sich von der Jagd und dem Fischfang ernähren, sie besäßen weder feste Wohnsitze noch nennenswertes Eigentum. Unweigerlich würden sich räuberische Banden bilden, um zu ernten, wo sie nicht gesät haben ... In einer staatenlosen Gesellschaft ohne Rechtsordnung und Polizei (käme es) zum Kampf aller gegen alle. Zunächst würden die Anständigen zugrunde gehen, jene, die ... nicht gewillt sind, jedes, aber auch jedes Mittel anzuwenden» das dem Zweck der Selbsterhaltung dient ...“ (65 ff.) Der „Sinn des Staates“ liegt für Albrecht somit in der erfreulichen Funktion, die er zur Aufrechterhaltung der herrschenden Eigentumsordnung und damit für jene hat, die so „anständig“ sind, sich nicht „jedes“ Mittels, sondern nur ihres Eigentums zu bedienen, um andere zugrunde zu richten. Bezweiflern seines Interesses an der Verteidigung dieser brutalen Verhältnisse droht Albrecht zusätzlich mit dem ihm von N. Hartmann zugesteckten „methodologischen“ Prügel, die „intuitive Einsicht“ gebiete die Gleichsetzung „des Sinns des Seienden mit seiner Funktion“. (70) Allenfalls um die Vielfalt der Funktionen des Staates läßt Albrecht mit sich streiten. Konfrontiert mit den „primären Seinsbestimmungen, die es einem Seienden ermöglichen, seinen Sinn zu erfüllen“ (72), fällt es dem instinktsicheren Politiker Albrecht allerdings ganz leicht, sogleich die wesentliche herauszustellen: „Das Geheimnis des Staates ist die Ordnung.“ (ibid.) Parteigänger der bestehenden Eigentumsordnung, der Albrecht ist, ist ihm daran gelegen, dem Volk eines Staates diese gewaltsam einzubleuen, indem er ihm freiheraus erklärt, von sich müsse es nun einmal absehen, ein Leben unter dieser Abstraktion sei schließlich „des Menschen würdig ... »Des Menschen«, d.h. des Menschen schlechthin. Gegenstand der Aussage ist also nicht dieser oder jener beliebige Mensch in seiner Besonderheit.“ (89) Der Mann des Staates erwartet sich von der „Gemeinschaft der Staatsbürger daß sie bereit sind, persönliche Opfer zu bringen. ... Ohne Einsicht, Opferbereitschaft und verantwortungsbewußte Mitarbeit der Bürger muß jeder reale Staat entarten.“ ( 261). Da nun leider „der Mensch (nicht) auf den Staat hin geschaffen“ (87) und „die Selbstmächtigkeit des Menschen keine absolute (ist)“ (111), bekommt Staatsschützer Albrecht das Problem, „daß die Unvollkommenheit des Staates aus der Unvollkommenheit der Menschen resultiert, vor allem aus ihrer Unvernunft, ihrer Selbstsucht und ihrer Trägheit.“ (257) Angesichts solcher „Unvollkommenheitsfaktoren“ fragt sich dieser Menschenverächter, ob sich an den Individuen der staatserhaltende Anspruch auf deren freiwillige Einsicht in die Notwendigkeit ihrer Unterwerfung unter das Staatswesen noch länger aufrechterhalten läßt. Die Effektivität der Demokratie als „idealer Staatsform“ (257) steht mithin zur Diskussion: „Die generelle Aussage, die Volksherrschaft sei grundsätzlich die beste Staatsform, ist nicht mehr möglich.“ (ibid.) Zwar hat sie den enormen Vorzug, die Zwangsgewalt des Staats jedem Bürger anzulasten – „jeder Bürger (ist) mitverantwortlich für die Ausübung der Herrschaft“ (122) – doch gerade darin wittert der Faschist in Albrecht ihre Schwäche: „Ihre Vorrangstellung wird jedoch durch das Wirken der Unvollkommenheitsfaktoren relativiert.“ (257) Wenn die Menschen nicht so recht wollen, müssen eben handgreiflichere Formen der Stabilisierung eines Staatswesens her. Laut denkt der Demokrat darüber nach, daß „gute Alleinherrschaften ... unter Umständen den Sinn des Staates ... besser erfüllen als ausgesprochen schlechte Volksherrschaften.“ (ibid.)
Als Nothelfer des Staats gegen seine Bürger macht sich Albrecht sodann daran, die einzelnen Gefahren durchzuchecken, die dessen demokratische Verfaßtheit mit sich bringt. Dabei brütet er allerlei probate Sauereien aus, um den Staat vom Bazillus demokratischer Uneffektivität zu kuranzen. Da diesen demokratischen Staatsmann an der Demokratie selbstverständlich nur interessiert, wie mit ihr ein stabiler Staat zu machen ist, kommt er nach radikaler Prüfung dieses Mittels schließlich zur Aufstellung einer stattlichen Liste, auf der er gewissenhaft vermerkt, zu was allem ein demokratischer Staat zu gebrauchen ist. Insofern existiert noch ein gradueller Unterschied zum Faschisten, der da gleich seine eigene Schlägertruppe zur Kritik der Demokratie parat hat. Seiner Ansicht nach „ist die Volksherrschaft gut beraten, wenn sie – in Notzeiten – durch Übertragung namhafter Befugnisse auf die Regierung dem Unvollkommenheitsfaktor der Unwissenheit Rechnung trägt.“ (201) Einstweilen zufrieden mit dem, was er in dieser Hinsicht vorfindet, stellt er fest: „das setzt nicht unbedingt(!) diktatorische Vollmachten voraus wie im alten Rom, wohl aber eine klar umrissene Notstandsgesetzgebung.“ (ibid.) Realistisch genug zu bezweifeln, daß dadurch bereits „die Menschen ihre Grenzen erkennen, demütig werden, den Blick für ihre eigene Unvollkommenheit bewahren, sich bescheiden lernen“ (219), erweist sich ihm „eine gewisse Straffung der Macht in den Händen der Bundesexekutive als notwendig.“ (227) „In den meisten Volksherrschaften droht eine Gefährdung des Systems eher aus einer zu großen Schwäche als aus einer übermäßigen Stärke der Exekutive zu entstehen.“ (226) So läßt sich für den staatsbewußten Albrecht auch der „Verlust an Wirksamkeit, an Schlagkraft“ (227) gerade noch kompensieren, den ein demokratischer Staat durch die leidige Tendenz erzeugt, seinen Bürgern „möglichst viel Verantwortung zu geben, so lästig und mühselig dies auch für die Regierenden ... sein mag.“ (137) Stellt sich der Erfolg dieser an sich schon lästigen Übung, den Beherrschten die Zustimmung zu ihrem Schicksal zu entlocken, nicht ein, so stehen indes offen gewalttätige Vorkehrungen gegen solche Menschen an, denen „der Staat, der von ihnen Opfer für das Gemeinwohl verlangt, als etwas Feindseliges (erscheint).“ (228) Die Individualität dieser Menschen, so droht Albrecht, stellt „keine unüberschreitbare Grenze für den Staat dar.“ (172), denn, wie alles am Menschen, interessiert ihn auch hier nur „ihr Verhältnis zur Staatstätigkeit“ (ibid,), die sich der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung verpflichtet weiß. Der Demokrat in Albrecht wird geständig: sein Effektivitätsproblem mit der Form, die der Staat (gegenwärtig noch!) hat, zeigt, daß demokratische Staatsmänner zuletzt ein Problem mit demokratischen Rechten oder gar Idealen haben. Seine Sorge gilt von vorneherein nicht der Aufrechterhaltung der Demokratie, sondern deren Beitrag zur Herstellung effektiver Unterdrückungsformen. So kommt Albrecht das eminent demokratische Verdienst zu, die Leistungsfähigkeit demokratischer Ordnung bis in diesen „Grenzbereich“ der Folter hinein verfolgt zu haben.
aus: MSZ 15 – Jänner 1977 |