Die Abenteurer Die Zeiten, da Heinz Helfgen für Deutschland um die Welt radelte, sind vorbei. Doch das „Loch, das die gelebte Idee hinterläßt“ (R. Messner) bleibt bei solchen Leistungsträgern der Nation natürlich erhalten. Sie schmerzt die „Seinsfrage“, was „der Mensch“ in „Grenzsituationen“ noch alles auf sich nehmen kann. Einige Profis haben sich an die Beantwortung gemacht.
– Der Bergsteiger Reinhold Messner, der 8000 Meter bergauf auf blankem Eis geklettert ist, um zu beweisen, daß der Mensch auch ohne Sauerstoffmaske auf einem Berggipfel des Himalaya „lebensfähig“ ist und „ohne Gehirnschaden“ zurückkehren kann, wenn er mit ein paar abgefrorenen Zehen noch schnell genug ist. – Dolomitenskilehrer Toni Valeruz, der sich, nicht faul, darum kümmert, wie man am schnellsten wieder herunterkommt: 2 Brett'ln angeschnallt und auf geht's mit 200 km/h Schußfahrt über eine 50 Grad geneigte Eisflanke ins Tal, – der Ami Maxwell, der mit Badehose und Sonnenbrille bekleidet, auf Turnschuhen 215 km Wüste durchrennt, wobei er abgesehen von der Demonstration, daß die Füße eines Menschen nach einem 200 km run auf 80 Grad heißem Asphalt „wie rohes (?) Hackfleisch“ aussehen, bei 15 1 Teeverbrauch die wissenschaftliche Erkenntnis stützen konnte, daß der ,,Flüssigkeitsbedarf“ bei solchen Unternehmungen ein „enormer“ ist, – oder nicht zuletzt der deutsche Konditormeister Nehberg, einer der letzten Globetrottel, dem, „wie magisch angezogen“ von der „unendlichen Trostlosigkeit“ von Lava, Sandwüsten und wildgewordenen Negern, schon 15 mal dem Tod entgangen, immer „in scheinbar auswegloser Lage ... die Sinne hellwach werden“, was er auch braucht, um sich „ganz kühl zu fragen“, wann er wohl hopsgehen wird (Frau Nehberg: ..Ich weiß, daß er sich immer wieder rausbuddelt“). Alle sie sind Prototypen eines neuen Abenteurertums, dem man bitter Unrecht täte, es in die Nachfolge klassischer Pioniertaten zu stellen. Denn vom Jules Verne-Helden Phileas Fogg, diesem Schlitzohr, das sich in unsportlichster Weise vom Dampfschiff bis zum Heißluftballon hemmungslos aller technischen Mätzchen bediente, um die Hindernisse der Natur zu übertölpeln, würden sich die neuen Helden entschieden distanzieren. Ein richtiger „Maschinenmensch“ dieser Fogg, der nicht begreifen will, daß Gefahr und Strapaze das Abenteuer machen, in die man sich am wirkungsvollsten dadurch begibt, daß man alles, was des Menschen Hirn zur Bezwingung der Natur ersonnen hat, zu Hause läßt, um mit eigener Kraft, „by fair means“, so der neue Slogan, „das harmonische Verhältnis des Abenteurers zum Unbekannten“ zu erhalten.
Daß man Berge am besten barfuß in der Unterhose besteigen sollte, würde Messner am liebsten im Grundgesetz verankert sehen: „Die Gebirge sind so elementar, daß der Mensch weder die Pflicht noch das Recht hat, sie mit den Mitteln der Technik zu unterwerfen.“ Deshalb bekämpft dieser Abstinenzler der Berge, wo immer er kann, nicht nur den altertümlichen Bergheimatkraxler Luis Trenker, sondern auch jene Gebirgsschrumpfer mit Atemmaske: „Wer zur Flasche greift, degradiert den Everest zum Sechstausender.“ Der Südtiroler Alpinosoph weiß dagegen aus weniger Technik mehr Berg zu zaubern: „Die Atemmaske ist wie eine Mauer zwischen Mensch und Natur, sie ist ein Filter, der visionäre Erlebnisse verhindert.“ Da drückt sich der Ami Maxwell schon prosaischer aus: „Ich bin ein ganz normaler amerikanischer Masochist“. Weil eben, wie es der Bäckermeister sprichwörtlich ausdrückt, „der Schmerz da ist, um die Freude zu messen“, und bergsteigen, laufen, fremde Landstriche erforschen diesen Hasardeuren nur Mittel und damit scheißegal sind (weswegen sie von professionellen Interviewern auch nach ihrer „Motivation“ befragt werden), stellt sich Messner „die Seinsfrage“, die er im Zeitalter des Sessellifts dann für sich zufriedenstellend gelöst hat, wenn er auf dem Zahnfleisch und allen Vieren „dem Gipfel entgegenkriecht und hechelt“. Da weiß, getreu dem alten Irrenwitz vom nachlassenden Schmerz, „die enge keuchende Lunge, die über den Nebeln und Gipfeln schwebt“, erst so richtig zu schätzen, was ein ruhiger Schnaufer wert ist, ist auch in 8000 Meter Höhenluft blankes Eis unter dem Arsch ein sanftes Ruhekissen: „Der Gipfel, der mir plötzlich wie ein Ruheplatz erscheint. Als ob ich hier oben einen Ruheplatz gar nicht erwartet hätte.“ Der Fortschrittsfeind und Naturreaktionär Messner vergleicht sich über seine Wahnsinnstat gerne mit Leuten wie Galilei, die ihrer Erkenntnisse der Entmystifizierung der Natur wegen, als Ketzer gebrandmarkt wurden. Schlau genug, bei der „bescheidenen Wahl seiner Hilfsmittel“ (ein paar Dutzend Helfer schleppten unscheinbare Sendeanlagen, ein schlichtes Lazarett, eine kleine Feldküche und was der bescheidenen Dinge noch sind), sein ,,Minitonband“ nicht zu vergessen, gibt er die auch noch in dünnster Höhenluft gekrächzten faschistischen Durchhaltesprüche am Ende seiner Torturen als Buch heraus und hält seine 1000 Mark dotierten Vorträge vor überfüllten Häusern, deren Publikum wie der Spiegel verwundert vermeldet „aus vorwiegend berg- und kletterfremden Interessenten“ besteht. Die Weisheit des Verzichts und des jeder Menschennatur gemäßen Scheiterns oder Gewinnens trifft eben in der Hamburger Patriotischen Gesellschaft wie bei der Belegschaft der Keksfabrik Bahlsen auf offene Ohren. Sie haben es ja redlich verdient, Resonanz und Bares. Der Aufwand war beträchtlich: Maxwell mit den Hackfleischfüßen z.B. präpariert sich mit Höhenläufen und exzessiven Aufgüssen in der Sauna. Nehberg, der Bäckermeister, frißt zur „Revolutionierung seines Darmtrakts“ Mehl- und Regenwürmer, die er mit einer Tasse Wasserflöhe hinunterspült, und läßt sich bisweilen von einer seiner sechs Riesenschlangen bis zum Blackout die Schlagader abdrücken – das Gefühl der Befreiung danach, versichert er, sei unbeschreiblich. Die Lust könnte grenzenlos sein, wenn „sein Betrieb mit den 30 Angestellten ihm etwas mehr Zeit ließe.“
Unter Zeitdruck stehen ja eh die meisten Fans der Survival-Kunst, weswegen sie sich in der Regel mit einem Amateurstatus begnügen, der aber keineswegs minder ehrenhaft ist. Im Gegenteil: Nicht nur gegen „Exzesse“ professioneller Abenteurer läßt sich locker polemisieren, besser noch macht sich die Verdächtigung, denen geht es nur um rasche Berühmtheit und materielle Vorteile. Demgegenüber ist das eigene Freizeit-Engagement völlig unverdächtig und ideologisch sauber. Die Alternative „Leidenschaft oder soziale Sicherheit“, die sich ein paar Faktoten in diesem erlauchten Zirkel wie Klondike-Reinhold stellen, juckt die nicht, die sich ersteres leisten können, weil sie letztere haben. Mit den Augen der Gelegenheitstrotter stellt sich das freilich ganz unmaterialistisch dar. Ihr Beruf avanciert zum ungeliebten Mittel im idealistischen Dienst an der tiefen Weisheit, daß erst an der Grenze der eigenen Belastbarkeit sich das wahre Glück einstellt. So schweben sie tagtäglich über den Niederungen ihres „Alltags“, der offenbar so bequem verläuft, daß er ihnen die Freiheit läßt, ihn „banal“ zu finden. – Da läßt sich flott schwadronieren, wenn die abenteuernde Jungelite in das verachtete und für acht Wochen mit seiner Zivilisation allein gelassene „Quartier“ (mit WC!) zurückkehrt. Welcher Kontrast! Das bemerkte auch der Lehrer Markworth, der so frei war, „ein einziges Mal diese ewige (!) Bevormundung“ hinter sich zu lassen, sechs Jahre um die Welt schiffte und dann viel von „fremden Menschen, die noch ergeben dahinleben in Notdurft und im Rhythmus der Natur“, zu erzählen fand. Man kann solche Erfahrungen heute natürlich auch schon preiswerter haben:
aus: MSZ 30 – Juli 1979 |