Rationalisierung im Iran
Süddeutsche Zeitung vom 3. März 1975 Opposition überflüssig Im Iran gab es seit einigen Jahren zwei legale Parteien, Die eine unter dem Namen „Das Neue Iran“ führte der kaiserliche Ministerpräsident Hoveida. Die andere, Mardom (Volkspartei) genannt, war Seiner Majestät allergetreueste Opposition. Ihr bisheriger Vorsitzender stammte ebenfalls aus der kaiserlichen Verwaltung, hatte für die Übernahme seines Parteiamts die Billigung des Monarchen und äußerte Wünsche, die über die Regierungspolitik hinausgingen, allenfalls für eine unbestimmte Zukunft. Dieser biegsame Funktionär mußte allerdings seit der Besserung der Wirtschaftslage durch die Erdölhausse gelegentlich bei seinen Parteimitgliedern kritischen Äußerungen entgegentreten. Vor ein paar Wochen fiel er einem Verkehrsunfall zum Opfer. Der Schah scheint sich vergeblich nach einem geeigneten Ersatzmann umgesehen zu haben. So suspendierte er kurzerhand für zwei Jahre das schemenhafte Zweiparteiensystem und verordnete eine Einheitspartei mit neuem Namen, diesmal wieder unter dem Vorsitz seines Ministerpräsidenten. Ändern wird sich dadurch in der persischen Politik wenig. Die tatsächliche Kontrolle der Regierung hat niemals das zu Repräsentationszwecken gewählte Parlament ausgeübt, sondern seit langem nur der kaiserliche Hof, der auch die Staatsministerien durch einen eigenen, als Hilfsapparat des Monarchen fungierenden Stab beaufsichtigt. Die Erfolge seiner Wirtschaftsführung und Außenpolitik in den letzten Jahren haben die Kritik am Schah auch in den früher manchmal unzufriedenen Kreisen des Landes fast zum Schweigen gebracht. Ein Ventil für Mißstimmungen wird offenbar einstweilen als überflüssig angesehen. Der Iran ist und bleibt eine absolute Monarchie, allerdings eine höchst aufgeklärte. Die stürmische Entwicklung seiner Wirtschaft, seiner inneren Sozialpolitik und seiner äußeren Machtstellung wäre unter einem anderen System in dieser unruhigen Weltgegend wohl gar nicht möglich gewesen. xxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxx xxxbm ______________________________________
Wie dem Zeitungsleser bekannt, tun sich die „Unterentwickelten“ schwer mit der Handhabung „unserer gewachsenen und gewordenen demokratischen Institutionen“ und da freut es einen Demokraten besonders, wenn es Ausnahmen gibt, über die man berichten darf. Neben Indien, das sich „alle vier Jahre trotz drängender wirtschaftlicher Nöte das gigantische Schauspiel des Urnengangs von über 400 Millionen Menschen leistet“, konnte Herr Birnbaum auch aus uns näher liegenden Breiten bislang erfreuliches vermelden: der Schahinschah der Perser, Mohammed Reza Pahlevi, hatte sich vor einigen Jahren – trotz unguter Erfahrungen mit der Opposition – durchgerungen, eine neue Oppositionspartei nicht nur zuzulassen, sondern sogar selber einzurichten, die Mardom Partei. So konnte Herr Birnbaum auch als Mann, dem die Demokratie ein allgemein gültiger Wert ist, die Sonne der Arier stets vor böswilliger Kritik in Schutz nehmen: nichts sei dran an den Verleumdungen etwa iranischer Studenten im Ausland, wo es doch im Iran eine Opposition gebe und der Schah höchstpersönlich, bei mehreren Audienzen im Golestan-Palast versichert habe, daß ihm konstruktive Kritik jederzeit willkommen sei.
Man mußte also befürchten, daß Herrn Birnbaums Weltsicht durch eine kürzlich bekanntgewordene Maßnahme des Pahlevischahs ernsthaft gefährdet wurde und der Schah, trotz der Pluspunkte, die er als „kühler Geschäftsmann mit dem man reden kann“ in Sachen Erdöl, gesammelt hatte, nun unter Demokraten ins Gerede kommen würde: er hatte nämlich die Mardompartei – die offizielle Opposition – kurzerhand aufgelöst, nachdem ihr „biegsamer“ Vorsitzender – ein Hofschranze – verschieden war. Herrn Birnbaums Kommentar in der SZ vom 3.3. 1975 belehrt uns jedoch eines Besseren und beweist, daß ein idealistischer Demokrat durchaus seinen Sinn für Realitäten sich bewahren kann. Herr Birnbaum entdeckt nämlich – wahrscheinlich nach neuerem intensivem Studium iranischer Verhältnisse – daß Opposition im Reich der Arier eine höchst überflüssige Sache geworden ist, überhaupt sei Opposition lediglich ein „Ventil für Mißstimmungen“ und dies sei angesichts der „Erfolge seiner (des Schahs) Wirtschaftsführung und Außenpolitik“ ohnehin obsolet, dafür habe die „höchst aufgeklärte Monarchie“ gesorgt, Die Abschaffung der Oppositionspartei ist also als Rationalisierungsmaßnahme des Schahs zu verstehen, der Herr Birnbaum genauso applaudiert, wie er bei der Einsetzung der Opposition die Generosität des Pahlevi gerühmt hat.
Man könnte nun meinen, Herr Birnbaum folge hier der schlappen Einstellung gewisser prinzipienloser Linksliberaler, die für Asien, Afrika und das übrige Gesockse die „rote Diktatur“ für das adäquate Mittel halten, hierzulande dagegen möglichst viel Demokratie fordern, doch dies hieße Herrn Birnbaum in einen Topf mit denen zu werfen, gegen die sein Chef, Herr Heigert, nahezu jeden Samstag in der SZ leitartikelt. Herr Birnbaum denkt da in anderen Kategorien: nach wie vor fühlt er sich solidarisch mit den „geknechteten Bürgern Nordvietnams“ und den „politisch gleichgeschalteten Kulis in Maos China“, ganz zu schweigen von der „humanen Stimme der Solschenyzins“: worauf es Herrn Birnbaum ankommt, hat er hingeschrieben: „Erfolge in der Wirtschaftsführung und Außenpolitik“. Wer wie der Schah „ein kühler Geschäftsmann“ ist, der sein Land als „mächtigen Wirtschaftspartner“ in den weltweiten Zusammenhang der „freien Wirtschaft“ einbringt, der kann auf die Sympathie Herrn Birnbaums allemal rechnen. Wer allerdings Oppositionsparteien – wie jüngst in Portugal – mit der hinterlistigen Absicht verbietet, damit einen „Partner unserer Allianz“ aus dieser und ihrem ökonomischen Zusammenhang herauszubrechen, der muß sich die mahnende Kritik der Demokraten gefallen lassen.
aus: MSZ 4 – Mai 1975 |